„In Recyclingan­lagen lauern überall Gefahren“

Unfälle auf dem Recyclinghof stellen ein bedrohliches Szenario dar: Besonders bei Pressen und Förderbändern gehen erhebliche Risiken für die Mitarbeiter einher. Ähnliches gilt für Zusammenstöße mit Fahrzeugen. Wenn tatsächlich etwas passiert, sind die Folgen oft gravierend. Im Interview erklären Heike Munro, U-Tech Gesellschaft für Maschinensicherheit mbH, und Albert Pretz, Nord-Westdeutsche Papierrohstoff GmbH & Co. KG, wie Recyclingunternehmen vorbeugen.

Frau Munro, mit welchen Herausforderungen kämpfen Recyclingfirmen beim Thema Arbeitssicherheit?

Heike Munro: Ob die Mitarbeiter an der Ballenpresse stehen, am Umschlag tätig oder in der Halle unterwegs sind: Überall lauern Gefahrenherde, sowohl durch Maschinen als auch durch Fahrzeuge wie Gabelstapler und Radlader. Hinzu kommt eine hohe Lautstärke- und Staubbelastung, durch die Mitarbeiter schnell abgelenkt sind. Immer wieder passieren in diesem Kontext schwere Unfälle, die dann mit einer menschlichen Tragödie einhergehen. Gleichzeitig sehen sich Arbeitgeber unter Umständen erheblichen juristischen Konsequenzen gegenüber. Unter dem Strich bleibt die Arbeitssicherheit damit ein konstant wichtiges und herausforderndes Thema für Recyclingunternehmen.

Heike Munro ist Mitglied der Geschäftsleitung der U-Tech Gesellschaft für Maschinensicherheit mbH, einem internationalen Anbieter von Personenschutz-, Kollisionswarn- sowie weiteren Spezialsystemen (Foto: U-Tech Gesellschaft für Maschinensicherheit mbH)

Was passiert im Falle eines Arbeitsunfalls?

Heike Munro: Dann geht eine ganze Maschinerie los. Zunächst prüfen Berufsgenossenschaften (BGen) und Polizei, wie ein Unfall zustande kam. Haben die für Sicherheit verantwortlichen Führungskräfte fahrlässig gehandelt – oder eben gerade nicht gehandelt –, nehmen die Behörden sie in die Pflicht: Hier ist sogar eine strafrechtliche Verfolgung zwingend. Dies gilt insbesondere dann, wenn Empfehlungen von BGen nicht befolgt wurden. Darüber hinaus machen Unfälle oft auch Schlagzeilen in den Medien und in sozialen Netzwerken. In diesem Fall ist die Reputation in Gefahr – ein Aspekt, der auch aus wirtschaftlicher Sicht oft Folgen hat. Möglicherweise wenden sich Kunden ab. Und es wird schwieriger, neue Mitarbeiter zu gewinnen.

Herr Pretz, wenn Sie aus der Perspektive eines Recyclingunternehmens auf das Thema blicken: Wie gewährleisten Sie die Sicherheit der Mitarbeiter in Ihrem Betrieb?

Albert Pretz: Seit jeher hat die Sicherheit unserer Mitarbeiter einen sehr hohen Stellenwert. Uns sind die Unfallgefahren, die in einem Recyclingunternehmen stets lauern, zu jedem Zeitpunkt bewusst. Prävention ist uns schon aus dem Grund äußerst wichtig, dass unsere Beschäftigten bei allen Themen eine große Rolle spielen. So gehört die Wertschätzung für jeden Mitarbeitenden zu unserer Unternehmenskultur und letztlich zu unserer DNA. Dass es dann folgerichtig ist, alles für die Sicherheit der Menschen zu tun, die bei uns arbeiten, versteht sich von selbst. Die gesetzlichen Anforderungen genügen uns nicht, sondern wir wollen eine Vorreiterrolle einnehmen. Das bedeutet, dass wir Technologien schon nutzen, bevor sie zur Norm werden. So haben wir bereits vor rund 20 Jahren das Personenschutzsystem der U-Tech GmbH implementiert – noch bevor es zertifiziert war.

 

Der Mann für die Sicherheit

Artur Böttcher ist Vorarbeiter und seit 15 Jahren bei der Nord-Westdeutsche Papierrohstoff GmbH & Co. KG tätig. Seine größte Befürchtung in Bezug auf die Risiken am Arbeitsplatz? Es genüge bereits, an der Presse umzuknicken oder – aus welchem Grund auch immer – ohnmächtig zu werden und dann auf das Förderband zu fallen – eine lebensgefährliche Situation. Böttcher ist daher froh, dass sein Arbeitgeber voll auf Sicherheit setzt. Maßgeblich unterstützt dabei das Personenschutzsystem „U-Tech Press“. Jeder Mitarbeiter hat stets einen Transponder am Handgelenk – gelangt er in die Gefahrenzone, sendet das Antennenmodul einen Impuls an die Steuereinheit des Systems. Die Maschine schaltet automatisch ab und ein Unfall wird vermieden. Dass das System schon über viele Jahre reibungslos funktioniert, führt zu einem guten Sicherheitsgefühl bei allen Beschäftigten, erklärt der Vorarbeiter.

 

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die nötige Sicherheit für das Personal in der Halle und auf dem Hof zu gewährleisten?

Albert Pretz: Wir priorisieren zuerst einmal strategisch die unterschiedlichen Risikoarten. Besonders hohen Gefahren ausgesetzt sehen wir dabei die Kollegen an der Ballenpresse: Wenn jemand ins Fallen gerät, kann er – schneller als er es sich versieht – auf einem Förderband landen. In einem solchen Fall schafft er es in aller Regel nicht mehr eigenständig, sich in Sicherheit zu bringen. Die einzige Rettung: Die Maschine muss gestoppt werden, bevor der Arbeiter in den Pressschacht gerät. Ein so schnelles Handeln ist kaum mehr möglich. Lebensrettend ist daher ein Personenschutzsystem, das die Gefahr erkennt und Ballenpresse sowie Förderband automatisiert abschaltet, sobald der Mitarbeiter in die Gefahrenzone gelangt. Wie gesagt, setzen wir hier auf U-Tech. Deren Technologie läuft sehr zuverlässig, und damit ist noch kein einziger folgenschwerer Unfall passiert. Doch auch in anderen Bereichen verstehen wir uns als unbedingt innovativ: So haben wir Lkw bereits mit Rückfahrkameras ausgestattet, lange bevor dies zur gesetzlichen Richtlinie wurde.

Was sollte ein Betrieb darüber hinaus noch tun?

Heike Munro: Entscheidend ist, gemeinsam mit Experten, wie etwa der Fachkraft für Arbeitssicherheit, immer wieder aufs Neue zu bewerten, wo sich Risiken verstecken und wie die Sicherheit erhöht werden kann. Zum Beispiel geht auch mit dem Einsatz von Fahrzeugen in Hallen oder auf Höfen ein beachtliches Gefahrenpotenzial einher. Hier braucht es Sicherheitsvorkehrungen. Auch technische Defekte an Maschinen können lebensgefährlich sein – eine regelmäßige Überprüfung ist unabdingbar. Aber noch etwas anderes spielt eine bedeutende Rolle: gute Kommunikation. Wenn Betriebe frühzeitig für Gefahren sensibilisieren – etwa mithilfe gut sichtbarer Hinweise, Plakate oder anderer Kommunikationsmittel –, passen Mitarbeiter besser auf. Schließlich ist die Vorsicht des Einzelnen die beste Gefahrenabwehr.

Albert Pretz: Auch heute noch ist es so, dass sich viele Betriebe nur an den gesetzlich geforderten Sicherheitsstandards orientieren. Doch das genügt in vielen Fällen nicht. Die Situation im Einzelfall ist durch pauschale Vorgaben nie optimal erfasst. Es gilt daher, immer individuell hinzuschauen. Wir nehmen unsere Mitarbeiter in Halle und Hof bei Risikobewertungen regelmäßig mit ins Boot, denn sie sind unmittelbar betroffen und können gut einschätzen, wo Unfälle drohen. Ihre Einschätzung fließt in die Gesamtbewertung ein. Außerdem führen wir regelmäßig Schulungen durch – auch über verpflichtende Unterweisungen hinaus. Digitale Fragebögen ergänzen dies. Damit wird bewertbar, ob wichtige Informationen wirklich angekommen und verinnerlicht sind. Doch Standards allein genügen uns nicht – wir wollen Sicherheit im Alltag verankern. So beginnt bei uns jede Besprechung und jedes kleine Briefing mit dem Thema Arbeitssicherheit.

Welche Entwicklungen werden in puncto Sicherheit künftig von Bedeutung sein?

Albert Pretz: Arbeitssicherheit wird künftig noch stärker systematisiert. Firmen beziehen ihre Mitarbeiter zunehmend mit ein. Und die Chancen durch neue Technologien werden noch besser genutzt. Auch die Kooperation mit Prüforganisationen wird noch wichtiger. Bei uns ist es beispielsweise so, dass wir seit vielen Jahren eng mit dem TÜV Rheinland zusammenarbeiten. Das zahlt sich in Zukunft noch stärker aus.

Heike Munro: Die Vision Zero – eine Welt ohne schwere Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten – wird zunehmend zum großen Ziel, auf das industrieübergreifend hingearbeitet wird. In der Folge wird das Bewusstsein für Risiken und für die Möglichkeiten, diese zu minimieren, weiter steigen. Auch die langfristige Zusammenarbeit zwischen Partnern wird immer wichtiger. So freuen wir uns sehr, dass uns die Nord-Westdeutsche Papierrohstoff, einst unser erster Kunde, bis heute die Treue hält.

www.weig-recycling.de
www.u-tech-gmbh.de

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 02/2021, Seite 28, Fotos: Nord-Westdeutsche Papierrohstoff GmbH & Co. KG)