Wenn die Altpapiertonne nur noch Verpackungen enthält

Der recycelnden Papierindustrie fehlt es zunehmend an Rohmaterial – die grafischen Altpapiermengen sind gegenüber Verpackungspapieren und Kartonagen weiter rückläufig. Das INGEDE-Symposium 2024 diskutierte die Faserversorgung der Zukunft: Welche alternativen Materialien bieten sich an und wofür können sie genutzt werden? Wie werden faserbasierte Verpackungen rezyklierbar?

Durch die Hybridveranstaltung (81 Teilnehmer in München, 40 online) am 13. März 2024 führte wieder Axel Fischer von der INGEDE als Moderator. Der jährliche Branchentreff im Haus der Bayerischen Wirtschaft deckt alle Aspekte des Papierrecyclings ab: von der Rezyklierbarkeit über die Altpapiererfassung bis zum Deinkingprozess.

Andreas Rauscher (Technischer Geschäftsführer Steinbeis Papier) stellte sich als neuer Vorsitzender der INGEDE (seit Herbst 2023) vor und bat zugleich das Publikum, zu einer Schweigeminute aufzustehen – in Memoriam der verstorbenen Mitglieder Prof. Dr. Harald Großmann und Barry Read, die die 35-jährige Erfolgsgeschichte der Internationalen Forschungsgemeinschaft Deinking-Technik e. V. maßgeblich mitgeschrieben haben.

Der Branchentreff findet traditionell im Haus der Bayerischen Wirtschaft (München) statt (Foto: Marc Szombathy)

In seiner Einführung überblickte Rauscher die Aktivitäten der INGEDE seit 1989 und aktuelle Herausforderungen der Branche. So hat die deutsche Papier- und Zellstoffindustrie mit ihren rund 46.000 Beschäftigten im letzten Jahr einen deutlichen Rückgang bei Produktion und Absatz hinnehmen müssen. Nach den Informationen des Verbandes Die Papierindustrie e.V. nahm die Produktion 2023 um 14 Prozent auf 18,6 Millionen Tonnen ab. Sie sank damit auf den niedrigsten Wert der vergangenen 20 Jahre. Der Absatz brach um 13 Prozent auf 18,8 Millionen Tonnen ein. Der Branchenumsatz fiel um 27 Prozent auf 15,5 Milliarden Euro.

Besonders bei den grafischen Papieren war der Absatzrückgang 2023 mit 29 Prozent dramatisch und deutlich stärker als in den europäischen Vergleichsmärkten. Als Folge der Digitalisierung ist der Rückgang bei Printwerbung, Zeitungs- und Zeitschriftenauflagen seit Jahren spürbar. Auch Verpackungspapiere und -kartons, die zuletzt noch von einem starken Onlinehandel profitieren konnten und zu den Digitalisierungsgewinnern zählten, hatten beim Absatz mit einem klaren Rückgang (-7 %) zu kämpfen. Etwas weniger gravierend fiel die Entwicklung bei den kleineren Hauptsortengruppen Hygienepapiere und Spezialpapiere mit einem schrumpfenden Absatz von jeweils sechs Prozent aus.

Für die Zukunft erwartet die Branche neue Impulse unter anderem durch innovative Verpackungslösungen aus Papier, die eine nachhaltige Alternative zu fossil basierten Kunststoffen bilden. Nach den Erkenntnissen der INGEDE enthalten Altpapiertonnen fast nur noch Verpackungen. Hier nimmt der Anteil von Verbundverpackungen stetig zu. Im Gegensatz zu klassischen Faltschachteln sind aufwändige Verbundverpackungen oft schwer und gar nicht rezyklierbar, selbst wenn die eingesetzten Materialien auf Fasern basieren. Beobachtet wird außerdem, dass Altpapiersammlungen zum großen Teil an den Sortieranlagen – und damit an den Deinking-Einrichtungen der Papierfabriken – geradewegs vorbei in die Verpackungsherstellung gehen.

Ist Digital nachhaltiger als Papier?
Das hinterfragte Anne-Katrin Kohlmorgen von der gemeinnützigen Organisation Two Sides Deutschland, die der grafischen Industrie ein Forum gibt. Die Referentin räumte anhand des „Two Sides Trend Tracker Report 2023“ mit „Mythen“ um den „Umweltsünder Print“ und die „digitale Sauberwelt“ auf. Dem Report nach schätzen viele Verbraucher papierbasierte Kommunikation. In Umfragen gaben Teilnehmer an, ein besseres Verständnis der Geschichte zu bekommen, wenn sie Nachrichten in gedruckter Form statt online lesen. Neurowissenschaftler des Teachers College der Columbia University bestätigen in einer Studie: Für ein „tieferes Lesen“ ist es von Vorteil, einen Text auf Papier zu lesen und nicht auf einem Bildschirm, wo ein „oberflächliches Lesen“ beobachtet wurde. Auch Schwedens Schulen machten diese Erfahrung, als 2018 die Digitalisierung der Lehrpläne eingeführt und folglich auf Schulbücher verzichtet wurde. Als eines der ersten europäischen Länder setzte Schweden im Schulunterricht auf digitale Medien und rudert nun zurück.

Der „Two Sides Trend Tracker Report 2023“ widerlegt darüber hinaus die Behauptung, dass die elektronische Kommunikation besser für die Umwelt sei als die papierbasierte: Digitale Inhalte verbrauchen Daten und erfordern eine (oft dauerhafte) Speicherung und damit Energie und physische Ressourcen. Datenzentren können mit erneuerbarer Energie betrieben werden – aber nur zu einem gewissen Anteil und nicht vollständig. Mit 5,28 Milliarden Internetnutzern war im Jahr 2022 erstmals weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung online.

Print mit besserer Ökobilanz
Nach einer Fraunhofer-Studie ist der Energiebedarf deutscher Rechenzentren einschließlich der Server-, Speicher- und Netzwerktechnik sowie wesentlicher Infrastruktursysteme im Jahr 2021 auf 55 Milliarden Kilowattstunden (kWh) gestiegen. Das sind etwa zehn Prozent der Menge, die Deutschland laut Bundesverband Energie und Wasserwirtschaft (BDEW) jährlich an Strom benötigt. Das Internet der DACH-Region verbrauchte in den Jahren 2019 bis 2021 insgesamt 61,8 Milliarden kWh pro Jahr, was 8,5 Prozent des jährlichen Stromverbrauchs des globalen Internets entspricht.

Im Durchschnitt emittiert das Internet durchschnittlich circa 0,4 Kilogramm (kg) CO₂ pro verbrauchter kWh – bei einem Verbrauch von 61,8 Milliarden kWh sind das in der DACH-Region jährlich 24,7 Milliarden kg CO₂ oder knapp 26 Prozent der CO₂-Emissionen durch den regionalen Kfz-Verkehr. Der jährliche CO₂-Ausstoß des weltweiten Internets ist mittlerweile fast doppelt so hoch wie der des globalen Flugverkehrs.

Aus einer Studie im Auftrag der Europäischen Kommission geht hervor, dass allein im Jahr 2018 weltweit 281 Milliarden E-Mails pro Tag verschickt, empfangen, gelesen und gespeichert wurden. Ein E-Mail-Rechenzentrum verbraucht dabei durchschnittlich 100 kWh pro Jahr und Nutzerkonto – das entspricht einer CO₂-Emission von 41,2 kg. Im Jahr 2009 betrug der CO₂-Ausstoß durch den globalen Mail-Verkehr 37.000 Tonnen pro Tag. Berücksichtigt man, dass sich der Energiebedarf des Internets alle fünf Jahre fast verdoppelt, dürfte die Belastung der Umwelt mit CO₂ im Jahr 2022 bei täglich 220.000 Tonnen gelegen haben.

Im Durchschnitt lesen die Bundesbürger 312 Tageszeitungen pro Jahr. 312 gedruckte Tageszeitungen verursachen bei der Herstellung eine Emission von 79 kg CO₂ pro Person.
312 Online-Zeitungen erzeugen dagegen nur 48 kg CO₂ pro Person (iPad mit WLAN). Berücksichtigt man, dass eine gedruckte Tageszeitung im Durchschnitt von 2,8 Personen gelesen wird, verschiebt sich das Verhältnis mit 28,2 kg CO₂ pro Person deutlich zugunsten des gedruckten Mediums. Die Öko-Bilanz hängt also oft von Dauer und Häufigkeit der Nutzung ab.

Eine effektive Kreislaufwirtschaft
An einigen Beispielen zeigte Anne-Katrin Kohlmorgen weiter auf, dass die Papierindustrie eine effektive Kreislaufwirtschaft unterhält: Die Papierrecyclingquote liegt europaweit bei 74 Prozent. Ohne neu gewonnene Frischfasern kann der Papierkreislauf nicht aufrechterhalten werden. Der größte Teil der für die Papierherstellung verwendeten Energie ist erneuerbar und die CO2-Intensität erstaunlich gering.

Im Zeitraum 1990 bis 2019 sind die CO2-Emissionen der Papierindustrie um 48 Prozent pro Tonne gesunken. Die europäische Zellstoff- und Papierindustrie ist der größte Einzelverbraucher und gleichzeitig Erzeuger erneuerbarer Energie in Europa, wobei 62 Prozent ihres Primärenergieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen stammen. Zwischen 2010 und 2018 hat die europäische Papierindustrie ihren gesamten Primärenergieverbrauch um 11,6 Prozent gesenkt. Damit ist er jetzt niedriger als zu Beginn dieses Jahrhunderts. Die europäische Papierindustrie produziert 54,3 Prozent ihres Stroms am Ort, wovon mehr als 96 Prozent in hocheffizienten KWK-Anlagen (Kraft-Wärme-Kopplung) erzeugt werden.

EPR für die Papierhersteller?
Ulrich Leberle (CEPI, Brüssel) befasste sich auf dem Symposium mit der neuen EU-Verpackungsverordnung, die mittlerweile (am 24. April 2024) vom Europäischen Parlament formell – in der im Trilog gefundenen Fassung (ohne kurzfristige und weitere Diskussionen fördernde Änderungen) – angenommen wurde und noch vom Rat gebilligt werden muss, damit sie in Kraft treten kann. Das dürfte kaum mehr vor den Europawahlen geschehen. Voraussichtlich im Herbst oder Winter dieses Jahres wird der Rat über die Verordnung bestimmen.

Die Verordnung stellt neue Regeln für den gesamten Nutzungszyklus von Verpackungen auf. So schreibt sie unter anderem vor, dass ab 2030 alle in Verkehr gebrachten Verpackungen vollständig oder mindestens zum größeren Teil recycelbar sein müssen. Für Kunststoffverpackungen gelten künftig verpflichtende Einsatzquoten für Rezyklate. Zudem müssen Verpackungen, die vom Bioallfall schwer zu trennen sind – wie etwa Kaffee-/Teefilter und -pads oder Klebeetiketten für Obst und Gemüse –, in Zukunft kompostierbar sein. Eine europaweite Harmonisierung von Verpackungsetiketten und Sammelbehälterbeschriftungen soll künftig Verbrauchern die Entsorgung erleichtern und eine Getrenntsammlung gewährleisten.

Jürgen Dornheim (Procter & Gamble) sprach sich in diesem Zusammenhang für einen Entsorgungshinweis auf jeder Verpackung aus – Kunststoff oder Altpapier. Sein Vortrag erläuterte die Anforderungen der Nutzer von faserbasierten Verpackungen: Verbraucher fragen nach weniger Plastik in Verpackungen und mehr Faserstoffe nach, die allerdings als Abfall nicht immer recyclingfähig sind. Nach den Worten von Dornheim besteht die Herausforderung bei der Entwicklung von Produktverpackungen darin, es so zu machen, dass die Nachhaltigkeit von Anfang an mit drin ist. Diskutiert wurde dazu eine „Extended Producer Responsibility“ (EPR) für die Hersteller von grafischen und Verpackungs-Papieren: Welche Mittel müssen generiert werden, um die Sortierung für den Recyclingprozess zu bezahlen? Eine bessere Sortierung an der Quelle durch den Verbraucher scheint nicht möglich und kommunizierbar.

Mittels Algorithmen des Maschinellen Lernens
Hanna Schwandt (Leipa Group) stellte die Forschungsprojekte ODiWiP und KIBAPap vor. ODiWiP entwickelt ein KI-basiertes Assistenzsystem zum Betrieb von Papiermaschinen. Das selbstlernende System unterstützt das Bedienpersonal dabei, Warnungen und Alarme sowie Qualitätsabweichungen und Störungen sicher zu analysieren und diese nachhaltig zu beseitigen beziehungsweise durch proaktiven Eingriff in den Prozess ihr Auftreten zu verhindern.

Mittels Algorithmen des Maschinellen Lernens sollen Störungsdetektion und -prognosen entwickelt und in das Assistenzsystem integriert werden, um eine hohe Vorhersagegenauigkeit zu erzielen. Durch entsprechend bereitgestellte Möglichkeiten der Wissensaufbereitung können so Rückschlüsse auf das Verhalten der Prozessketten ermöglicht werden. Im Zentrum des Projekts KIBAPap steht die Entwicklung eines KI-basierten Bedienerassistenzsystems im Wertstoffkreislauf Papier. Es werden Beiträge zur Digitalisierung des Wertstoffkreislaufes von Papier sowie zur Erhöhung der Effizienz der Produktionsprozesse und der signifikanten Einsparung von Ressourcen erarbeitet.

Um eine Tonne grafische Papiere zu gewinnen …
Johannes Rahm (AFRY Management Consulting) berichtete, dass in Deutschland in den letzten zehn Jahren der Verbrauch von grafischen Papieren um 39 Prozent zurückgegangen ist. Wenn auch die Papierrecyclingquote insgesamt bundesweit bei 92 Prozent liegt, so steht doch immer weniger Altpapier für die Produktion von grafischem Recyclingpapier zur Verfügung. Nur 25 Prozent der anfallenden grafischen Papiere werden effektiv für das Recycling genutzt. Der Anteil brauner Ware in der Papiersammlung nimmt stetig zu. Dadurch erhöht sich der Sortieraufwand für das Deinking und Recycling. Um eine Tonne grafische Papiere zu gewinnen, müssen zwei Tonnen Mischmengen sortiert werden, rechnete Rahm vor und folgerte: Es geht mehr über die Sortierung als über die Sammlung verloren.

Wie Recycling-Hygienepapier aus Verpackungskarton (mit wenig Frischfaser-Anteil) gemacht wird, zeigte Stefan Finke von WEPA. Von Handtuch- und Toilettenpapier bis zu Küchenrollen: Die Produkte des Herstellers erweisen sich als weich, saugfähig und hygienisch sicher in allen Anwendungsbereichen. Arne Krolle (Propakma GmbH) ging anschließend auf die „Zapsa“-Zertifizierung von Papier-Sortieranlagen ein und welche Erfahrungen mit dem Projekt bislang gemacht wurden – unter dem Aspekt Digitalisierung und dem Einsatz moderner Monitoring-Systeme zur Prozessoptimierung und Qualitätskontrolle: Wie lassen sich steigende Betriebskosten und die Verschlechterung der Haushaltssammelware durch neue Techniken kompensieren? Krolle sprang zugleich für die Referentinnen Hannah Köhler und Alena Spies von der RWTH Aachen ein, die ihre Teilnahme am INGEDE-Symposium absagen mussten. Thema war hier: Rejekte aus der stofflichen Verwertung von Papier aus gemischten Abfallsammlungen – Analyse und Potenziale.

Blauer Engel für Druckfarben
Die Nachmittags-Sessions eröffnete Axel Fischer (INGEDE) und informierte über das vorgesehene Blauer-Engel-Umweltzeichen für Druckfarben einschließlich LED-UV-getrockneter Rollenoffsetdruckfarben und die Diskussion dazu. Den Blauen Engel gibt es bereits für Druckerzeugnisse (DE-UZ 195).

Die Trocknung von Farben und Lacken mit UV-Licht (UV-Härtung) gilt gegenüber konventionellen Verfahren als umwelt- und klimafreundlicher. Die Voraussetzung für das Umweltzeichen bleibt, dass UV-Farben deinkbar sind und keine Photoinitiatoren, also hochreaktive Substanzen mit hautreizender und wassergiftiger Wirkung enthalten. Fischer berichtete, dass bei einem Treffen der Stakeholder des Blauen Engel am Vortag des INGEDE-Symposiums auch diskutiert wurde, ob Inkjet-Tinten einbezogen werden sollten. „Bei Inkjet ist Deinkbarkeit nur in einzelnen Fällen auf einzelnen Papieren gegeben“, erklärte Fischer. „Deswegen ist keine Inkjet-Tinte als deinkbar freizugeben.“ Die INGEDE plädiert dafür, Inkjet von dem neuen Blauen Engel auszunehmen. Bislang sind einige wenige Inkjet-Tinten auf dem Markt, die deinkbar sind.

„Bringen nur Dreck ins Altpapier“
Der Vortrag richtete dann den Blick auf blaue Kassenzettel und die Probleme für das Recycling. Nach den Erläuterungen von Fischer haben blaue Kassenzettel die positive Eigenschaft, dass sie auf den chemischen Farbentwickler verzichten. Jedoch enthalten sie eine Farbschicht, die sich im Recycling nicht auflöst und entfernen lässt. Mit den Worten des Referenten ergibt sich eine dicke schwarze Soße. „Wenn diese Zettel in der Blauen Tonne landen, kriegen wir ein Problem“, verwies Fischer zugleich auf die Folgen. „Man kann sie im Vorfeld nicht gut aussortieren. Sie sind im geschredderten Altpapier und landen in der Feinfraktion, die dann nicht mehr eingesetzt werden kann. Aus diesen Zetteln lässt sich kein Recyclingpapier herstellen. Sie bringen nur Dreck ins Altpapier und gehören in den Restmüll.“

Die INGEDE führte Tests durch, die die Kriterien des Blauen Engels für Thermopapiere nicht erfüllten. Und auch farb­entwicklerfreie Thermopapiere bestanden die Tests nicht. Festgestellt wurde, dass ein blauer Kassenzettel, mit drei Kilo holzfreiem Papier zusammen recycelt, die Helligkeit um drei Punkte reduziert. Wegen der hohen Farbstofffracht tragen sie schon in kleinsten Mengen zur Verschlechterung des Recyclingergebnisses bei.

Was Fehldrucke anrichten können
Klebstoff-Anhaftungen stellen das größte Problem beim Papierrecycling dar. Axel Fischer zeigte dies unter anderem am Beispiel von Rücksendeetiketten, wie sie über das Online-Shopping im Umlauf sind. Solche Abziehaufkleber für Retourwarenpakete landeten vermutlich als Fehldrucke in großen Mengen im Altpapier und dann bei einer Papierfabrik. Das Unternehmen wurde mit einer erheblichen Reklamation konfrontiert, nachdem Schäden (Risse, Löcher) durch Klebstoffrückstände bei der Qualitätskontrolle des fertigen Papiers unentdeckt geblieben waren.

Was macht ein „recyclingfreundliches“ Klebeband aus? Dass es PVC-frei ist und sich der verwendete Klebstoff entfernen lässt. Diesen Nachweis erbringt die Ingede-Methode 12. Eine ganze Reihe namhafter Anbieter von Paketklebebändern hat ihre Produkte bereits testen und die Klebstoff-Entfernbarkeit bestätigen lassen. Die Ergebnisse sind durchweg gut. Vielfach werden Klebebänder aus Papier angeboten, die bis zu einem gewissen Grad reißfest sind, sich aber dennoch per Hand abreißen lassen. Da diese nassfest sind und sein müssen, werden sie ebenso wie Klebebänder aus Plastik beim Auflösen des Altpapiers abgesiebt. In den meisten Fällen haftet der verwendete Klebstoff so gut am Klebeband, dass er zusammen mit diesem abgetrennt wird und den folgenden Prozess nicht weiter stört.

„Wer trennt denn sowas?“
Ein weiteres Dauerthema, das die Papierbranche beschäftigt, sind Indigo-Fotobuch-Abfälle, die zahlreich mit grafischem Altpapier entsorgt werden, obwohl sie dort nicht hingehören. Dabei handelt es sich um ungedruckte Indigo-Bögen, die geschreddert bei den Recyclern ankommen. „Warum muss man sowas schreddern“, fragte Fischer rhetorisch: „Um die Herkunft zu verschleiern, weil sie bei der Eingangskontrolle auf dem Recyclinghof erkannt und zurückgewiesen werden.“

Abschließend ging es noch um mehrlagige Verbundverpackungen und beschichtete Papiere, die als Abfälle den Recyclern ebenfalls große Probleme bereiten. „Wer trennt dann sowas?“, kritisierte Axel Fischer die Produktentwickler: „Das muss man den Herstellern einfach mal sagen. Das Zeug ist ungeeignet fürs Recycling. Auch wenn drauf steht, wie man es trennen soll. Es macht halt keiner.“

Noch wenig bis überschaubar
Fokko Schütt vom Thünen-Institut forscht in einem Projekt mit der Universität Hamburg zu Nichtholzfasern als alternativen Rohstoffen für Verpackungspapiere. Der Vortrag lieferte Erkenntnisse über physikalische Eigenschaften und Recyclingfähigkeit. Können dem Altpapier Frischfasern beigemischt werden, um Verpackungspapiere herzustellen? Die Ansätze reichen von der einfachen Zugabe von Gras bis hin zur Herstellung von chemischem Zellstoff aus Stroh. Es wird erwartet, dass die Verfügbarkeit solcher Fasern in den nächsten Jahren steigen wird.

Faserverbunde im Altpapierkreislauf hatte der Vortrag von Jürgen Belle, Hochschule München, Professur für Verfahrenstechnik der Papier- und Kartonherstellung, zum Thema. Führt der steigende Anteil an faserbasierten Verbunden spürbar zu Veränderung bei der Sortierqualität und der Zusammensetzung der einzelnen Fraktionen? Dazu wurde eine Studie durchgeführt und unterschiedliche Sortier- und Recyclingbetriebe befragt. Im Ergebnis konnte die aufgestellte Hypothese, dass faserbasierte Verbunde in der Papierindustrie aktuell Probleme bereiten, verneint werden. Derzeit gibt es noch wenig bis überschaubare Probleme mit der Sortierung von Verbunden. Die befragten Unternehmen sind sich aber sicher, dass eine weitere Zunahme an faserbasierten Verbunden zu Problemen führen und die Sortierung aufwändiger machen wird.

Keine Sortierung mehr ohne KI
Wie lassen sich Energie- und Wasserbedarf der Papierproduktion senken, um den umweltpolitischen Herausforderungen gerecht zu werden? Die Trockenzerfaserung ist ein innovativer Weg zur Bioökonomie mit enormem Potenzial für die Papier- und Kartonproduktion. Das war auf dem INGEDE-Symposium von Tilo Gailat (TBP Future GmbH) zu erfahren. Peter Biza (Imerys Performance Minerals) stellte danach mineralische Barrierebeschichtungen auf Wasserbasis als nachhaltige Alternative zur PE-Laminierung von Kartonverpackungen vor.

Foto: Marc Szombathy

Stickies im Deinkingprozess digital erfassen und steuern – das hat sich das österreichische Unternehmen c-square bioscience zur Aufgabe gemacht. Gerald Krätschmer zeigte die Entwicklung geeigneter Messeinrichtungen auf, die die Klebstoffbelastung beim Papierrecycling online sichtbar machen und so die Dosierung entsprechender Prozesshilfsmittel optimieren.

„Brauchen wir eine einheitliche Rezyklierbarkeitsmethode?“ Das fragte Peter Hengesbach (Stora Enso). So gibt es allein in Europa im Verpackungsbereich eine Vielzahl von Methoden, um die Rezyklierbarkeit eines faserbasierten Produkts zu bewerten. Seit dem Brexit wartet Großbritannien ebenfalls mit einem neuen Bewertungsschema auf. Abhilfe schafft die neue CEPI-Methode. Sie gilt als besonders praxisnah. Unterschiede zu bisher gängigen Standards wie dem PTS-Verfahren (PTS-RH 021:2012) liegen zum Beispiel in der Differenzierung zwischen Grob- und Feinrejekten, der Bestimmung der Makrostickies und einer kürzeren Auflösungszeit im Pulper.

Erik van Rikxoort (IdentPro GmbH) und Edmund Coersmeier (Task9 GmbH) informierten zum Ende des INGEDE-Symposiums 2024 über innovative Digitallösungen und Kamerasysteme zur Identifizierung von Altpapier. Dabei geht es darum, bestimmte Waren zu finden, zu wissen, was wo lagert, und welcher Bestand gerade wo in der Produktion ist. Bei der Altpapiersortierung kommt heute keine Neuentwicklung mehr ohne künstliche Intelligenz aus, stellten die Referenten fest.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 06/2024, Seite 12, Foto: Landratsamt Kitzingen studio zudem / abfallbild.de)