360-Grad-Lösungen gesucht: Geschäftsmodelle für die Kreislaufwirtschaft

Als Kreislaufgeschäftsmodelle gelten Betriebsstrukturen, die durch möglichst effiziente oder möglichst lange und mehrfache Nutzung von Ressourcen Vorteile gegenüber konventionellen Unternehmensauffassungen gewinnen. Doch gibt es hierfür kein Patentrezept, zumal die Erfolgsfaktoren vom Branchenprodukt abhängig sind.

Kreislauffähigkeit gefragt
An Nachhaltigkeit interessierte Unternehmen sollten sich an den Prinzipien von kreislaufgerechter Produktion und Nutzung von Ressourcen orientieren, die Materialeigenschaften und Produkteigenheiten berücksichtigen. So unterscheidet die Europäische Investitionsbank 1. die kreislaufgerechte Planung und Produktion, die gleich zu Beginn Abfälle vermeidet und Rohstoffe wiederverwertet, 2. die längere Nutzungsdauer und Haltung im Kreislauf, 3. eine maximale Verwertung, um Ressourcen zu schonen, und 4. die Unterstützung der Kreislaufwirtschaft in allen Phasen des Produktlebenszyklus‘ und der Verwertung.

Eine Untersuchung von UnternehmerTUM Business Creators (UBC) hebt ab auf die Verwendung nachhaltiger Rohstoffe, eine Optimierung der Produktnutzung, die Maximierung der Lebensdauer sowie die Rückgewinnung von Materialien. Und eine Studie der Schweizerischen Stiftung für Nachhaltige Entwicklung namens sanu durabilitas kommt zum Ergebnis, dass es besonders auf die Kreislauffähigkeit der Materialien ankommt, die sich zum Wiedereinsatz ohne Qualitätsverlust eignen, zerlegbar gebaut sind und für eine Reverslogistik angedacht wurden. Ebenso wichtig sei die Nutzungsverlängerung, erzielbar durch ein Produktdesign für lange Lebensdauer, einfache Wartung sowie Reparierbarkeit und eine modulare Bauweise. Hinzu komme die möglichst energieeffiziente und aus erneuerbaren Quellen stammende Produktion und Nutzung der Produkte.

Kreislauf-Prinzipien anwenden
PricewaterhouseCoopers listet eine detailliertere Reihe von unternehmerischen Kreislauf-Prinzipien und -Strategien auf, die sich grob in „Bevorzugung erneuerbarer Einflüsse“ (im folgenden 1-3), „Maximierung der Produktnutzung“ (4-7) und „Wiedergewinnung von Nebenprodukten und Abfällen“ (8-10) gliedert.

1. Die „zirkuläre Beschaffung“ greift auf erneuerbare, bio-basierte oder recycelbare Materialien im Produktionsprozess zurück.
2. „Nachhaltiges Design“ zielt auf die Wiederverarbeitbarkeit von Produkten und Materialien ab.
3. „Ressourceneffizienz“ dient der optimalen Nutzung von Ressourcen und der Vermeidung von Abfällen in der Produktion.
4. Ein „Produkt als Dienstleistung“ verlängert die Nutzungszeit von Produkten, die schließlich umgewidmet werden.
5. „Teilung“ bedeutet die Mehrfachnutzung von Fahrzeugen, Räumen, Geräten oder Technologie zur Verlängerung ihrer Betriebsdauer.
6. Durch „Nutzungsmaximierung / Unterhaltung“ sollen sich Leistung und Effizienz von Produkten verbessern.
7. „Wiederverwendung / Umverteilung“ sind bei Kauf und Verkauf von Second-hand- und kürzlich erstandenen Produkten zu berücksichtigen, um deren Lebensdauer zu verlängern.
8. Vermittels „Aufarbeitung / Wiederaufbereitung“ erhalten Materialien eine neue Nutzung und vermeiden Downcycling.
9. Durch „Industrielle Symbiose / Recycling aus der Herstellung“ werden Abfälle oder Nebenprodukte aus der Herstellung zu Grundlagen für andere Produkte.
10. Am Ende des Gebrauchs steht das „Recycling von konsumierten Gütern“.

Umsatzerlöse durch Kostenvorteile
Der Umstieg vom linearen zum nachhaltigen Absatzmodell birgt das Risiko, dass der Unternehmer von Investitionen in Kreislaufdesign selbst keinen direkten Nutzen zieht, da der geschaffene Mehrwert durch verbesserte Produkteigenschaften erst später in der Wertschöpfungskette anfällt. Die Investitionen in Kreislaufdesign rentieren sich nur, wenn sein Unternehmen Zugriff auf weitere, nachgelagerte Teile der Wertschöpfungskette besitzt oder erlangt.

Umsatzerlöse lassen sich dann erzielen, sobald Kostenvorteile durch Ressourcen-minimales und auf Recycling ausgelegtes Produktdesign entstehen und Entsorgungskosten gesenkt oder in Einnahmen aus der Wertstoffverwertung verkehrt werden. Positive Effekte stellen sich zusätzlich durch höhere Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Produkte, Verdrängung konventioneller Produkte und Verschiebung von Marktanteilen ein.

Neuerungen bergen Risiken
Doch neue zirkuläre Geschäftsmodelle bergen auch Risiken, macht das Papier der Stiftung sanu durabilitas deutlich. Es könnten beispielsweise unerwartet große Investitionskosten anfallen, sich der Aufbau eines Partnernetzes als sehr aufwändig herausstellen, ein paar wenig kreditwürdige Kunden als Risiko gelten, die Buchhaltung für eine Palette an Mietprodukten mehr Aufwand benötigen und das Angebot an kreislauffähigen Materialien noch zu gering sein. Auf dem Markt könnte das öffentliche Bewusstsein für die Kreislaufführung von Produkten noch unterentwickelt sein, der Dienstleistungspreis als zu hoch erscheinen und das Kundenvertrauen in aufgefrischte Güter fehlen. Und schließlich könnten deutsche und internationale Rechtsprechungen Eigentumsprobleme aufwerfen, Haftungsrisiken klarstellen, Leasing nur unklar regeln oder Importverbote für bestimmte Produkte bestimmen.

Das Miet- und Leasing-Modell
Gleichwohl schlägt sanu durabilitas zur effektiven Vermarktung drei Vorgehensweisen vor: ein Miet- und Leasingmodell, ein Dienstleistungsmodell und ein Verkaufsmodell. Das Miet- oder Leasingmodell ist dabei insbesondere für Produkte geeignet, die am Lebensende über einen hohen Restwert an kreislauffähigem Material verfügen und einen Zerlegungs- oder Recyclingprozess ermöglichen. Das Unternehmen behält das Eigentum am Produkt, das nach Gebrauch als Rohstofflager dient. Durch Recycling profitiert der Hersteller vom Restwert des Materials und senkt dadurch seine Produktionskosten. Für die Kunden ergibt sich daraus ein attraktiverer Preis, allerdings nur, wenn er das Produkt nach einigen Jahren erneuern möchte – sonst wäre es für ihn kostengünstiger, es zu kaufen.

Das Unternehmen kann jedoch die Materialkosten besser planen und wird so unabhängiger von den Preisen auf dem Rohstoffmarkt. Zu den Vertretern dieses Modells zählen unter anderem der Schweizer Bürostuhl-Hersteller Stoll Giroflex, der Cradle-to-Cradle-zertifizierte Stühle aus nachhaltigen Stoffen produziert und vom Materialwert der nicht mehr gebrauchten Stühle profitiert. Hierher gehört auch der Hersteller von Auslegeware Desso, dessen zertifizierte Teppiche aus kreislauffähigen Materialien bestehen, die vollständig für die Produktion neuer Produkte verwendet werden können.

Das Dienstleistungsmodell
Auch beim Dienstleistungsmodell bleibt der Anbieter Eigentümer seiner Produkte, die nach Gebrauch über Restwerte verfügen, die direkt wiedergenutzt oder als Sekundärrohstoffe veräußert werden können. Er übernimmt die Anschaffungskosten und erledigt im Bedarfsfall notwendige Gewährleistungen. Das Modell eignet sich für „nutzungsrelevante“ Produkte, die bestimmte Anfangsinvestitionen erfordern, sich aber langfristig amortisieren. Bekanntestes Beispiel hierfür ist Carsharing, bei dem die Nutzung des Fahrzeugs als Dienstleistung angeboten und pro Stunde und gefahrenem Kilometer bezahlt wird. In ähnlicher Weise lassen sich Reifen offerieren und mieten, die pro geleistetem Kilometer abgegolten werden.

„Total Care“ bezeichnet ein System, bei dem Rollce-Royce seine Flugzeugtriebwerke zusammen mit deren Überwachung, Wartung und Reparatur für die gesamte Lebensdauer des Gerätes bereitstellt. Dieses Angebot, Flugzeuge durch die Luft zu bewegen, wird als „Power per Hour“ bezeichnet und pro Flugstunde abgerechnet. Die Vorteile für die genannten Anbieter bestehen darin, dass die Produkte so gut als möglich gewartet werden können, was ihre Lebensdauer erhöht, sodass jede Verlängerung des eingesetzten Produkts Mehreinnahmen durch zusätzliche Nutzung bedeutet, und dass das Produkt nach Einsatz wiederverwendet oder recycelt werden kann.

Stromservice inklusive
Die Vorteile des Dienstleistungsmodells für den Kunden erklärt sanu durabilitas damit, dass „das Outsourcing von Produktbesitz, Finanzierung, Verantwortung und Risiko sowie langfristige partnerschaftliche Planung dem Bedürfnis vieler Geschäftskunden entspricht und sich in vielen Bereichen anbieten lässt.“ Das trifft auch auf „Light as a Service“ von Philips zu, das dadurch eine Sonderstellung innehat, als der zuständige Unternehmensbereich „Lighting Service“ – neuerdings „Signify“ – neben den Anschaffungskosten für Lichtelektronik auch die Stromkosten übernimmt.

Da sich durch diese modere Lichtinstallation angeblich bis zu 70 Prozent der Stromkosten einsparen lassen, kann die gesamte Dienstleistung zu einem attraktiven monatlichen Preis angeboten werden. Das System ist hinsichtlich Stromkosten-Kalkulation in etwa dem vergleichbar, das Turntoo in Zusammenarbeit mit Hausgeräte-Hersteller Bosch & Siemens und Wohnungsanbieter Eigen Haard in den Niederlanden organisierte. Dort offeriert die BSH Hausgeräte GmbH ihre Waschmaschinen inklusive Strom und Wasser für zunächst 10 Euro pro Monat; später soll pro Waschgang abgerechnet werden. Der Hintergrund: Bislang sahen sich die Mieter im sozialen Wohnungsbau außerstande, ihre Stromrechnung zu begleichen oder sich energieeffiziente Geräte anzuschaffen.

Das Verkaufsmodell
Ein Beispiel für das Verkaufsmodell liefert Caterpillar. Der Baumaschinenhersteller verlangt für zentrale Komponenten seiner verkauften Fahrzeuge, wie beispielsweise den Motorblock, ein Pfand. Die zurückgegebenen Aggregate können aufgefrischt und als überholte Ersatzteile zu rund der Hälfte des Neupreises veräußert werden. In ähnlicher Weise nimmt Ricoh Geräte aus Großdruckereien zur Aufbereitung zurück, erneuert der Schweizer Möbelfabrikant Girsberger in der Sparte Service & Remanufacturing seine von ihm produzierten hochwertigen Stühle, und verdient USM, der Entwickler von langlebig modularen Möbelbausystemen, sein Geld beim Retrofit der Wohneinrichtung mit herstellergebundenen Spezialwerkzeugen. Das „Verkaufsmodell“ empfiehlt sich vor allem bei teuren und zerlegbaren Produkten von langer Lebensdauer, für deren Einzelteile Wartung, Reparatur oder Recycling sinnvoll und lohnend erscheinen.

Keine Pauschalen
Allerdings eignen sich Umweltstrategien nicht pauschal für alle Gebiete, Branchen und Betriebe. So macht PricewaterhouseCoopers deutlich, dass beispielsweise für den Gesundheitsbereich die Verminderung von gefährlichen Abfällen, im Bausektor hingegen die Verringerung von Neumaterial im Vordergrund stehen könnte. In der Abfallwirtschaft wäre die Minimierung von Downcycling wünschenswert, im Bergbau die Ankurbelung des Urban Mining und in der Fertigungstechnik das Schließen von Material-Kreisläufen. Für den Transport- und Logistiksektor wäre die Maximierung von Gebrauch und Lebenszeit vorstellbar.

Wie zirkuläre Strategien und Ziele entlang der Wertschöpfungskette von Elektrofahrzeugbatterien aussehen könnten, verdeutlichte Anfang dieses Jahres die Münchner Forschungsstelle für Energiewirtschaft. Die Umstellung beginnt mit ersten Stufen zur besseren Nutzung von Primärressourcen bis hin zu optimiertem Design und Recycling (as a Service) von Materialien wie Kobalt und Lithium. Es schließen sich Vorgehensweisen an, die auf Verlängerung der Batterielebenszeiten, auf Wiederaufbereitung und eine Zweitnutzung in Speicheranwendungen abzielen. Eine Maximierung der Wertschöpfung soll erzielt werden mittels Carsharing und Energieeinspeisung für Fahrzeuge aus dem öffentlichen Netz (Vehicle-toGrid), um schließlich die Phase des Battery as a Service mit Batteriesharing beziehungsweise -tausch und Batterie-Leasing zu erreichen, wo pro Kilometer abgerechnet wird.

38 Klassifizierungs-Muster
Inzwischen hat sich auch die Wissenschaft dem Thema gewidmet. An der Universität St. Gallen erarbeitete ein Forscherteam um die Professorin Karolin Frankenberger ein Klassifizierungsschema, nach dem ein Kreislaufsystem entworfen, validiert und implementiert werden kann. Es besteht aus sieben Schritten: Der Impuls-Phase, in der die Notwendigkeit eines Wechsels erkannt wird, folgt die Identifizierung der Zusammenhänge mit und Auswirkungen auf Menschen, Natur und Gewinne. Daraus werden im nächsten Schritt Ideen von Ökosystemen gesammelt, die über bestehende Lösungen hinausgehen. Hierzu sammelten die Forscher aus verschiedenen Industriezweigen 38 Muster zum Aufbau nachhaltiger Kreislauflösungen, basierend auf über 200 Mini-Fallstudien. In Phase 4 vereinigen sich die entstandenen Ideen zu einer zirkulären Logik.

Das Ergebnis, das die Umsetzung von Vision und Motivation beschreibt, wird nun im eigenen Unternehmen und Partnern vorgestellt. Daraufhin werden die geeigneten Partner gesucht, angesprochen und ins neue System inkorporiert. Die Durchführungsphase schließlich erfordert die Einführung des Ökosystems auf individueller Ebene im Betrieb. „Die inhärente Logik und Struktur des Ansatzes erlaubt Betrieben die Schaffung von zirkulären Lösungen, ohne von der Komplexität des Vorhabens überwältigt zu werden“, versprechen die Forscher in einem Informationspapier.

Anschlussfähig anpassen
Die zukünftige Kreislaufwirtschaft wird deutlich über die heutige Abfall- und Recyclingwirtschaft hinausgehen. „Dadurch besteht in Zukunft ein hoher Bedarf an neuen Kooperationen. Aber auch alle produzierenden Unternehmen werden ihre Geschäftsmodelle prüfen und womöglich auf den Kopf stellen müssen“, folgerte Dr. Björn Moller vom Fraunhofer ISI. Allerdings werden hauptsächlich eigene unternehmerische Initiativen für innovative Geschäftsmodelle vonnöten sein.

Denn: „Eine Kreislaufwirtschaft fordert von Unternehmen 360-Grad-Lösungen“, wird Lena van Dijck, Senior Beraterin im CCaSS-Team bei EY, vom Handelsblatt zitiert. „Sie müssen sich fragen, wie sie Ihr Geschäftsmodell so anpassen können, dass es anschlussfähig an nachhaltige Wirtschaftskreisläufe ist.“ Eventuell ist dabei auch der von Forschern der ETH Zürich entwickelte Retained Environmental Value-Indikator nutzbringend. Er soll Unternehmern dabei helfen, prozentual den ökologischen (Rest-)Wert von Material zu errechnen, den es sich durch Wiederverwendung, Wiederaufbereitung, Reparatur oder Recycling bewahrt hat. Also als Indikator dienen, inwieweit vorliegender Sekundärrohstoff bearbeitet und gewinnbringend veräußert werden könnte.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 12/2020, Seite 20, Foto: magele-picture / stock.adobe.com)