Umweltgerechte Digitalisierungspolitik: Im Abfallbereich noch Zukunftsmusik

„Politische Gestaltung der Digitalisierung entscheidet darüber, ob sie zum Brandbeschleuniger sozialer und ökologischer Krisen oder zum Werkzeugkasten für eine nachhaltige Zukunft wird.“

So lautet das Fazit der „Umweltpolitische Digitalagenda“, die das Bundesumweltministerium jetzt vorgelegt hat. Deren Programmatik folgt dem Auftrag, den digitalen Wandel für die Zukunft zu gestalten: „ökologisch, sozial und gerecht, europäisch und international eingebettet“. Doch inwieweit betreffen die vorgesehenen Maßnahmenpakete die heutige und zukünftige Abfallwirtschaft? Und wann wird mit ihnen zu rechnen sein?

Das erste Maßnahmenpaket – das Zukunftsprogramm Umweltgerechte Digitalisierung – soll unter anderem dafür sorgen, dass die EU-Ökodesign-Richtlinie zügig auf digitale Produkte wie Smartphones, Tablets und Netzwerkkomponenten angewandt wird. Produktdesign und Vermarktungsstrategien digitaler elektronischer Geräte müssten deshalb – auch mit Blick auf die künftige Rohstoffverfügbarkeit – „von vornherein an Kreislauffähigkeit und Wiederverwertbarkeit ausgerichtet sein“.

Zusätzlich will sich das Bundesumweltministerium, um den Einsatz von Sekundärmaterial in der Produktion zu steigern, für EU-weite und ökologisch sinnvolle Mindesteinsatzquoten für recycelte Kunststoffe und Metalle bei der Herstellung bestimmter Komponenten für digitale Infrastrukturen und elektronische Geräte einsetzen. Hierzu gehört auch, dass Elektroaltgeräte legal entsorgt werden oder bei Export eine umweltgerechte Entsorgung im Importland erfahren. Dadurch werde nicht zuletzt der europäische Markt für Sekundärrohstoffe gestärkt und die EU unabhängiger von Importen.

Initiativen und Vorstöße
Um Obsoleszenz bei elektronischen Produkten zu unterbinden, sollen diese laut Umweltpolischer Digitalagenda durch verpflichtende Bereitstellung von Updates, Reparaturanleitungen, Ersatzteilen und Werkzeugen sowie herstellerübergreifenden Lösungen zum Austausch von Akkus, Displays und weiteren verschleißanfälligen Hardwarekomponenten langlebiger werden. Neben verbindlichen Herstellervorgaben in der EU-Ökodesign-Richtlinie und einer neuen Reparaturrichtlinie für Elektro- und Elektronikgeräte spricht sich das Ministerium zudem für eine „Garantieaussagepflicht“ aus. Sie soll europäische Hersteller dazu bringen, Aussagen über die garantierte Lebensdauer ihrer Produkte zu treffen.

Die ausgeweitete Anwendung der EU-Ökodesign-Richtlinie auf neue Produktgruppen zählt ebenso wie die Herstellervorgaben zur langen Funktionsfähigkeit von Hardware-Software-Systemen als „Initiative“ zu den Maßnahmen, die „neu initiiert werden“ müssen. Garantieaussagepflicht und Recht auf Reparatur werden gleichfalls als innovativer „Vorstoß“ gesehen, während der Einsatz recycelter Materialien und die Festlegung EU-weiter Mindesteinsatzquoten an Recyclingmaterialien noch entwickelt werden müssen.

Produktpässe und Datenstandardisierung
Das zweite Maßnahmenpaket bezieht sich auf eine voranzutreibende „Transparenzinitiative“. Dazu gehört unter anderem ein digitaler Produktpass. Er enthält alle wichtigen Umwelt- und Materialdaten im Lebenszyklus eines Produkts oder einer Dienstleistung und wird über alle Herstellungsschritte aktualisiert und ergänzt. So schafft der Produktpass als „digitaler Zwilling“ bei Verbrauchern, Industrie und Abfallwirtschaft Transparenz und Orientierung zu den ökologischen Wirkungen der Herstellung, zu enthaltenen Materialien oder zur Reparatur und sachgerechten Entsorgung. Standardisierte Daten zu Produkten und Abfallströmen – so die „Digital­agenda“ – können helfen, Anlagen in Abfallwirtschaft und Recyclingindus­trie weiter zu entwickeln und effizienter zu machen. Als ein wichtiger Schritt gilt der Auftrag an die Europäische Chemikalien-Agentur, für die Betreiber von Abfallbehandlungsanlagen eine Datenbank über besonders besorgniserregende Stoffe einzurichten, damit unerwünschte Stoffe letztlich aus dem Wertstoffkreislauf ausgeschleust werden können.

Zu den Maßnahmen, „die als Nächstes entwickelt werden“ sollten, zählen Initiativen zur Berücksichtigung von Umweltauswirkungen entlang von Liefer- und Wertschöpfungsketten (Stichwort: Corporate Social Responsibility) und zur Berücksichtigung von Umweltaspekten in der EU-Liste der kritischen Rohstoffe. Geplant ist außerdem – als Reallabor für eine vernetzte Modellkommune in der Kreislaufwirtschaft – die „Etablierung eines Testfelds zur Erprobung von digitalen Lösungen für eine optimierte Abfalllogistik und -wirtschaft, für Abfallvermeidung und zur Interaktion mit Verbraucherinnen und Verbrauchern“.

Abb.: BMU

Illegalen Handel unterbinden
Das dritte Maßnahmenpaket konzen­triert sich auf „Digitale Innovationen für den sozial-ökologischen Umbau“ und sieht den gezielten Einsatz künstlicher Intelligenz zur Lösung ökologischer Probleme vor, steht aber kaum im direkten Bezug zur Abfallwirtschaft. Im Gegensatz zum Maßnahmenpaket Nummer 4, in dem es unter anderem um Umweltrechtsverstöße geht, die im digitalen Raum erfasst werden sollen.

So stellt beispielsweise der illegale Handel mit geschützten Arten sowie der grenzübergreifende Handel von nicht zertifizierten, illegal gewonnenen oder giftigen Stoffen und Produkten im Netz die Umweltbehörden vor neue Herausforderungen. Hierzu sollen entsprechende Überwachungskapazitäten in den zuständigen Behörden aufgebaut, Bestimmungen zur Abwehr von Umweltrechtsverstößen vorbereitet und Verstöße auch im digitalen Raum flächendeckend erkannt und unterbunden werden. Zur Überwachung des illegalen Online-Handels mit geschützten Arten oder Schadstoffen ist als Nächstes eine Taskforce zur Unterstützung von Umweltbehörden und Zoll vorgesehen.

„Als Nächstes zu entwickeln“
Somit ist im Bereich „Industrie 4.0 und Kreislaufwirtschaft“ an Maßnahmen, die im engeren Sinne auf die sinnvolle Digitalisierung der Abfallwirtschaft abzielen, bis jetzt lediglich das Ressourceneffizienzprogramm der Bundesregierung und dessen Fortentwicklung auf den Weg gebracht. Eine Open-Source-Data-Plattform für Informationen zum Ressourcenschutz muss ebenso neu initiiert werden wie die Einführung eines digitalen Produktpasses. Und eine Corporate Social Responsibility (CSR) zur Berücksichtigung von Umweltauswirkungen entlang von Liefer- und Wertschöpfungsketten, die Einarbeitung von Umweltaspekten in die EU-Liste der kritischen Rohstoffe und das Reallabor „Vernetzte Modellkommune in der Kreislaufwirtschaft“ zur Erprobung von digitalen Lösungen für eine optimierte Abfalllogistik und -wirtschaft stehen vorerst nur auf dem Papier. Sie müssen nach Aussage des BMU „als Nächstes entwickelt werden“.

Insgesamt definiert die umweltpolitische Digitalagenda des Bundesumweltministeriums für die Wirtschaft einen breit angelegten Aktionskatalog, der strategische Grundsätze, Ziele und Strategien vorsieht. Doch auch wenn die Agenda vieles von dem anspricht und antizipiert, was die Grünen -Bundestagsabgeordnete Bettina Hoffmann in ihrem Diskussionspapier zur „Grünen Strategie für eine ressourcenleichte, giftfreie und klimaneutrale Kreislaufwirtschaft“ fordert: Die meisten der politischen Maßnahmen, die eine umweltorientierte Digitalisierung im engeren Sinne in der Abfallwirtschaft voranbringen sollen, sind aber bestenfalls Zukunftsmusik.

Die „Umweltpolitische Digitalagenda“ kann unter www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Digitalisierung/digitalagenda_bf.pdf heruntergeladen werden, das Diskussionspapier unter www.bettina-hoffmann.info/de/2020_02_27_Bettina_Hoffmann_Diskussionspapier_Kreislaufwirtschaft.pdf?r=2012509596.

(EU-Recycling 04/2020, Seite 16, Abb.: BMU)

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