Festlegen oder aufheben? Der Kampf um die Kabotage im Gütertransport

Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft und Gesellschaft weltweit vor enorme Herausforderungen gestellt. Dies war in großem Maße auch in der überwiegend mittelständisch geprägten deutschen Transport- und Logistikwirtschaft zu spüren. Sie stand zudem vor der Alternative: Kabotage weiterführen oder lockern?

Um die zum Teil heftigen Folgen der Krise abzufedern und die Existenz der Unternehmen auch über die Krise hinaus zu sichern, regten in einem Positionspapier vom 29. Mai 2020 die Bundesverbände Möbelspedition und Logistik (AMÖ), Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) und Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL) eine Reihe von Maßnahmen für ein Konjunkturpaket an. Die Liste enthielt neben Steuer- und Abgabensenkung auch etliche Förderprogramme. Das wenige Tage später verabschiedete Corona-Konjunkturpaket folgte in wichtigen Teilen den Forderungen der drei Verbände, die die Beschlüsse der Bundesregierung als grundsätzlich positiv bewerteten. „Die Branche wird davon profitieren“, erklärten die (Haupt-) Geschäftsführer Dierk Hochgesang, Dirk Engelhardt und Markus Olligschläger einmütig.

Für ungestörten Wettbewerb
Dennoch sahen sich die deutschen Transportverbände durch eine weitere Entwicklung illegaler Geschäftspraktiken bedroht, unter anderem durch Unterlaufen der geltenden Kabotageauflagen. Kabotage meint das Erbringen von Transportdienstleistungen innerhalb eines Landes durch ein ausländisches Verkehrsunternehmen beziehungsweise das Recht, dies zu tun. In diesem Zusammenhang hatte schon Mitte April 2020 das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Einhaltung der Kabotagebestimmungen in Deutschland von den zuständigen Kontrollorganen in Deutschland – Polizei, Zoll und Bundesamt für Güterverkehr/BAG – auch während der Corona-Pandemie überwacht werde, um angesichts der angespannten Lage „Störungen des Wettbewerbs zu verhindern“.

Die Regelung, dass für ausländische Transportdienstleister im Anschluss an einen in Deutschland vollständig entladenen, grenzüberschreitenden Transport maximal drei Kabotagebeförderungen innerhalb von sieben Tagen zulässig seien, gelte nach wie vor. Und eine Ausweitung oder gar Aufhebung dieser sogenannten „3 in 7“-Regel sei derzeit nicht vorgesehen. Denn – so das Bundesamt – „es stehen die notwendigen logistischen Kapazitäten durch gebietsansässige Unternehmen zur Verfügung“. Werde den Auflagen nicht entsprochen, drohen Bußgelder von bis zu 200.000 Euro.

Verstöße konstant
Ende Mai überprüfte das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) in Nordhessen und im südlichen Harz die Einhaltung der Kabotagevorschriften bei der Beförderung von Rundholz. Von den insgesamt überprüften 26 Holztransporten durch gebietsfremde Unternehmen wurden neun beanstandet und in sechs Fällen die Missachtung der Kabotagevorschriften festgestellt. Anfang Juli kontrollierten Beamte im sächsischen Torgau drei Tage lang Rundholztransporte, insgesamt elf deutsche und 40 gebietsfremde Fahrzeuge. Hiervon wurden 21 Fahrzeuge beanstandet.

Bei den 27 Kabotagebeförderungen wurden elf Verstöße gegen die Kabotagebestimmungen – davon zehn von polnischen Unternehmen – festgestellt, damit also rund 40 Prozent beanstandet. Ein Anstieg der Karbotageverstöße lässt sich daraus nicht ableiten. Wie Zahlen des BAG belegen, gingen im ersten Quartal 2020 insgesamt 264 Bußgeldbescheide an die betreffenden Unternehmen, während im gleichen Zeitraum 2019 deswegen 279 Bußgelder verhängt wurden. Allerdings lag 2020 die Gesamtsumme der Bußgelder mit 560.000 Euro um rund zehn Prozent höher als im Vorjahr. „Kabotageverstöße auf einem konstanten Niveau“, urteilte und titelte eine Fachzeitschrift.

Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) begrüßte die jüngsten BAG-Schwerpunktkontrollen. BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt dankte für die Ahndung der Kabotageverstöße: „Dies ist ein wichtiger Schritt zur Durchsetzung legaler und fairer Wettbewerbsbedingungen im Straßengüterverkehr. Deshalb stehen auch wir in engem Kontakt mit den Kontrollbehörden; damit der Kontrolldruck gegen illegale Geschäftspraktiken weiter ansteigt.“

Fairness geht vor!
In der Zeit des Überangebots von Transportkapazitäten „fair und solidarisch miteinander umzugehen“: Dazu verpflichteten sich Mitte Juni die Verbände eines „Gütertransportpaktes“. In einer gemeinsamen Erklärung vereinigten sich die Verbände der deutschen Speditions-, Transport und Logistikbranche – AMÖ, BIEK (Bundesverband Paket und Expresslogistik), BGL, BWVL und DSLV (Bundesverband Spedition und Logistik) unter dem Motto „Fairness geht vor!“ Sie appellierten an die Aufsichtsbehörden, ihrer Verpflichtung zur Wahrung und Stärkung des Wettbewerbsmarktes gerecht zu werden, und versprachen, damit auch künftig die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten.

Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de

Einhaltung sorgfältig überprüfen
Wenige Tage später – am 1. Juli 2020 – forderte auch das „Common Office“ in Brüssel ein faires Marktverhalten und eine strenge Durchsetzung der Marktregeln durch die Kontrollbehörden. Neben dem BGL wiesen Fédération Nationale des Transports Routiers (FNTR) und Nordic Logistics Association (NLA) auf die schwierige Situation auf dem Straßentransportmarkt im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise hin. Trotz Produktivitätsrückgang sei ein „weitgehend entgegengesetztes Marktverhalten auf dem Straßen-Güterverkehrsmarkt zu beobachten“.

BGL-Vorstandssprecher Engelhardt betonte, dass „der heutige kurzfristige Nutzen für einige der langfristige Verlust von morgen für alle sein werde“, wohingegen jedes einzelne Transportunternehmen und seine Fahrer gebraucht würden, insbesondere, wenn sich die europäische Wirtschaft wieder erholt habe. Zu diesem Zweck forderte NLA-CEO Erik Østergaard die Kontrollbehörden auf, „die Einhaltung der Vorschriften in diesem Sektor sorgfältig zu überprüfen, um ein faires Marktverhalten aller Beteiligten in der Logistikkette sicherzustellen.“

Mobilitätspaket begrüßt
Rund eine Woche später stellte die Europäische Union dafür die Weichen. Am 9. Juli verabschiedete das EU-Parlament ein Mobilitätspaket, das bessere Wettbewerbsbedingungen, klarere und einheitlichere EU-Vorschriften für die Entsendung von Fahrern, eine bessere Bekämpfung illegaler Praktiken sowie sozialere Vorschriften für die Ruhezeiten der Fahrer gewährleisten soll. Dies sei ein sehr positiver Tag für den europäischen Straßengüterverkehr, freute sich Erik Østergaard: „Dieses Paket wird Briefkastenfirmen, Sozial­dumping und systematischen Kabotage-Operationen ein Ende setzen.“

Die BLV-pro-Initiative
Der Burgfriede ist damit aber noch nicht eingekehrt. Schon im März hatte der deutsche Verkehrsminister, Andreas Scheuer, eine Liberalisierung der Kabotage eingeführt, aber schnell wieder zurückgenommen. Im Juni 2020 plädierte auch der französische Verkehrsverband OTRE für eine vor­übergehende Kabotage-Aussetzung. Und im gleichen Monat organisierte die BLV-pro-Initiative eine erste Demonstration in Berlin. Dieser Zusammenschluss kleiner und mittelständischer Unternehmen aus dem Güterkraftverkehrsbereich wollte mit einem sechs Kilometer langen Lkw-Korso auf Belastungen wie Preisverfall und ungünstige Rahmenbedingungen in der Transport- und Logistikbranche aufmerksam machen. Zudem ging der Initiative die Umsetzung des Pakets, deren Auswirkungen erst in frühestens zwei Jahren zu spüren seien, zu langsam voran. „Der ruinöse Wettbewerb wird bis dahin nach unseren Schätzungen bis zu 5.000 Frachtführer zum Aufgeben zwingen“, werden die Organisatoren der Demonstration zitiert.

Für einen Kabotage-Stopp
Ihre Forderungen betreffen unter anderem härtere Strafen bei Verstößen gegen EU-Kabotage-Vorgaben und gezielte Großkontrollen hinsichtlich Kabotage-Regelungen bei Automobilwerken, Versandhäusern und Lebensmittelkonzernen, aber auch einen Kabotage-Stopp für die Dauer von sechs Monaten, wie es Artikel 10 der EU-Verordnung 1072/2009 festlegt: „Im Fall einer ernsten Marktstörung im innerstaatlichen Verkehr innerhalb eines bestimmten geografischen Gebiets, die auf die Kabotage zurückzuführen ist oder durch sie verschärft wird, kann sich jeder Mitgliedstaat an die Kommission wenden, damit Schutzmaßnahmen getroffen werden.“

Der zweiten Demonstration der BLV-pro-Initiative Ende Juli, an der nur rund 250 Lkw-Lenker teilnahmen, blieb die politische Anerkennung ebenso versagt wie die Teilnahme von Vertretern der großen Branchenverbände. Florian Geuter, Disponent bei Schilling Transport GmbH, beschrieb die fehlende Einigkeit im Güterkraftverkehr mit den Worten: „Im Gegensatz zu den Landwirten gönnt der eine Spediteur dem anderen nicht mal den Dreck unterm Fingernagel.“

Wie Leerfahrten vermeiden?
Von einer Umsetzung fairen Marktverhaltens bei allen Beteiligten in der Logistikkette kann daher noch keine Rede sein. Durch die Uneinigkeit der Branche wird auch die ursprüngliche Intention der EU-Kommission im Jahr 2014 konterkariert, die Kabotage-Beschränkungen, die zu Kosten in Höhe von etwa 50 Millionen Euro jährlich führen, möglicherweise zu lockern oder gänzlich aufzuheben, um die Zahl der Leerfahrten zu verringern und die Effizienz des Straßengüterverkehrs zu erhöhen. Denn der hohe Leerfahrtenanteil sei nicht auf mangelnde Ladung zurückzuführen, sondern auf Beschränkungen bei Kabotage-Beförderungen, die es den Unternehmen unmöglich machen, ihre Transporte erfolgreich durchzuführen.

(EU-Recycling 09/2020, Seite 12, Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de)

 

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