Kunststoff-Verpackungen: Besser mechanisch oder chemisch recyceln?

Von jährlich 30 Millionen Tonnen Kunststoffabfall aus der EU-27 machen Plastikverpackungen über 60 Prozent aus. Die EU hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Richtlinien und Verordnungen erlassen, um eine Recyclingquote von mindestens 50 Prozent des Kunststoff-Verpackungsabfalls bis 2025 und von 55 Prozent bis 2030 zu erreichen. Um den EU-Zielen zu entsprechen, müssen die Recyclingkapazitäten jedoch in den nächsten zehn Jahren um mindestens fünf Prozent pro Jahr wachsen.

Zu diesem Schluss kommt die Studie „Plastic recycling: From waste to gold!”, die die international tätige Investmentbank Pareto Securities AS jetzt veröffentlicht hat.

Es ist noch unbestimmt, welche Technologie die gewünschten Ergebnisse bringen wird. Obwohl mechanisches Recycling in Europa dominiert – mit führenden Unternehmen wie Remondis, Veolia und Suez gewinnt das chemische Recycling rasant an Fahrt. Viele Akteure erkennen das Potenzial: Neben Newcomern sind auch Schwergewichte wie BASF, Shell und OMV bereits aktiv im Sektor.

Dr. Knud Hinkel, Research Analyst bei Pareto sowie Verfasser der Studie, fasst zusammen: „Unsere Schlussfolgerung aus einem Vergleich der verschiedenen Recyclingansätze ist, dass keines der Verfahren eine universelle Lösung darstellt. Vielmehr denken wir, dass mechanische und chemische Recyclingtechniken sich ergänzen können. Es ist notwendig, den effektivsten Prozess oder die effektivste Prozesskombination für verschiedene Eingabeströme auszuwählen.“ Für die zukünftige Marktentwicklung lassen sich dennoch einige Voraussagen treffen.

These 1: Der Anteil an Rezyklaten bei Verpackungen wird zunehmend ein Marketing-Instrument für Konsumgüter-Unternehmen
Die chemische Industrie, die Automobilbranche und teilweise die Hersteller von schnelllebigen Konsumgütern zeigen sich an Recyclingkunststoff interessiert, sofern dieser die Qualität von Neuware erreicht. Bei Produkten minderqualitativer Waren oder geringerer Sichtbarkeit für den Verbraucher wie in Landwirtschaft oder Baugewerbe besteht wenig Anlass, eine Prämie für Recyclingmaterial zu zahlen. Gleiches gilt für wettbewerbsorientierte Industrien, wo die Verpackungskosten einen Großteil der Produktkosten ausmachen. In diesen Fällen wird Recyclingmaterial nur nachgefragt, wenn es Kostenvorteile gegenüber Neuware bringt. Demgegenüber werden Anbieter von hochwertigen Markenartikeln oder Produkten, bei denen die Kunststoffverpackungen nur einen kleinen Kostenanteil haben, offener für einen Mehrpreis sein, insbesondere wenn die Entscheidung Marketingzwecken dient und dabei hilft, der nachhaltigen Verpflichtung des Unternehmens zu entsprechen. Die europäische Kunststoffindustrie hat versprochen, jährlich 3,4 Millionen Tonnen chemischer Rezyklate zu produzieren, im Vertrauen auf „adäquate Richtlinien-Unterstützung“, teilt die Industrievereinigung Plastics Europe mit. Roland Berger schätzt bereits für 2025 eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nach hochqualifizierten Rezyklaten in Höhe von vier Millionen Tonnen.

These 2: Der Preis für Rezyklate könnte sich weiter vom Preis für Neuware entkoppeln
Da mehr Unternehmen und Marken versprechen, einen höheren Prozentsatz an recyceltem Kunststoff in ihren Endprodukten hinzuzufügen, ist der Wert der Recyclingpellets gestiegen. Die Preise für Neuware sind direkt mit dem von Öl gekoppelt, ihrem Basismaterial. Rezyklate, obwohl sie aus Kunststoffabfällen gemacht sind und nicht mit dem Tageshandelspreis von Öl zusammenhängen, wurden in der Vergangenheit leicht über Neupreis gehandelt (rund 13 Prozent). Das ist das Ergebnis von einer Nachhaltigkeits-Prämie, wobei die Preise für Rezyklate wegen höherer Sensibilisierung und Zielsetzung auf Nachhaltigkeit stiegen. Beispielsweise gab es deutliche Preisaufschläge für Hochreinheit und Lebensmitteltauglichkeit. Bei weiterhin steigender Nachfrage ist zu erwarten, dass der Wert der Rezyklate und des Rohmaterials der Neuware sich weiter entkoppeln, besonders wenn Rezyklate-Quoten für verschiedene Anwendungsgebiete von Kunststoff eingeführt werden.

These 3: Verbesserte Sortierung ist der Schlüssel zu höheren Recyclingraten und besserer Rezyklate-Qualität
Laut Roland Berger ist die Infrastruktur zur Getrenntsammlung – beispielsweise für die Leichtfraktion oder das Rücknahmesystem für Getränkeverpackungen – weiterhin schwach, speziell in süd- und osteuropäischen Ländern. Das bringt Haushalte dazu, die meisten Kunststoffe über den Restmüll zu entsorgen. So werden weniger als 20 Prozent des Abfalls wiedergewonnen. Obwohl die Profitmargen in Recycling und Umwandlung bei bis zu 15 Prozent liegen, sind die Profitmargen für Sammlung und Sortierung mit zwei bis fünf Prozent sehr niedrig. Das liegt daran, dass Sammlungen typischerweise durch Anbieter erfolgen, die auch minderwertige allgemeine Abfälle sammeln. Das resultierte in begrenztem Investment in die Sammeltechnologie. Doch mit steigendem Wert von Kunststoff-Rezyklaten – die ein hochqualitatives Ausgangsmaterial erfordern – wird es einen Wechsel geben. Fortgeschrittene Technologien wurden entwickelt, um eine eher körnige Sortierung zu ermöglichen – beispielsweise nach Polymer, Klasse oder anderen Verpackungs-Attributen. Das schafft Voraussetzungen für hochqualitative Rezyklate und somit substanziellen Wert für die gesamte Wertschöpfungskette. Hierzu gehören beispielsweise digitale Sortier-Techniken, Prozess-Automatisierung und neue Sortier-Fähigkeiten wie Objekterkennung oder digitale Wassermarken, die geschlossene Kreislaufsysteme ermöglichen. Solche Technologien besitzen ein Potenzial, um die aktuellen Quoten eines „Sortiert fürs Recycling“ um zehn bis 20 Prozent anzuheben. Laut Kalkulationen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG sind Investitionen in Höhe von drei Milliarden Euro in Sortieranlagen und Nachsortier-Technologie erforderlich, um die EU-Recyclingziele von 2020 zu erreichen – ein relativ kleines Preisschild für einen wichtigen Teil der Wertschöpfungskette.

These 4: Der Schwerpunkt wird zunehmend auf chemischem Recycling liegen
Bislang beschränkte sich die Recycling-Kapazität auf das mechanische Recycling von Hartkunststoffen (hauptsächlich Getränkeverpackungen) und grundlegenden Monoschicht-Filmen, was aber nur einen kleinen Teil des europäischen Recyclingpotenzials abdeckte. Ebenso ist mechanisches Recycling dadurch begrenzt, dass ein Kunststoffprodukt nur eine begrenzte Zahl mechanisch recycelt werden kann – üblicherweise je nach Polymer zwischen drei- und siebenmal –, bevor es seine mechanischen Eigenschaften verliert und nicht mehr zu recyceln ist. Chemisches Recycling ist eine Technologie mit einem Potenzial, das sich um die härter zu behandelnden Abfallströme kümmert: kontaminierte, flexible, mehrschichtige Verbundstoffe oder schlechte Mono-Materialien. Obwohl die grundlegende technische Machbarkeit chemischer Recyclingprozesse belegt ist, sind die in Betrieb befindlichen chemischen Recyclinganlagen meist in einem vor-kommerziellen Pilot- oder Demonstrations-Stadium. Vorhandene verlässliche Aussagen über Investment und Betriebskosten, Produktmengen und -güten, die Verkaufsstrukturen und Preise sind zurzeit nicht öffentlich.

Was die verfügbare Quantität des Ausgangsmaterials anlangt, so würde alleine die Umwandlung der deutschen Kunststoff-Produktion von jährlich rund 18 Millionen Tonnen zu recycelten Grundchemikalien aus Sekundärrohstoffquellen eine Umlenkung von Abfallströmen erfordern, die bislang für die Energierückgewinnung benötigt wurde. Damit chemisches Recycling eine brauchbare Ergänzung zu mechanischem Recycling wird, muss ein geeigneter Materialfluss eingerichtet werden, um also Reststoffe vom mechanischen zum chemischen Recycling zu leiten. KPMG geht davon aus, dass Investments von acht Milliarden Euro in beiderlei fortgeschrittene mechanische und chemische Recyclingeinrichtungen notwendig sind, um die Recyclingziele der EU für 2030 zu erreichen.

These 5: In Europa werden sich mehr Rücknahmesysteme ausbreiten
Das Recycling von PET-Flaschen in Deutschland mithilfe eines Rücknahmesystems für Kunststoffflaschen ist eine Erfolgsstory wie viele. Die jeweilige Recyclingrate liegt hier bei über 90 Prozent. Die in Deutschland eingerichtete Rücknahme resultiert in einem material-technisch sehr sauberen Input-Strom mit wohlbekannten Additiven und – schließlich – hoch-qualitativen PET-Rezyklaten. Dieses PET-Modell könnte als Anregung für die Einrichtung geschlossener Kreis-Systeme für andere Kunststoffarten und andere Länder dienen. Laut Roland Berger haben sechs EU-Staaten – Polen, Rumänien, Portugal, Ungarn, Österreich und Griechenland sowie das Vereinigte Königreich – zugestimmt, Rücknahmesysteme für Kunststoffflaschen bis 2025 einzurichten. Ein neues System, das nicht nur in Deutschland und Schweden besteht, soll Recyclingquoten von über 80 bis 90 Prozent einfahren. Zusätzlich soll die striktere Durchführung der Getrenntsammlung von Kunststoffen in der ganzen EU, möglichst verbunden mit Recyclingzielen für andere Polymere als PET, das Aufkommen an qualitativem Kunststoff-Ausgangsmaterial fürs Recycling vorantreiben.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2023, Seite 38, Foto: Andi Karg)