Gut gemeint ist nicht gut gemacht

Sachsen-Anhalt veröffentlicht Leitfaden für mineralische Abfälle.

„Recyclingbaustoffe machen ein zweites Leben nach dem Rückbau möglich!“ Das ist die Botschaft eines neuen Leitfadens des sachsen-anhaltinischen Umweltministeriums, der über Wiederverwendung und Verwertung von mineralischen Abfällen als Recyclingbaustoffen informiert. Nach Ansicht der zuständigen Umweltministerin Prof. Dr. Claudia Dalbert soll mit dem neuen Vademecum die Verwendung solcher mineralischen Baustoffe erleichtern werden, da bei der Gewinnung und Nutzung von qualitätsgesicherten Recyclingbaustoffen „noch ganz viel Potenzial im Land“ vorhanden sei.

250 Seiten Information

Zunächst muss sich der interessierte Leser aber im Klaren werden, ob er zuerst das 25-seitige Basisdokument zur Wiederverwendung und Verwertung von mineralischen Abfällen, das 163-seitige Modul zu Regelungen für die stoffliche Verwertung, das 56-seitige Modul zur Gewinnung von RC-Baustoffen aus dem Rückbau oder das 8-seitige Modul, das über den Einsatz von RC-Baustoffen in technischen Bauwerken Auskunft gibt, in Augenschein nehmen will.

Die Entscheidung darüber, was jeweils von Interesse ist, obliegt den Personenkreisen, für die der Leitfaden vorgesehen ist: Unternehmen und öffentliche Verwaltungen im Land Sachsen-Anhalt, insbesondere abfall­erzeugende und Baumaßnahmen in Auftrag gebende Personen, Betreiber von Vorbehandlungs- und Aufbereitungsanlagen für Bau- und Abbruchabfälle sowie Baumaßnahmen in Auftrag gebende Personen und Vergabestellen, „die im Rahmen von Neubau- und Instandhaltungsmaßnahmen Baustoffe und -produkte einsetzen, die durch wiederverwendbare Bauteile oder Recycling-Baustoffe ersetzt werden können“.

An den Bedürfnissen der Entsorger vorbei

Diese potenziellen Interessenten am Leitfaden dürfen im Basisdokument von der Aufzählung möglicher Beteiligter und einer Liste von Abfalldefinitionen profitieren, werden im Gewinnungs-Modul ausführlich über Pflichten, Aufgaben und Verantwortungsbereiche sowie detailliert über Schadstoffe und Kontaminationen aufgeklärt, um im Verwertungs-Modul alles Wissenswerte über grundlegende Begrifflichkeiten, rechtliche Grundlagen und technische Regelungen für die Verwertung zu erfahren; Anhänge befassen sich mit Summenparametern, Altschotter und Probenahmen sowie Analytik. Vieles davon dürfte für den Neueinsteiger in die Materie von Vorteil sein, einiges auch Zusatzinformationen für den erfahrenen Entsorgungs- und Wiederverwertungs-Spezialisten darstellen.

Dennoch drängt sich dem neutralen Leser des Leitfadens der Eindruck auf, dass das Papier an den Bedürfnissen von Entsorgungsunternehmen vorbeigeht. So beschreibt das Verwertungs-Modul zwar ausführlich die zur Vergabe notwendigen Bedingungen und informiert über Ausschreibungsunterlagen, Nachweise, Erklärungen, Auswahl des Vergabeverfahrens, Prüfung der Angebote, Genehmigungen, Abbruchanweisung, Baustelleneinrichtung und Arbeitsschutz. Die Ausführungen richten sich aber ausdrücklich an „öffentliche Auftraggebende und private Auftraggebende“. Im Umkehrschluss können Entsorger und Anlagenbetrieber daraus zwar teilweise lernen, was zur Antragstellung notwendig und erforderlich ist; sie erfahren durch diesen Teil des Leitfadens aber keine direkte Ansprache und erhalten keine für sie spezifischen Informationen über Antragstellungen.

Gleichwertigkeit von Recyclingbaustoffen

Dabei wäre es für die Entsorgungsbranche vermutlich von besonderem Interesse, unter welchen Bedingungen sie ihr aufbereitetes Material an einen privaten Abnehmer oder einen öffentlichen Auftraggeber verkaufen kann. Was speziell die nachhaltige öffentliche Beschaffung von wiederverwendbaren Recyclingbaustoffen anlangt, so findet sich im Basisdokument ein Hinweis auf die „Prüfung von über § 45 des KrWG hinausgehenden Vorgaben zum Ressourcenschutz bei Beschaffungen sowie Berücksichtigung bei öffentlichen Ausschreibungen“. An anderer Stelle wird Paragraf 7 Absatz 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A zitiert, wonach durch geeignete Zertifikate nachgewiesene Recyclingbaustoffe gleichwertig mit Primärbaustoffen zu behandeln sind. Im Kapitel „Gleichwertigkeit von Recycling-Baustoffen und Vorbildwirkung der öffentlichen Hand“ wird auf Paragraf 58 der Vergabeverordnung hingewiesen, wonach bei der öffentlichen Auftragsvergabe beim Zuschlagskriterium „Kosten“ auch Lebenszyklus-Kosten wie Energie- und andere Ressourcen-Kosten, solche, die am Ende der Nutzungsdauer durch Entsorgung oder Recycling entstehen, sowie solche durch externe Effekte der Umweltbelastung einkalkuliert werden können. Auch Paragraf 2 des Abfallgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt sieht eine Regelung vor, nach der Einrichtungen des Landes – im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren – auch Erzeugnisse aus Abfällen bevorzugen können: „Damit sind vor allem durch Vorbereitung zur Wiederverwendung gewonnene Produkte sowie Recycling-Baustoffe mindestens gleichwertig zu berücksichtigen.“

Verpflichtung statt nur Berücksichtigung

Diese „Berücksichtigung“ lässt viel Spielraum zu, dessen einzelne Indikatoren der Leitfaden jedoch nirgendwo aufführt. Hier hätte der Leitfaden durchaus stärker ins Detail gehen können, um den RC-Baustoff-Anbietern Argumente an die Hand zu geben, die Wertigkeit ihres Materials bei den öffentlichen Beschaffungsstellen zu verdeutlichen und zu unterstreichen.

Lediglich über den Hinweis auf Paragraf 1 des Gesetzes vom 10. Dezember 2015 (GVBl. LSA S. 610) gelangt man im Internet auf die Darstellung der „Pflichten öffentlicher Stellen“. Hier wird unter anderem ausgeführt, dass Land, Gemeinden, Landkreise und juristische Personen des öffentlichen Rechts dazu verpflichtet sind, bei Auftragsvergabe im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren Erzeugnisse zu bevorzugen, die „1. aus Abfällen hergestellt sind, 2. in rohstoffschonenden oder abfallarmen Produktionsverfahren hergestellt sind, 3. aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt sind, 4. sich durch Langlebigkeit, Reparaturfreundlichkeit und Wiederverwendbarkeit auszeichnen, 5. im Vergleich zu anderen Erzeugnissen zu weniger oder schadstoffärmeren Abfällen führen oder 6. sich in besonderem Maße zur Verwertung oder gemeinwohlverträglichen Abfallbeseitigung eignen“. Hier ist von „Verpflichtung“ und nicht nur von „Berücksichtigung“ die Rede, was für die antragstellenden Entsorger und Anlagenbetrieber von entscheidender Bedeutung ist. In diesem Punkt bestünde für das vorliegende Papier durchaus Änderungsbedarf.

„Mit diesem Leitfaden gehen wir einen weiteren großen Schritt bei der Weiterentwicklung der Abfallwirtschaft zu einer wahren Ressourcenwirtschaft“, erklärte die sachsen-anhaltinische Umweltministerin Claudia Dalbert anlässlich der Veröffentlichung des Leitfadens. Der ausdrücklich „Informationsquelle und Ratgeber für alle sein soll, die mit mineralischen Abfällen umgehen“. Würden die Aspekte der Entsorger und Anlagenbetreiber besser berücksichtigt, könnte sich die Erwartung der Ministerin vom „Potenzial bei der Gewinnung und Nutzung von qualitätsgesicherten Recycling-Baustoffen“ möglicherweise schneller erfüllen.

Der Leitfaden „Wiederverwendung und Verwertung von mineralischen Abfällen in Sachsen-Anhalt“ ist online unter https://mule.sachsen-anhalt.de/umwelt/abfall/abfallarten/ verfügbar.

Foto: O. Kürth

(EU-Recycling 03/2019, Seite 9)

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