Kunststoffrecycling: noch längst nicht ausgereizt
Das Waste-to-Resources-Symposium 2021 fand Corona-bedingt als online-Messe statt. Das tat der 9. Internationalen Tagung für Kreislaufwirtschaft, mechanisch-biologischer Aufbereitung, Sortierung und Recycling jedoch keinen Abbruch. So boten unter anderem die Vorträge über die Behandlung von Kunststoffabfällen interessante Aspekte.
Im Jahr 2017 beliefen sich in den Niederlanden die von Verbrauchern produzierten Kunststoffabfälle auf insgesamt rund 350.000 Tonnen, erklärte Thoden van Velzen (Universität Wageningen, Niederlande) einleitend. Davon wurden 135.000 Tonnen separat gesammelt und sortiert, rund 19.000 Tonnen für späteres Recycling gelagert und 105.000 Tonnen mechanisch recycelt. 216.000 Tonnen Siedlungsabfälle ließen sich erfassen, davon 41.000 Tonnen wiedergewinnen sowie sortieren und 16.000 Tonnen mechanisch recyceln. Die Restmenge von 175.000 Tonnen landete zusammen mit 25.000 Tonnen aus der separaten Sammlung und 26.000 Tonnen aus der Siedlungsabfall-Menge in der Verbrennung. Zwischen separat gesammelten (SS) und aus Siedlungsabfällen wiedergewonnenen (MR) Kunststoffabfällen besteht ein Unterschied. Die Materialien aus der getrennten Sammlung durchlaufen eine Qualitätskontrolle, um dann sortiert und mechanisch recycelt zu werden. Die Stoffe aus dem Siedlungsabfall werden rückgewonnen und zum Teil ausgesondert und danach entweder schematisch oder flexibel sortiert, um vor dem abschließenden mechanischen Recyceln die Reststoffe zu entfernen.
rPET ist nicht gleich rPET
Das Ziel des mechanischen Recyclings besteht generell darin, die sortierten PET-, PE-, PP-, Folien- oder Mischabfälle in ein schwimmendes oder sinkendes, schlammiges oder aufgelöstes Produkt zu verwandeln. Im Vergleich resultiert aus dem Recycling von MR-Kunststoffen ein höherer Anteil an Schlämmen und aufgelösten Stoffen, der sich aus einem höheren Grad an Verunreinigungen erklärt. Allerdings liegt nach der Reinigung der Anteil der gewünschten Polymere im MR-Recycling mehrere Prozent über und der der unerwünschter Polymere ebenso deutlich unter dem der separat gesammelten Kunststoffabfälle. Insbesondere bei Folien besteht ein Unterschied von 20 Prozent.
Allerdings fällt auf, dass die Partikelverunreinigung – die bei bepfandetem rPET bei 130.570 liegt – sich bei SS-rPET auf 1.162.175 und beim standardmäßigen MR-rPET auf 695.396 beläuft. Außerdem ist das SS-rPET um drei Prozent trüber als das des anderen Verfahrens: Beide Recyclingmethoden resultieren mit 87,7 beziehungsweise 84,4 Prozent Trübung gegenüber 45,1 Prozent bei bepfandetem rPET in einem Bereich, der eine kommerzielle Nutzung ausschließt. Sie weisen eine dreifach beziehungsweise fast siebenfach intensivere Gelbfärbung aus rPRET aus Pfandflaschen auf. Außerdem riechen Folien aus SS-rPET ranzig, während MR-rPET nach kalter Wäsche erdig und die Pellets nach Extrudierung verbrannt riechen, nach heißer Wäsche und Extrudierung hingegen nach Seife.
Mechanische Rückgewinnung wachsend
Welche Methode zu bevorzugen ist, hängt davon ab, ob der Schwerpunkt auf der Materialausbeute liegt (SS-rPET mit leichtem Vorteil), es auf die Recyclingquote ankommt (ländlich SS-rPET, städtisch MR-rPET), ob höhere Reinheit der Polymere (MR-rPET mit leichtem Vorteil) angestrebt ist oder weniger verunreinigende Partikel (SS-rPET mit leichtem Vorteil) gewünscht werden. Hinsichtlich Faserlänge oder Farbe bestehen keine Unterschiede. Die Wahl des Verfahrens bleibt – so Thoden van Velzen – letztlich eine politische Entscheidung. In jedem Fall wachsen die mechanische Rückgewinnung von Kunststoffen und die Zahl der darauf spezialisierten Anlagen in den Niederlanden deutlich. Diese Anlagen wenden fortgeschrittene mechanische Recyclingverfahren mit Flockensortierungs-Schritten an, die höhere Qualitäten an rPet produzieren. Insofern ist die Herkunft des leichten Kunststoffabfalls weniger wichtig.
Wie lassen sich Polyolefine separieren?
Multilayer-Folien können bestehen aus PE-Schichten, EVOH-Barrieren, PE-Folien und PET-Trägerfolie nebst Haftvermittlern und Klebern, die nicht oder nur schwer voneinander zu trennen sind. Die Polyolefine unterscheiden sich von den übrigen Materialien im Gemisch dadurch, dass sie sich – im Gegensatz zu Multilayer-Folien – bei mechanischer Behandlung oder Erhitzung nicht verformen. Darauf baut das Verfahren, das Maria Schäfer (Hochschule Zittau/Görlitz) am 20. Mai vorstellte.
Zur Behandlung durchläuft das Material einen Schneckenförderer, der schwere Teile aussortiert, und eine Aufbereitungszentrifuge, der zusätzlich Hitze zugeführt wird. Wiederholen sich der mechanische und der thermo-mechanische Vorgang mehrmals, verformt und verdichtet sich das Multilayer-Stoffe von 60 auf rund 100 Kilogramm pro Kubikmeter. Ein differentialer Kalorimeter-Scan lässt erkennen, welche Kunststoffsorten das Material enthält, und erahnen, in welcher Menge sie vorhanden sind. Die Analyse kann verfeinert werden, indem eine Probe in ein Lösungsmittel gegeben, erhitzt und abgekühlt wird; im entstehenden Phasengemisch lassen sich die Polyolefine von dem nicht löslichen Teil trennen. Anschließend kann die Probe mittels DSC oder FTIR spektroskopisch untersucht und bewertet werden.
Parameter noch optimierbar
Die Sortierung des vorbehandelten Multilayer-Materials erfolgt in einer Zick-Zack-Anlage: Der von unten eingeblasene Luftstrom lässt die kompakten, schwereren Multilayer-Folien passieren, während er die laminierten und faserigen Partikel aussortiert. Mithilfe dieser Methode entsteht eine Leichtfraktion, die 95,14 Prozent PE und PP enthält und nur 1,1 Prozent Multilayer und 3,65 Prozent Reststoffe. Allerdings stellt der Anteil von PE/PP mit 37,90 Prozent nur rund ein Drittel des ursprünglichen Materials dar – neben 49,2 Prozent an Multilayern, 8,15 Prozent an Metallen und 4,52 Prozent an Reststoffen. Hier besteht noch Bedarf an der Optimierung der Parameter: In der Aufbereitung sollte auf die Reduzierung von unangebrachten Stoffen mehr Wert gelegt werden, und eine bessere Zirkulierung der Schwerfraktion im Windsichter könnte die dortige Anreicherung von Multilayer-Folien befördern.
Stoffstrom-Anreicherung durch NIR-Trennung
Das ebenfalls an der Hochschule Zittau/Görlitz verankerte, interdisziplinäre Lander3-Projekt zielt darauf ab, Naturfasern aus regional verfügbaren Biomassen wirtschaftlich unter Reststoffverwertung aufzuschließen und in Hightech-Verbundwerkstoffen zu verarbeiten.
Das auf der Tagung von Annett Kupka (Hochschule Zittau/Görlitz) vorgestellte Vorhaben befasst sich speziell mit Erkennung, Sortierung und Recycling von Naturfaser-verstärkten Kunststoffen. Dabei spielt die Konditionierung der dafür eingesetzten NIR-Pilotanlage eine besondere Rolle, damit Anteile von Verunreinigungen, Fremdstoffen oder Wertstoffen in einer Charge erkannt werden, um den Stoffstrom von diesem Material zu befreien. An zwei Sortier-Beispielen für Holz und für die Kunststoffe PP, PE und PS aus Ersatzbrennstoff wurde deutlich, wie sich deren Materialanteile erfassen und Anreicherungen ermöglichen ließen. Im Ergebnis konnten aus dem Stoffstrom rund 13 Prozent Fremdstoffe – insbesondere Holz – ausgeschleust und 16 Prozent Kunststofffraktion rückgewonnen werden, sodass die Menge des Ersatzbrennstoffs um 25 Prozent reduziert und vor der Verbrennung gerettet werden konnte.
Geokunststoffe ersetzen Deponieschichten
2017 wurden im deutschen Bausektor rund 2,7 Millionen Tonnen an Kunststoffen eingesetzt, berichtete Lars Vollmert (Naue GmbH, Espelkamp). Eine Nische von zwei Prozent besetzt dabei Kunststoff in Bodenkontakt, der umgerechnet eine Fläche von 1.700 Fußballfeldern pro Jahr bedeckt.
Diese sogenannten Geokunststoffe unterscheiden sich nach Produktionsverfahren, Struktur, Polymerart (PP, HDPE, PET) und technischen Eigenschaften – meist sortenrein oder stellenweise mit Ton oder Sand zu Kompositen verbunden. Verwendung finden sie als Rollenware in Hochwasserschutz und Küstenvorsorge als Oberflächen- oder Basisabdichtung sowie im Straßenbau oder bei Bahndämmen. Beim Abdichten eines Deponiekörpers können zwei Kiesdrain- und eine Ton-Schicht durch ein dreilagiges Kunststoffsystem ersetzt werden: Das erspart bei einer Oberfläche von 4.500 Kubikmetern den Einsatz von 187 Lkw á 40 Tonnen zur Anlieferung. Die dafür nötigen Kunststoffrollen lassen sich mit einem Lkw anfahren und reduzieren so den CO2-Ausstoß sowie andere Umweltfaktoren um 50 Prozent.
Ein Depot an Wertstoffen
Das einzusetzende Polymer-Material ist gewöhnlich für lange Nutzungszeiten vorgesehen und kann beim Deponiebau mit Eigenschaften aufwarten, die kein anderes Baumaterial aufweist: Erd- und Rückbau-Konstruktionen sind für Gebrauchsdauern von 50 bis 100 Jahren ausgelegt. Damit entsteht ein Depot an Wertstoffen, die – entsprechend dem Circular Economy-Act der EU und dem deutschen Kreislaufwirtschaftsgesetz – ressourcenschonend, abfallarm, soweit als möglich recycelbar und zu zumutbaren Kosten einzusetzen wären.
Dem steht in der Institutionen- und Behörden-Vergabepraxis entgegen, dass die günstigste Variante zu wählen ist. Allerdings bietet das KrWG der Industrie die Chance, das Material an Ort und Stelle zu dokumentieren und zu identifizieren, neuere Rückbauprozesse zu berücksichtigen, Recyclingstrukturen und Geschäftsmodelle zu entwickeln und die Regularien zu modernisieren, um den Einsatz von Sekundärmaterial zu erlauben.
Kunststoff-Verölung bei unter 400° C
Über ein Pilotprojekt zur Verölung von hauptsächlich Kunststoffverpackungen berichtete Nicole Karpensky (Recenso GmbH, Remscheid). Zum Einsatz kommt dabei die Carboliq-Technologie, die eine Reihe von Abfällen verarbeiten kann, Temperaturen von unter 400° C bei atmosphärischem Druckverhältnissen benötigt und Reibung als einzige Energiequelle nutzt.
Während des Prozesses werden die zur Verfügung stehenden Materialien zunächst von Störgrößen befreit, Additive zugegeben und alles getrocknet. Im Reaktortopf treffen die Stoffe auf ein flüssiges Medium, werden sowohl erwärmt wie durchmischt. Die Reaktormischung bewirkt das Cracken der Einsatzmaterialien und den Übergang der organischen Moleküle in Gasphase. Anschließend kondensiert ein Sprühkühler die Gasmischung, sodass sich das Endprodukt Öl von Wasser scheiden lässt.
Besser Kunst- als Ersatzbrennstoffe
In Kooperation mit dem Folien- und Verbund-Hersteller Südpack läuft seit Januar 2021 die kontinuierliche Produktion mit einem Durchsatz von 100 Kilogramm pro Stunde. Zum Einsatz kommen einerseits Ersatzbrennstoffe aus 70 Prozent Plastikabfällen und 30 Prozent Biomasse und andererseits Südpackabfälle, bestehend aus PE (70 Prozent), PA (20 Prozent) und PET (10 Prozent). Probleme bereiten während des Prozesses außerordentliche Größen, Metalle und PET, das Ablagerung von Terephtalsäure verursacht.
Im Ergebnis entstehen ein dunkles Produktöl von 55 Masseprozent bei Verwendung von Ersatzbrennstoffen und ein hellgelbliches von 75 Masseprozent bei Verarbeitung von Südpack-Material. Beim Vergleich beider Endprodukte im Chromatograph präsentieren sich die Komponenten der EBS-Materialien laut Nicole Karpensky in einer Vielfalt wie eine „geplatzte Apotheke“, während die homogenere Zusammensetzung des Südpack-Resultats in wesentlich „aufgeräumteren“ Chromatogrammen ersichtlich wird.
Spagat zwischen Recyling und Chemie
Das Recyceln von Kunststoffen soll von heute umgerechnet rund 40 Milliarden Euro Umsatz auf circa 132 Milliarden Euro im Jahr 2030 wachsen. Chemische Recyclingprozesse – die 2020 fast nicht existierten – werden dann ein Drittel des Kunststoffrecyclings ausmachen, prognostizierten die Chemical & Engineering News im Oktober 2020. Doch noch sind Hürden zu überwinden, denn wie im Fall der Carboliq-Technologie trifft hier Recycling auf Chemie – ein Spagat.
Während die Abfallbehandlung dezentralisiert stattfindet, arbeitet die chemische Industrie zentralisiert. Abfälle können diverse Stoffe enthalten und sich ändern, während die chemische Industrie definierte und kontinuierliche Qualitäten benötigt. Die Vertragsdauern sind unterschiedlich: fünf Jahre beziehungsweise langfristig. Und während das Abfallende eine umfangreiche Definition erfordert, will die chemische Industrie ganz bewusst auf Abfälle verzichten. In der Praxis bedeutet das: Die Carboliq GmbH braucht die Zustimmung der regionalen Behörden ebenso wie eine REACH-Registrierung, eine solche als Transported isolated intermediates, eine umfassende ISCC-Zertifizierung sowie eine QM-Zertifizierung nach ISO 9001:2015-Norm.
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 07/2021, Seite: 12, Foto: Andi Karg)