PFAS – Abkürzung für „Problematische fiese Abfall-Stoffe“?

Für die Tagesschau sind es auf einmal „giftige Chemikalien“, die „überall Deutschland verschmutzen“, und das TV-Magazin Panorama bezeichnet sie gar als „Jahrhundertgift“, das Deutschland verseucht. Doch woraus bestehen PFAS – kurz für per- and polyfluoroalkyl substances – tatsächlich, und was bedeutet ihre „Entdeckung“ für die Abfallwirtschaft?

Per- und polyflourierte Chemikalien sind wasser-, fett- und schmutzabweisende Substanzen, die in Löschschaum, Regenjacken, beschichteten Pfannen, Kettenfett, Zahnseide, Medizin, Fast-Food-Papier, Kosmetik oder Ski-Wachs vorkommen. Sie bilden eine Gruppe von über 4.700 (bislang bekannten) anionischen, kationischen oder zwitterionischen Tensiden, die in geschätzten 10.000 künstlich hergestellten Zusammensetzungen mittlerweile weltweit auftreten und sich in Luft, Böden und Gewässern angereichert haben. Ihr Nachteil: Ihnen können weder Licht, Wasser oder Bakterien unmittelbar etwas anhaben. Außerdem – wusste die Europäische Umweltagentur schon im November 2021 – stehen sie im Verdacht, Krebs zu verursachen, unfruchtbar zu machen und das Immunsystem zu schwächen. Aufregung verursacht das Thema erst, seit Mitte Februar 2023 NDR, WDR und SZ über 1.500 mit PFAS verschmutzte Orte in Deutschland und internationale Medienvertreter mehr als 17.000 PFAS-belastete europäische Lokalitäten ausmachten.

Längst im Fokus
Die jetzt aufpoppende Forderung nach PFAS-Verboten ist weder neu noch originell. Noch vor Inkrafttreten der EU-REACH-Verordnung (1907/2006) wurde ein EU-weites Verbot für PFOS (Perfluoroctansulfonsäure, C8) beschlossen, kurz darauf in die EU-POP-Verordnung übernommen und später auf die weltweit gültige POP-Verbotsliste der Stockholm-Konvention gesetzt. 2016 empfahl das Bundesumweltamt schon eine Fortschreibung der vorläufigen Bewertung von per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC) im Trinkwasser. Im Dezember 2019 wies die Europäische Umweltagentur auf zunehmende chemische Risiken durch PFAS hin. Seit 2020 schreibt auch die EU-Trinkwasserverordnung Grenzwerte für 0,5 μg/kg für sämtliche PFAS und 0,1 μg/kg für einige spezielle Stoffe vor. Seitdem schränkt auch REACH die Verwendung von Perfluoroktancarbonsäure (PFOA) samt Derivaten ein.

Vor einem Jahr veröffentlichte das Umweltbundesamt einen Leitfaden zur PFAS-Bewertung mit Empfehlungen für die bundeseinheitliche Bewertung von Boden- und Gewässerverunreinigungen sowie für die Entsorgung PFAS-haltigen Bodenmaterials. Rund einen Monat, bevor die Tagesschau PFAS medial zur öffentlichen Gefahr stilisierte, reichte das UBA zusammen mit Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen einen Vorschlag zur EU-weiten Beschränkung von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen bei der Europäischen Chemikalien Agentur (ECHA) ein, den diese zu bearbeiten begann. Und seit dem 25. Februar 2023 sind Inverkehrbringen, Herstellung und Verwendung von perfluorierten Carbonsäuren mit neun bis vierzehn Kohlenstoffatomen beschränkt. Dass die geschätzten Kosten im Gesundheitswesen bei politischer Inaktivität auf jährlich 4,6 Milliarden in Skandinavien und in den EU-Mitgliedstaaten zwischen 52 und 84 Milliarden steigen könnten, war dem Nordischen Ministerrat übrigens schon 2019 bekannt.

Vollständig unschädlich gemacht?
Internationale Untersuchungen zeigen, dass in Ländern wie Deutschland, Schweden, Frankreich oder Tschechien, aber auch in den USA und in China extrahierbare organische Fluoride (EOF) in Abwässern und Klärschlämmen aus Kläranlagen sich nachweisen lassen. Deren Anteil wird aufgrund des Ausbringungsverbots von Klärschlämmen bis 2029/2032 vollständig zurückgehen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass bei der Behandlung von PFAS-haltigem Material in Kläranlagen Partikel in die Umwelt entweichen.

Anderseits muss Klärschlamm zur Rückgewinnung von Phosphor zur Produktion von Phosphat als Düngemittel gefällt oder ausgewaschen werden. „Der Verbleib von PFAS-Verbindungen bei der Auslaugung und Ausfällung von P(hospor) aus Klärschlamm und Abwasser ist jedoch noch unklar“, gab eine Forschergruppe des Bundesamtes für Materialforschung auf der Berliner Klärschlammkonferenz im November 2022 zu bedenken. Die Experten wiesen auch darauf hin, dass etliche thermische Behandlungsmethoden nicht zur vollständigen Zerstörung von PTAS ausreichen, indem zu geringe Temperaturen zwischen 400 und 500 °C gefahren oder bei einem Mangel an Wasserstoffquellen auch bei 850 °C kürzere oder flüchtige PFAS nur unvollständig abgebaut werden. Da eine sichere Anwendung der mit solchen Verfahren gewonnenen Recycling-Dünger nicht gewährleistet ist, schlagen Christian Vogel, Philipp Roesch, Philipp Wittwer und Franz-Georg Simon – neben einer besseren Stoffanalytik – vor, die betreffenden Grenzwerte in der deutschen Düngemittel-Verordnung zu aktualisieren oder die vierte Reinigungsstufe auszubauen, um die Belastung zu verringern. Lediglich Klärschlämme mit einem EOF-Gehalt von 7.209 μg/kg könnten bei einem vorgegebenen Grenzwert von 100 μg/kg als Dünger eingesetzt werden.

Noch keine Analysen
In Nordamerika dient in Wasseraufbereitungs- oder Klärschlammverbrennungs-Anlagen beinahe ausschließlich die Verbrennung zur Behandlung von PFAS. Diese Verfahren gelten als wirtschaftlich gediegen, obwohl nur wenige Informationen vorliegen, inwieweit sie PFAS abreichern oder zerstören. Zwar liegt inzwischen eine Reihe internationaler Studien vor, die aber – berichtete Lloyd Winchell, Partneringenieur bei Brown und Caldwell auf der Berliner Klärschlamm-Konferenz – den Grad der Zersetzung oder Zerstörung nicht analytisch untersuchten, um Nebenprodukte einer unvollständigen Verbrennung zu identifizieren.

Gegenwärtig seien vier wissenschaftliche Unternehmungen dabei, das Schicksal von PTAS durch Klärschlamm-Verbrennungsanlagen unter drei zusätzlichen Aspekten aufzuschlüsseln: 1. Neben Temperatur sind auch Verweildauer und Verwirbelung wichtige Parameter. 2. Entwässerung der Feststoffe und anschließende Zugabe von Wasserstoff- oder Sauerstoffzugabe fördern die PTAS-Zerstörung. 3. Adsorptionstechnologie speziell zur Beseitigung von Quecksilber, Dioxin oder Furan hilft auch zur Entsorgung von PTAS.

Problemfeld Verbringung
Zu den offenen Fragen einer adäquaten Behandlung und Entsorgung von per- und polyflourierten Chemikalien gesellt sich eine weitere Unsicherheit: die ihrer Verbringung. Denn am 17. Januar hatte das Europäische Parlament einer Überarbeitung der Verordnung 1013/2006 über die Verbringung von Abfällen zugestimmt. Die Neuregelung sieht innerhalb der EU verschärfte Verbringungsregeln für Kunststoffe und andere Abfälle vor, die persistente organische Schadstoffe – POPs – enthalten. Solche Materialien unterliegen fortan – unabhängig vom Schadstoffgehalt – bei einer europaweiten Verbringung einem aufwändigen Notifizierungsverfahren. Das trifft prinzipiell auch auf PTAS zu, das in den genannten Abfallprodukten – darunter wie erwähnt Regenjacken, Bratpfannen oder Kettenfett – vorkommen könnte und über dessen Art, Gefährdungspotenzial oder auch bloßes Vorhandensein in Abfällen keine Erkenntnisse vorliegen. Angesichts der Existenz von rund 10.000 PTAS-Stoffen muss praktisch für alle Abfallarten die Vermutung gelten, dass sie Schadstoff-belastet sind und damit für eine Verbringung notifiziert werden müssen. Angesichts der momentanen Praxis der Notifizierung – die Bezeichnung „schleppend“ ist keineswegs zu hoch gegriffen – würde das zum Erliegen jeglicher Abfallverbringungen ins europäische Ausland führen.

Vollzug unsicher
Schon jetzt sind die Bundesländer auch personell nicht in der Lage, auch nur für den Vollzug des Bundes-Bodenschutzgesetzes (BBodSchG) zu sorgen, das vorschreibt, dass sowohl die Verursachenden („Handlungsstörer“) als auch die Grundstückseigentümer („Zustandsstörer“) verpflichtet sind, für die Beseitigung von Verunreinigungen – darunter selbstredend PTAS – zu sorgen. Wie das Bundesumweltministerium einräumt, wird den Ländern die Überwachung dadurch erschwert, dass es bisher für PFAS keine Vorsorge-, Prüf- und Maßnahmenwerte der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung gibt. „Diese können jedoch erst abgeleitet und eingeführt werden, wenn unter anderem das Stoffspektrum, das Analyseverfahren und die Hintergrundwerte bekannt sind. Bis dahin besteht noch ein beträchtlicher Forschungsbedarf.“

Ein Verbot?
Das Ministerium hält daher auch ein Verbot für eine komplexe und aufwändige Angelegenheit. Deshalb hätten die Behörden zunächst nur diejenigen PFAS reguliert, „die in den höchsten Konzentrationen in der Umwelt nachgewiesen wurden und deren Auswirkungen auf die Umwelt oder die menschliche Gesundheit begründet werden konnten“.

Diese Vorgehensweise habe jedoch in der Vergangenheit dazu geführt, dass die regulierten PFAS teilweise durch andere noch unregulierte PFAS ersetzt wurden. Über deren gefährliche Eigenschaften lägen weniger umfangreiche oder keine Informationen vor, und ihre Regelungsbedürftigkeit sei daher zunächst unklar. Als Beispiel wird der Ersatz von PFOA durch das zuvor unbekannte GenX (Ammoniumsalz von Hexafluorpropylenoxid-Dimersäurefluorid) angeführt. Tatsächlich berichteten auch die Experten der Bundesanstalt für Materialforschung, dass industrielle Hersteller dazu tendieren, langkettige PFAS (≥ C8) durch eher kurz- oder ultrakurzkettige Produkte (≤ C7) zu ersetzen. Und zusätzlich würden etliche Chemikalien dieses Genres als Ersatzstoffe genutzt – bei deren Verbrennung die vollständige Zerstörung von PFAS nicht gesichert ist. PFAS ist ganz offensichtlich die Kurzform von „Probleme Für Abfall-Sicherheit“.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 04/2023, Seite 11, Foto: stock.adobe.com)