Schrottsuche in inhomogenem Markt

Die weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie sind in der modernen Industriegeschichte beispiellos. Welche Folgen dies auf die weitere konjunkturelle Entwicklung haben wird, ist nicht vorhersagbar. Der Bundeswirtschaftsminister spricht von massiven Nachfrage- und Angebotsschocks, durch die sich die noch zum Jahresanfang positive Entwicklung der Konjunktur umkehrt. Dies war für die deutsche Schrottwirtschaft am Schrottaufkommen bereits deutlich zu spüren.

Am Monatsanfang April waren die Verbraucher der Ansicht, dass der Schrottpreis nicht zuletzt durch den plötzlichen Einbruch der Exportpreise deutlich sinken müsse. Den Lieferanten wurden Schrottpreisreduzierungen von 40 bis 60 Euro pro Tonne im Vergleich zum Vormonat angeboten. Es gab Abschlüsse auf diesem Niveau, die aber nicht das Marktgeschehen widerspiegelten, sodass der Widerstand der meisten Lieferanten anstieg. Die Baustahlhersteller hatten im Vergleich zum Vormonat einen unverändert hohen Schrottbedarf, während er bei vielen anderen Herstellern deutlich geringer und in der Folge die Nachfrage entsprechend ungleich verteilt war. Nachdem die Bundesregierung ab dem 22. März 2020 Kontaktbeschränkungen verfügte und nach und nach weitere Maßnahmen zur Stilllegung des öffentlichen Lebens folgten, begannen einige Industriebetriebe, die Produktion zu drosseln oder, wie beispielsweise die Automobilindustrie, die Bänder stillzulegen. Das Neuschrottaufkommen reduzierte sich daher sehr schnell und liegt nach Schätzungen des Handels derzeit noch bei rund 30 Prozent gegenüber dem vor der Krise. Insgesamt war die Auslastung der Entfallstellen sehr unterschiedlich.

Da die Unternehmen der Schrottwirtschaft systemrelevant sind, waren Sammlungen und die Schrottannahme unter verschärften hygienischen Bedingungen und einem ausreichenden Schutz der Mitarbeiter möglich. Aus Handelskreisen wurde berichtet, dass der Zulauf bei den Unternehmen, die Privatanlieferungen erlaubten, nach einem Anstieg in der 14. und 15. Kalenderwoche nach Ostern deutlich nachließ. Viele Abbrüche wurden verschoben, sodass das Altschrottaufkommen je nach Region schätzungsweise um 40 bis 60 Prozent unter dem normalen April-Niveau lag. Das knapper werdende Schrottangebot und die sinkende Lieferfreudigkeit des Handels bei einem wiedererstarkenden Kaufinteresse der Exporteure veranlasste einige Abnehmer, ihre Angebotspreise ab der 15. Kalenderwoche schrittweise zu korrigieren. Letztendlich ist der Schrott im Durchschnitt mit einem Abschlag von etwa 20 bis 25 Euro gehandelt worden, wobei die Preisspanne je nach Werk, Sorte und Zeitpunkt des Verkaufs bei unveränderten Preisen bis zu Abschlägen von 50 Euro pro Tonne gelegen hat. Stahlwerke mit ausstehenden Altverträgen drängten verstärkt auf Erfüllung, was ein weiterer Baustein für die Inhomogenität des April-Marktes war. Im Endeffekt ist kaum ein Werk mit den gewünschten Mengen versorgt worden, was die langandauernden Verhandlungen bestätigen.

Deutschland, Basisjahr 2015 = 100, Quelle: Statistisches Bundesamt/Destatis (Alle Angaben/Zahlen ohne Gewähr)

Nachbarländer
Im von der Pandemie schwer getroffenen Italien hat die Regierung das wirtschaftliche Leben rigoros lahmgelegt. Im Rahmen eines Vierstufenplanes soll die Wirtschaft je nach volkswirtschaftlicher Relevanz nun wieder sukzessive hochgefahren werden. Die italienischen Stahlwerke, die bis auf zwei Ausnahmen von Ende März bis zur 17. Kalenderwoche nicht produziert haben, laufen seit dieser Woche langsam wieder an, wodurch ihr Schrottbedarf steigt. Viele Verbraucher äußerten gegenüber ihren ausländischen Lieferanten den Wunsch, die ausgesetzten Verträge wieder zu aktivieren. Die noch Anfang April ausgehandelten Kontrakte waren zum Teil mit einem Abschlag von 20 bis 25 Euro pro Tonne vereinbart worden. Bei Neuabschlüssen sind die Abschläge geringer, beziehungsweise das im März vereinbarte Preisniveau wird fortgeschrieben. Das Herunterfahren des öffentlichen Lebens war in Italien deutlich schärfer als in Deutschland, sodass unklar ist, mit welchen Schrottmengen die Werke möglicherweise aus dem Inland versorgt werden können. Die in geringem Umfang abgeschlossenen neuen Lieferverträge gelten bis zum 8. Mai. Für die strengen Schutzmaßnahmen in Frankreich gibt es kaum Lockerungen, obwohl erste Anfragen einzelner Verbraucher über die Auslieferung von Altverträgen vorliegen. Nach zähen Verhandlungen mit dem Verbraucher in Luxemburg lagen die durchschnittlichen Preisreduzierungen je nach Sorte bei 20 bis 25 Euro pro Tonne. Der niederländische Markt war geprägt von rasantem Exportgeschehen. Nach dem Absturz von mehr als 50 Euro im Zeitraum Mitte bis Ende März haben sich die Preise aktuell um knapp 40 Euro pro Tonne frei Lager erholt.

In Tschechien lagen die Abschläge der Verbraucher bei bis zu 6 Euro pro Tonne. Auch hier stützten sich die Werke auf die Auslieferung von Altverträgen, sodass die Neuabschlüsse überschaubar blieben. Aus tschechischen Kreisen war zu hören, dass das Schrottaufkommen im April um 50 bis 70 Prozent gegenüber März gesunken ist. Bei einer recht guten Inlandsnachfrage sind in Polen die Preise um bis zu 10 Euro pro Tonne gefallen. Bei hohem Bedarf suchten die Abnehmer in der Schweiz ebenfalls Material und boten je nach Werk und Zeitpunkt des Abschlusses Abschläge von 20 bis 40 Euro pro Tonne an. In Österreich haben die Verbraucher – wie in wohl den meisten europäischen Ländern – nicht alle gewünschten Mengen bekommen. Die Preisreduzierungen bewegten sich bei bis zu 20 Euro je nach Werk und Sorte. Wie im übrigen Europa verlief auch im Vereinigten Königreich der Aprilhandel in verschiedenen Phasen. Die Stahlwerke gingen aufgrund der allgemeinen Situation mit Abschlägen von bis zu umgerechnet 70 Euro pro Tonne in die erste Verhandlungsrunde und konnten dazu sogar Mengen kaufen. Mit zunehmendem Widerstand der Lieferanten boten sie ein paar Tage später Abschläge von rund 45 Euro pro Tonne an, wozu wieder Mengen in geringem Umfang beschafft werden konnten. Die Gießereien reduzierten die Preise nur um rund 20 Euro pro Tonne. Schnell kristallisierte sich heraus, dass Schrottaufkommen und Nachfrage im Ungleichgewicht waren, zumal alle größeren Schrotthändler die Annahme von Privaten gestoppt hatten. Die Automobilproduktion ruht, aber auch die Baustellentätigkeit läuft erst sehr langsam und nur in ländlichen Regionen wieder an.

Gießereien
Trotz der zum Teil stillstehenden oder gedrosselten Produktionen bei ihren Kunden hatten einige Gießereien einen hohen Bedarf, während andere mit Kurzarbeit oder mit reduzierten Schichten auf die Ausnahmesituation reagierten. Der Schrotthandel hatte teilweise Mühe, seine Abnehmer wegen des Produktionsschrottmangels mit speziellen Gießereisorten zu versorgen. Einzelne Verbraucher lösten sich sogar vom gewohnten Preisindex. Die frei verhandelten Preise lagen je nach Sorte und Abnehmer bei Abschlägen von bis zu 15 Euro pro Tonne. Die Krise erhöht den wirtschaftlichen Druck auf Produzenten, deren Versicherbarkeit im Fokus steht.

Tiefseeexport
Eine unerwartet lebhafte Nachfrage der türkischen Schrottverbraucher in der 15. und 16. Kalenderwoche war mit Preissteigerungen von rund 45 US-Dollar pro Tonne, bezogen auf Anfang April, verbunden. Sowohl türkische als auch andere Importeure kauften europäischen Schrott, wodurch die Preise frei Tiefseelager um bis zu 40 Euro pro Tonne zulegten und sich stabilisierten. Da Ende der 17. Kalenderwoche der Ramadan beginnt, haben sich Käufer und Verkäufer vorerst zurückgezogen, zumal der Maibedarf der türkischen Verbraucher gedeckt zu sein scheint. In der oben genannten Kaufphase war zu beobachten, dass die türkischen Werke verstärkt kleinere Schiffsladungen auf dem Kontinent von Händlern – die üblicherweise nicht im Tiefseehandel tätig sind – gekauft haben, was ungewöhnlich war und dem festen Angebotsmarkt geschuldet ist.

Schlussbemerkungen
Wegen der doch recht angespannten Marktlage im April scheinen nochmalige Preissenkungen im Mai mehr als unwahrscheinlich. Die Stahlproduktion läuft in Europa langsam wieder hoch, während der Schrottentfall mit einer gewissen Zeitverzögerung hinterherhinkt. Niemand kann sagen, wie sich die Konjunktur und damit die Industrieproduktion tatsächlich entwickeln werden. Ebenfalls unsicher ist das Konsumverhalten der Verbraucher. Die Wirtschaftsinstitute gehen zwar von einer wirtschaftlichen Erholung in der zweiten Jahreshälfte aus; die Zuverlässigkeit der Prognosen muss sich aber erst noch zeigen. Im Moment verzögern die zum Teil unterbrochenen Lieferketten bei einigen Industrie- und Gewerbeunternehmen das reibungslose Hochlaufen der Produktion, und die Logistik ist nicht nur im Bereich der Binnenschifffahrt ein Engpass.

Die Schrottwirtschaft kämpft mit hohen Fixkosten, die bei vielen Unternehmen über die aktuellen Umsätze nicht gedeckt sind. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Wirtschaftsleben bald wieder in normaleren Bahnen bewegen kann.

Redaktionsschluss 22.04.2020, BG-J/bvse

(EU-Recycling 05/2020, Seite 48, Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de)

 

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