Quecksilber-Recycling: Minamata und die Folgen

Möglicherweise wird die Verwendung von Quecksilber in Europa ganz verboten. Schon seit einigen Jahren sind die Anfallmengen für das Recycling rückläufig. Und auch der Import quecksilberhaltiger Abfälle zur Verwertung wird schwieriger werden.

Es ist noch keine zehn Jahre her, dass EU-Parlament und -Rat eine Verordnung zum Ausfuhrverbot von Quecksilber verabschiedeten. Ihr zufolge sollte ab dem 15. März 2011 die Ausfuhr von metallischem Quecksilber, Zinnobererz, Quecksilber-(I)-Chlorid, Quecksilber-(II)-Oxid sowie „Gemischen aus metallischem Quecksilber und anderen Stoffen einschließlich Quecksilberlegierungen mit einer Quecksilberkonzentration von mindestens 95 Massenprozent aus der Gemeinschaft“ untersagt sein. Die EU-Quecksilber-Verordnung vom 17. Mai 2017 erweiterte und konkretisierte die bisherigen Vorgaben und verbietet – kurz gesagt – ab 2018 Ausfuhr, Einfuhr und Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten. Das damit in die Praxis umgesetzte Minamata-Übereinkommen hat für die Recyclingbranche gravierende Folgen. Das lässt sich an der Entwicklung der GMR Gesellschaft für Metallrecycling mbH verdeutlichen.

Das Unternehmen wurde 1991 gegründet mit dem Ziel, Altquecksilber und quecksilberhaltigen Abfälle aller Art umweltgerecht zu recyceln. Die Aufgabe: Das im angelieferten Material enthaltene Quecksilber soll unter Einsatz der modernsten Technik quantitativ zurückgewonnen, zu Quecksilber von qualitativ höchster Reinheitsstufe aufbereitet und anschließend wieder in den Wirtschaftskreislauf eingeführt werden. Dafür stehen heute vier vakuothermische Recyclinganlagen zur Verfügung, die – wie der Webseite der GMR zu entnehmen ist – über unterschiedlich großen Nutzraum verfügen, „darunter die mit 3 cbm-Nutzraum größte Vakuumrecyclinganlage der Welt“. Die Anlagen an zwei Standorten besitzen eine Kapazität für circa 500 Tonnen Abfälle pro Jahr.

Viele Quellen für Altquecksilber

Quecksilber kann – je nach gesetzlichen Auflagen – in Batterien, Elektrogeräten, Beleuchtungskörpern und Thermometern vorkommen und in diversen festen oder flüssigen Gemischen oder Salzen Verwendung finden. Der nordamerikanische Entsorger Bethlehem Apparatus zählt potenzielle 65 Quellen für Altquecksilber auf. Auch das Material für GMR war unterschiedlichster Herkunft: Quecksilber enthielten Batterien und Knopfzellen sowie Rückstände aus deren Herstellung, Schrotte aus industriellen Rückbaumaßnahmen, Katalysatoren und Gekrätze der Edelmetallfertigung, Schlämme und Rückstände aus der Erdgasgewinnung sowie andere Industrierückstände. Hinzu kamen quecksilberhaltige Bauteile, darunter Thermometer, Barometer, Blutdruckmesser, Wasserstandsanzeiger, Ringwaagen und Ignitrons (Gleichrichter) jeder Größe. Nicht zu vergessen: die recycelbaren Amalgam-Rückstände aus der Dentalmedizin.

Vakuothermisch destilliert

„Die Abfälle wurden hauptsächlich aus Deutschland und Europa – in geringerem Maße auch aus anderen ausgewählten Bereichen der Erde (zum Beispiel Neuseeland) übernommen“, beschreibt Dipl.-Chem. Dr. Wolfgang Mothes das Einzugsgebiet des Entsorgungsfachbetriebs GMR, Leipzig. Das Rückgewinnungsverfahren für dieses Material definiert er als „vakuothermische Destillation in geschlossenen Anlagen mit integrierter Nachverbrennung mit anschließender Feinreinigung des gewonnenen Rohquecksilbers zu Quecksilber höchster Reinheitsgrade“. Darunter ist eine Demercurisierung zu verstehen, die in verkapselten Anlagen im Chargenbetrieb erfolgt. Hierbei wird das in den Abfällen enthaltene Quecksilber bei Temperaturen zwischen 340 und 650 Grad Celsius und Drücken von wenigen Millibar quantitativ verdampft und anschließend bei niedrigen Temperaturen durch Kondensation als Rohquecksilber zurückgewonnen. Organische Bestandteile werden bei Bedarf in einer Nachbrennkammer unter Luft beziehungsweise Sauerstoffzusatz bei Temperaturen von 800 bis 1.000 Grad Celsius thermisch oxidiert. Die nach der vakuothermischen Behandlung verbleibenden Rückstände sind praktisch quecksilberfrei und werden in Abhängigkeit von den Inhaltsstoffen entweder der weiteren Verwertung oder der schadlosen Beseitigung zugeführt.

Lieferung weltweit

Das im Ergebnis der thermischen Behandlung gewonnene Rohquecksilber raffiniert abschließend ein mehrstufiger Reinigungsprozess zu Quecksilber höchster Reinheit. Für das marktfähige Endprodukt interessierten sich hauptsächlich Abnehmer aus Dentalmedizin, Hersteller von Batterien, Lampen und Thermometern sowie Experten für Chlor-Alkali-Elektrolysen und Porosimetrie-Analysen. Wolfgang Mothes: „Die Lieferung erfolgte weltweit.“ Rund 60 Prozent der angelieferten Stoffe – insbesondere Quecksilberreste, Schrotte und Glasrückstände – unterlagen dem Recycling. Die übrigen 40 Prozent – sie resultierten aus mineralischen Rückständen der Schlammbehandlung und kontaminierten Kondensaten – wurden demercurisiert, also von Quecksilber befreit, und ober- oder unterirdisch deponiert; die Entsorgung des Kondensatwassers übernahm nach Vorbehandlung eine Verbrennungsanlage.

Kein Geschäft mehr zu machen

Inzwischen hat sich durch die europäischen Quecksilber-Richtlinien einiges geändert. Zwar rechnet das Bundesumweltministerium bis Ende 2017 europaweit mit 6.000 Tonnen, der Europaticker gar mit 40.000 Tonnen zu entsorgendem Quecksilber bis zur Jahrhundertmitte. Dennoch ermöglichen diese Mengen – wie Wolfgang Mothes erklärt – kein rentables Recycling für Unternehmen wie GMR, denn für die resultierenden Produkte besteht kein Markt mehr: „Der Quecksilbermarkt wird gerade – zumindest in Europa – bis auf einige wenige Ausnahmen politisch gewollt vernichtet, indem die Verwendung von Quecksilber kurz- bis mittelfristig verboten wird. Der Zugang zum Weltmarkt, wo Quecksilber noch verwendet werden darf, ist Firmen wie der GMR aufgrund des seit 2011 bestehenden Exportverbots für Quecksilber verwehrt. Schlussfolgernd ist perspektivisch mit der Vermarktung von Quecksilber kein Geschäft mehr zu machen.“ Außerdem befürchtet der Metallexperte, dass der Import quecksilberhaltiger Abfälle durch Inkrafttreten der EU-Quecksilber-Verordnung vom Mai 2017 schwieriger werden dürfte.

Anfallmengen eindeutig rückläufig

Schon jetzt bemerkt GMR die Wirkung des ersten EU-Quecksilberverbots aus dem Jahr 2011. Im Moment sollen noch relativ stabile Mengen aus der Dentalmedizin, aus der Knopfzellen-Fertigung und aus der Erdgasindustrie zur Verfügung stehen. Die möglichen Anfallmengen aus den anderen Bereichen schätzt der Metallexperte dagegen als „eindeutig rückläufig“ ein, auch wenn davon ausgegangen werden kann, „dass es für die nächsten Jahre noch ausreichende Mengen quecksilberhaltiger Abfälle zur Behandlung aus dem Bestand geben wird“. Mit neuen Abfällen sei nicht zu rechnen. Und auch die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit, ein neues mit Quecksilber versetztes Produkt herzustellen oder in Verkehr zu bringen oder in einem neuen Herstellungsprozess zu verwenden, hält er für „unrealistisch“: Die Anforderungen an so ein Produkt seien extrem anspruchsvoll, da sie Vorteile für Umwelt und Gesundheit bringen, keine Risiken für Umwelt und Gesundheit bergen und mit quecksilberfreien Alternativen konkurrieren müssten. Das sei in der Praxis „sicher nicht realisierbar“.

Kein „Recycling“ mehr

Im Laufe der letzten Jahre hat sich für GMR nicht nur der Kreis der Abnehmer geändert; er besteht mittlerweile hauptsächlich aus Interessenten aus Zahnmedizin und Porosimetrie, während alle anderen Verwendungen quantitativ nicht mehr von Bedeutung sind. Auch soll sich der Prozentsatz der zu entsorgenden Produkte erhöht haben, deren metallisches Quecksilber mit Schwefel in Quecksilbersulfid umgewandelt wird – eine stabile ungiftige Quecksilberverbindung, die langfristig ohne Umweltgefährdung gelagert werden kann. Damit und mit der unterirdischen Deponierung des Umwandlungsproduktes lasse sich in näherer Zukunft zwar Geld verdienen, indem der Kunde für die Entsorgung zahlt. Aber der Metallexperte macht kein Hehl aus seiner Einschätzung: „In diesem Zusammenhang von Recycling zu sprechen, verbietet sich von selbst.“ Ohnehin hat sich das Verhältnis Recycling : Entsorgung inzwischen auf 25 Prozent zu 75 Prozent verschoben. Wolfgang Mothes bringt das auf den kurzen Nenner: „Quecksilber-Recycling ist tot.“


Hintergrund: Kann die Welt auf Quecksilber verzichten?

Dass die Quecksilber-Ausscheidungen durch das Minamata-Abkommen deutlich zurückgehen werden, ist nicht unbedingt zu erwarten.

Das Minamata-Abkommen ist eine Reaktion auf die Minamata-Krankheit, eine chronische Vergiftung durch organische Quecksilber-Verbindungen. Im Januar 2013 wurde die Konvention der Vereinten Nationen – die sogenannte „Minamata-Konvention“ – abschließend verhandelt; am 10. Oktober 2013 unterzeichneten über 90 Staaten sowie die Europäische Union im japanischen Minamata das Abkommen mit dem Ziel, den Ausstoß von Quecksilber weltweit einzudämmen. Dabei sollen die künftigen Vertragsstaaten dafür sorgen, dass die Verwendung von Quecksilber bei der industriellen Produktion deutlich reduziert wird, ab 2020 Produktion und Verkauf bestimmter quecksilberhaltiger Produkte verboten werden, die Lagerung und Entsorgung von Quecksilber-Abfällen nur unter strengen Auflagen zuzulassen ist, keine neuen Quecksilberminen mehr eröffnet werden, durch alternative Technologien und Reinigungsverfahren sich die Emissionen von Kohlekraftwerken verringern und kleingewerbliche Goldschürfer dazu gebracht werden, auf den Einsatz von Quecksilber zu verzichten.

Für ein Viertel der Emissionen verantwortlich

Während – nach Angaben des Bundesumweltministeriums – über 20 Prozent der weltweiten Quecksilber-Emissionen bei der Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung entstehen, bietet sich in Deutschland ein anderes Bild. Laut jüngst erschienenem Schadstoff-Freisetzungs- und -Verbringungsregister*) (Pollutant Release and Transfer Register, kurz PRTR) des Bundesumweltamtes sorgt der Energiesektor mit rund 5.000 Kilogramm pro Jahr für 73,9 Prozent der gemeldeten Quecksilberemissionen in die Luft. Die Metallindustrie folgt mit 12,3 Prozent, die mineralverarbeitende Industrie mit 9,64 Prozent, die Chemische Industrie mit 3,6 Prozent und schließlich die Abfall- und Abwasserbranche mit etwa einem halben Prozent. Zahlen für 2013 belegen, dass bei der Freisetzung von Quecksilber in Wasser die Abfall- und Abwasserbranche für drei Viertel der Emissionen und bei der Verbringung in Wasser die Metallindustrie für 356 von 422 Kilogramm verantwortlich zeichnet. Die Gesamtemissionen an Quecksilber sind allerdings im Verlauf der letzten Jahre von 32,25 (1990) auf 10,26 Tonnen (2013) deutlich zurückgegangen. Die Energiewirtschaft verringerte den Ausstoß in diesem Zeitraum auf rund ein Drittel, das verarbeitende Gewerbe bei der Verbrennung sogar auf sechs Prozent. Auch der Industriesektor konnte seine Quecksilber-Emissionen dritteln, was insbesondere der Chemischen Industrie (86 Prozent Reduktion) zu verdanken ist, aber auch den Metallherstellern (40 Prozent) und der mineralischen Industrie (sieben Prozent).

Was sich noch zeigen muss

Inwieweit die Minamata-Vorgaben für Deutschland in der Menge eine Verbesserung bewirken, wird zu zeigen sein. Zwar gilt seit Jahresbeginn 2018 ein Herstellungsverbot für Katalysatoren mit Quecksilber, und im nächsten Jahr sollen Aus- und Einfuhr sowie Herstellung bestimmter Lampentypen verboten und Zahnamalgam durch besondere Abscheider aufgefangen werden. Weltweit betrachtet, dürften diese Änderungen in der Masse der Quecksilber-Ausscheidungen aber nur wenig ändern: Einer Statistik der nordamerikanischen Umweltschutzbehörde zufolge zeichneten 2010 von den geschätzten 1960 Tonnen der weltweiten anthropogenen Quecksilber-Emissionen vor allem kleingewerbliche Goldgewinnung (circa 725 Tonnen), Kohleverbrennung (circa 475 Tonnen) und Nichteisen-Gewinnung (circa 300 Tonnen) verantwortlich. Demgegenüber fielen die Emissionsmengen bei der Herstellung von Verbrauchsprodukten (circa 80 Tonnen), in der Eisen- und Stahlsektor (circa 40 Tonnen) und aus der Chlor-Alkali-Elektrolyse (circa 25 Tonnen) – jene Industriezweige, die in Europa betrieben werden – vergleichsweise gering aus.

*) Unsicherheiten entstehen bei Auswertung des PRTR dadurch, dass Schwellenwerte bis zehn Kilogramm pro Jahr nicht anzeigepflichtig sind, nur ein Teil der Betreiber berichtspflichtig ist und zudem die Emissionen eines Standortes der Haupttätigkeit zugeordnet werden.


Foto: GMR Gesellschaft für Metallrecycling mbH

(EU-Recycling 02/2018, Seite 10)