CO2-Bepreisung für Neukunststoffe gefordert

Die Kunststoffrecyclingunternehmen kämpfen mit existenzbedrohenden Herausforderungen. Das machte bvse-Vizepräsident Dr. Herbert Snell auf der 6. Konferenz Verpackungsrecycling, einer Veranstaltung von AGVU, BDE und bvse, am 5. Dezember in Berlin deutlich.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass die Lage jemals so prekär war wie in den letzten Wochen und Monaten“, erklärte Herbert Snell. In einer Umfrage unter den im bvse organisierten Kunststoffrecyclingunternehmen gaben 30 Prozent an, dass sie ihre wirtschaftliche Situation als mangelhaft oder ungenügend einschätzen. Auch der Ausblick ins nächste Jahr lässt nichts Gutes erwarten, denn 25 Prozent der Unternehmen erwarten keine Verbesserung ihrer Situation. Diese Entwicklung kommt nicht von ungefähr: Die hohen Energiekosten treffen die Recyclingbranche stark. In den letzten beiden Jahren mussten die Unternehmen eine 60-prozentige Energiekostensteigerung verkraften. Die Rezession und die damit verbundene Konsumzurückhaltung in Deutschland trifft die Branche ebenso.

„Brutaler“ Preiskampf zwischen Neuware und Rezyklaten
Die Kunststoffrecyclingunternehmen bewegen sich in einem Markt mit fixen beziehungsweise steigenden Kosten auf der Beschaffungsseite: Sammlung, Sortierung und massiv steigenden Prozesskosten. „Auf der Absatzseite kämpfen wir mit dem Problem, dass die Absatzpreise für Rezyklate massiv eingebrochen sind. Zum Beispiel PP Copolymer, schwarz, laut Kunststoff Information von Juni/Juli letzten Jahres um 36 Prozent bis letzten Monat oder klare PET Flakes von August 22 um 42 Prozent zum November 23“, führte Snell in Berlin aus. Die Neuwarepreise richten sich nach Angebot und Nachfrage der kunststoffverarbeitenden Industrie sowie nach Kosten für Energie und Rohstoffe. Fehlende Nachfrage, wie zurzeit weltweit, führt zu einem Verfall der Neuwarepreise.

Momentan tobt ein „brutaler“ Preiskampf zwischen Neuware und Kunststoffrezyklaten. Der Absatz von Mahlgütern, Regranulaten und Compounds stockt. Die Kunststoffrecycler laufen im Input mit Verarbeitungsware voll und finden für ihre Produkte im Warenausgang keine Abnehmer. Auf die Frage, wann die Kunststoffrecycler damit rechnen, dass sich der Rezyklat-Absatz wieder bessert, haben 37 Prozent geantwortet, dass sie im nächsten Jahr keine Besserung erwarten. „Das zeigt: Die Branche steht mit dem Rücken zur Wand. Der dauerhafte wirtschaftliche Betrieb der Recyclinganlagen ist kaum noch möglich. Wir sehen eine bedrohliche Situation, die das gesamte Recycling gefährdet“, warnte der bvse-Vizepräsident.

Ein strukturelles Problem
Entscheidend für die prekäre Situation ist laut Herbert Snell jedoch ein strukturelles Problem, das angepackt werden muss. Die Jahre 2021 und 2022 hätten gezeigt, dass es nicht an der Qualität oder Verfügbarkeit von Rezyklaten liegen kann, denn in diesen Jahren konnten die Kunststoffverarbeiter alles gebrauchen und einsetzen. Die jahrelangen Beschwerden über die Qualität verstummten. Das strukturelle Problem liegt offensichtlich darin, das Rezyklate nicht eingesetzt werden, wenn Neuware preisgünstiger ist.

Allein im zweiten Quartal dieses Jahres ist die Menge der in die EU eingeführten PETs gegenüber dem Vorjahr um 20 Prozent gestiegen, weil PET-Neuware aus dem Ausland billiger ist. Weil der klimaschädliche CO2-Rucksack, der bei der Produktion von Kunststoffneuware entsteht, bei der Preisbildung völlig außen vor bleibt – erst recht bei der importierten Neuware. Der CO2-Rucksack von Rezyklaten ist im Verhältnis zur Neuware um 1,5 bis 3,2 Tonnen leichter pro Tonne Kunststoff. Vereinfacht gesagt: Für die Herstellung von Rezyklaten wird nur die Hälfte an Energie benötigt als für Neuware. Würde diese positive Klimabilanz eingerechnet, könnte eine Parität zwischen Rezyklaten und aus fossilen Rohstoffen gewonnenen Kunststoffen hergestellt werden. „Wir sind uns deshalb mit vielen Akteuren einig, dass eine angemessene CO2-Bepreisung als wirksames marktwirtschaftliches Instrument das dringend benötigte Level-Playing Field schaffen kann“, erklärte der bvse-Vizepräsident. Wenn mehr Rezyklate und weniger Kunststoffneuware eingesetzt würden, reduzierten sich die CO2-Emissionen. Wer darauf aus Kostengründen verzichtet, dürfe nicht belohnt, sondern müsse mit einem deutlichen Preisaufschlag sanktioniert werden.

Der Gesetzgeber ist aufgefordert, das Ziel einer echten Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe beizubehalten, ohne die Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Märkte zu gefährden. Es müssten die notwendigen Anreize gesetzt werden, um Investitionen in Recyclingkapazitäten und technologische Entwicklungen voranzutreiben. Zu diesem Zweck müssten die Stärkung der Recycling- und Rezyklateinsatzziele, die Förderung von Design-for-Recycling und die Bewältigung verbleibender Herausforderungen in der Abfallwirtschaft, zum Beispiel die Qualität der dem Recycling zur Verfügung gestellten Rohstoffe wie aus den dualen Systemen, ganz oben auf der politischen Agenda stehen.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 01/2024, Seite 17, Foto: Gerd Altmann / pixabay.com)