Was taugt die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie?

Die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie vom 17. Juni – davon ist das Bundesumweltministerium überzeugt – wird die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten erhöhen. Die NKWS werde die Rohstoffresilienz der Wirtschaft steigern und den primären Rohstoffbedarf reduzieren. Und sie soll „erhebliche zusätzliche und kostengünstige Möglichkeiten für eine Dekarbonisierung der Industrie“ bieten und somit „ein zentraler Erfolgsfaktor für die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb“ werden.

Eine ambitionierte Strategie
BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft und Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) halten die Strategie für ambitioniert. Doch seien deren Ziele durch Halbierung des Rohstoffverbrauchs pro Kopf und Jahr und eine Verdopplung des Anteils von Recyclingrohstoffen am Gesamtrohstoffverbrauch nur erreichbar, wenn zugleich zirkuläre Geschäftsmodelle etabliert werden. BDE und BNW begrüßen insbesondere die erweiterte Produktverantwortung mit fester Verankerung des Designs for Recycling, eine Priorisierung des mechanischen Recyclings und ambitionierte Mindestquoten für den Rezyklateinsatz in verschiedenen Stoffströmen. BNW-Geschäftsführerin Dr. Katharina Reuter: „Der Anstoß ist richtig; jetzt geht es darum, den Ball auch zu verwandeln.“

Entscheidende Schritte für Ressourceneffizienz
Der Bundesverband der Deutschen Stahlrecycling- und Entsorgungswirtschaft (BDSV) und der Verband Deutscher Metallhändler und Recycler (VDM) äußerten sich optimistisch zum Entwurf der NKWS: Sie werde „einen wichtigen Fortschritt in Richtung nachhaltigerer Wirtschaftspraktiken markieren“. BDSV-Geschäftsführer Guido Lipinski hält „die Erhöhung der Recyclingquoten, die Förderung von Bahntransporten, die Investitionen in die Infrastruktur und die neuen Rohstoffpartnerschaften“ für entscheidende Schritte für Umweltschutz und Ressourceneffizienz in Deutschland. Insgesamt habe die Kernforderung der Verbände Einzug in die NKWS gehalten.

Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hält die neue Strategie mit den Worten seines Direktors Adrian Willig für einen „wichtigen Beitrag für die notwendige Transformation hin zu einer zirkulären und ressourceneffizienten Wirtschaft und damit auch für mehr Klima- und Umweltschutz“. Dabei erhofft sich der VDI eine starke Umsetzungsorientierung, um insbesondere private Investitionen zu mobilisieren, erachtet die Entwicklung von Normen und Standards als grundlegend für den Wissenstransfer in die betriebliche Praxis, sieht in einer umfassenden CO2-Bepreisung einen ökonomischen Anreiz zur Wettbewerbsfähigkeit, und stuft die angestrebte Digitalisierung – insbesondere durch die geplante Koordinierungsstelle „Informationssysteme der Kreislaufwirtschaft“ – als zentral ein. Zusätzlich empfiehlt der VDI nach Darstellung von Willig eine Einbeziehung des Gesundheitssektors in die NKWS, da dieser „im erheblichen Maße zum Abfallaufkommen, Rohstoffkonsum und Treib­hausgasemissionen in Deutschland beiträgt“.

Investitionsanreize auf Produktebene
Darüber, dass viele seiner wichtigen Anliegen und Vorschläge im aktuellen NKWS-Entwurf berücksichtigt wurden, freut sich der Industrieverband Hartschaum. Auf ein spezielles Problem wies Dr. Alexander Kronimus, Hauptgeschäftsführer von Plastics Europe Deutschland e.V., hinsichtlich Wirksamkeit der Investitionsanreize hin. Im vorliegenden Entwurf werde sowohl die Prüfung produkt- als auch polymerspezifischer Rezyklateinsatzquoten vorgeschlagen. Aus Sicht der Kunststoffhersteller seien polymerspezifische Einsatzquoten als Investitionsanreiz jedoch gänzlich ungeeignet. Entscheidend seien vielmehr Produkt- oder Anwendungsanforderungen, die zum Beispiel Sicherheit, mechanische Eigenschaften oder Kontaktsensitivität für den Rezyklateinsatz umfassen. „Daher müssen Investitionsanreize zwingend auf der Produktebene erfolgen und nicht auf der Polymerebene.“

Es ist höchste Zeit
BDE-Präsidentin Anja Siegesmund sieht die NWKS nur als „ersten Schritt“, um einen umfassenden zirkulären Ansatz in Deutschland zu etablieren. Noch fehlten konkrete, klare Regeln, wie die formulierten Ziele „zu zirkulären Geschäftsmodellen in den Bereichen Textil, Elektronik und Verpackungen (Leihen, Reparieren, Leasing, Wiederverwendung, Recycling)“ zu realisieren seien. Außerdem müsse Klarheit hinsichtlich Finanzierung der Maßnahmen und weiterer Umsetzung der Strategie herrschen. Dazu sei ein „mit der NKWS korrespondierender Etat“ für Investitionen, Forschung und das angekündigte Aktionsprogramm „Zirkuläre Wirtschaft“ notwendig. Schließlich erwartet Anja Siegesmund auch mehr Tempo und mehr Engagement bei der Umsetzung. Vor allem kritisiert sie die jüngsten Verzögerungen bei der Verabschiedung der Strategie durch die Bundesregierung. Es sei „höchste Zeit“, dass die NKWS endlich kommt.

Interessen nicht berücksichtigt
In seiner ausführlichen Stellungnahme begrüßt der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung ausdrücklich die Ziele der NKWS, deren jetziger Entwurf den eigenen Ansprüchen jedoch nicht immer gerecht werde. Unter anderem fehlten greifbare Vorschläge zur Umsetzung von Maßnahmen. Nach detaillierten kritischen Einschätzungen von NKWS-Strategien, -Normung, -Finanzierung und -Vorhaben zu einzelnen Recyclingmaterialien (und einigen nicht berücksichtigten Stoffströmen) fällt das Gesamturteil des bvse keineswegs positiv aus: Die im Entwurf vorgeschlagenen „konkreten Maßnahmen“ seien nicht konkret, aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen der einzelnen Stakeholder sei ein gemeinsamer Konsens nur schwer zu erzielen, und es sollte ein konkreter Zeitplan vorgeben und „politisch hoch aufgehängt“ sein. Insgesamt seien die Interessen der mittelständischen Unternehmen „als entscheidender Faktor für die Erhaltung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit“ verschiedentlich nicht berücksichtigt worden.

CO2-Abscheidung weiterentwickeln
Für den VKU stecken im NKWS „viele wichtige Impulse“, die jedoch durch „verbindliche Maßnahmen“ konkretisiert werden sollten. Das Hauptaugenmerk sollte dabei auf steigenden Abfallströmen wie Verpackungen, Elektrogeräten und Textilien liegen und stärker Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit betonen. Zur Entlastung der Verbraucher wird ein herstellerfinanzierter Reparaturfonds vorgeschlagen. Für Uwe Feige, Vizepräsident des VKU, wird im NKWS-Entwurf die Strategie für Klimaschutzpotentiale von CO2-Abscheidetechnologien zu wenig thematisiert: Durch CO2-Abscheidung könne „die thermische Abfallbehandlung zu einer Klimaschutztechnologie weiterentwickelt werden“.

Wenig Konkretes
Noch vor Verabschiedung des NKWS-Entwurfs am 6. Juni 2024 hatte der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW) darauf hingewiesen, dass das Ziel, den Rohstoffverbrauch pro Kopf bis 2045 zu halbieren, ambitioniert, aber machbar sei. Allerdings müsse das „noch mit konkreten Maßnahmen untersetzt werden“, kommentierte BNW-Geschäftsführerin Dr. Katharina Reuter. Auch für EPICO, den Energy and Climate Policy and Innovation Council e.V., bot zumindest die NKWS-Ankündigung vom April 2023 – abgesehen von der Nennung der Handlungsfelder – „kaum Inhaltliches“. Es seien nur sehr wenige und unkonkrete Vorschläge für die Weiterentwicklung dargelegt. Insbesondere würden verbindliche und quantifizierbare Ziele und Zeitvorgaben vermisst. Ebenso erkannte auch der Deutsche Naturschutzring „bei entsprechender Ausgestaltung das Potenzial, die Transformation vom linearen zum zirkulären Wirtschaften voranzubringen“, sah aber die Gefahr, „dass die finale NKWS nicht diese gewünschte Wirkung entfaltet“.

Hop oder Flop?
Aber auch im aktuellen Entwurf vom Juni 2024 sieht die Berliner Open Knowledge Foundation durchaus „viele wichtige Ziele und Maßnahmen“ zur Reduktion des Primärrohstoffverbrauchs und der Steigerung der Material­effizienz zwar „angeschnitten“. Doch es brauche dringend klare Zielmarken zur Steigerung der Reparaturquote, der Schaffung einer reparaturfreundlichen Infrastruktur und der Erhöhung der Informationstransparenz auf der Produkt­ebene. Laut „Abfallmanager-Medizin“, herausgegeben von der Remondis Medison GmbH, einem Unternehmen der Remondis-Gruppe, komme der NKWS „sozusagen die Rolle eines Fahrplans“ zu. Doch welche Auswirkungen die Rahmenstrategie und der von ihr verfolgte Ressourcenwandel auf Konsumenten wie Krankenhäuser haben werden, sei noch unklar. In diesem Sinne lässt der „Focus“ den Gastautor Matthias Ballweg zu Wort kommen, der der NKWS zwar zukunftweisende Ideen zugesteht, aber konkrete Gesetze ebenso vermisst wie „jegliche Forderungen nach einen Stopp von Subventionen für klimaschädliche oder ressourcenintensive Geschäftsmodelle“. Charakteristischerweise betitelte die Deutsche Bundesstiftung Umwelt im Juni dieses Jahres ihr Tagungsprogramm zur Umsetzung der Circular Economy „Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie – Hop oder Flop?“

Vorschläge entwickeln
Aus Sicht der Gemeinschaft für Textile Zukunft, die die Vorlage des Entwurfs begrüßt, fehlt es für den künftigen Umgang mit Textilien an zentralen Themen und Strategien. Außerdem werde aufgrund der Erweiterten Herstellerverantwortung für Textilien eine sehr schnelle Unterstützung benötigt, um die finanziellen Lücken zu schließen. Selbst das Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU), das die NKWS wissenschaftlich unterstützt und begleitet, muss einräumen: Es „sind Vorschläge für einen sinnvollen Handlungsrahmen der Strategie, konkrete Ziele für die Senkung des primären Rohstoffverbrauchs und zur Schließung der Stoffkreisläufe sowie für ein konsistentes Ziel- und Indikatorensystem als auch für ein wirksames Instrumenten- und Maßnahmenpaket zu entwickeln“.

Die Umwelt- und Naturschutzverbände gingen mit den NKWS-Entwürfen ähnlich scharf ins Gericht. Zwar hat aus Sicht des BUND die Strategie bei entsprechender Ausgestaltung das Potenzial, „die Transformation vom linearen zum zirkulären Wirtschaften voranzubringen und der Senkung des absoluten Primärrohstoffverbrauchs näherzukommen“. Um ihr Potenzial zu verwirklichen, muss die Strategie aber „verbindliche Ziele und Maßnahmen sowie einige sektor- und materialübergreifende Instrumente beinhalten“. Daher seien einige „blinde Flecken“ wie die fehlende internationale Perspektive, das Auslassen relevanter Themenfelder sowie die ungeklärte Finanzierung zu vermeiden.

Schwammig und unverbindlich
Bezugnehmend auf das Grundlagenpapier vom 23. April 2023, kritisierte auch die Deutsche Umwelthilfe den Prozess der NKWS-Erstellung: Er sei „zu intransparent, industrienah und nimmt Umweltschutz nicht ausreichend in den Fokus“. So spiele beispielsweise die Umweltbewertung und Quantifizierung von Umweltentlastungs-Potenzialen eine untergeordnete Rolle. Außerdem seien die Zwischenergebnisse „ambitionslos, unverbindlich, lückenhaft und setzten falschen Fokus auf Recycling“. Dass Themenfelder ausgelassen würden, berge die Gefahr, wichtige Potenziale für den Ressourcenschutz zu verschenken. Alles in allem drohe die nationale Kreislaufstrategie „Umwelt- und Klimaschutz nicht gerecht zu werden“. Doch selbst am fertigen Entwurf vom Juni dieses Jahres, an dem das „Ziel zur Halbierung des Verbrauchs von Primärrohstoffen“ begrüßt wird, bemängelt die DUH, dass die Maßnahmen zur Zielerreichung „zumeist schwammig, ohne erkennbares Ambitionsniveau und unverbindlich“ seien und fordert Nachbesserung durch „anspruchsvolle und konkrete Maßnahmen sowie ambitionierten Zeitplan zur Zielerreichung“. Für Thomas Fischer, dem DUH-Leiter für Kreislaufwirtschaft, „bekennt sich die Bundesregierung in der Kreislaufwirtschaftsstrategie beispielsweise zu Mehrwegverpackungen, aber es wird nicht ersichtlich, wie diese durch konkrete Maßnahmen, wie etwa eine Einwegabgabe, zum neuen Standard gemacht werden sollen“. Sein Fazit: „Dinge, die zu konkretem und schnellem Handeln oder verbindlichen Vorgaben führen, sucht man meistens vergebens.“

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 08/2024, Seite 6, Foto: TSUNG-LIN WU / stock.adobe.com)