Aufbruchsstimmung in Russlands Abfallwirtschaft

Die Abfallwirtschaft in Russland soll moderner und effizienter werden. Große Investitionen in Abfallsortierung, -verarbeitung und Recycling stehen an.

Eigentlich sollten zum 1. Januar 2019 alle russischen Regionen mindestens ein Unternehmen als regionalen Betreiber (Operator) ausgewählt haben, der Transport, Verarbeitung und Entsorgung der kommunalen Haushaltsabfälle organisiert. Doch die meisten Gebiete konnten die Frist nicht einhalten. Nach Presseberichten setzten zum Jahresbeginn nur 16 der über 80 russischen Regionen die Vorgaben um. Moskau und Sankt Petersburg bleiben bis 2022 ausgeklammert, andere Regionen bekommen ein Jahr Aufschub.

Nach dem neuen System schließt der regionale Betreiber mit allen Erzeugern von Siedlungsabfällen Entsorgungsverträge ab. Es entsteht ein Anschluss- und Benutzungszwang. Geplant ist, die für feste Siedlungsabfälle zuständigen Entsorger von der Umsatzsteuer zu befreien. Bislang konkurrierten in jeder Stadt zahlreiche Entsorgungsunternehmen, die aufgrund der niedrigen Einnahmen keine moderne Abfallverwertung aufbauen konnten.

Staatsholding soll Abfallreform koordinieren

Das Umweltministerium will bis Ende 2019 eine Staatsholding gründen, die die kommunale Abfallreform koordiniert sowie Bedarfsanalysen für Deponien und Müllverarbeitungsanlagen erstellt. Außerdem soll sie öffentlicher Mitspieler für Public Private Partnership-Projekte zur Verarbeitung und zum Recycling von Siedlungsabfällen werden. Die Holding wird zunächst mit einer Milliarde Euro aus dem Staatshaushalt ausgestattet. Private Investoren sollen weitere drei Milliarden Euro beisteuern. Als weitere Finanzquelle gelten die Windfall-Profite, welche die Rohstoffkonzerne dank Steuervergünstigungen und hoher Verkaufspreise auf den Weltmärkten erzielen. Wegen der niedrigen Müllgebühren hatten sich die notwendigen Investitionen in Müllverarbeitung, Recycling und Deponiesanierung bislang kaum gelohnt. Die Gebühren erreichen selten ein Zehntel des deutschen Niveaus. In manchen russischen Regionen zahlt eine vierköpfige Familie im Mehrfamilienhaus weniger als zwei Euro pro Monat für die Müllabfuhr. Künftig definiert die Regionalverwaltung eine Verbrauchsmenge pro Kopf und legt dafür einen Tarif fest. Erste Beispiele zeigen, dass die Gebühren bei 500 bis 600 Rubel (6,50 bis 7,80 Euro) je Kubikmeter liegen werden. Regionalpolitiker versuchen, die Preise für Abfuhr und Entsorgung zu deckeln oder zu senken. Die Müllbetriebe wehren sich jedoch dagegen, denn bei steigenden Kosten und geringeren Zuwendungen gerät das Geschäftsmodell in Gefahr.

Maximal ein Zehntel des Abfalls wird verwertet

In Russland fallen pro Jahr 70 Millionen Tonnen fester Siedlungsabfälle an. Marktkenner schätzen, dass nur vier Prozent davon verwertet werden; der Rest landet auf Deponien. Die Regierung gibt die Verwertungsquote mit zehn Prozent an. Etwa 16 Prozent des Müllaufkommens entstehen im Großraum Moskau. Der Nachholbedarf in der russischen Abfallwirtschaft ist also riesig. Präsidentenberater Andrej Belousow lässt zurzeit eine Liste mit möglichen Investitionsprojekten erarbeiten. Dazu zählen Vorhaben zur Modernisierung der Abfallwirtschaft und zur Sanierung von Deponien. Unter anderem will die Gazprom-Investmentfirma Lider 1,3 Milliarden Euro in die Abfallverarbeitung stecken, so ein Bericht von RBK Daily. Die Bauholding VIS Group soll 200 Millionen Euro Investitionen angekündigt haben. Im Rahmen des Programms „Sauberes Land“ (russisch: Tschistaja Strana) ist der Bau von vier Müllverbrennungsanlagen im Gebiet Moskau und einer weiteren in Tatarstan vorgesehen: Kostenpunkt zwei Milliarden Euro. Ziel ist es, die Menge der deponierten Siedlungsabfälle bis 2023 um sieben Prozent zu senken. Die tatarische Hauptstadt Kasan will dadurch komplett auf die Deponierung von Hausmüll verzichten.

Zu den Schlüsselakteuren bei der Umsetzung des Programms gehört der Staatskonzern Rostec mit seiner Tochter RT-Invest. Für die technische Planung und die Lieferung von Technologie wurde die japanisch-schweizerische Hitachi Zosen Inova ausgewählt. Mindestens 55 Prozent der Ausrüstungen für die Müllverbrennungsanlagen sollen in Russland produziert werden. Der Maschinenbaubetrieb SiO-Podolsk (http://aozio.ru, gehört zur Staatsholding Rosatom) hatte im Dezember 2018 die ersten Dampfkesselkomponenten für die Verbrennungsanlage im Moskauer Gebiet geliefert.

Als Bremsfaktoren für thermische Abfallverwertung in Russland gelten die hohen Investitionskosten von über 400 Millionen Euro je Anlage und die lange Amortisationszeit wegen der niedrigen Müllgebühren. Bei einer Ausschreibung für zwei geplante Werke in Sotschi und in der Region Stawropol hatte sich im Sommer 2018 kein Investor gefunden.

Kaum Sammelbehälter in den Großstädten

Effizienter und kostengünstiger wäre die Mülltrennung und anschließende Verarbeitung. Schon heute ist es verboten, Metalle, Polyethylen, Glas, Bücher und Zeitschriften sowie Haushaltselektronik zu deponieren. In der Praxis landen solche Gegenstände trotzdem auf den Müllhalden, weil es kaum Infrastruktur für getrennte Sammlung gibt. Laut einer Untersuchung von Greenpeace hatten 2017 nur neun Prozent der Haushalte in Russlands Großstädten Zugang zu Sammelbehältern. Zu den führenden Orten gehören Saransk, Mytischtschi und Orenburg. Das nationale Projekt „Ökologie“ sieht vor, dass bis 2024 landesweit insgesamt 210 Verarbeitungsbetriebe für kommunale Abfälle entstehen. Als Vorzeigeregion für eine moderne Abfallbehandlung gilt die Republik Mordowien mit der Hauptstadt Saransk. Dort ist das deutsche Unternehmen Remondis seit 2011 für die Sammlung und Entsorgung zuständig und investiert seitdem kontinuierlich. Die nächsten Vorhaben sind eine automatische Sortieranlage und eine Deponie mit effizienter Bodenabdichtung und Deponiegasaufbereitung. Bei der Modernisierung seiner Abfallwirtschaft setzt Russland auf Kooperation mit ausländischen Partnern. Hierzu wurde Anfang 2019 ein Rat für internationale Zusammenarbeit in der Abfallbehandlung gegründet. Dem Gremium gehören Vertreter des Umwelt- und Wirtschaftsministeriums, der staatlichen Umweltaufsicht, der Weltbank, des Umweltforschungsinstituts WNII Ekologija sowie Vertreter in- und ausländischer Firmen aus der Abfallwirtschaft an. Mit dem Rat will Russland von den positiven Erfahrungen anderer Länder bei der Müllentsorgung profitieren.

Verfasser: Gerit Schulze, Quelle: Germany Trade & Invest, Foto: pixabay

(EU-Recycling 03/2019, Seite 22)

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