Stahlrecycling mit Qualitätsoffensive hat eine glänzende Zukunft

Die Schrotteinsatzquote in der deutschen Stahlproduktion lag 2017 bei 43,9 Prozent. Doch die internationale Konkurrenz schläft nicht, machte Dr.-Ing. Hans-Bernd Pillkahn auf der BDSV-Jahrestagung am 14. November 2019 in Münster deutlich. Und empfahl der Stahlrecyclingbranche nachdrücklich eine Qualitätsoffensive.

Einleitend berichtete Pillkahn von einer Umfrage, die die Ingenieursgesellschaft Proassort GmbH mit ihm als Geschäftsführer in der Stahlschrottbranche initiierte. Dabei wurden gezielt nur die Technischen Leiter von Schmelzbetrieben nach Status quo, Verbesserungspotenzial und zukünftiger Entwicklung der Gattierungsqualitäten befragt. Die Ergebnisse: Im Bereich des Hochofen-/LD-Konverter-Einsatzes besteht eine eingespielte Beziehung von Recyclingwirtschaft und Stahlunternehmen bei befriedigender Qualität und einer Logistik, die als verbesserungsfähig angesehen wird. Die im Handel angebotenen Materialien sind zur Produktion von weichen Stahlgüten jedoch nur eingeschränkt verwendbar. Und da in Deutschland rund 20 Prozent des Stahlschrotts als Kühlmaterial eingesetzt werden, ist angesichts der Schrottgattierung des derzeit zugelieferten Materials keine Steigerung der Recyclingquote möglich.

Auch im Elektrolichtbogenofen-Bereich hat sich die Beziehung von Lieferanten und Kunden eingespielt. Die Qualität der Produkte ist befriedigend – insbesondere bei Selbstorganisation, dann, wenn Stahlwerke ihre eigenen Schrotthandelsunternehmen gründen. Bei der Edelstahlerzeugung für den Baubereich muss ein Drittel der Gattierung aus Stahlneuschrott (Sorte 2/8) bestehen. Zudem öffnet sich die Schere zwischen dem Anspruch an die Schmelzanalyse und der eingesetzten Gattierung immer weiter. Bei den Gießereien – auch hier ein gewachsenes Verhältnis von Recyclern und Kunden – bezeichnet man die gelieferte Qualität aus dem Kupolofen als befriedigend und die von Weichstahl des Typs IF (Interstitial-Free) als gut. Die Gattierung wird zunehmend durch Gießerei-Roheisen ergänzt. Darüber hinaus sahen die befragten Techniker für die zukünftige Kupolofen-Produktion Probleme.

Randbedingung: deutscher Klimaschutz

Die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung führte zwischen 1990 und 2000 zu einer Reduktion von 220 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, in den darauffolgenden zehn Jahren noch zu einer Verringerung um 110 Millionen Tonnen, wird sich aber von 2010 bis 2020 auf schätzungsweise 30 Millionen Tonnen verlangsamen. Nach Vorstellungen der Bundesrepublik ist für den Zeitraum 2020 bis 2030 die Einsparung von über 300 Millionen Tonnen CO2 geplant. Ohne Autoverkehr (170 Mio. Tonnen), Flugverkehr (40 Mio. Tonnen), Bahnfahrten (10 Mio. Tonnen) und nach Schließung der gesamten Metallindustrie würde diese Marge erreicht. „Aber alles, was über diese 300 Millionen hinausgeht, müssen Sie sich beim Atmen verkneifen“, spöttelte Pillkahn. Dennoch soll auch der BDI davon überzeugt sein, dass 95 Prozent der CO2-Produktion bis 2050 eingespart werden können. Bis dahin werde nach Ansicht von Pillkahn die deutsche Wirtschaft in die Knie gegangen sein.

Made in China 2025

Demgegenüber sieht der strategische Plan „Made in China 2025“ vor, dass bis 2020 insgesamt 15 neue Forschungs- und Entwicklungszentren zu Kerntechnologien in Schlüsselindustrien eingerichtet werden, bis 2025 die Innovationskapazität durch 40 neue Entwicklungszentren erweitert wird und bis 2035 die Wettbewerbsfähigkeit in zehn Schlüsselindustrien signifikant ausgebaut ist. Bis 2049 soll – dem Plan zufolge – China die führende Industriemacht sein. Das rohstoffarme Land beherrscht schon jetzt in einer überragenden Welthandelsposition den Rohstoffmarkt mit rund 45 bis 50 Prozent Anteil an der globalen Nachfrage nach Aluminium, Blei, Kupfer, Nickel, Zink, Zinn, Stahl sowie Steinkohle. Deutschland rangiert mit einstelligen Anteilen mehrere Plätze dahinter und ist bei Zink, Nickel und Stahl in der zugrundeliegenden DERA-Tabelle nicht mehr gelistet. Nach Ansicht von Pillkahn sollte Außenminister Heiko Maas daher, um über Cobalt-Lieferungen für die E-Mobil-Wende zu verhandeln, nicht die Minister in Brandenburg kontaktieren, sondern die Chinesen. Ebenso ist Wirtschaftsminister Peter Altmaier geraten, wegen Chrom nach Kasachstan, Südafrika oder Indien zu fahren, da dort die weltweit größten Reserven lagern. Auf die hält aber bereits China die Hand.

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„Es gibt in Deutschland keine nationale Rohstoffstrategie“

Vielmehr sollte es laut Bundeswirtschaftsministerium die grundsätzliche Aufgabe der Wirtschaft sein, den Rohstoffbedarf sicherzustellen. Davon ist in der Praxis nichts zu erkennen. Zu den vier Kernzielen des Ministeriums sollen aber die Stärkung von Recycling, die Unterstützung entsprechender Technologien sowie der Ausbau der Forschung gehören. Tatsächlich ist das Ministerium hochinteressiert an Innovationen, die ihm die Recyclingwirtschaft präsentiert. Pillkahn: „Nutzen Sie die Ressourcen. Wir holen uns Millionen, im Wesentlichen über den Projektträger Jülich.“

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Mit doppelter Produktivität: Nucor

Auch die USA können als Technologietreiber im Stahlrecycling gelten. Hier ist unter anderem die Nucor Corporation zu nennen mit einer Erzeugung von 22 Millionen Tonnen Stahl, was der Hälfte der gesamten deutschen Stahlerzeugung entspricht. Ohne Einsatz eines einzigen Hochofens, aber laut Pillkahn mit der doppelten Produktivität der deutschen Stahlwirtschaft und auf einem Niveau, auf dem diese erst in 20 Jahren stehen wird. Das erklärt sich unter anderem daraus, dass in den Vereinigten Staaten in der Bauindustrie eingesetzter Stahl dank stringenter Vorgabe durch LEED (Leadership in Energy & Environmental Design) mindestens 30 Prozent Recyclingmaterial enthalten muss. Außerdem belief sich die Nucor-Recyclingquote 2017 auf insgesamt 72,6 Prozent, während sie in Deutschland bei rund 43 Prozent rangierte. Und die CO2-Emissionen liegen pro Tonne Nucor-Stahl bei 0,88 Tonnen, während sie in Deutschland 1,3 Tonnen und im Weltdurchschnitt 1,9 Tonnen betragen.

Gegossen, nicht gewalzt

Hinzu kommt, dass die Stahlverarbeitung in sogenannten Mini Sheet Mills erfolgt, die aus Elektrolichtbogenöfen versorgt werden und innerhalb von fünf Minuten weiterverarbeitbaren Stahl produzieren. Die Technik rentiert sich, hat Nucor doch damit im ersten Halbjahr 2019 rund 1,2 Milliarden US-Dollar vor Steuern erwirtschaftet. In Crawfordsville/Indiana wird sogar Warmbreitbahn nicht gewalzt, sondern in 1.700 Millimeter Breite und 1,5 Millimeter Dicke gegossen, unter Einsatz von 61 Prozent Neuschrott, 11,5 Prozent Altschrott und 24,3 Prozent Eisenschwamm – zur Erzeugung von hochwertigen Stählen. Etwas konventioneller arbeiten die normalen Mini-Stahlschmelzen mit Walzwerken. Insgesamt wird bei Nucor 42 Prozent Eisenschwamm und 56 Prozent Schrott verwendet, der sich aus 57 Prozent Neu- und 43 Prozent Altschrott zusammensetzt. International verwenden übrigens die meisten Elektrolichtbögenöfen mittlerweile eine Schrottvorwärmung; in Deutschland benutzt sie kein einziges Unternehmen. Daraus erwächst hierzulande eine besondere Herausforderung an die Stahlschrottverarbeitung, um die Bildung von Dioxinen, Furanen oder anderen problematischen organischen Substanzen zu unterbinden.

Schmelzmetallurgie löst Raffination ab

Der zukünftige Trend wird in einer Verschiebung von der Raffination zur Schmelzmetallurgie bestehen. Zurzeit herrscht die Methode vor, den angelieferten Stahlschrott in den Elektrolichtbogenofen zu geben, rund ein Fünftel „wegzubraten“ und das Resultat als Baustahl anzuwenden. Dagegen können mithilfe der Umschmelzmetallurgie die die Anlage verlassenden Sekundärrohstoffe so saubere Hochleistungsgattierungen aufweisen, dass man sie in einem Umschmelzofen erwärmen und für den gewünschten Zweck gießen kann. Erste Ansätze existieren. Momentan wird in Deutschland bereits eine Million Tonnen aus der Hochleistungsmetallurgie an die Gießereien geliefert; es ist also durchaus machbar. Zudem konzentriert sich die Suche auf Hochleistungsstähle; ältere Gattierungen wie der Schubkarrenstahl werden nicht mehr nachgefragt und gehen verlustig. Dafür ist zunehmend PRC (Product Recycled Content) gefragt: So wird die Automobilindustrie nicht mehr zulassen, dass weiterhin verzinktes Feinblech mit 2,5 Tonnen CO2 pro Tonne Blech zugeliefert wird.

Unabdingbar: ein neues Stahlrecycling

Foto: skeeze / Pixabay

Unter den Hochleistungsstählen dürfen weiche Stähle nur 0,15- beziehungsweise 0,10-Anteile an Mangan aufweisen, während Kupfer, Zinn, Chrom, Nickel und Molybdän sich im Bereich von 300 bis 500 ppm bewegen müssen, weil sich der Stahl sonst nicht mehr an die Automobilindustrie verkaufen lässt. Die europäische Stahlschrott-Sortenliste lässt 3.000 ppm an diesen Materialien zu; in der Spitze sind aber nur 300 bis 500 ppm zu finden. Anders die Spezifikation für die amerikanische Sorte Number One Industrial: Sie liegt bei 1,2 Prozent, nicht bei drei.

Ein neues Stahlrecycling – davon zeigt sich Pillkahn überzeugt – ist unabdingbar, basierend auf Sekundärstahl mit über 99 Prozent Eisenanteil und nach Legierungsanteil geclustert und Hochleistungsgattierung von 99 Prozent Eisenanteil und fein legiert. Beide sorgen für höhere Recyclingquoten in LD-Konverter-Verfahren, erleichtern den Übergang zur Elektrostahl-Herstellung bei kleinstmöglichem Einsatz von DRI (Direct Reduced Iron, Eisenschwamm) beziehungsweise HBI (Hot Briquetted Iron) und ermöglichen Hochleistungsstähle aus dem IF.

Die Wasserstoff-Illusion

Ist der Einsatz von Wasserstoff zur CO2-Minderung eine realistische Klimamaßnahme? Das Salzgitter Low CO2 Steelmaking-Projekt wird darüber Auskunft geben. In einer Pilotphase soll zunächst bis Ende 2030 Wasserstoff unter Zuhilfenahme von grünem Strom zur Reduktion von Eisenerz-Pellets und der Herstellung von Eisenschwamm dienen, das dann im Elektrolichtbogenofen zu Feinblech umgeschmolzen wird. Nach 2040 soll so eine 82- bis 95-prozentige CO2-Reduktion greifen. Dem Verfahren stellen sich – nach Ansicht des Experten Pillkahn – mehrere Faktoren in den Weg. Zum einen entsteht ein Energiebedarf, der nur durch 3.000 onshore-Windkraftanlagen der 3 MW-Klasse gedeckt werden kann, die dafür nicht zur Verfügung stehen. Die Umspannung auf Gleichstrom erfordert alleine fünf Gasturbinen-Grundlastkraftwerke der 500 MW-Klasse im Dauerbetrieb, von denen zurzeit höchstens zehn in ganz Deutschland arbeiten.

Zur Elektrolyse werden zehn 100 MW-Wasserstoff-Anlagen benötigt – momentan leistet die größte deutsche Anlage lediglich zehn Megawatt. Unabdingbar sollen auch 2,5 Direktreduktionsanlagen vom Typ Porto Cristo sein – Preis pro Anlage circa 1,1 Milliarden US-Dollar. Und schließlich braucht es drei Elektrolichtbogenöfen à 250 Tonnen Leistung; die derzeit größte in Deutschland liefert 130 Tonnen. Nach Kalkulation von Hans-Bernd Pellkahn summieren sich die Kosten auf 16 bis 18 Milliarden Euro. Aus diesem Aufwand ergebe sich ein Abschreibungsvolumen von jährlich 600 bis 800 Millionen Euro, das die Salzgitter-Bilanz – bislang etwa 250 Millionen – „zerreißen“ würde. Deswegen sei die Umstellung auf eine Wasserstoff-basierte Stahlerzeugung über die Direktreduktion- beziehungsweise Elektrolichtbogenöfen-Route eine „Stahlillusion“.

Schicht im Schacht?

Was Eisenschwamm angeht, werden weltweit 500 Millionen Tonnen Pellets erzeugt, davon 80 Millionen Tonnen zu Eisenschwamm verarbeitet. Eisenschwamm muss besonders hochwertig sein, hat aber trotzdem danach nur einen Eisenanteil von 85 Prozent. Doch obwohl sich daraus verschiedene Verarbeitungsmöglichkeiten ergeben, werde es nach Ansicht des Metallexperten niemals zur produktiven Erzeugung von Eisenschwamm in Deutschland kommen – schon gar nicht mit Kohlestahl. Aber diese Transformation in Richtung Elektrostahl würde alleine der Salzgitter-Bilanz einen zusätzlichen Markt von 2,2 Millionen Tonnen auf der Stahlschrottseite schaffen.

Abschließend appellierte Pillkahn, sich konzertiert für die Rettung von Eisen und Stahl einzusetzen. Für Tier-1-Unternehmen mit der richtigen Philosophie und innovativen Technologien würden sich „gewaltige Chancen“ ergeben. Allerdings bestünden auch „hohe Risiken“ längs der Bewirtschaftungskette, die niemand alleine aus dem Weg räumen könne und die die Suche nach Partnern unabdingbar machten. Eine Qualitätsoffensive der Stahlrecyclingbranche könne die Zukunft der Eisen- und Stahl-schaffenden Indus­trie in Deutschland sichern. Oder anders gesagt: „Ohne Sie ist Schicht im Schacht.“

(EU-Recycling 01/2020, Seite 30, Foto: O. Kürth)

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