Aus Liebe zur Natur: Kreislaufflasche oder Mehrwegbehälter?

Mit medialem Großeinsatz und der Hinzuziehung von Günther Jauch als einer Art Umweltbotschafter hat die Lidl-Gruppe ihre „Kreislaufflasche“ auf den Markt gebracht. Und hat damit den alten Streit um Einweg- oder Mehrweg-Getränkeflaschen neu entfacht.

Die von Lidl und Jauch hochgelobte „Kreislaufflasche“ soll in der Produktion vergleichsweise nur halb so viel CO2 wie eine Glas-Mehrwegflache verursachen, zu 100 Prozent aus recyceltem Material bestehen, 50-mal leichter als Glas sein und daher zum Transport nur einen statt 26 Lkw benötigen. Lidl und Günther Jauch halten sie für „eine der ökologischsten Flaschen“, und der Fernsehmoderator hat dies sogar für die Verbraucher „hinterfragt“. Auf der gleichnamigen Webseite räumt er mit angeblichen Mythen auf: PET-Getränkeflaschen enthalten keine Weichmacher, benötigen kein Bisphenol A zur Herstellung und diffundieren keine hormonähnlichen Substanzen. Andere Vorwürfe – Pfandflaschen würden nach Gebrauch und Rückgabe in den Müll wandern, vor allem nach China exportiert oder ausschließlich downgecycelt – sind aus der Luft gegriffen.

Für Verpackungen mit bester Ökobilanz
Für die Kreislaufflasche als vermeintlich „ökologisch­ster“ Lösung würde sich dann konsequenterweise auch eine Mehrheit der Verbraucher erwärmen, folgt man den Kernergebnissen einer forsa-Umfrage vom Dezember 2022. In ihr sprachen sich hinsichtlich Klimaschutz 55 Prozent der Befragten für die Förderung von Verpackungen mit der besten Ökobilanz aus; 37 Prozent hielten pauschal die Unterstützung für Mehrweglösungen für besser. Über die „zum Teil bessere Ökobilanz“ der Kreislaufflasche aufgeklärt, schwenkte die Hälfte der Mehrwegbefürworter ins Lager der Förderer von Verpackungen mit bester Ökobilanz über. Hinzu kommt, dass 23 Prozent aller Befragten bepfandete Einweg- für Mehrwegflaschen halten.

Vorteil für PET-Rezyklate?
Wie sieht es aber mit den ökologischen Vorteilen der Kreislaufflasche aus? Die von Coca-Cola Europacific Partners Deutschland in Auftrag gegebene und vom Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) in Kooperation mit der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) durchgeführte Studie ergab, dass der Einsatz von PET-Rezyklaten für Getränkeflaschen einen Vorteil gegenüber anderen Einsatzmöglichkeiten bietet. Mit einem geschlossenen Flaschenkreislauf könnten mindestens 20 Prozent der Treibhausgas-Emissionen – circa 60.000 Tonnen CO2 pro Jahr – eingespart werden.

Äpfel mit Birnen verglichen
Nach Einschätzung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) wurden hingegen in der Studie „Äpfel mit Birnen“ verglichen. Lidl habe sein eigenes spezifisches Einwegplastik-System nicht dem eines spezifischen Mehrweg-Abfüllers, sondern durchschnittlichen Branchendaten des Mehrwegsystems gegenübergestellt. Dabei seien für das Lidl-System neue technische Daten aus dem Jahr 2021/22, für Mehrweg hingegen Zahlen verwendet worden, die man teils vor mehr als zehn Jahren erhoben habe. Darüber hinaus verschweige der Discounter in seinen Werbespots und auf Plakaten, dass die 0,5 Liter Lidl-Einweg-Plastikflasche aus 100-prozentigem Recyclingmaterial ökobilanziell schlechter als Mehrweg abgeschnitten habe: Laut der von Lidl beauftragten Ifeu-Ökobilanz weise seine 0,5 Liter Einweg-Plastikflasche aus 100 Prozent Recyclingmaterial im Vergleich mit einer 1,0 Liter PET-Mehrwegflasche bei zehn von 13 betrachteten Umweltbewertungskriterien Nachteile auf; im Vergleich zu einer 0,7 Liter Glas-Mehrwegflasche seien es Nachteile bei acht von 13 Bewertungskategorien. Zudem könne das – wenn auch per se effiziente und optimierte Lidl-Recyclingsystem – nicht auf andere Unternehmen und schon gar nicht auf die gesamte Getränkebranche übertragen werden.

Auffrischung mit Neumaterial notwendig
Als „perfide“ gilt nach Einschätzung des Umwelt- und Verbraucherschutzverbandes auch die Vortäuschung eines 100-prozentigen Lidl-Materialkreislaufs. Tatsächlich gibt es bei jedem Recyclingvorgang einen Materialschwund zwischen zwei bis fünf Prozent – also Plastik, das verlorengeht und aus anderen Quellen ersetzt werden muss. Ohne eine Auffrischung mit Neumaterial stünde nach einer gewissen Zeit überhaupt kein ursprüngliches Recyclingmaterial mehr zur Verfügung.

Somit – gab DUH-Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft Thomas Fischer zu bedenken – hätten neue PET-Einwegflaschen einen geringeren Anteil an recyceltem Plastik. Der Rest werde wenig klimafreundlich neu aus fossilem Erdöl hergestellt. Die Ifeu-Studie legt selbst offen, dass das ursprünglich eingebrachte Primär-PET zurzeit höchstens drei Mal wiederverwendet, mit 45 Prozent weniger als die Hälfte des Materials im Kreislauf geführt und das restliche Material nur noch wenig nachgenutzt wird, bevor man es thermisch verwertet oder in Anwendungen dauerhaft bindet. „Die Schließung des Flaschenkreislaufs reduziert den Einsatz von Primär-PET erheblich. 2021 mussten die Hersteller 235.000 Tonnen Primär-PET einspeisen. Im geschlossenen Flaschenkreislauf würde der Einsatz von Primär-PET um mehr als 90 Prozent auf 21.000 Tonnen zurückgehen“, räumt GVM-Projektleiter Nicolas Cayé ein.

Gegen Mehrwegquotenpflicht
Viola Wohlgemuth, Recyclingexpertin bei Greenpeace, äußerte gegenüber dem Stern, dass die Ergebnisse der Studie, die „auf teils unrealistischen Annahmen“ beruhen und wichtige Aspekte ausblenden, „politisch motiviert“ seien. Tatsächlich hat die Europäische Union einen Plan für eine Mehrwegpflicht für den Handel vorgelegt. Und das Umweltbundesamt gab Mitte 2022 bekannt, dass in Deutschland laut Paragraf 1 Absatz 3 Verpackungsgesetz Mehrwegverpackungen im Getränkebereich gestärkt werden sollen, um Abfälle zu vermeiden. „Das Ziel ist, einen Anteil von in Mehrweggetränke-Verpackungen abgefüllten Getränken in Höhe von mindestens 70 Prozent zu erreichen.“

Diese Entwicklung läuft den Plänen von Lidl beziehungsweise dem firmeneigenen Umweltdienstleister Prezero der Schwarz-Gruppe zuwider, die laut Vorstand Wolf Tiedemann einen Marktanteil von 20 Prozent bei bepfandeten Einwegetränkeflaschen hält und nach eigenen Angaben für ihren Einwegplastik-Kreislauf 100 Millionen Euro investiert hat; Günther Jauch nannte in seinem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sogar die Summe von 200 Millionen Euro. Thomas Fischer begründete die Lidl-Kampagne in einer Sendung des SWR am 20. April so: „Das ist eher ein Investitionsschutz von Lidl und politisch motiviert. Das Signal an die Politik: Lasst das bitte mit der Mehrwegförderung, weil Einweg ist doch toll.“ Und der Kommentator der Süddeutschen Zeitung sah den Grund für „Jauchs Omnipräsenz schlicht im Vorhaben der Bundesregierung, eine Mehrwegquotenpflicht vorzuschreiben“.

Leitungswasser vermeidet PET-Abfall
Freilich würde die Einführung einer Mehrwegquote in Höhe von 70-Prozent alle hart treffen. Eine Studie der DIW Econ im Auftrag der im Auftrag der Schwarz Produktion Stiftung & Co. KG errechnete ein Minimum an Transformationskosten, das sich bei einfacher Angebots- und Rücknahmepflicht auf rund 1,5 Milliarden Euro belaufen würde, und ein Maximalszenario mit einer gesetzlichen Mehrwegquote von 70 Prozent in allen Segmenten der Lebensmittelfilialen in Kombination mit einer Angebots- und Rücknahmepflicht, was zu Kosten von bis zu 11,2 Milliarden Euro führen dürfte.

Bleibt die Frage, ob sich die Bundesbürger zukünftig die Mehrkosten für Trinkwasser aus Mehrwegflaschen auch leisten wollen. Denn etliche Kommentare auf der YouTube-Webseite zu „Günther Jauch entdeckt die Kreislaufflasche von Lidl“ gehen in Richtung Trinkwasser ohne Ein- oder Mehrwegabfälle: „Cool, mein Leitungswasser ist sogar 100 Prozent klimafreundlicher als so ein Flaschenwasser“ oder „Immer noch ungeschlagen: 0 kg CO2-Ausstoß beim Konsum von Leitungswasser“ stand da zu lesen. Eine Userin schrieb: „Aus Liebe zur Natur trinken wir Leitungswasser und nutzen einen Wassersprudler. Da fällt gar kein PET-Abfall an.“ Und ein Kommentator frotzelte: Die Lidl-Kampagne sei das „beste Beispiel, dass in Deutschland, wo Trinkwasser aus dem Wasserhahn kommt, die Wasserindustrie viel Marketing braucht“.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 06/2023, Seite 28, Foto: scharfsinn86 / stock.adobe.com)