Schuhrecycling auf dem Vormarsch
Der weltweite Markt für modische Second-Hand- oder besser gesagt Second-Feet-Schuhe erfreut sich reger Nachfrage und wird für 2023 auf 51 Milliarden US-Dollar geschätzt. Doch was geschieht mit den ausgetretenen Latschen, die niemand mehr anziehen mag?
Der weltweite Verbrauch an Schuhen wurde 2012 auf über 20 Milliarden Paar pro Jahr veranschlagt; schätzungsweise erfuhren zu diesem Zeitpunkt nur rund fünf bis zehn Prozent davon eine Wiederverwendung oder ein Recycling. Das versucht ein Forscherteam am Centre for Sustainable Manufacturing and Recycling Technologies (SMART) in Loughborough zu ändern: Seit 2007 arbeiteten sie an der Entwicklung eines Recyclingsystems, das in der Lage sein sollte, unterschiedliche Materialströme wie Leder, Schaumstoff, Gummi, Kunststoff und Textilien zu separieren. In Frage kamen Verfahren wie Fragmentierung, Separierung einschließlich Granulation sowie luft-, dichte- und größen-basierte Vorgehensweisen. 2010 präsentierten die Forscher eine vierstufige, ökonomisch nachhaltige Recyclingmethode; 2012 folgte der Entwurf eines luft-unterstützten automatisierten Verfahrens für gebrauchte Fußbekleidung.
Stufenweise Sortierung
Dieses System sah zunächst das Sortieren der Abfälle nach Textilien, Schaumstoff/Leder, Gummi sowie Metall vor. Stufe 2 betraf – nach einem Zerkleinerungsprozess – die Separation von Metallen, die in einem Massenanteil von fünf bis zehn Prozent und einem Reinheitsgrad von 50 bis 95 Prozent resultiert. Auf eine Granulation folgte eine Abtrennung der textilen Fraktion mit einem Anteil von 15 bis 25 Prozent und einem Reinheitsgrad von 50 bis 75 Prozent. Die anschließende Fraktionierung der Gummianteile ergab einen Massenanteil von 33 bis 55 Prozent mit einem Reinheitsgrad von 75 bis 95 Prozent. Unter Einsatz von Druckluft würde schließlich die Schaumstoff-/Leder-Fraktion getrennt, mit einem Anteil von 30 bis 50 Prozent und einem Reinheitsgrad von 50 bis 80 Prozent.
Bis zu 40 Materialien
Freilich wird in der Praxis nur ein Bruchteil der gebrauchten Schuhe recycelt und der Großteil entsorgt oder landet auf Deponien. Hauptsächlich, weil modernes Schuhwerk aus einer komplexen Mischung aus Leder, Gummi, Textilien, Polymeren und Metallteilen besteht – bis zu 40 Materialien machen es schwierig, sie in einer wirtschaftlich nachhaltigen Art und Weise vollständig zu separieren und rückzugewinnen. Das trifft besonders auf Leder zu – in rund 60 Prozent der Schuhe im Vereinigten Königreich wird Leder verwendet, dessen Recycling kommerziell noch keine Nutzung erfährt. Ähnliches gilt für Verklebungen und Vulkanisierungen. Außerdem ist der notwendige Maschinenpark kostspielig: Die SMART-Forscher kalkulierten, dass eine kleine Anlage zur Bearbeitung von einer halben Tonne Material pro Stunde in der Anschaffung rundgerechnet 190.000 Euro kostet, Energiekosten, Arbeitslöhne und Unterhaltskosten nicht mitgerechnet.
Zu Granulaten zermahlen
Dennoch stiegen Unternehmen in das Recycling von gebrauchtem Schuhwerk ein. Das niederländische FastFeedGrinded beispielsweise ging 2017 mit einer einzigartigen Installation an den Markt, die vorgeblich alle Sorten an Schuhen trennt und zu Granulaten zermahlt. Angenommen werden alte ausgetragene Schuhe, unbenutzte Materialien oder Überreste aus der Produktion und Schuhmuster, die nie getragen wurden. Die Schuhe stammen vom Militär, aus dem Verkauf oder von Herstellern, die auf diese Art und Weise defekte Modelle entsorgen. Vollautomatische Maschinen zerteilen das Material: Aus einem Kilogramm Sportschuh werden 380 Gramm Schaumstoff, 230 Gramm Textilien und 70 Gramm Gummi gewonnen; die „Reste“ werden zu Picknick-Tischen oder POS-Materialien verarbeitet. Speziell in Zusammenarbeit mit der Nachhaltigkeitsplattform Fashion for Good und deren Gründungspartnern Adidas, Inditex, Target und Zalando entstehen hochreine Granulate, aus denen sich Endprodukte wie Laufsohlen, Zwischensohlen und Flip-Flops gewinnen lassen.
Einige Stoffe wiederverwertet
Nach fünfjähriger Entwicklungsarbeit und mit rund einer Million Euro an Investitionen nahmen Soex und die I:Collect GmbH am 6. Juni 2018 die nach ihren Angaben „weltweit erste typenunabhängige Schuhrecyclinganlage in Wolfen“ in Sachsen-Anhalt in Betrieb. Soex wirbt damit, es betreibe „als zertifiziertes Recyclingunternehmen … die weltweit erste Schuhrecycling-Anlage, die in der Branche noch immer ihresgleichen sucht“. Genauere Angaben, die das belegen könnten, wurden bislang nicht veröffentlicht. Auch über I:Collect – kurz I:CO – ist im Hinblick auf Schuhe wenig in Erfahrung zu bringen, außer dass das Unternehmen eng mit Soex kooperiert, über rund 1.500 Sammelstellen verfügt und 2014 eine Cradle-to-Cradle-Auszeichnung für seine Verdienste als Innovationsführer in der Materialwiederverwendung erhielt.
Wie umfassend das Schuhrecycling und der Rücklauf gewonnener Materialien in den Kreislauf ausfällt, erschließt sich lediglich aus der Angabe: „Einige dieser neu gewonnenen Sekundärrohstoffe können für die Herstellung anderer Produkte wiederverwertet werden“. Allerdings werden nach Darstellung des Unternehmens in der Anlage sogar „Reißverschlussreste, Metallteile, Leder, Gummi und Stoffreste sorgfältig voneinander getrennt und können anschließend als Rohmaterial zur Herstellung anderer Produkte wiederverwendet werden“. Seit neuestem verarbeitet die Anlage zusätzlich aussortierte Sicherheitsschuhe der Mercedes Benz AG; in der Anfangsphase hatte das Unternehmen das Recycling von Arbeitsschuhen mit Metallkappen, speziellen Sportschuhen wie Schlittschuhen und durch Schmutz und Öl stark verunreinigten Schuhen abgelehnt.
Auf PET-Flaschen zurückgegriffen
Es gibt bereits Ansätze in der Industrie, um umweltbelastende Materialien von Schuhen durch nachhaltigere, recycelbare Alternativen zu ersetzen. Diesen Weg schlägt unter anderem Asics ein. Das Unternehmen will bis 2030 das gesamte bisherige Polyester im Obermaterial von Schuhen durch recycelten Kunststoff ersetzen.
Seit 2020 kooperiert Asics mit einem lokalen Bekleidungshersteller in Sri Lanka, der auf PET-Flaschen zurückgreift, die über das Projekt „Ocean Waste“ gewonnen werden. Darüber hinaus nimmt Asics seine gebrauchten Laufschuhe Nimbus Mirai – allerdings nur diese – von den jeweiligen Kunden direkt zurück. 2021 schob der Schuhproduzent Puma „RE:SUEDE“ an, um mit einem biologisch abbaubaren Schuh aus chromfreiem Zeology-Wildleder, Hanffasern und Baumwolle samt Sohle aus TPE eine Auflage von 500 Paar auf den Markt zu bringen; sie sollte nach einem halben Jahr Nutzung zurückgenommen und 2023 testkompostiert werden sollte. Doch nach Angaben der Webseite texspacetoday.com sucht die Industrie immer noch nachhaltige Materialien, die die Bearbeitung von bis zu 2.500 Schuhen pro Stunde ermöglichen.
Für flexiblere Abläufe sorgen
Idealerweise sollten ausgediente Schuhe aus weitestgehend recycelbarem Material bestehen und ohne größeren Rückgabe- und Separationsaufwand wieder zum Hersteller beziehungsweise dessen Entsorger in die weitere Verarbeitung gelangen. Dazu müssten in vielen Fällen nicht nur die Abfallproduzenten – also Hersteller und Schuhkäufer – für ausgesuchte Materialien für flexiblere Abläufe sorgen, sondern auch die Recycler.
Nach Ansicht von SMART sollte die Forschung mittlerweile darauf ausgerichtet werden, neue, konfigurierbare Recyclingsysteme zu entwickeln, durch die eine Reihe von gebrauchten Produkten bearbeitet werden kann. Dabei könnten solche Systeme ein Sortiment von austauschbaren Vorgehensweisen nutzen, um flexibel auf Recyclingprodukte mit ähnlichem Materialgehalt auf der gleichen Anlage reagieren zu können – beispielsweise für Lederwaren wie Handtaschen, Aktentaschen, Geldbörsen oder Reisekoffer ebenso gut wie für Lederprodukte aus der Herstellung der Auto- oder Möbelindustrie.
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 08/2024, Seite 26, Fotos: SOEX)