Abfallwirtschaft 4.0: Wohin der Weg führt
In der Entsorgungsbranche hat der Digitalisierungszug längst den Bahnhof verlassen und Fahrt aufgenommen. Wer jetzt nicht aufspringt, verpasst den Anschluss an die Kunden und den Wettbewerb.
Das war auf dem ersten bvse-Digitalisierungsseminar zu erfahren, das der Verband Ende November 2019 in Bonn veranstaltete. Der Siegeszug mobiler Endgeräte als Informationsbeschleuniger hat das Kundenverhalten und den Markt rasant verändert. Jederzeit bequem und einfach erreichbar zu sein, auf individuelle Gegebenheiten eingehen zu können und dabei transparent zu bleiben, werden auch in der Entsorgungsbranche zu Standardvorgaben. Die Fähigkeit, auf diese Änderungen adäquat zu reagieren, wird in Zukunft über den Geschäftserfolg entscheiden.
Der Kunde setzt die Signale
„Was für den Kunden zählt, sind Preis, Transparenz und Geschwindigkeit.“ Christoph Buss von der Resourcify GmbH und ehemaliger Geschäftsführer eines mittelständischen Entsorgungsunternehmens weiß, wie wichtig die Digitalisierung der Kundenkommunikation in der Entsorgungsbranche ist: „Während eines Entsorgungsauftrags können über 60 mögliche Prozessschritte entstehen. Jeder einzelne kostet Zeit und Geld, was dem Kunden weiterberechnet wird. Wenn Prozesskosten in der Kundenkommunikation unverhältnismäßig teuer sind, kann man keinen wettbewerbsfähigen Preis bei höchster Geschwindigkeit und Transparenz anbieten.“ Buss beobachtet trotz dieser Fakten, dass die Anpassungsgeschwindigkeit im Verhältnis zur Geschwindigkeit des Wandels in der Entsorgungswirtschaft zurzeit nur langsam steigt. Zu befürchten sei, dass die Schere dazwischen in Zukunft immer größer werden könnte.
Trendsetter oder Traditionshüter?
Die Digitalisierungsentwicklung wird in Zukunft mit selbstlernender, vernetzter Künstlicher Intelligenz (KI) noch viel weiter gehen, prophezeit Jörg Boland von der sensis GmbH. Ob eigenständige Recherche nach den günstigsten Preisen, Lieferzeitoptimierung durch Auswertung von Bestell-Algorithmen oder die Übernahme von Kommunikation, beispielsweise in der Terminvereinbarung: Künstliche Intelligenz wird in viele Prozessbereiche eindringen, die derzeit oft noch analog ausgeführt werden. Boland: „Es braucht die richtigen Ideen und Geld für Investitionen.“ Unternehmen sollten – sofern noch nicht geschehen – digitale Kompetenz erwerben und sich auf agile Transformation und Change-Management einstellen.
Kleine Schritte gehen
Digitalisierung wirkt sich nicht nur auf die Technik, sondern auf das gesamte Geschäft aus. Es gilt, viele Herausforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, zu meistern. Falsche Denkmuster können ein Digitalisierungs-Projekt scheitern lassen, meint Kai Bembenek von der tegos GmbH. Wichtig sei, alle Mitarbeiter frühzeitig im Projekt mitzunehmen, damit gemeinsame Visionen, Akzeptanz und ein gemeinsames Verständnis entstehen können. Denn nicht jeder sei von modernen Lösungen begeistert. Dennoch gehöre das Thema Digitalisierung nicht alleine in die Hände sogenannter IT-Nerds. Digitalisierung ist für Bembenek kein IT-Projekt. Der größte Denkfehler sei, alles gleichzeitig digitalisieren zu wollen. „Think Big“ könne sich im Zusammenhang mit Digitalisierung als kontraproduktiv erweisen. So bestehe die Gefahr, dass alles nur halb gemacht wird. Effektiver sei es, sich auf überschaubare und erreichbare Ziele in kleinen Schritten zu fokussieren.
Nicht das Nachsehen haben
Leistungsfähige Onlineshops und ein gemeinsames digitales Netzwerk sind für regional tätige Entsorger heute ein Muss – nicht zuletzt, um sich den immer aggressiver agierenden Handelsplattformen entgegenzustellen. „Es ist wichtig, dass Netzwerkpartner im Mittelstand zusammenarbeiten. Als Gemeinschaft, in der jeder einzelne Ideen einbringt, in der aber auch für jeden individuelle Lösungen bereitstehen“, hob Martin Zimmermann von der Otto Dörner GmbH & Co. KG in seinem Vortrag auf dem bvse-Digitalisierungsseminar hervor. Die B2B-Portallösung „Go“ des Entsorgungsunternehmens kann via Schnittstelle mit bestehenden ERP-Warenwirtschaftssystemen verbunden werden. Das individuelle Shop-Layout im Corporate Design bietet Otto Dörner seit 2019 mit einer White Label-Lösung an.
Überschaubare Kosten – Reduktion von Fehlwürfen
Der Tech-Service Anbieter Logitize AG hat sich insbesondere auf Leihgeräte und -güter fokussiert und unterstützt mit praxisorientierten Digital-Lösungen den Vertrieb und die Logistik für den Bedarf des Mittelstandes. Für Geschäftsführer Frank Kaminsky steht fest, dass der Eintritt in die digitale Prozesswelt viele geldwerte Vorteile bringt, die die Kosten für den Service sogar noch übertreffen können. Aufwände bei Auftragserfassung, Bearbeitung, Disposition oder Fakturierung lassen sich bis zu 25 Prozent reduzieren. Portoersparnisse durch elektronische Rechnungsstellung, Einsparungen durch Fahrtoptimierungen, aber auch die Reduktion von Fehlwürfen durch Transparenz in der Disposition und weniger Verluste durch unklare Aufträge sind weitere klare Fürsprecher für digitale Geschäftsmodelle.
Sicherer Datenaustausch
Die Vernetzung der Supply-Chain mit eigenen Fahrzeugen, Containern, Subunternehmern, Verwertern, Abfallgefäßen und Recyclinghöfen erleichtert und beschleunigt sowohl den innerbetrieblichen als auch den externen Kommunikationsfluss. Durch digitale oder automatisierte Datenerfassung werden Fehlerquellen verringert. Bei der Vernetzung der Unternehmen mit Webservices spielt eine sichere Software die entscheidende Rolle. Jedes Unternehmen muss darauf achten, mit seinen Daten zu haushalten, sagt Jens Uwe Tonne von der Couplink AG. Der Telematik-Softwareanbieter hat mit der Lösung smart DEB eine Kommunikationsplattform entwickelt, die Daten sicher verschlüsselt und das Mitlesen Dritter beim Datenaustausch unmöglich macht.
Der einfache und jederzeit machbare Zugriff auf Daten spielt eine ebenso wichtige Rolle. Der analoge Aktenschrank ist laut Andreas Schmolke von S&F-Datentechnik GmbH & Co. KG tot. Der Software- und Consulting-Spezialist aus Leer bietet mit den Lösungen Emos und Komvor Entsorgern, überwachenden Behörden und Unternehmen breite Unterstützung im Digitalisierungsumfeld. Eine Self-Service-App für den Endkunden bietet diesem beispielsweise die Möglichkeit, jederzeit auf seine Daten oder digital hinterlegte Dokumente zuzugreifen: ob vom mobilen Endgerät von unterwegs oder vom PC in der Zentrale aus.
(EU-Recycling 03/2020, Seite 12, Foto: sirisakboakaew / stock.adobe.com)