Die Kreislaufwirtschaft perspektivisch betrachten

DGAW informierte über die zukünftigen Entsorgungstrends in der Industrie­gesellschaft.

„Wenn wir als Industrieland auf Dauer überleben wollen, brauchen wir eine Rohstoffbeschaffungs-Strategie, die uns ermöglicht, auf Dauer zu produzieren.“ Damit beschrieb Herwart Wilms (Mitglied des BDI-Rohstoffausschusses) den Schwerpunkt der Tagung „Perspektiven der Industriegesellschaft“, die die Deutsche Gesellschaft für Abfallwirtschaft (DGAW) am 14. Mai auf der IFAT organisierte.

Wilms wies in seinem Vortrag darauf hin, dass die deutsche Industrie momentan eine 14-prozentige Substitutionsquote für Recyclingrohstoffe erreicht, jedoch eine 70-prozentige braucht, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ob dieses Ziel erreicht werden kann, hänge entscheidend davon ab, ob zukünftigen Entwicklungen mit marktwirtschaftlichen Mitteln begegnet werden könne. Dazu seien Rahmenbedingungen nötig, die einerseits marktwirtschaftlich sind und andererseits Preise ermöglichen, die zukünftige Knappheiten vorwegzunehmen in der Lage sind. Das sei noch nicht im Mindesten erreicht. Wilms: „Wir tun heute so, als ob wir in einer Kreislaufwirtschaft leben würden. Das ist mitnichten der Fall.“ Viele Stoffe seien nicht trennbar und damit nicht mehr reparierbar oder recycelbar. Erst „geschlossene Kreisläufe bis in die Produktgestaltung hinein zu realisieren, bedeutet wirkliche Kreisläufe zu denken und keine Linearwirtschaft zu machen“.

Lediglich 20 Prozent fachgerecht entsorgt

Dem konnte Hans-Paul Kienzler (Prognos AG) in seinem Vortrag über „Möglichkeiten zur Verbesserung des Altfahrzeugrecyclings“ nur zustimmen. Denn seiner Ansicht nach verbleibt ein Großteil der deutschen Autoflotte nicht im Inland; diese Rohstoffe würden der Recyclingindustrie und Deutschland verlorengehen. Probleme bereiten zusätzlich ein Trend zum Leichtbau, der sich in den kommenden Jahren zeigen wird, Verbundstoffe, die nicht mehr trennbar sind, und ein zu geringes Problembewusstsein bei Autoindustrie und Politik.

Wie eine von Kienzler betreute Studie für TSR und Scholz Recycling ergab, stehen für 2030 keine verlässlichen Daten für „endgültig ausscheidende Fahrzeuge“ zur Verfügung. Dennoch wird damit gerechnet, dass zu diesem Zeitpunkt drei Millionen Fahrzeuge aus dem Bestand verschwinden. Davon sollen lediglich 20 Prozent fachgerecht in Deutschland entsorgt werden; der Rest wird auf andere Weise behandelt oder exportiert.

Die Material-Zusammensetzung wird sich ändern

Die 2030 ausscheidenden Pkw werden sich in der Zusammensetzung ihrer Materialien von den Altfahrzeugen in 2017 in zwei Punkten unterscheiden. Zu einem wird der Anteil leicht recycelbarer Fe-Metalle bis dahin von 72 Prozent auf 54 Prozent sinken. Zum anderen wird sich der Prozentsatz von Kunststoffen und Verbunden von 15 auf 28 beinahe verdoppeln, wobei insbesondere „andere“, also gemischte Kunststoffe von knapp zehn auf 22 Prozent zulegen werden. In Gewicht ausgedrückt, werden im Jahr 2030 von 5,2 Millionen Tonnen lediglich 1,1 Millionen Tonnen fachgerecht entsorgt, wovon ein Drittel – die Kunststoffe – keine stoffliche Verwertung erfahren, sondern in die Verbrennung gehen. Von dem in den Pkw enthaltenen Rohstoffwert in Höhe von drei Milliarden Euro bleiben in Deutschland durch fachgerechte Entsorgung 0,6 Milliarden Euro, von denen die 30 Millionen Euro Kosten für die thermische Verwertung der Kunststoffe abzuziehen sind. Anders ausgedrückt: Für die Produktion von einer Million Neufahrzeugen werden 1,5 Millionen Tonnen an Material benötigt, von denen 0,497 Millionen Tonnen thermisch und 1.003 Millionen Tonnen stofflich verwertbar sind. Von letzteren werden insgesamt 19 Prozent fachgerecht verwertet, aber durch Verluste von sechs Prozent nur 13 Prozent stofflich verwertet. Somit verbleiben schließlich lediglich Materialien im Wert von 172 Millionen Euro, die wieder eingesetzt werden können. Den so entstandenen Schaden beurteilt Hans-Paul Kienzler als „relativ hoch“ und steigend, da der Anteil an nicht-verwertbaren Materialien im Fahrzeugbau weiter zunehmen wird.

Wenn Geld eine Rolle spielt

Der bislang für Deutschland eingeführte Verwertungsnachweis, der keinerlei Aussage über die reale Quote bei Altfahrzeugen zulässt, hat darüber hinaus auch keine Lenkungswirkung. Andere Länder setzen andere politische und finanzielle Instrumente ein. Norwegen erhebt eine Pfandgebühr von 310 Euro beim Neukauf, die einbehalten und später ausgezahlt wird. Die Schweiz sieht einen freiwilligen Beitrag von 25 Euro für die Forschung vor. Und Japan verlangt – je nach Modell und Größe – eine Entsorgungsgebühr zwischen 38 und 190 Euro. Aus diesen Abgaben resultieren Rücklaufquoten von 100 (Norwegen), 40 (Schweiz) und 75 Prozent (Japan). „Immer dann, wenn Geld eine Rolle spielt“, würden mehr Autos im Inland gehalten, resümiert Kienzler. Und schlägt die Gründung einer „Zentralen Organisationsstelle Altautoverwertung“ vor, die – in Selbstverwaltung der Industrie – Beiträge für verkaufte Neufahrzeuge erhebt und für Verwertung und Forschungsfinanzierung verwendet. Hauptvorteil: Der Erstausrüster zur Übernahme der Produzentenverantwortung wäre ebenso eingebunden wie Verwerter und Schredderbetriebe.

Das anthropogene Lager nimmt zu

Den Kurs auf Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung hat auch die Bauwirtschaft angelegt. Das erweist sich angesichts der Längerlebigkeit von Bauprodukten als nicht ganz einfach, zumal die zunehmende Verwendung von Verbundmaterialien, Kunststoffen und Metallegierungen den Rückbau zusätzlich erschwert. Nach Darstellung von Sabine Flamme (FH Münster) ist die deutsche Bauwirtschaft entscheidend ressourcenrelevant, da sie 60 Prozent der Ressourcen verbraucht, für 35 Prozent des Energienutzung verantwortlich zeichnet, für vier Hektar Landverbrauch pro Tag steht und 60 Prozent des inländischen Abfallaufkommens verantwortet. Für Wohngebäude standen 2010 über 50 Millionen Tonnen mineralische Baustoffe zum Einsatz an, wovon über 30 Millionen Tonnen mit unbekannter Material-Zusammensetzung auf Halde endeten. Die Größe dieses anthropogenen Lagers ist tendenziell steigend. Zwar lag für 2014 für rund 220 Millionen Tonnen an Bau- und Abbruchfällen die Verwertungsquote bei durchschnittlich 89,5 Prozent. Da aber über Verwertungswege und Verwertungsalternativen wenig bekannt ist, besteht hier zweifelsohne noch Handlungsbedarf. Mit Rewindo und AUF sind bereits Unternehmen auf dem Markt, die gute Beispiele für die Rücknahme von Kunststoffprofilen und Aluminium-Türen und -Fenster liefern. Jedoch haben es auch Gewerbeabfallverordnung, verschiedenes Materialrecycling und die Begrenzung von MVA- und Deponiekapazitäten nicht vermocht, alle Herausforderungen zu beseitigen. Noch fehlen Informationen zu verbauten Materialien, bereitet die Trennbarkeit von Stoffen Probleme, haben Sekundärrohstoffe die gewünschte Sortenreinheit nicht erreicht oder ist der aktuelle Stand lange verbauter Materialien unbekannt.

Gute Beispiele und Ansätze

Dem gewünschten Ziel, den gesamten Lebenszyklus von Bauabfällen zu betrachten, stehen die Vielzahl der Akteure, unterschiedliche Interessen der Beteiligten oder auch vielfach Kosten der Materialien im Weg. Jedoch gibt es in der Bauproduktentwicklung bereits Ansätze wie die Umwelt-Produktdeklaration (EPD), den Cradle-to-Cradle-Gedanken und die Modul-Bauweise. Für Planung und Konstruktion bieten sich die erwähnte Lebenszyklusbetrachtung, trennbare Konstruktionen und monolithische Bauteile an, die nicht mit anderen Stoffen verbunden werden können. Und zur Dokumentation steht mit Building Information Modeling (BIM) eine Methode zur Bauwerksdatenmodellierung zur Verfügung, die Informationen zu den Daten eines Baustoffs für die optimierte Planung, Ausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden und anderen Bauwerken mithilfe von Software enthält und ihre Langzeitnutzung ermöglicht. Mit zunehmender Digitalisierung in Logistik und Aufbereitung stehen Online-Plattformen zur Vermittlung vom Entsorgungs-Dienstleistungen, Sensoren zur Erkennung und Roboter zur Sortierung von Bauabfällen sowie Echtzeit-Analytik zur Anlagensteuerung und Qualitätssicherung bereit. Die Digitalisierung hilft darüber hinaus bei der Steigerung der Ressourceneffizienz. Dies gilt sowohl für die Dokumentation von Materialzyklen, Konstruktionen und Schadstoffen zum Rückbau wie auch der Sortierung von Abfällen beim Recycling.

Die Präsentation von Heinz-Georg Baum (Universität Fulda) lieferte – wie ihr Titel versprach – einige ökonomische Anmerkungen zur „Gestaltung einer Kreislaufwirtschaft“. Baum möchte die Kreislaufwirtschaft durch eine Helixwirtschaft ersetzt sehen, bei der anstelle statischer Kreisläufe dynamische Verflechtungen durch komplexe stoffliche Wiedereinsätze zum Tragen kommen. Bisherige Kreisläufe würden voraussetzen, dass Sekundärrohstoffe für gleiche Prozesse verwendet werden, doch das geben die Märkte nicht her. Da auch keine geschlossenen Loops bestehen, werde außerdem immer Mischware aus Roh- und Sekundärmaterial eingesetzt. Somit treffe die Bezeichnung Helixwirtschaft besser zu. Ebenso sprach sich Baum gegen den Begriff Endlichkeit von Rohstoffen aus. Als „mengenmäßiges Limit“ impliziere das Wort Produktionsverhinderungen und -einbußen und damit Sorgen um den Wohlstand. Die Erde sei jedoch weder ein geschlossenes System – es herrscht stetige Energiezufuhr – noch ein statisches System – insbesondere in Zeiten von Mangel entstehen die besten Innovationen. Allerdings werde der Ressourcenzugriff durch diverse Knappheiten bestimmt, die zu unterschiedlichen Reaktionen führen: der Ausbeutung neuer Reserven, der Nutzung bislang als niederwertig eingestufter Lagerstätten, dem Ersatz durch andere Materialien oder einer Effizienzsteigerung bei den vorhandenen Ressourcen. Auch Recycling als Instrument der Wirtschaft sei ein dynamisches Modell, das keine Quotenvorgaben nötig hat, dessen offizielle Quote den stofflichen Wiedereinsatz nicht dokumentiert und dessen Endprodukte ohne Qualitätserfordernis keinen Marktwert wiedergeben.

Benötigt: ein nachhaltiges Geschäftsmodell

Marktgerechte und nachhaltige Geschäftsmodelle in der Kreislaufwirtschaft sollten grundsätzlich Werte und Wohlstand generieren. Dieser Erwartung entsprechen laut Baum die Wiederverwertungsquoten aus der Verpackungsentsorgung der dualen Systeme nur wenig. Daher ist er der Meinung, dass mit diesem Geschäftsmodell Schluss gemacht werden sollte. Sein ökologischer Nutzen sei vergleichsweise dürftig, zumal der Entlastungseffekt kaum zu Buche schlägt. Und ökonomisch betreffe es lediglich „ein Rinnsal an Kunststoffen“ und sei auch nach allen Jahren wirtschaftlich weder selbstständig tragfähig noch nachhaltig. Das System habe insgesamt kaum volkswirtschaftliche Werte generiert.

Ein nachhaltiges Geschäftsmodell benötige demgegenüber ein ganz anderes Steuerungs- und Entlohnungssystem. Eines, das über den gesamten Wertschöpfungsprozess zur Generierung von Sekundärrohstoffen teilweise oder vollständig über die Produktverantwortung der Hersteller finanziert wird. Hinterher würden nur Sekundärrohstoffe mit einem Marktwert gezählt. In bestimmten Fällen, beispielsweise bei Unsicherheiten für Seltene Erden, könnte eine politische Knappheitsbewertung stattfinden: Dazu werden die Preise für generierte Sekundärrohstoffe zusätzlich zu Menge und Marktwert mit einem staatlich näher zu bestimmenden Knappheitsfaktor multipliziert und entgolten. Die Erstattung erfolgt dann zeitweise und ist verbindlich vorgegeben, wobei unter Umständen der Staat als Aufkäufer eingreift.

Zwischen den Sekundärrohstoff-Händlern besteht dabei Konkurrenz. Die innovative Wirtschaft könne dann zeigen, inwieweit sie ihre Aufarbeitungs- und Extraktionstechnologien entwickelt hat. Ihr Wettbewerb benötigt jedoch keine Administration und keine staatlichen Quoten. Die – so Baum – „führen vollkommen in die Irre“. Damit kommt Baum der Forderung von Herbert Wilms nach marktwirtschaftlichen Preisen und angemessenen Reaktionen auf zukünftige Knappheiten nahe. Und er dürfte dabei prinzipiell auch Wilms` Ansicht über die Rolle des Staates teilen: „Unser Wunsch an die Politik ist: Fördert uns endlich! Lasst den Tränen, die vergossen worden sind bei der Unterschrift zum Pariser Klimaschutzabkommen, endlich Taten folgen! Denn jeder Recyclingrohstoff, der produziert wird, ist deutlich klimaschonender als jeder Primärrohstoff aus der Erde.“

Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de

(EU-Recycling 07/2018, Seite 28)

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