Schrottmarktbericht: Bitte anschnallen!

Eine sehr rasante Preis- und Mengenentwicklung im Exportmarkt war bezeichnend für den Berichtsmonat Dezember. Obwohl seit Juli der türkische Schrottbedarf stetig anwächst, war die seit dem letzten November-Drittel verstärkt einsetzende Einkaufswelle nicht vorhersehbar.

Die inländischen Werke versuchten, in einem hektischer werdenden Markt – je nach Region, Sorte und vor allem in Abhängigkeit vom Zeitpunkt des Abschlusses – mit Aufschlägen von 30 bis 45 Euro pro Tonne ihren Dezemberbedarf einzudecken. Gleichzeitig zahlten türkische Verbraucher mit jedem Abschluss im Tiefseemarkt höhere Preise. Die Auswertung der internationalen Fachpresse hat ergeben, dass türkische Stahlwerke offiziell 40 Tiefseeladungen zur Lieferung im Dezember gekauft haben, wovon 11 vom europäischen Festland stammen. Hinzu kommen weitere verdeckt gekaufte Ladungen unbekannter Anzahl. Der Grund für die hohe Nachfrage der türkischen Verbraucher in Europa und dem Baltikum war, dass US-Exporteure zur Lieferung im Dezember wenig und bis dato für Januar nichts anboten. Im Dezember stiegen die US-Inlandspreise auf Grund des hohen Bedarfs der heimischen Stahlwerke und des nicht ausreichenden Schrottaufkommens um rund 80 US-Dollar pro Tonne, sodass der Absatz im Inland attraktiver war und es darüber hinaus gute Absatzmöglichkeiten außerhalb der Türkei gab.

Im deutschen Markt erhöhten die Verbraucher oberhalb der Mainlinie die Preise um rund 35 bis 45 Euro pro Tonne, unterhalb der Mainlinie um 25 bis 35 Euro pro Tonne. Elektrostahlwerke mit Instandhaltungsarbeiten im Dezember oder Januar kauften dennoch Schrott zu Marktpreisen und verwiesen auf eine durchgehende Schrottannahme während der Stillstandszeiten. Zwecks Lageraufbau haben einzelne Werke die zum Teil für Dezember gekauften Ladungen nicht abgerufen und die Mengen in den kommenden Monat geschoben. Die Tatsache, dass bis zum Redaktionsschluss mehrere Werke versucht haben, Schrott im steigenden Markt zu kaufen, zeigt, dass die Versorgung in vielen Fällen nicht wie gewünscht erfolgt ist. Der weltweit hohe Schrottbedarf resultiert aus einer stark ansteigenden Nachfrage nach Stahl, was bei den Stahlverkaufspreisen ebenfalls zu deutlichen Preissprüngen und erheblich längeren Lieferzeiten geführt hat. In Deutschland ist im Monatsvergleich 2020 zu 2019 die Elektrostahlproduktion seit September kontinuierlich angestiegen und die Produktion der integrierten Hüttenwerke seit Oktober. Beide konnten bei der November-Produktion laut den Daten der Wirtschaftsvereinigung Stahl einen Sprung von 14,1 beziehungsweise 14,7 Prozent vorweisen. Eine Erklärung für die Belebung in Deutschland sind Nachholeffekte, da beispielsweise der Stahlhandel seine leeren Lager aufzufüllen beginnt. Während des ersten Lockdowns und danach erfolgten nur die notwendigsten Bestellungen. Die Automobilindustrie erholt sich zusehends, und auch der Maschinenbau kann teilweise auf eine verbesserte Auftragslage blicken, während das Schrottaufkommen weltweit noch hinter dem schnell steigenden Bedarf liegt. Die zum Teil immer noch praktizierte Kurzarbeit, Produktionsverlagerungen usw. belasten nicht zuletzt das Neuschrottaufkommen in nicht unerheblichem Maße.

Deutschland, Basisjahr 2015 = 100, Quelle: Statistisches Bundesamt/Destatis (Alle Angaben/Zahlen ohne Gewähr)

Dass der Schrott knapp ist und im Verkäufermarkt die Beschaffung zunehmend schwieriger wird, mussten auch Verbraucher erfahren, die zu lange zögerten, einigermaßen marktgerechte Preise zu zahlen. Obwohl inländische Verbraucher ihre Einkaufspreise im Monatsverlauf schrittweise erhöht haben, hinken die Inlandspreise den Exportpreisen hinterher. Seit Ende November sind die Exportnotierungen um rund 120 US-Dollar pro Tonne nach oben geschossen, was umgerechnet in Euro und unter Berücksichtigung des immer schwächer werdenden Dollars rund 90 Euro pro Tonne entspricht. Für den kommenden Monat sind gleichbleibende oder sinkende Preise auszuschließen, denn die ersten Abschlüsse für den kommenden Monat weisen auf Preise hin, wie sie zuletzt Ende 2011 erzielbar waren.

Nachbarländer
Italienische Werke signalisierten einen guten Bedarf. Die deutschen Lieferanten hatten jedoch bei den angebotenen Preiserhöhungen von 20 bis 25 Euro pro Tonne Diskussionsbedarf. Einige Verbraucher zahlten 30 bis 35 Euro pro Tonne. Dennoch war die Lieferbereitschaft wegen der attraktiveren Erlöspreise in Deutschland eher verhalten. Laut Fachpresse zahlten italienische Verbraucher mit dringendem Bedarf ihren inländischen Lieferanten im Berichtsmonat in mehreren Schritten 35 bis 60 Euro pro Tonne mehr als im Vormonat. Ob alle Werke ausreichend versorgt wurden, kann zumindest bezweifelt werden. In Frankreich und Belgien waren die meisten Verbraucher nicht gewillt, mehr als 25 Euro pro Tonne gegenüber November zu zahlen. Die Verkaufsbereitschaft war daher sehr gering. Die Tiefseelager in Belgien und den Niederlanden passten ihre Einkaufspreise seit dem Ende des vergangenen Monats um rund 70 Euro pro Tonne an. Der Verbraucher in Luxemburg bot – nach anfänglichem Zögern – Preiserhöhungen von 40 Euro pro Tonne über alle Sorten an. Obwohl der Bedarf im Dezember wegen kurzer Stillstände reduziert ist und bis zum Redaktionsschluss Verhandlungsbereitschaft besteht, könnte auch hier der Lieferumfang unter den Werkserwartungen bleiben. Die Koordinationsprobleme bei der Schrottanlieferung bestehen weiter. Die schweizerischen Werke versuchten mit einem Aufpreis von 30 Euro pro Tonne verstärkt Mengen aus dem Ausland zu generieren. In Österreich lagen die Preiserhöhungen je nach Sorte und Verbraucher bei 30 bis 35 Euro pro Tonne. Die Preiserhöhungen der tschechischen Verbraucher rangierten bei hohem Bedarf je nach Werk bei 38 bis 43 Euro pro Tonne; die werksseitigen Angebotspreise stiegen im polnischen Markt um 35 bis 40 Euro pro Tonne. Für Shredderschrott lag der Aufpreis darüber. Die britischen Inlandspreise sind um 22 bis 33 Euro pro Tonne gestiegen. Selbst bei den Gießereien konnten, wegen der feiertagsbedingt geringeren Produktion, Preiserhöhungen von rund 28 Euro pro Tonne durchgesetzt werden. Deutlich stärkere Preissteigerungen gab es bei den Exportlagern, die ihre Annahmepreise um 45 bis 55 Euro pro Tonne anhoben.

Gießereien
Wie schon in den Vormonaten, beginnt erfreulicherweise der Schrottbedarf bei einigen Gießereien wieder zu steigen, während andere immer noch das Instrument der Kurzarbeit nutzen und die Stillstandzeiten im Dezember ausdehnen. Die erzielbaren Schrottpreise waren je nach Gießerei sehr unterschiedlich. Bei Herstellern, die an keinen Index gebunden sind, lagen die Preisanpassungen bei 10 bis 30 Euro pro Tonne. Der Schrotthandel beschrieb die Verhandlungen als zum Teil sehr schwierig, denn die Krisensituation dauert – wie erwähnt – bei vielen Gießern an. Ebenfalls deutlich steigende internationale Roheisenpreise belasten zusätzlich die sowieso schwierige Erlössituation der Gießereien, die für die Automobilindustrie produzieren. Die Umstellung auf die E-Mobilität trifft einige Hersteller hart. Nicht immer kann auf alternative Produkte umgestellt werden. Seit Mitte vergangenen Monats ist der Preis für manganarmes russisches Roheisen um rund 145 US-Dollar pro Tonne gestiegen. Abgeschwächt wird die Preisentwicklung lediglich durch einen schwächeren Dollar, wobei der Effekt übersichtlich ist.

Tiefseeexport
Laut offiziellen, dem bvse vorliegenden Informationen, haben türkische Verbraucher bisher knapp 30 Ladungen Schrott zur Lieferung im Januar gekauft; davon entfallen bisher auf den Kontinent 16 Ladungen. Bei einer durchschnittlichen Menge von 35.000 Tonnen pro Schiff wären das knapp 560.000 Tonnen Schrott, die im Januar in die Türkei auszuliefern sind. Hinzukommen verdeckt gekaufte Ladungen, die die vorgenannte Menge nochmals deutlich erhöhen.

Während die Lieferungen per Container in Richtung subindischem Kontinent im Berichtsmonat wegen der geringen Verfügbarkeit von Containern eher schwach waren, steht für Bulkladungen offensichtlich ausreichend Schiffsraum zur Verfügung.

Aussichten
Mit Begriffen wie „irre“, „chaotisch“ oder „unheimlich“ haben die befragten Marktteilnehmer das Geschehen auf dem Schrottmarkt im Dezember beschrieben. Der unerwartete Preisgalopp im Tiefseemarkt, verbunden mit einer starken Schrottnachfrage und einem erhöhten Schrottbedarf der europäischen Werke, hat die Stimmung im Markt von euphorisch auf teilweise panisch kippen lassen. Die Antwort auf die Frage, inwieweit das Schrottangebot mit dem für Januar zu erwartenden Bedarf der europäischen und außereuropäischen Verbraucher Schritt halten kann, verspricht für den kommenden Monat einiges an Spannung.

Die rasante Belebung der Stahlnachfrage in Südostasien, der Türkei oder auch in Nordamerika hat neben schnell ansteigenden Preisen für die stahlerzeugenden Rohstoffe noch schneller steigende Stahlpreise ausgelöst. Die NE-Metallnotierungen erreichten ebenfalls wieder Höhen, die sie seit langem nicht erreichen konnten. Die Frage nach der Nachhaltigkeit stellen sich die Marktteilnehmer immer häufiger. Sie gehen jedoch zumindest bis Februar von einem weiter steigenden Markt aus.

Redaktionsschluss 18.12.2020, BG-J/bvse

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 01/2021, Seite 38, Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de)

 

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