„Digitalisierung ist eher eine organisatorisch-kulturelle als eine technische Herausforderung“
Die horizontale Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette ist der Schlüssel zur Schaffung eines echten ökonomischen und ökologischen Mehrwerts in der Kreislaufwirtschaft. Zu diesem Ergebnis kam eine Veranstaltung der DGAW zum Thema.
Die DGAW-Regionalveranstaltung „Kreislaufwirtschaft Digital – Anwendungen, Wirtschaftlichkeit, Stand der Technik“ fand am 27. Juni 2019 am Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) in Sulzbach-Rosenberg statt. Vertreter von Behörden, Industrie, Wissenschaft und Forschung sowie weitere Interessenten informierten sich über digitalisierte Prozesse, Technologien und Geschäftsmodelle. Prof. Dr.-Ing. Matthias Franke (Fraunhofer Umsicht) leitete mit einem Impulsvortrag in das Thema ein. Am Beispiel der Demontage von Altfahrzeugen verdeutlichte er das Potenzial, aber auch die Risiken und Hemmnisse von Digitalisierung in der Kreislaufwirtschaft. Die Digitalisierung ermöglicht demnach die Schließung von Stoffkreisläufen.
Dabei zeige sich – angesichts der in vielen Bereichen bereits vorhandenen technischen Randbedingungen –, „dass die zögerliche Umsetzung einer die gesamte Wertschöpfungskette umfassenden Digitalisierung eher eine organisatorisch-kulturelle als eine technische Herausforderung ist“. Diese horizontale Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette sah Franke daher als die größte Herausforderung an, die zugleich aber der Schlüssel zur Generierung eines echten ökonomischen und ökologischen Mehrwerts durch Digitalisierung in der Kreislaufwirtschaft sei. Voraussetzungen dafür seien unter anderem die Verfügbarkeit und Einigung auf eine Referenzarchitektur, die Bereitstellung einer geeigneten Breitbandinfrastruktur sowie die Gewährleistung der Sicherheit von Daten und Systemen.
Daten sind zunehmend Befähiger von Prozessen
Im Anschluss gab Martin Meiller (Fraunhofer Umsicht), einen Überblick über die Digitalisierung in der thermischen Abfallbehandlung. Der Experte stellte heraus, dass gegenüber einer reinen Automatisierung die Generierung und Nutzung von Daten eine herausgehobene Bedeutung in der Digitalisierung hat. Daten seien demnach zunehmend Befähiger von Prozessen sowie Produkten und schließlich selbst als geldwerte Produkte anzusehen. Beispielhaft ging Meiller auf die Potenziale der Digitalisierung zur Optimierung der „Fahrweise“ von Verbrennungsanlagen durch eine Online-Brennstoffanalytik im Annahmebunker zur flexiblen Anpassung von Anlagenparametern wie Luftmenge, -vorwärmung und Additivdosierung ein. Als weiteres Beispiel nannte Meiller die zunehmend relevante Flexibilisierung der Energiebereitstellung in Abhängigkeit von unter anderem Wetterdaten und Strombörse und ging auf die Hardware-seitigen Voraussetzungen von Verbrennungsanlagen ein. Abschließend präsentierte er die bei Fraunhofer Umsicht laufenden Aktivitäten und Projekte zur Digitalisierung thermischer Prozesse, wie beispielsweise eine realisierte szenarienbasierte Steuerung thermischer Konversionsanlagen.
Wie stark die Digitalisierung bereits die Wirtschaft prägt
Tobias Deubel von EEW Energy from Waste legte die Sicht des Unternehmens auf die Herausforderungen der digitalen Transformation für die Abfallwirtschaft dar. Dabei zeigte er zunächst an Beispielen aus dem Alltag, wie stark die Digitalisierung das Leben jedes Einzelnen bereits beeinflusst und wie diese die Wirtschaft prägt. Anhand der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes verwies er auf das exponentielle Wachstum, dass durch die 4. Industrielle Revolution möglich wurde. Potenzielle Fragestellungen im Kontext der Digitalisierung bestehen für EEW laut Deubel unter anderem in der Kenntnis der Abfallzusammensetzung im Vorfeld der Anlieferung, dem Handel von Abfällen über digitale Plattformen anstelle von Ausschreibungen, dem Kauf/Verkauf von Verbrennungskapazitäten, der weiteren Steigerung der Energieausbeute sowie einer eventuellen Veränderung des Stellenwertes der Energieerzeugung gegenüber der Abfallentsorgung. Dr.-Ing. Felix Flemming, Head of Digital Tomra Sorting Solutions, ging in seinem Beitrag auf die Potenziale der Vernetzung von Sortiermaschinen durch eine Cloud-basierte Datenplattform ein.
Als Vorteile dieser digitalen Vernetzung von Anlagen an unterschiedlichen Standorten benannte Dr. Flemming unter anderem eine optimierte Maschinen- und Personaleffizienz sowie -performance, proaktive und vorausschauende Wartung sowie Prozessoptimierungen über mehrere Anlagen hinweg. Als ein wichtiges Thema betonte er auch die Gewährleistung von Datenschutz und Datensicherheit und zeigte die von Tomra ergriffenen, umfangreichen Maßnahmen zur Risikominimierung anhand von Prozessfließbildern anschaulich.
Potenziale in der Kreislaufwirtschaft
Abschließend ging Jan Philipp Kopka (Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik IML) auf die Digitalisierung in der Logistik und die damit verbundenen Potenziale für die Kreislaufwirtschaft ein. Dabei benannte er zunächst die Trends in der Logistik, die die zugrunde liegenden Supply Chain-Strukturen verändern. Dazu gehören unter anderen neue Produktionsverfahren wie zum Beispiel die additive Fertigung. Weiterhin nannte er selbststeuernde Systeme, die eine autonome, vernetzte und effiziente Bewegung von Rohstoffen, Sendungen und Gütern ermöglichen. Potenziale in der Kommissionierung, Produktidentifikation und Wegfindung, Identifizierung von Ladungsträgern, Routenoptimierung und Steuerung sowie Nachverfolgung von Produkten könnten demnach durch digitale Technologien wie Augmented Reality, Künstliche Intelligenz und Digitale Zwillinge gehoben werden. Für eine Hebung dieser Potenziale in der Kreislaufwirtschaft sah auch Kopka eine akteursübergreifende Zusammenarbeit in Wertschöpfungsnetzwerken als Voraussetzung an. Unter anderem seien Informationsbrüche, die in der Nutzungsphase der Produkte entstehen, zu schließen und eine Supply Chain-übergreifende Kommunikation zwischen Recyclingunternehmen und Herstellern erforderlich. Logistikdienstleiter könnten dabei nach Kopka Teil der Kreislaufwirtschaft werden und zum Beispiel Kleinmengen besonders werthaltiger Abfallfraktionen wie Elektronikaltgeräte oder gefährliche Abfälle erfassen und rückführen, die ansonsten anderweitig entsorgt würden. Drohnen seien ein mögliches, automatisierbares und effizientes Transportmedium für derartige Teilfraktionen. Abschließend ging Kopka auf Smart Contracts ein, bei denen er ein großes Potenzial für die automatisierte und verursachergerechte Abrechnung und Kommunikation zwischen Abfallerzeugern und -entsorgern sieht.
Abgerundet wurde die Veranstaltung mit einer Besichtigung des neuen Digital Enterprise Lab von Fraunhofer Umsicht, das Unternehmen aus den Bereichen Energie- und Recyclingtechnik sowie aus dem Anlagenbau die Möglichkeit bietet, in einer modernen Entwicklungsumgebung mit IoT-Infrastruktur (inklusive Edge- und Cloud-Servern, Analytik, additiver Fertigung, mechanischer Werkstatt, Büro- und Meetingräumen sowie modernen Technikumshallen) Technologien vom digitalen Prototypen bis zur Produktreife und digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln – vom Sensor bis zum Business Case.
(EU-Recycling 09/2019, Seite 16, Foto: Gerd Altmann / Pixabay)