Reifen- und Gummi-Recycling zeigt Profil
In der Autofahrer-Nation Deutschland werden alljährlich Millionen von Reifen ausgemustert. Doch nur ein Teil dieser wertvollen, recycelbaren Rohstoffe wird danach wieder sinnvoll genutzt. Warum, erklärten am 7. Oktober Dr. Thomas Probst und Bernd Franken vom bvse-Fachverband Reifen und Gummi auf der Recyclingmesse eREC.
Für ausgediente Reifen oder Altgummi sieht das deutsche Recht keine unmittelbaren stoffstrom-spezifischen Auflagen vor. Dezidierte Vorschriften finden sich weder in der Altholz- noch in der Altölverordnung. Die Abfallverzeichnis-Verordnung bezeichnet Reifen und Gummi als nicht gefährliche Abfälle und belegt sie mit den Schlüsselnummern 160103 und 191204, während die Altfahrzeugverordnung im Anhang 3.2.3.3 die Betreiber von Demontagebetrieben dazu anhält, diese Materialien aus Fahrzeugen zu entfernen und wiederzuverwenden oder stofflich zu verwerten.
571.000 Tonnen zur Verfügung
Dabei belief sich – erklärte Thomas Probst – das Altreifenaufkommen in Deutschland im Jahr 2019 (Stand August 2020) auf insgesamt 3,4 Millionen Tonnen, wovon nur ein kleiner Teil verwertet wurde. Neureifen (497.000), Runderneuerte (33.000) sowie Gebrauchtreifen (8.000) summierten sich zu 538.000 Tonnen Ersatzbedarf. Davon gingen 44.000 durch Verschleiß verloren, sodass insgesamt 494.000 Tonnen an Altreifen anfielen.
Zuzüglich 20.000 Tonnen aus der Fahrzeugverwertung (Exporte eingerechnet) und 57.000 importierten Tonnen an Gebrauchtreifen standen somit 571.000 Tonnen zur Weiterverwendung oder Verwertung zur Verfügung. (Zudem fallen in Deutschland pro Jahr rund 550.000 bis 600.000 Tonnen an technischen Gummiabfällen in Form von Türprofilen aus Fahrzeugen, Tür- und Scheibendichtungen, Förderbändern, Schläuchen oder Verschlusskappen für Glasflaschen aus der chemischen oder medizinischen Anwendung an.)
Insgesamt geringere Gesamtkosten
Altreifen bestehen annähernd zur Hälfte (48 Prozent) aus Gummi beziehungsweise Elastomeren. Darüber hinaus enthalten sie 22 Prozent Zinkoxid, 15 Prozent Textilien, 8,5 Prozent Additive, 5,5 Prozent Stahldrähte und rund ein Prozent Carbon Black. Mit diesen Komponenten betreffen Altreifen alle Stufen der Abfallhierarchie. Da die Reifengröße tendenziell schwindet, werden immer weniger Materialien für die Karkassen benötigt und lassen sich vermeiden.
Die Runderneuerung zählt typischerweise zur Vorbereitung zur Wiederverwendung. Gummigranulate und -mehle, die weitere Anwendungen erfahren, gehören zum werkstofflichen Recycling. Reifenreste lassen sich auch sonstig – vor allem thermisch – verwerten, beispielsweise durch Pyrolyse oder durch Aufbereitung zu Ersatzbrennstoff. Und schließlich bleibt noch die Möglichkeit der Beseitigung. Insgesamt führe eine solche Behandlung zu geringeren Gesamtkosten.
Viele Verwertungsmöglichkeiten
Somit besteht für Altreifen eine breite Palette an Verwertungsmöglichkeiten. Prinzipiell kann der Gummianteil in Granulate oder Puder umgewandelt, der Stahl zerkleinert und die Textilfasern zu Flocken aufgeschlossen werden. Danach könnte der rückgewonnene Gummi im Straßenbau dem Asphalt zugeschlagen, auf Sportplätzen eingesetzt oder als Zugabe zu Bitumen oder Dachpappe genutzt werden.
Speziell im Sportbereich bestehen Möglichkeiten, das Recyclingmaterial als Rasen auszulegen oder durch Abrieb entstandene Verluste an Belag auszugleichen. Zudem finden Recyclingböden in Zweitnutzung Verwendung in Reitställen oder als Turnmatten, Anstoßpuffer oder andere Druckabsorber. Wird Gummimehl zur Modifizierung von Bitumen verwendet, so entsteht Gummi- oder Flüsterasphalt, der stellenweise in Bayern und Baden-Württemberg verlegt wurde. Befürwortern des Gummi-Zuschlags zufolge soll er zu einer verbesserten Drainage, geringerer Lärmemission und verminderten Spurrillen führen und mit kurzen Einbauzeiten, aber erhöhter Lebensdauer überzeugen.
Verwertungsquote annähernd 100 Prozent
2019 wurden insgesamt 10.000 Tonnen Altreifen in Deutschland wiederverwertet und 26.000 Tonnen Karkassen im In- und Ausland runderneuert. In der Hauptsache erfuhr Material in Höhe von 251.000 Tonnen eine Umformung in Granulate und Mehle oder eine Verwendung als Ersatzbrennstoff in der Zementindustrie in Höhe von (vorläufig) 175.000 Tonnen. In den Export gingen 6.000 Tonnen zur energetischen Verwertung und 55.000 Tonnen zur Wieder- und Weiterverwendung. Darüber hinaus wurden 48.000 Tonnen an Runderneuerungen ins Ausland verbracht.
Nach Aussage von Bernd Franken, dem Vorsitzenden des bvse-Fachverbands Reifen und Gummi, liegt die deutsche Verwertungsquote für Altreifen – wertstofflich, energetisch und pyrolytisch/chemisch – bei annähernd 100 Prozent. Mit einer deutlichen Abnahme an energetischer Nutzung: Noch vor drei Jahren seien in den Zementwerken rund 350.000 Tonnen an Altreifen zum Einsatz gekommen; nach 150.000 Tonnen in 2019 sei das Volumen in 2020 auf 130.000 Tonnen gesunken – eine deutliche Trendwende von der energetischen zur werkstofflichen Nutzung.
Die Pyrolyse stehe hierzulande noch am Anfang: Im Saarland sei eine Anlage in Betrieb; eine zweite werde in Niedersachsen geplant. Doch sei das chemische Verfahren im Vormarsch. Die großen Chemieunternehmen hegen die Hoffnung, dass sich das Verfahren am Markt etabliert. Schweden verfüge bereits über eine „hervorragende Pyrolysetechnik“, und selbst Polen sei deutlich weiter als Deutschland, wenn auch mit einer veralteten Technik und schlechter Output-Qualität an Rußen und Carbon Black.
Qualität gilt auch als wichtigstes Kriterium für die Vermarktung von Carbon Black. Bei schlechter Qualität endet es als Brennstoff in Zementwerken. Die beste Anwendungsmöglichkeit besteht bei Rückführung des Materials in neue Reifen, aber dazu müssten noch rechtliche Probleme ausgeräumt werden: Wer ist verantwortlich, wenn Neureifen platzen? Allerdings lassen sich Ruße und Carbon Black unter anderem als Farben oder Lacke im Schiffs- oder Hochtemperaturbereich einsetzen.
Ein schwieriges Unterfangen
An eine werkstoffliche Verwendung von Altreifen-Material über mehrere Lebenszyklen hinweg ist momentan jedoch nicht zu denken. Franken: „Es ist naiv zu glauben, dass in Deutschland oder der EU in fünf bis zehn Jahren Kapazitäten dafür eingerichtet werden können.“
Dagegen spricht unter anderem, dass es in der EU die Bestrebung gibt, den Handel mit Rohstoffen auf den europäischen Wirtschaftsraum zu begrenzen, was die Zusammenarbeit etwa mit den
amerikanischen Kollegen, um genügend Recyclingkapazitäten zu schaffen, blockieren würde. Außerdem benötigt eine neue Anlage fünf bis sechs Jahre für Planung, Bau und Inbetriebnahme. Bei den Verwertern sei der Investitionswille da, ebenso wie die finanziellen Mittel und das technische Know-how, aber es scheitere an der Administration: Die Genehmigung müsse EU-, Bundes-, Länder- und kommunale Gesetzgebung beziehungsweise Satzungen durchlaufen – ein schwieriges Unterfangen.
Ein grauer Markt
Im März 2021 hatten Thomas Probst und Bernd Franken in einem bvse-Positionspapier die Probleme präzisiert: Es fehle in Deutschland an Rechts- und Investitionssicherheit, „um die bestehenden Kapazitäten, insbesondere in der stofflichen Verwertung, zu erhalten und weiter auszubauen“.
Des Weiteren würden das Recycling von Reifen und Gummi und die Vermarktung resultierender hochwertiger Produkte zunehmend durch „immer höhere abfallrechtliche und stoffrechtliche Hürden“ gehemmt. Überdies sei zu beobachten, dass durch mangelnde Erfassung Altreifenmengen an teils nicht zertifizierte Marktteilnehmer abgegeben werden und „erhebliche Gelder im Handel versickern“. Dieser graue Markt ließe sich durch Abgabe an zertifizierte Fachbetriebe beheben.
In Richtung eines Design for Recycling
Erschwerend kommt nach Darstellung von Bernd Franken dazu, dass bei öffentlichen Ausschreibungen kein gummi-modifizierter Asphalt angeboten werden kann, da er nicht standardisiert sei und in Ausschreibungsunterlagen nicht als Alternative aufgeführt werde. In diesem Punkt sei das Ausland weiter: Straßen in Schweden, die man mit Zuschlägen verbaute, würden trotz hoher Temperatur-Unterschiede übers Jahr weniger Spannungsrisse erleiden. Und in den Vereinigten Staaten – alle voran in Texas und Arizona – dürfen klassische Asphalte nur noch in Ausnahmefällen eingesetzt werden. Ähnliche Projekte in Baden-Württemberg, Bayern und neuen Bundesländen hätten dagegen lediglich Testcharakter.
Den einzigen Ausweg sieht Franken daher in „Standardisierung und Labelling“ von Recyclingmaterialien und -qualitäten, die in Richtung eines Design for Recycling gehen. Dazu sollte man allerdings – fügt er scherzhaft hinzu – auf solche Extras wie den Einbau von batteriegetriebenen Chips in Reifen verzichten – nette Features, um dem Autofahrer Aufschluss über den richtigen Reifendruck zu geben, aber auch ein Material, das beim Recycling erhebliche Probleme bereitet.
Aufgezeichneten Vortrag auf YouTube ansehen.
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2021, Seite 19, Foto: O. Kürth)