KI-gestütztes System macht Recycling wertvoller

Die Ingenieure Victor Dewulf und Peter Hedley sind für ihre KI-gestützte Abfallerkennungs- und Robotersortierungstechnologie mit dem Preis für junge Erfinderinnen und Erfinder ausgezeichnet worden. Der „Young Inventors Prize“ wird 2022 zum ersten Mal vom Europäischen Patentamt (EPA) vergeben. Die beiden Unternehmer starteten mit einem Laufband, einer Kamera und einem Haufen Abfall, den sie aus Müllcontainern zusammengesucht hatten. Seitdem haben sie ihr intelligentes Abfallsortiersystem in ein vielversprechendes Unternehmen verwandelt und Millionen von Euro an Investitionsgeldern einsammeln können.

Ihre Erfindung besteht aus zwei Teilen, die von den Recyclingbetrieben allein oder zusammen eingesetzt werden können: einem Computer-Vision-System, das mithilfe künstlicher Intelligenz verschiedene Abfallarten genau identifiziert, und einem Roboterarm, der sich auf sechs Achsen bewegt, um selbstständig wertvolles Material aus einem Recycling-Förderband mit gemischten geringwertigen Abfällen herauszusuchen. Ziel ist es, den Reinheitsgrad und damit den Wert der recycelten Abfallballen zu erhöhen und den finanziellen Anreiz für das industrielle Recycling zu steigern.

„Mit ihrer Doppel-Lösung zur Abfall­erkennung und -sortierung leisten Victor Dewulf und Peter Hedley einen entscheidenden Beitrag zur Verringerung der weltweiten Abfallmenge und zum Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft“, lobte EPA-Präsident António Campinos bei der Bekanntgabe der Finalisten für den Preis für junge Erfinderinnen und Erfinder 2022. „Die Geschwindigkeit, mit der sie diese Innovationen nicht nur entwickelt, sondern auch in die Tat umgesetzt haben, ist bemerkenswert. Wir freuen uns darauf zu sehen, wie es weitergeht.“

Die belgisch/britischen Erfinder gehören zu den drei Finalisten des neuen Preises, den das EPA ins Leben gerufen hat, um die nächste Generation von Entwicklern zu fördern. Mit dem Preis werden junge Innovatoren im Alter von bis zu 30 Jahren ausgezeichnet, die Lösungen zur Bewältigung globaler Probleme und zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen entwickelt haben. Die Gewinner des Preises für junge Erfinderinnen und Erfinder 2022 sind bei der virtuellen Preisverleihung für den Europäischen Erfinderpreis am 21. Juni bekannt gegeben worden.

Foto: Recycleye

Ein Auge für cleveres Abfallmanagement
Nach Angaben der Weltbank fallen weltweit jedes Jahr zwei Milliarden Tonnen fester Siedlungsabfälle an, deren Entsorgung oder Verbrennung negative Auswirkungen auf die Umwelt haben kann. Die Sortierung dieser Abfälle für das Recycling stellt jedoch eine große Herausforderung dar. Eines der größten Probleme besteht darin, dass die Trennung von Kunststoffen und anderen wertvollen Abfällen von gemischten Abfällen mit geringem Wert weitgehend manuell erfolgt und unerschwingliche Kosten mit sich bringt. Durch die Automatisierung des Prozesses mithilfe von KI wollen Dewulf und Hedley den Anteil des recycelten Abfalls erhöhen.

„Unser visuelles Erkennungssystem kann auf den schnellsten Bändern in einer Abfallanlage laufen, was die Lösungen unserer Wettbewerber nicht können“, sagt Hedley. „Die KI-Priorisierung beim Sortieren des Abfalls verhilft uns zu einer Leistungssteigerung von etwa 300 Prozent.“

Das Computer-Vision-System namens Recycleye Vision verwendet eine Kamera in Handyqualität, die über den Abfallförderbändern angebracht ist. Sie macht pro Sekunde 60 Bilder von den vorbeilaufenden Abfällen, die an einen Algorithmus gesendet werden, der sie für die Sortierung priorisiert. Anschließend werden Anweisungen an einen Sortierarm von Recycleye Robotics gesendet, die ihm sagen, wo er die Abfälle aufnehmen und ablegen soll. Die Komplettlösung kann 55 erfolgreiche Entnahmen von einem Förderband pro Minute durchführen.

Die Erfindung entstand 2018, als Dewulf im Rahmen seines Masterstudiums in Umwelttechnik eine Recyclinganlage besuchte und sah, wie arbeitsintensiv der Prozess der Abfallsortierung ist. Davon und vom Informatik-Masterstudiengang seines Freundes Hedley inspiriert, schrieb Dewulf seine Abschlussarbeit über die Automatisierung der Müllsortierung mithilfe von Computer Vision. Nach dem Abschluss des Studiums trennten sich die Wege von Dewulf und Hedley, aber Dewulfs Abschlussarbeit begann Aufmerksamkeit zu erregen. 2019 gewann Dewulf Hedley dafür, einen Prototypen für ein Computer-Vision-gestütztes Abfallerkennungssystem zu entwickeln. Die beiden trainierten ihr erstes Computer-Vision-System in der Garage von Hedleys Eltern auf einem mit Müll bedeckten Laufband, das ein Recycling-Förderband simulierte, bevor sie 2019 ihr Unternehmen Re­cycleye gründeten. Im darauffolgenden Jahr sammelten Dewulf und Hedley 935.000 Euro an Startkapital ein und begannen mit der Entwicklung ihres Robotersortierarms in Zusammenarbeit mit dem Robotikunternehmen Fanuc. Bis Ende 2020 hatten sie ihr Recycleye Vision-System nicht nur in Frankreich, sondern auch bei den britischen Abfallentsorgern Biffa und Re-Gen eingesetzt – mit guten Ergebnissen. Das Unternehmen mit Niederlassungen in London und Paris hat 17 Vision-Systems und fünf Roboterarme im Einsatz; weitere sind in Planung.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 07/2022, Seite 46, Foto: Recycleye)