Chemisches Recycling: Den Stand der Technik erreicht

Vor rund 30 Jahren begann die Entwicklung des chemischen Recyclings. Seitdem hat Reinhard Schu, Geschäftsführer von EcoEnergy und ume AG, die Fortschritte der Branche verfolgt. Seine Erfahrungen schilderte er auf dem waste-to-resources-(online)-Symposium am 20. Mai 2021.

Von 1950 bis 2015 wurden weltweit 8,3 Milliarden Tonnen an Kunststoff produziert. Davon wurden 60 Prozent deponiert, 30 Prozent sind in Nutzung, zehn Prozent kamen in die Verbrennung und 7,5 Prozent wurden recycelt durch Solvolyse, zu Regranulaten oder im Downcycling. Verpackungsverbünde, steigende Qualitätsanforderungen an Neukunststoffe und die EU-Chemikalienstrategie dämpfte die Hoffnung auf eine verstärkte wertstoffliche Verwertung von Kunststoffen. In Deutschland beträgt der Anteil entsprechender Consumer-Rezyklate an Neuprodukten nur sechs Prozent, zuzüglich zu sechs Prozent aus Produktionsabfällen.

Möglichkeiten der werkstofflichen Verwertung von Kunststoffen könnten durch organisatorische Maßnahmen und optimierte Recyclingtechnologien verbessert werden. Doch wird dieser Weg zukünftig gegenüber einer rohstofflichen Verwertung beziehungsweise dem chemischen Recycling stetig weiter an Boden verlieren. Denn aus dem chemischen Recycling resultieren – Energie und Brennstoffe ausgenommen – die gleichen Produkte, die auch aus Wasserstoff erzeugt werden können.

Auch aus Wasserstoff zu erzeugen
Zur Vergasung von mechanisch vorbehandelten Kunststoffabfällen stehen prinzipiell zwei Verfahren zur Verfügung. Die einstufige Methode sieht die Herstellung von Synthesegas vor, während die zweistufige Vorgehensweise aus einer Pyrolyse durch Niedertemperatur- und eine nachgeschaltete Hochtemperatur-Dampfvergasung besteht. Auch die Verölung von Kunststoffen kann als zweistufig gelten, da das Öl in der Raffinerie mittels Dampfvergasung weiterbehandelt wird; allerdings stuft die europäische Abfallhierarchie den Prozess als Verbrennung ein.

Nicht alle Vergasertypen geeignet
Die für chemisches Recycling zur Verfügung stehenden Systeme lassen sich grundsätzlich in Festbett-, Wirbelschicht- und Flugstrom-Vergasung mit technisch bedingten Behandlungskapazitäten zwischen 20 und zwei Millionen Tonnen pro Jahr unterscheiden; zukünftig sollen bis zu einer halben Million Tonnen pro Produktionslinie möglich sein. Allerdings muss aus der Abfallvergasung gewonnenes Synthesegas direkt genutzt werden; zudem setzt die Verwendung dieses Gases zum chemischen Recycling komplexe Anlagen der Grundstoffindustrie voraus. Sie können nur mit großen Vergasungsanlagen wirtschaftlich betrieben werden, weshalb sich etliche Vergasertypen weniger für chemisches Recycling, sondern eher für eine dezentrale Energieversorgung eignen.

Erfolgreich: der Flugstromvergaser
Nach Ansicht von Reinhard Schu ist folglich der mit Druck beaufschlagte Flugstromvergaser (pressurized entrained flow gasifier, kurz: PEF) der einzige Aggregattyp, der bis heute erfolgreich für chemisches Recycling aus Kohle und Abfällen Einsatz findet. Jedoch stellt er enorme Ansprüche an das Ausgangsmaterial, verarbeitet am besten gasförmiges Material oder flüssige Brennstoffe und verwertet Festbrennstoffe nur, wenn sie pulverisiert und möglichst Asche-frei sind. Die Konditionierung solcher Abfälle ermöglicht nur eine vorgeschaltete Wirbelschicht-Druckvergasung.

Der konventionelle Durchbruch des druckaufgeladenen Flugstromvergasers gelang erst Mitte der 1980er Jahre. Sein Potenzial, das in erweiterter Form bis zu 1,2 Gigawatt an Brennstoffleistung umfassen kann, entspricht bei Kunststoffabfällen einem Durchsatz von 1,25 Millionen pro Jahr und Vergasungslinie. So stellt beispielsweise die Coal-to-Chemicals-Anlage von Siemens mit 500 Megawatt Brennstoffleistung nicht nur den State-of-the-Art für die Kunststoffproduktion dar, sondern könnte auch mögliche rund 500.000 Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr verarbeiten. Im Rahmen des US-Plastics-Pact stellt Eastmen auf seiner seit 1983 Kohle-betriebenen Anlage seit 2019 auch Kunststoffabfälle in Mitvergasung zur Produktion von Synthesegas ein. Und in China sind über 60 Coal-to-Chemicals-Anlagen in Betrieb, für die die Mitnutzung von Kunststoffabfällen erwogen wird oder bereits realisiert wurde.

Umsatz von 400 Millionen Euro angepeilt
15 Jahre lang installierte der japanische Maschinenbau-Konzern Ebara seinen Niedertemperatur-Vergaser in über 100 Anlagen zur Verbrennung diverser Abfallarten. Die Wirbelschichttechnologie hingegen wurde Mitte der 80er bis Ende der 90er Jahre mit Unterstützung anderer Firmen zur Serienreife weiterentwickelt: Im November 1999 ging die weltweit erste Demonstrationsanlage mit Flugstromvergaser zur Produktion von Kunststoffen in Betrieb. Erst später konnte in zwei Ebara-Anlagen ein Flugstromvergaser für ausschließlichen Abfalleinsatz nachgeschaltet und Wasserstoff für die Kunststoffindustrie produziert werden.

 

Problemlöser oder Problem­beschaffer?
Das Umweltbundesamt und die Deutsche Umwelthilfe sehen chemisches Recycling als weder ökologisch noch ökonomisch an. Die Technologie sei unausgereift und hochriskant für die Umwelt.

In der Kritik steht der „sehr hohe Energieeinsatz, der nötig ist, um Kunststoffe unter hohen Temperaturen oder Druck aufzuspalten und anschließend wieder zu neuen Kunststoffen zusammenzusetzen“. Zudem fielen beim chemischen Recycling große Mengen an nicht verwertbaren Rest- und Schadstoffen an, deren Entsorgung und Aufbereitung energieaufwändig und technisch nicht ausgereift sei. Der hohe Materialverlust lässt die Ausbeute gering erscheinen. Chemisches Recycling würde bei genauer Betrachtung keine Probleme lösen, sondern Probleme schaffen.

Das Umweltbundesamt hat dazu ein Hintergrundpapier herausgebracht, das unter www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-07-17_hgp_chemisches-recycling_online.pdf zur Verfügung steht.

 

Deren System setzt sich seitdem zusammen aus einem Niedertemperatur-Vergaser in der ersten Stufe – in Form einer mit Druck beaufschlagten, rotierenden Wirbelschicht – und einem ebensolchen Vergaser mit einer Hochtemperatur zwischen 1.300 bis 1.500° C als zweiter Stufe. Mittlerweile hat Ebara mit dem Kunststoffhersteller UBE, dem Chemie-Konzern Showa Denko und dem internationalen Engineering-Konzern JGC ein Konsortium gebildet, das Großanlagen zum chemischen Recycling aus Kunststoffabfällen anbietet. Das Ziel bis 2030: ein Umsatz von 400 Millionen Euro mit Waste-to-Chemistry-Verfahren.

Nur ein kleiner Kreis
Eine enorme Anzahl von Firmen bietet Vergasungsverfahren zur Gewinnung von Synthesegas an. Doch der Kreis der Unternehmen, die tatsächlich chemisches Recycling zur Behandlung von Kunststoffabfällen realisieren, ist deutlich kleiner. So findet unter anderem die Verölung von Kunststoffen zur Wasserstoff- oder Wärme-/Energie-Produktion nur in relativ kleinen, dezentralen Anlagen für meist 5.000 Tonnen an Abfällen pro Jahr statt.

Nachweise oder Referenzen zu einer solchen kommerziell tragfähigen Behandlung liegen nicht vor; zudem müsste das am Standort anfallende Pyrolysegas die Genehmigung als Abfallverbrennungsanlage erforderlich machen. Ebenso wenig erfüllen die 25 Anbieter von Biomasse- beziehungsweise Holz-Vergasungsverfahren, die keine Abfall- oder Kunststoff-Behandlung ermöglichen, die Voraussetzungen. Ausgeschlossen sind auch die Betreiber von Prozessen, die über keinerlei Referenzen verfügen oder deren Angebot nicht nachvollziehbar oder plausibel erscheint.

Synthesegase auf unterschiedlichem Wege
Übrig bleiben an die 40 kommerziellen Unternehmen, die Synthesegas auf unterschiedlichem Wege herstellen und liefern. Mit ihnen stehen zehn einstufige Vergasungsverfahren mit schmelzflüssigem Schlackeabzug einschließlich Plasmamethodik zur Verfügung. Alle anderen Vergasungsverfahren – Thermoselect und Ebara ausgenommen – finden Einsatz in der direkten Verbrennung des Synthesegases ähnlich einer Abfallverbrennungsanlage. Die meisten Technologien greifen auf eine Hochtemperatur-Brennkammer – einem Flugstromvergaser vergleichbar – zurück und wären grundsätzlich auch mit einem solchen kombinierbar.

Auch bei Pyrolyse einsetzbar
Was die Entwicklung der Drehrohrpyrolyse anlangt, begann sie zu Beginn der 70er Jahre mit einer Versuchsanlage beim Kernforschungszentrum Garching. Ab 1973 entwickelte Siemens KWU das Verfahren weiter, um Wasserstoff-reiche Pyrolysegase in Synthesegase umzuwandeln. Der dazu notwendige Gaswandler erfüllte nicht die Erwartungen. Anfang der 80er Jahre stellte sich der Flugstromvergaser als geeignetes Werkzeug zur Synthesegas-Erzeugung aus Braun- und Steinkohle heraus – als möglicherweise auch für Pyrolysegase und -koks einsetzbar. Um Erfahrungen zu sammeln, stattete Babcock die Pyrolyse-Anlage in Burgau und Siemens KWU sowie Mitsui die Schwel-Brenn-Anlage in Fürth mit einer Hochtemperatur-Brennkammer ähnlich einem Flugstromvergaser aus.

Carbo-V und bioliq
Ab 1993 wurde mit dem in Freiberg entwickelten Flugstromvergaser für Haushalts- und Industrie-Abfälle eine Versuchsanlage in Northeim aufgebaut. Die Ergebnisse dienten bei der Entwicklung des Carbo-V-Verfahrens von Choren Industries als Grundlage. Zunächst mit einem atmosphärischen Flugstromvergaser betrieben, konnte das Unternehmen ab 2007 mit einer Beta-Anlage Erfahrungen mit der druckaufgeladenen Niedertemperatur-Vergasung sammeln. Aufgrund technischer Schwierigkeiten musste Choren 2011 Insolvenz anmelden. Mit dem gleichen in Freiberg entwickeltem Flugstromvergaser baute ab 2005 das Karlsruher KIT zusammen mit Lurgi die bioliq-Anlage zur Behandlung von Bioabfällen auf. Doch scheint bislang kein Folgeprojekt in Sicht zu sein, und für Nachhaltigkeit und Kaskadennutzung ist bioliq nicht ausgelegt.

Das Resümee aus 30 Jahren technischer Entwicklung fällt für Reinhard Schu kurz, aber deutlich aus: Chemisches Recycling mit Hochdruck-Flugstromvergasung ist bereits heute Stand der Technik. Es wird das mechanische Recycling nicht verdrängen, aber helfen, Verbrennung, Deponierung und CO2-Emissionen zu reduzieren.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 07/2021, Seite: 17, Foto: R_Yosha / stock.adobe.com)

 

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