Waagen für die Recyclingindustrie: Auf dem Weg zum „Wiegen 4.0“

In der Recycling- und Mineralstoffbranche sind Wiegesysteme nicht mehr wegzudenken. Dabei verlagerte sich der Trend in den letzten Jahren von statischen Lösungen zu mobilen Wiegesystemen, die inzwischen Vorstufen von digitalisiert-automatischen Arbeitsabläufen erreicht haben.

Bei der Entsorgung von Haushaltsabfällen empfehlen sich vollautomatische Wiegesysteme, wie beispielsweise EC Dynamic der ETS Group für Hecklader, Seitenlader und Frontlader. Mit ihrer Hilfe lassen sich Abfallbehälter ohne zusätzlichen Zeitaufwand durch Unterbrechung des Ladevorgangs leeren. Bei einem statischen Lademodul wie dem EC Static muss der Vorgang nach dem Anheben und zusätzlich nach dem Absetzen des Behälters nach der Entleerung vorübergehend angehalten werden, um die genaue Müllmenge zu erfassen. Diese Methode ist insbesondere für Absetzkipper, Hakenlader und Fahrzeuge mit Kran, aber ebenso für Hecklader geraten.

Die Gewichtsermittlung des Hausmülls kann mehreren Zwecken dienen. Neben einer bedarfsgerechten Abrechnung dient sie unter anderem dazu, massive Fehlbeladungen aufzudecken. So mutmaßte Ronald Philipp vom BDE ehedem, dass beispielsweise „die Restmülltonne aber plötzlich dreimal so schwer ist, weil sich der gesamte Bauschutt der letzten Badezimmerrenovierung darin befindet.“ Außerdem soll die Verwiegung die Arbeitskraft der Müllwerker schonen, denn wie Awista-Sprecher Ralf Böhme erklärte: „Wenn dann aber noch eine Tonne schwerer ist als sonst, dann geht das sofort auf die Muskeln.“

Alternativ: statisch oder dynamisch

Für die Mengenerfassung von Gewerbeabfällen zum Transport stehen laut BDE und VKU Fahrzeugwaagen-, Aufbauwaagen- sowie Schüttungswaagen-Systeme zur Verfügung. Die ersten erfassen das Gewicht des gesamten Fahrzeugs, die zweiten sind unter dem Aufbau installiert, während die dritten – zwischen Aufbau und Schüttung beziehungsweise Lifter – das Bruttogewicht bei vollem Behälter und nach der Umleerung das Taragewicht bei leerem Behälter festhalten. Für letztere gibt es – wie erwähnt – die Alternative zwischen statischer und dynamischer Ausführung. Zur Verwiegung von Lkw stehen ebenerdige Komplettfahrzeugwaagen zur nachträglichen Montage oder Aufstellfahrzeugwaagen zur Disposition, die leichter zu reinigen und zu versetzen sind.

Noch vorwiegend stationär gewogen

Im Herbst 2018 stellte der bvse fest, dass in der Recycling- beziehungsweise Entsorgungsbranche viele Unternehmen noch vorwiegend mit stationärer Verwiegung arbeiten. Dafür sind in der Praxis zwei Vorgänge vorgeschrieben. Im ersten Schritt wird das Gewicht des leeren Lkw über die Waage ermittelt. Der Transporter wird dann beladen und fährt – im zweiten Schritt – für eine Zweitverwiegung erneut auf die Waage. Ist die Ladung zu leicht oder zu schwer, muss Material im schlechtesten Fall mehrfach ent- und/oder nachgeladen werden. Das erfordert Zeit und kostet Geld. Im Idealfall würde hingegen der korrekt beladene Lkw beim Verlassen des Betriebsgeländes zur Kontrolle über die Waage fahren und nach Erhalt der Papiere seine Ziele ansteuern.

Zunehmend mobile Wiegesysteme

Foto: RecyclingMonitor GmbH & Co. KG

Deshalb greift die Branche bei den Lademaschinen wie Radladern, Staplern oder Baggern zunehmend auf mobile Wiegesysteme zurück, die die entsprechenden Mengen direkt beim Beladen der Transport-Fahrzeuge erfassen. Der Teleskopladerwagen der Südlohner Pfreundt GmbH zum Beispiel wiegt dynamisch während des laufenden Arbeitsprozesses, und erreicht das exakte Zielgewicht direkt beim Heben und Laden, was Über- oder Unterladungen vermeidet und damit kosten- und zeitintensive Fahrten zur Fahrzeugwaage spart. Auch die Baggerwaage von Pfreundt verfügt über ein Messelement und eine Wiegeelektronik im Greifer, sodass Daten direkt beim Materialumschlag erhoben werden können. Gleiches gilt für Bandwaagen und für Staplerwaagen desselben Herstellers. Dabei sollten insbesondere Bandwaagen, die zur zuverlässigen Erfassung von Mengen der Warenbewegungen dienen, robust gebaut und widerstandsfähig ausgelegt sein, da sie in der mit Hitze arbeitenden Entsorgungs- und Recyclingbranche oftmals hohen Temperaturen ausgesetzt sind, weist die Bitzer Wiegetechnik GmbH hin.

Amortisation nach 18 Monaten

Welche Einsparungen die mobile Wiegetechnik mit sich bringt, lässt sich am Beispiel einer Bodenwaage des niederländischen Herstellers Ravas Europe BV bei der AVAG Betriebs AG zeigen. Laut Angaben von Ravas ergab ein Kostenvergleich zwischen dem bisher üblichen Einlagerungsverfahren mit stationärer Wiegung und dem neuen Direktwiegeverfahren am Stapler eine Zeitersparnis von drei Minuten pro Wiegung und Palette. AVAG Betriebsleiter Urs Willi wird mit den Worten zitiert: „Bei einem Warenumschlag von 80.000 Paletten ergibt sich damit eine jährliche Ersparnis von 1.300 Stunden Arbeitszeit. Unsere Investition amortisiert sich daher bereits innerhalb von 18 Monaten.“

Direkte Verfügbarkeit der Daten

Das reine Erfassen der Wiegedaten war jedoch nur ein erster Schritt. Denn die Ergebnisse von Messungen unter anderem im Metallhandel, die früher auf einer handgeschriebenen Wiegekarte oder einem Kassenbon festgehalten wurden, waren nicht nur bedingt fälschungssicher – sie waren bis dato auch nicht direkt in das Verrechnungswesen, beispielsweise des betreffenden Metallhändlers, einspeisbar.

Der Softwareentwickler JaBa GmbH brachte daraufhin im Mai 2016 eine WiegeApp auf den Markt, mit deren Hilfe die statischen Wiegungen mehrerer Kunden einfach verwaltet, Preisempfehlungen an das Waagebüro gegeben, Wiegezettel ausgedruckt und die Wiegungen an das Waagebüro übertragen werden konnten. Im Dezember desselben Jahres stellte Pfreundt mit der WK60-Serie ein mobiles Wiegesystem für Teleskoplader vor. Es soll das Gewicht auch dann präzise ermitteln, wenn die Verwiegung während der Fahrt des Laders, auf unebenem Untergrund oder auf Rampen erfolgt. Vor allem aber liefert seine Funkdatenübertragung per WLAN umgehend Aussagen über die Position des Laders und die Menge des bewegten Materials. Über Schnittstellen können Drucker, Netzwerke oder das Webportal von Pfreundt angesprochen werden und für direkte Verfügbarkeit der Wiegedaten sorgen, wodurch sich die betrieblichen Abläufe verbessern lassen.

Weiterverarbeitung und andere Funktionalitäten

Ebenso hat Bitzer eine eigene Software-Version „Profes­sional“ – speziell auf die Anforderungen der Recycling- und Baustoffbranche zugeschnitten – im Angebot, die die Durchführung von zusätzlichen Wiegungen vom Tablet oder Smartphone ermöglicht, Einsicht in sämtliche Wiegedaten erlaubt und darüber hinaus eine Weiterverarbeitung und eine umfangreiche Auswertung der erfassten Daten zulässt. zwei R Software bietet mit david.net für die Abfall-, Entsorgungs-, Recycling- und Transportwirtschaft eine spezielle Digitalisierungs- und Automatisierungs-Software an, die über ID-Systeme auch vollautomatische Verwiegungen ermöglicht. Und der Software-Entwickler Cosmo Consult versprach schon 2017 nicht nur, eine Verbindung zwischen dem Wiegevorgang und den Aufträgen im ERP-System herzustellen, sondern auch andere Funktionalitäten wie „die direkte Integration der Wiegebrücke, das Wiegen von Einzelstücken bis zu kompletten Lkw-Ladungen, Eingangs-/Ausgangs- sowie Sammel-, Folge-, Tour- und Kontrollverwiegungen“ zu bedienen.

Vernetzte Datenerfassung, optimierte Logistik

Foto: Pfreundt GmbH

Darin liegt vermutlich die Zukunft der Waagen- und Wiegetechnologie, die jetzt schon unter dem Begriff „Wiegen 4.0“ firmiert und den Einstieg in die Digitalisierung und Automatisierung der Vorgänge bedeutet. Für Bitzer gehört zu den kommenden Techniken unter anderem ein optimiertes Logistiksystem mit automatisierten Eingangs- und Ausgangswägungen, bei denen sich die Lkw-Führer am jeweiligen Terminal selbst identifizieren und bei Tag oder Nacht ihre Fahrzeuge eigenständig verwiegen können. Auch david.net der Firma zwei R Software hat eine solche eigenständige Selbstverwiegung im Programm, wobei die Daten nahtlos in Auftragsverwaltung, Lieferscheine und Rechnungen übernommen werden und auf Wunsch sogar das Waagebüro überflüssig gemacht werden kann. Pfreundt fasst dabei auch „Wiegesystem-Lösungen zur vernetzten Wiegedatenerfassung über die komplette Prozesskette“ ins Auge, worunter eine Art Internet-of-Things der verschiedenen Belade- und Entlade-Maschinen und -Stationen verstanden werden könnte. Ziel aller Wiegesystem-Anbieter wird in jedem Fall auch weiterhin sein, für sich und ihre Kunden die Wiegeabläufe zu verbessern, die Abstimmung des Maschinenparks zu optimieren, die Abfertigungsmengen zu erhöhen und Zeitaufwand sowie Kosten zu reduzieren.

(EU-Recycling 09/2019, Seite 14, Foto: O. Kürth)