Der Clean Industrial Deal – ein großer Wurf?

Die europäischen Industrien haben mit hohen Energiekosten sowie einem harten und oft unfairen globalen Wettbewerb zu kämpfen. Mit dem „Clean Industrial Deal“ – einem Wirtschaftsplan zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Resilienz der Industrie – will die EU-Kommission die Dekarbonisierung beschleunigen und gleichzeitig die Zukunft der verarbeitenden Industrie in Europa sichern. Die davon betroffene Wirtschaft beurteilt die Wirkung des CID zumeist skeptisch.

Nach Darstellung der Deutschen Indus­trie- und Handelskammer besteht die neue Strategie in der Realisierung bezahlbarer Energie, der Förderung von Anreizen für klimaneutrale Investitionen, um Märkte für grüne Produkte zu schaffen, der Nutzung von Synergien in bestehenden Programmen und Finanzierungsinstrumenten, der Sicherung kritischer Rohstoffe und der Förderung der Kreislaufwirtschaft, der Einführung von Clean Trade Investment-Partnerschaften, der unterstützten Ausbildung und Fachkräften sowie dem Start von sektorspezifischen Maßnahmen: einem „Action Plan“ für die Stahl- und Metallindustrie, einem Paket für die Chemie-Industrie und einem „Sustainable Transport Investment Plan“. EU-Kommissionspräsidentin Präsidentin Ursula von der Leyen erklärte: „Mit dem Deal für eine saubere Industrie sollen die für unsere Unternehmen noch bestehenden Fesseln gekappt werden. Außerdem soll ein klarer Business Case für Europa vorgelegt werden.“

Die Reaktionen aus den Reihen kreislauf-politisch orientierter Industrie und Interessenvertreter auf den von der EU so betitelten „Wirtschaftsplan für Dekarbonisierung, Reindustrialisierung und Innovation“ fielen grundsätzlich wohlwollend, aber im Detail durchaus auch zurückhaltend aus.

BDE: „Konkrete Schutzmaßnahmen statt Visionen“
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft e. V. (BDE) begrüßt zwar die ambitionierten Ziele zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft, zeigt sich jedoch angesichts fehlender Schutzmechanismen für die europäische Recyclingbranche tief enttäuscht. Der BDE kritisiert insbesondere, dass essenzielle Schutzmaßnahmen für die heimische Recyclingwirtschaft nicht berücksichtigt wurden. So stehe das Kunststoffrecycling durch niedrige Primärkunststoffpreise und unfaire Importe aus Fernost unter massivem Druck. Die strukturellen Probleme in der Textilentsorgung seien nicht adressiert worden, und auch auf die Bedrohung von Recyclinganlagen durch Batteriebrände habe man nicht reagiert. Anja Siegesmund, Präsidentin des BDE, fordert daher anstelle von Visionen konkrete Schutzmaßnahmen. Denn „ohne gezielte Schutzmaßnahmen werden europäische Recycler gegen Dumpingpreise und strukturelle Nachteile nicht bestehen können.“

EuRIC: „Keine konkreten Mechanismen“
Laut europäischem Branchendachverband EuRIC wird es der Clean Industrial Deal nicht schaffen, die Dekarbonisierung effektiv mit der Kreislaufwirtschaft zu verknüpfen – trotz Aktionsplans für Metalle (Metals Action Plan) und dem Gesetz zur Kreislaufwirtschaft (Circular Economy Act). Der CID verfüge über keine konkreten Mechanismen, um bis 2030 ein Ziel von 24 Prozent für die Nutzung von zirkulären Materialien/Sekundärrohstoffen zu erreichen. Nicht nur, dass Recyclingsektoren wie Kunststoffe, Textilien und Reifen ohne Unterstützung bleiben, sondern der CID konzentriere sich darüber hinaus auf kritische Rohstoffe, die nur einen Bruchteil der zirkulären Materialströme in Europa ausmachen. Nach Ansicht von EuRIC-Generalsekretärin Julia Ettinger verfüge die EU zwar „über alle erforderlichen Instrumente“, sei aber nicht in der Lage, diese effektiv zu nutzen und Recyclingunternehmen die dringende „Unterstützung im Kampf gegen explodierende Energiepreise, schwache Nachfrage und übermäßige Bürokratie“ zukommen zu lassen. Ohne Kreislaufwirtschaft werde es „keine Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit“ und ohne eine starke Kreislaufwirtschaft „keine nachhaltige Zukunft“ geben.

FEAD: „Energiekosten senken“
Die European Waste Management Association FEAD begrüßt den Industrial Decarbonisation Accelerator Act, der darauf abzielt, die Nachfrage nach in der EU produzierten, sauberen Produkten durch Nachhaltigkeit, Resilienz und „Made in Europe“-Kriterien bei der öffentlichen und privaten Beschaffung zu steigern. Allerdings müsse dieser Ansatz auch auf Recyclingmaterialien angewandt werden. FEAD Präsidentin Claudia Mensi erklärte: „Wir befürworten nach Kräften den CID, der die Zirkularität als eine Hauptstütze der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit anerkennt. Aber um gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen recyceltem und fabrikneuem Material zu sichern, braucht es starke politische Maßnahmen, um einen wettbewerbsfähigen Recyclingsektor zu schaffen, die Nachfrage zu intensivieren und die Erfordernisse der Industrie wie die Verringerung der Energiekosten zu unterstützen.“

FeHS: „Regelwerke anpassen“
Das FEhS – Institut für Baustoff-Forschung e. V. hält die geplanten Maßnahmen – verstärkte Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und ein Gesetz über Kreislaufwirtschaft – für richtig, fordert aber eine schnelle Umsetzung: zum Beispiel beim europäischen Vergaberecht und bei den Regelwerken für die Verwendung der neuen Schlacken. Doch sieht FEhS-Geschäftsführer Thomas Reiche auch die Notwendigkeit, „die vielen geplanten Maßnahmen zügig in die Praxis zu überführen“. Dazu zählen verbindliche Vorgaben für ein kreislauforientiertes öffentliches Beschaffungswesen sowie eine flächendeckende Zulassung von Sekundärbaustoffen und deren rechtsverbindliche Bevorzugung bei öffentlichen Auftragsvergaben. Hierher gehört unter anderem auch die Anpassung der Regelwerke, um „Hüttensand 2.0“ im Zement oder Gesteinskörnungen im Beton einsetzen zu können, und eine praxisnahe Bewertung der Umweltverträglichkeit – einheitlich für alle Baustoffe.

Ziele des CID seien unter anderem eine verstärkte Nachfrage nach nachhaltigen Produkten, vor allem auch bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, sowie ein Gesetz über Kreislaufwirtschaft. Ziel sei es, europäische Ressourcen effizient zu nutzen und vermehrt Kreislaufstoffe anzubieten. Hierfür sollen im Hinblick auf das Europäische Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont Europa“ auch spezielle Vorschläge eingeholt werden. CID werde ein Gesamtvolumen von über 100 Milliarden Euro haben.

VKU: „Wir haben keine Zeit zu verlieren“
Aus Sicht des VKU ist es Aufgabe des Clean Industrial Deal, den regulatorischen Rahmen des europäischen Green Deal stärker mit dem Ziel einer wettbewerbsfähigen europäischen Wirtschaft zu verzahnen. Dazu seien bezahlbare Energiepreise (Action Plan Affordable Energy), die Förderung von Investitionen in Technologien und Produkte, die keine oder nur sehr wenig Treibhausgase ausstoßen (Clean Industry State Aid Framework), sowie ein Bürokratieabbau und Vereinfachungen (Omnibusverfahren zur Nachhaltigkeitsberichterstattung) vonnöten. VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing: „Es ist gut und richtig, dass die EU-Kommission den Fokus in der Energiepolitik wieder stärker auf machbar und bezahlbar legen will und Bürokratieabbau nicht nur in Sonntagsreden stattfindet. Doch den Ankündigungen müssen nun sehr schnell Taten folgen; wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Bezahlbare Energiepreise seien für die Umsetzung der Energiewende absolut notwendig, sonst schwinde die gesellschaftliche Akzeptanz für Umbau und Anpassung der mit der Energiewende verbundenen Infrastrukturen.

Wuppertal-Institut: „Ausreichende Mittel?“
Eine „Schnellanalyse des Clean Industrial Deal“ durch das Wuppertal-Institut kommt zu dem Ergebnis, dass der Plan gut ist, die Finanzierung jedoch teils noch im Unklaren. Einerseits werde die zukünftige Transformation der Industrie „schlüssig mit Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Resilienz“ verbunden und so ein wichtiges Signal an die europäische Wirtschaft gesendet. Andererseits werde jedoch die Verantwortung für Umsetzung und Finanzierung weitgehend auf die Mitgliedstaaten verlagert, sodass die laufenden Verhandlungen um das geplante 500-Milliarden-Sondervermögen und die industriepolitische Prioritätensetzung der nächsten Bundesregierung darüber entscheiden müssen, ob ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um die notwendigen privaten Investitionen tätigen zu können. Für Manfred Fischedick, den Präsidenten und wissenschaftlichen Geschäftsführer des Wuppertal Instituts, sende die EU mit dem CID „ein wichtiges Signal an die europäische Wirtschaft, die in den vergangenen Jahren mit dem EU Green Deal angestoßene Transformation konsequent fortzuführen“, setze dringend notwendige Impulse und biete Kontinuität und Richtungssicherheit.

WWF Deutschland: „Ambitionierter Anspruch“
Der WWF Deutschland bezeichnet die Ambitionen der EU, die Kreislaufwirtschaft bis 2030 führend zu machen, als „visionären und ambitionierten Anspruch“. Über Recycling hinaus würden damit der Industrial Deal, die Ökodesign-Verordnung, Vorgaben für öffentliche Beschaffung, die Erweiterte Herstellerverantwortung und der Circularity Act die Kreislaufwirtschaft konsequent zusammengedacht. So könne zirkuläres Wirtschaften umfassend „seine volle Wirkung entfalten“ und die EU im globalen Wettbewerb bestehen. Allerdings – so der WWF – sei die umfassende Industrie-Förderung an keine konkreten Bedingungen für den Klima- und Umweltschutz oder an Transitionspläne geknüpft. Gleiches gelte für die Umstellung der öffentlichen Beschaffung auf „clean“ und „sustainable“.

Zero Waste Europe: „Ohne Rahmen kein Ziel“
Für Zero Waste Europe greift der Clean Industrial Deal zu kurz, um das Potential der Kreislaufwirtschaft für den dringend benötigten ökonomischen Übergang freizuschalten. Zwar erkenne der Deal die Notwendigkeit an, Europas Abhängigkeit von unzuverlässigen Versorgungsketten durch Ankurbelung von Material-Rückgewinnung und -Wiederverwendung zu reduzieren. Die Wirkung des CID hänge aber davon ab, was als nächstes geschieht, wobei es wesentlich auf die vorgesehene öffentliche Finanzierung, Transparenz und Inklusion ankommt.

Ohne einen Rahmen, der festlegt, wie Materialien strategisch genutzt werden, und der sich um den keineswegs nachhaltigen Fußabdruck der Europäischen Union kümmert, werde der CID das Ziel verfehlen. Theresa Mörsen, Beauftragte für Abfall- und Ressourcen-Politik bei Zero Waste Europe, formuliert das so: „Das CID-Ziel, die kreisläufige Material-Nutzungsrate auf 24 Prozent zu erhöhen, ist ein wichtiges Ziel. Aber ohne starke ökonomische Anreize, den Verbrauch von Sekundärrohstoffen über den von fabrikneuen Materialien zu steigern, bleibt es unklar, wie dieses Ziel erreicht werden kann.“ Und Laurianne Veillard, bei Zero Waste Europe für Chemisches Recycling und Kunststoffe zuständig, hält Recycling für keine zufriedenstellende Lösung. „Vorgelagerte Maßnahmen einschließlich Umgestaltung von Produkten und dauerhafteren und sichereren Materialien sind essentiell, um gefährliche Substanzen davon abzuhalten, in Recyclingströmen zu zirkulieren.“

Ein Pakt mit …?
Der Pakt, den die europäische Industrie mit der Europä­ischen Kommission durch den Clean Industiel Deal eingeht, ist kein Pakt mit dem Teufel. Dennoch ist man angesichts der eher zurückhaltenden Reaktionen der zitierten Organisationen aus der Kreislaufwirtschaft stellenweise an den Ausspruch des Doktor Faustus in Goethes Werk erinnert, der Mephisto antwortet: „Die Worte hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 04/2025, Seite 6, Foto: MSV KI-generiert)