Drastisch veränderte Marktbedingungen

Das Bureau of International Recycling (BIR) veranstaltete im Juni ein „eForum“ mit Webinaren als Ersatz für die Tagung, die im Mai in Istanbul stattfinden sollte, aber durch die weltweite Covid-19 Pandemie – wie zahlreiche andere Branchenveranstaltungen auch – verhindert wurde.

Auf diese Weise konnten sich die Mitglieder des Weltrecyclingverbands über die neuesten Entwicklungen in ihrer Fachsparte in bewährter Weise informieren. Allerdings fehlten die persönlichen Treffen, die zu einem wesentlichen Teil die Attraktivität der zweimal jährlich stattfindenden BIR-Kongresse ausmachen, zumal sie den Marktteilnehmern die Gelegenheit bieten, in direktem Kontakt Geschäftsbeziehungen zu pflegen.

Aufgrund der Einschränkungen, die der Kampf gegen das Coronavirus erforderte, waren in den ersten Monaten des Jahres alle Märkte in einem desolaten Zustand, hieß es bei dem Webinar des Internationalen Handelsrates. Materialien würden nach wie vor global gehandelt, aber sowohl die Sammelraten als auch die Mengen seien im Vergleich zu den Wochen vor der Pandemie recht niedrig. Die Preise seien ebenfalls stark abgerutscht. Die Situation soll sich aber bessern. Während des Webinars der Fachsparte NE-Metalle wiesen die Teilnehmer darauf hin, dass die von der Volksrepublik China aufgestellten neuen Standards für „rezyklierte Materialien“, die Anfang Juli Gültigkeit erhalten sollten, sich für den Schrotthandel positiv auswirken können. Die Neueinstufung gelte für Messing, Kupfer und Aluminiumdruckgusslegierungen.

Wie Fachsparten-Präsident David Chiao (Uni-All Group Ltd) versicherte, würden die englischsprachigen Informationen zugänglich sein, sobald sie vorliegen. Mit Blick auf Chinas Verlagerung der Prioritäten im Metallbereich betonte er, dass nach dem 31. Dezember dieses Jahres als „Schrott“ eingestufte Materialien nicht mehr nach China importiert werden dürften. Außerdem schlösse das am 18. Mai veröffentlichte siebte Los an chinesischen Importquoten 10.423 Tonnen Kupferschrott und 1.480 Tonnen Aluminiumschrott ein, was die Gesamtmenge für das Jahr bislang auf 540.184 Tonnen beziehungsweise 478.159 Tonnen steigere.

Covid-19 werde – abgesehen von den Gesundheitsrisiken – einen langfristigen Effekt haben, zeigte sich der Gastredner der Fachsparte, Eugen Weinberg von der Commerzbank, überzeugt. Die Pandemie hat seiner Darstellung zufolge den seit 2010 zu beobachtenden Trend einer Abkehr von der Globalisierung massiv beschleunigt. Gleichzeitig sieht er keine schnelle Lösung im Handelsstreit zwischen China und den USA; er nimmt an, dass dieser sich – vielleicht – sogar verschärfen könnte.

Was die Metallpreise anbelangt, so geht er davon aus, dass sie die Erwartungen einer schnellen Wirtschaftserholung sowie die geldpolitischen Unterstützungsmaßnahmen der Zentralbanken in allen Teilen der Welt reflektieren. Allerdings werde dies nicht anhalten, meint er. Der Handel werde zwar langsam anziehen, aber unter dem Durchschnitt des vergangenen Jahres liegen. Bis Juli/August dieses Jahres rechnet er mit einer „großen Enttäuschung“, zumal die Ergebnisse des zweiten Quartals das Ausmaß der Krise zeigen würden. Die Firmen sollten sich auf weitere negative Überraschungen einstellen.

Produktionseinbruch bei rostfreien Stählen
Die Pandemie habe die Branche vor viele Schwierigkeiten und Herausforderungen gestellt, so Joost van Kleef (Oryx Stainless BV), Vorsitzender des Komitees Rostfreie Stähle & Speziallegierungen.

Dabei war die Industrie laut Gastrednerin Natalie Scott-Gray (Analystin bei INTL FCStone Ltd) mit Optimismus in das Jahr gestartet, nachdem 2019 ein Produktionsrekord im Umfang von 53,2 Millionen Tonnen erreicht worden war und die Aussicht auf eine rege Nachfrage nach Batterien für Elektrofahrzeuge bestand. Aber aufgrund des pandemie-bedingten Lockdowns, vor allem in China, habe das Produktionsvolumen im ersten Quartal dieses Jahres 11,5 Millionen Tonnen betragen; dies sei die niedrigste Menge in einem Vierteljahr seit drei Jahren gewesen.

Die Perspektiven für das zweite Quartal sind ebenfalls nicht übermäßig positiv, denn nach den Worten der Analystin ist mit einem Nachfrageeinbruch bei rostfreien Stählen im Umfang von 12 Prozent auf 11,9 Millionen Tonnen auszugehen. Außerdem erfahre der bisherige Wachstumsbereich „Batterien für Elektrofahrzeuge“ eine „dramatische Veränderung“, wobei der weltweite Nickelbedarf für diesen Zweig nach den Prognosen in diesem Jahr um 15 Prozent nachgeben werde.

Den Angaben zufolge wird es aber keine Nickelverknappung auf den entsprechenden Märkten geben, zumal der für 2020 vorausgesagte Nachfragerückgang von sieben Prozent durch den Nickelüberhang ausgeglichen werden dürfte. Im Hinblick auf die Preisentwicklung erwartet Natalie Scott-Gray, dass das Metall an der London Metal Exchange (LME) im Laufe des Jahres niedriger gehandelt wird als im vergangenen Jahr. Die Preise könnten unter 11.000 US-Dollar je Tonne sinken; im nächsten Jahr kann sie sich eine Preissteigerung um sieben Prozent vorstellen. Jason Schenker, Präsident der amerikanischen Firma Prestige Economics, zeigte sich zuversichtlicher bezüglich des Nickel-Wertes. Für dieses Jahr rechnet er mit einem durchschnittlichen Preis von etwa 13.000 US-Dollar pro Tonne, der im kommenden Jahr nach seiner Einschätzung bei 15.000 US-Dollar und 2022 bei 16.000 US-Dollar liegen dürfte. Auch die Preise für rostfreie Stähle sollen steigen.

Höherer Schrott-Einsatz bedingt „grünere“ Stahlerzeugung
Ein wichtiges Thema während des Webinars der BIR-Fachsparte Eisen & Stahl unter der Leitung von Greg Schnitzer (Schnitzer Steel Industries Inc.) war die Möglichkeit, durch die verstärkte Nutzung von Eisen- und Stahlschrott eine klimafreundlichere Stahlherstellung zu realisieren. Renate Featherstone, Analystin bei der britischen Firma Wood Mackenzie, hob in ihrem Gastvortrag hervor, dass zehn Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen durch die Stahlerzeugung entstehen. Aus diesem Grund ständen die Produzenten unter zunehmendem Druck, umweltfreundlicher zu werden. Der erste logische Schritt zur Senkung der Emissionen sei die steigende Nachfrage nach Recycling und Schrott, so die Referentin. Nur wenn der Schrotteinsatz maximiert werde, ließen sich die Eisenproduktion aus primären Rohstoffen deutlich reduzieren sowie die Emissionen näher an die Zielvorgaben der Regierungen bringen. Deshalb sei Schrott so wichtig.

Wie Renate Featherstone weiter betonte, sollten Anreize für die Schrotterfassung durch die Umweltpolitik geschaffen werden. Während Primärrohstoffe nach wie vor benötigt würden, um das erwartete Produktionswachstum zu erfüllen, könnte Schrott 33 bis 35 Prozent des Industriebedarfs an Metallen bis zum Jahr 2024 decken; der Anteil dieses sekundären Materials könnte sogar bis auf 47 Prozent steigen. Obwohl die integrierte Stahlerzeugung in den kommenden zwei Jahrzehnten die Hauptquelle für Stahl in China bleiben werde, könnte sich der weltweite Produktionsanteil durch Elektroschmelzöfen bis 2026 auf 30 Prozent und bis 2040 auf 34 bis 35 Prozent erhöhen; nach den Analysen von Wood Mackenzie ist es vorstellbar, dass das Kontingent in 20 Jahren sogar bei 52 Prozent liegt, China und Indien ausgenommen.

Für die nähere Zukunft sagte die Analystin voraus, dass die globale Rohstahlproduktion wahrscheinlich „mindestens fünf Jahre“ benötigen wird, bis sie wieder das Niveau des Jahres 2019 erreichen kann. Nach der Prognose soll in diesem Jahr die Nachfrage in der Volksrepublik China um ein Prozent zurückgehen, während für den Rest der Welt ein Einbruch im Umfang von 16 Prozent erwartet wird.

Stahlrecycling-Statistik
Wie groß der Umweltbeitrag der Schrottwirtschaft ist, unterstrich einmal mehr Rolf Willeke in seiner Eigenschaft als Statistik-Beirat der Fachsparte Eisen & Stahl. Gemäß der mittlerweile elften Ausgabe der Statistik „World Steel Recycling in Figures“ nahm die Rohstahlproduktion 2019 gegenüber dem Vorjahr um 3,4 Prozent auf 1,870 Milliarden Tonnen zu, wobei den Angaben zufolge die Produktion – mit Ausnahme von Asien und dem Mittleren Osten – zurückging. Die weltweite Stahlerzeugung im Blasstahlkonverter (Basic Oxygen Furnace, BOF) stieg um 6,5 Prozent auf 1,343 Milliarden Tonnen, während die durch Elektroschmelzöfen erzeugte Menge nach wie vor bei 523 Millionen Tonnen lag.

In jedem Jahr gelangen schätzungsweise 630 Millionen Tonnen Schrott ins Recycling, wodurch sich bei der Produktion – im Vergleich zur Erzeugung durch primäre Rohstoffe – jährlich CO2-Emissionen in der Größenordnung von etwa 950 Millionen Tonnen einsparen lassen. Den Angaben zufolge erhöhte die Volksrepublik China im vergangenen Jahr ihren Schrottverbrauch um 15 Prozent auf 215,93 Millionen Tonnen (2018: 187,77 Millionen Tonnen). Damit sei das Land immer noch der größte Schrottverbraucher der Welt, so Willeke.

Als mengenmäßig größter Schrottimporteur erwies sich nach wie vor die Türkei, obwohl 2019 das im Ausland gekaufte Schrottvolumen um 8,7 Prozent auf rund 18,857 Millionen Tonnen sank. Hauptlieferant dieses Sekundärrohstoffs waren die USA, die mit 3,838 Millionen Tonnen 3,6 Prozent mehr Material in die Türkei verkauften. Indien erwies sich als zweitstärkster Importmarkt, denn das Land bezog mit 7,053 Millionen Tonnen 11,4 Prozent mehr Schrotte aus Übersee. Die Republik Korea erhöhte ihre Einfuhrmenge um 1,6 Prozent auf 6,495 Millionen Tonnen.

Die EU-28 konnte ihre Position als international führender Schrottexporteur ebenfalls halten. Der Außenhandel nahm im vergangenen Jahr zwar lediglich um 0,6 Prozent auf 21,793 Millionen Tonnen zu, aber über die Hälfte dieser Menge – 12,021 Millionen Tonnen – wurde in die Türkei geliefert, wobei die Menge nur 0,7 Prozent geringer ausfiel als im Vorjahr.

Die nächste internationale Tagung des BIR soll im Oktober dieses Jahres in Brüssel stattfinden.

(EU-Recycling 07/2020, Seite 20, Autorin: Brigitte Weber, Foto: Foto: Marc Weigert)

 

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