Textilrecycling: System in Gefahr
Nach der jüngsten Alttextilstudie, die der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. im Juni vorstellte, hat sich die tatsächliche Sammelmenge in Deutschland weiter erhöht und im Jahr 2018 ein Volumen von 1,3 Millionen Tonnen erreicht, 300.000 Tonnen mehr als 2013.
Die Inlandsverfügbarkeit von Alttextilien liegt jedoch höher und wurde von den Autoren der Studie – B.A. Sebastian Forbrig, Dipl.-Ing. Thomas Fischer und Ass. Jur. Beate Heinz – für das Jahr 2018 mit deutlich mehr als 1,5 Millionen Tonnen angegeben. Allerdings konnte die tatsächliche Menge offensichtlich nur geschätzt werden, zumal unterschiedliche Berechnungsmethoden unterschiedliche Ergebnisse hatten. Nach der Grundmethode betrug die Inlandsverfügbarkeit 1.634.731 Tonnen, nach der Konsummethode 1.715.025 Tonnen und nach der Verbrauchsmethode 1.784.913 Tonnen.
Wie aus den Daten der Studie „Bedarf, Konsum, Wiederverwendung und Verwertung von Bekleidung und Textilien in Deutschland“ hervorgeht, fielen – statistisch gesehen – pro Einwohner im Jahr 2015 insgesamt 14,37 Kilogramm Alttextilien an. Drei Jahre später, 2018, gab jeder der rund 83 Millionen Bürger Deutschlands – nach der Statistik – bereits 15,31 Kilogramm Kleidungsstücke, Haustextilien sowie Schuhe in die entsprechenden Sammlungen. Im Jahr 2025 könnte die jährliche Menge pro Einwohner 2,21 Kilogramm höher liegen; das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die Bevölkerung dann auf ungefähr 83.723.470 Menschen angewachsen sein wird.
Rückmeldungen der Textilrecycler ließen den Schluss zu, dass diese Entwicklung weiter anhalten werde, kommentierte Martin Wittmann, Vorsitzender des bvse-Fachverbandes Textilrecycling, den Anstieg der Sammelmengen während der Webkonferenz. Als Ursache führte er das Konsum- und Entsorgungsverhalten der Verbraucher an, das sich mit dem Trend zu Fast Fashion grundlegend geändert habe. Bis zu zwölf neue Kollektionen würden pro Jahr auf den Markt geworfen. „Billig produzieren, billig verkaufen, schnell wegwerfen: Kleidung degeneriert zum Wegwerfprodukt“, so Wittmann.
Verwertungswege
Von dem Sammelaufkommen im Umfang von 1,3 Millionen Tonnen gelangten 2018 insgesamt 62 Prozent der Alttextilien in den Second-Hand-Verkauf; 2013 betrug die entsprechende Menge noch 54 Prozent. Angesichts der insgesamt schlechten Sammelqualität konnte dies nur durch einen „hohen kostenintensiven händischen Sortieraufwand erreicht werden“, beschrieb Wittmann die Anstrengungen der Sortierbetriebe und die Kostenbelastungen der Branche.
Weitere 14 Prozent der gebrauchten Textilien wurden zu Putzlappen und Dämmstoffen verarbeitet. Gegenüber 2013, als noch 21 Prozent der gesammelten Menge in diesen Verwertungsweg geleitet wurden, sank somit die Nachfrage deutlich. Nach bvse-Angaben gelangten weitere zwölf Prozent des Aufkommens in das Faserrecycling. Die Verbrennungsquote (thermische Verwertung/Ersatzbrennstoffe und Abfälle zur Beseitigung) hat sich von acht Prozent (2013) auf zwölf Prozent im Jahr 2018 erhöht. Die hierin befindlichen Abfälle zur Beseitigung aus der Sortierung haben ebenfalls zugenommen und lagen im Jahr 2018 bei rund 53.000 Tonnen (2015: 20.000 Tonnen).
Abnehmende Margen
Laut bvse hat sich der wünschenswerte Effekt, dass mit dem Anstieg an verfügbarer Sammelmenge eine bessere Marktsituation für das Textilrecycling ergibt, nicht eingestellt; die Zunahme der Quantität gehe mit der Qualität nicht einher. „Importware aus Billiglohnländern dominiert den Fashionmarkt“, betonte der Verband. „Hersteller und Retailer liefern sich einen Preiskampf um die Gunst der Verbraucher, meist im unteren Preissegment. Dies geht zulasten von Textilqualitäten und zugunsten eines vermehrten Einsatzes billiger Chemiefasern.“ Die Textilrecyclingbranche verzeichne zudem einen Anstieg der Schad- und Störstoffanteile auf durchschnittlich rund elf Prozent der Gesamtmenge – schon vor der eigentlichen Sortierung. „Da sich in den vergangenen Jahren jedoch auch die Müllverbrennungspreise deutlich verteuert haben, bedeutet das für die Textilrecycler einen erheblichen Kostenblock, der die Marge deutlich drückt und gleichzeitig die CO2-Bilanz belastet“, folgerte Wittmann.
Laut bvse bewirken zudem Internetplattformen und die für Konsumenten lukrativen C2C-Warenzirkulationen, dass Mengen und Erlöse aus oberen Qualitäten – die die Quersubvention der Branche für die bis dato kostenfreie Entsorgung maßgeblich trügen – für die Textilrecycler verloren gingen. Gestiegene Kosten und ein dramatischer Einbruch der Preise seit 2018 hätten die Marktsituation für Textilrecycler trotz gestiegener Wiederverwendungsquote insgesamt weiter verschlechtert. Darüber hinaus habe die durch Covid-19 ausgelöste Krise die im Alttextilrecycling tätigen Unternehmen mit voller Wucht getroffen, beschrieb Martin Wittmann die aktuelle Situation. Den großen Mengen an eingehenden Altkleidern stünden so gut wie keine Absatzmärkte mehr gegenüber, denn der Export in die Top-Abnehmerländer von Sammelware wie Osteuropa und Afrika sei durch die Corona-Restriktionen über Nacht völlig zum Erliegen gekommen.
„Textilrecycling muss und wird sich in den nächsten Jahren verändern“, so der Verband. Unklarheit herrsche hinsichtlich der Art und Weise des Wandels und der Verantwortlichkeiten. „Aus Sicht der Textilrecycler ist eine Fortführung des bis heute praktizierten Systems nicht zukunftsfähig. Die in der Studie vorgelegten Zahlen können dabei als ein Appell an alle Beteiligten verstanden werden, sich mehr denn je und vor allem gemeinsam zu bemühen, zukunftsträchtige als auch faire Konzepte zu erarbeiten, um ein Fortbestehen des hochwertigen Textilrecyclings vor dem Hintergrund des Kreislaufwirtschaftsgesetzes zu gewährleisten.“ Laut Wittmann muss der künftige Fokus im Sinne von Nachhaltigkeit sich auf „Qualität statt Quantität und Design for Recycling“ richten. In diese Überlegungen gehöre langfristig auch der Einsatz von Recyclingfasern. Jedoch sei das Faserrecycling noch nicht wirtschaftlich und „dessen Produkte teuer“.
(EU-Recycling 08/2020, Seite 24, Autorin: Brigitte Weber, Foto: Fotoschlick / stock.adobe.com)