Das „ABC“ zur Nutzung biogener Abfälle und Nebenprodukte
Ob Gärreste, Stroh oder Klärschlamm: Derzeit werden biogene Abfälle und Nebenprodukte als Futtermittel genutzt, verbrannt oder entsorgt. Inwieweit sie künftig erdölbasierte Rohstoffe – etwa für Kunststoffe – ersetzen könnten, loteten alchemia-nova, die ÖGUT, scenario editor und die Universität für Bodenkultur Wien im Projekt „ABC – Austrian BioCycles“ aus.
Dazu untersuchten sie zunächst die in Frage kommenden Stoffströme. Hierbei stellen hinsichtlich Feuchtmasse Gülle, Grünfutter und Strohreste die größten Stoffmengen in der Landwirtschaft dar. In der weiterverarbeitenden Industrie ist dies für Reststoffe der Molkereien, der Zuckerindustrie und der Tierverarbeitung der Fall. Aus der Energie- und Abfallwirtschaft kommen kommunale Abwässer, Holzabfälle, Ablaugen aus der Zellstoffindustrie sowie Energieholz hinzu. Unter dem Aspekt der Trockenmasse stehen theoretisch nutzbare Mengen an Holzabfällen (23 Prozent), Energieholz und Grünfutter (jeweils 15 Prozent), Gülle (12 Prozent), Stroh (11 Prozent) sowie zusätzlich insgesamt 24 Prozent an weiteren biogenen Energieträgern, biogenen Stoffströmen, Aschen und Schlacken, Ablaugen, Biogasen, Hausmüllanteilen, Abwässern und Zuckerreststoffen zur Verfügung.
Erdöl basierende Produkte ersetzen
„Diese Reststoffe sollen möglichst effizient und vollständig zu Produkten weiterverarbeitet werden, die bisher auf Erdöl basierende Chemikalien, Grundstoffe und Produkte ersetzen sollen.“ Die Studie konzentrierte sich daher auf das stoffliche Potenzial an sekundärer Biomasse in Österreich – mit gutem Grund: Müssten biogene Rohstoffe eigens angebaut werden, bräuchte man laut einer Vorgängerstudie von alchemia-nova und scenario editor dafür die 1,5-fache Agrarfläche Österreichs. „Mit primärer Biomasse kann es sich also nicht ausgehen“, resümiert Studienleiterin Veronika Reinberg von alchemia-nova.
Doch mit Sekundärrohstoffen ergibt sich – jedenfalls theoretisch – ein enormes Potenzial: Insgesamt könnten biogene Abfälle und Nebenprodukte mengenmäßig die erdölbasierten Stoffe sogar 2,4-fach ersetzen. „Alleine mit dem Sekundärrohstoff Lignocellulose, einem Nebenprodukt der Papier- und Zellstoffproduktion, könnten wir mengenmäßig fast drei Viertel des stofflich genutzten Erdöls und noch dazu alle Kunststoffe in Primärform ersetzen, zumindest in der Theorie, denn in der Praxis ist das noch nicht umsetzbar“, erklärt Reinberg.
Auswahl für genauere Analysen
Zu diesem Zweck nahmen die Mitarbeiter im Austrian BioCycles zunächst die verschiedenen Nebenprodukte aus der Land- und Forstwirtschaft, der biobasierten Industrie und der Energiewirtschaft und auch Stoffströme in Abfallfraktionen, in Abwässern und in Düngemittelmengen unter die Lupe. Schließlich wurden von 79 Stoffmengen 28 für genauere Analysen ausgewählt, quantitativ abgeschätzt und die Datenquellen auf Validität geprüft. Bei den Feuchtmassen der relevanten Stoffströme stehen besonders Abwässer und Gülle mengenmäßig im Vordergrund; potenziell liefern aber auch Ablaugen, Energiehölzer, Holzabfälle, Gemüsereststoffe, Stroh und andere biogene Energeträger über eine Million Tonnen pro Jahr. Bei den Trockenmassen stechen insbesondere (derzeit energetisch genutzte) Holzabfälle hervor, aber auch Energiehölzer, Grünfutter, Gülle und Stroh ergeben jährliche Restmengen zwischen 1,6 und 2,7 Millionen Tonnen.
Betrifft: vielversprechende Grundstoffe
Zur Behandlung von biogenen Abfällen und Nebenprodukten stehen eine Reihe von Verarbeitungsverfahren zur Verfügung, darunter mikrobielle Prozesse unter Einsatz von Mikroorganismen oder thermochemische Vorgehensweisen wie Vergasung, Pyrolyse oder hydrothermale Verflüssigung. Gleichzeitig muss bei deren Auswahl die weitere Nutzung biobasierter Moleküle hinsichtlich ihrer industriellen Wertschöpfung im Auge behalten werden.
Daher sahen die Forscher das höchste Potenzial in der Nutzung von PLA für Lebensmittelverpackungen und Mulchfolien, in der Gewinnung von Chemikalien aus Lignocellulose und in der Herstellung von auf Ölen basierenden Schmiermitteln. Die 28 biogenen Reststoffe wurden daraufhin untersucht, ob sie vielversprechende Grundstoffe wie Ethanol, Furane wie 5-HMF und 2,5-FDCA, Milchsäure, Bernsteinsäure, Pyrolyse-Öl, Bioöl, PHAs (Polyhydroxyalkanoate) oder Lignin enthalten.
Beispielsweise: Lignocellulose
So setzt sich – um ein Beispiel zu nennen – das relevante Potenzial an Trockenmasse für Lignocellulose aus 6,3 Millionen Tonnen Holzabfällen, 2,7 Millionen Tonnen Energieholz, 1,6 Millionen Tonnen Stroh sowie kleineren Mengen aus Obstanbau und Rebschnitt zusammen, insgesamt 10,6 Millionen Tonnen. Je nach Bioraffinade-Verfahren lässt sich daraus unter anderem Lignin abtrennen, dann Cellulose zu Glucose verzuckern und schließlich Glucose zu Ethanol fermentieren.
Durch Pyrolyse können laut Studie 2,97 Millionen Tonnen PEF (Polyethylenfuranoat) gewonnen, durch hydrothermale Verflüssigung 2,94 Millionen Tonnen Bio-Öl zur Verfügung gestellt oder Stroh zu Dämmstoff verarbeitet werden, was 181.000 Tonnen an Styropor substituieren würde. Ein anderer zu gewinnender Wertstoff ist Lignin: Er fällt als Nebenstrom der Zellstofferzeugung an, lässt sich aus der Ablauge gewinnen und ist für die Herstellung von Thermoplasten, Harzen und phenolischen Verbindungen geeignet. Er wäre in Österreich in einer Menge von 555.000 Tonnen verfügbar.
Vertiefende Untersuchungen notwendig
Die 28 ausgewählten Biomasse-Ströme wurden auf diese Art und Weise untersucht. Danach verteilen sich deren 18,51 Millionen Tonnen Trockenmasse vor allem auf Lignocellulose (10,90 Millionen Tonnen), einen Teil der Grünen Biomasse (2,61 Millionen Tonnen) und Gülle (2,31 Millionen Tonnen), gefolgt von Biomüll und Ablauge aus Zellstoff-Herstellung. Freilich stehen diese Ströme in Abhängigkeit zueinander und/oder können sich durch Konsumverhalten verändern. Zudem wurden Klärschlämme und biogene Aschen nicht in die Liste aufgenommen, genauso wie Reststoffe der Lederindustrie, Melasse, textile Abfälle, industrielle Abwässer und Reststoffe aus Handel und Gastronomie unberücksichtigt blieben. Darüber hinaus muss das errechnete Substitutionspotenzial deutlich niedriger veranschlagt werden, da viele Abfall- und Nebenströme momentan energetisch oder als Tierfutter genutzt werden, zu denen jede neue Nutzungsform in Konkurrenz steht: „Damit wir sagen können, welche Stoffe tatsächlich in welchen Mengen zur Verfügung stehen, braucht es vertiefende Untersuchungen“, erklärte ÖGUT-Projektleiterin Erika Ganglberger.
Potenziale erkannt
Während des Projektes befragte Experten erkannten immerhin bei Stroh, Bioabfällen, Gülle und kommunalen sowie industriellen Klärschlämmen und Abwasser Potenziale und sahen bestimmte Lignocellulose-Fraktionen als vielversprechend an. In einem Workshop wurde betont, dass eine vermehrte Nutzung sekundärer Biomassen volkswirtschaftlich und im Hinblick auf die Regionalentwicklung in jedem Fall positiv wäre – damit die Produkte am freien Markt bestehen können, brauche es jedoch eine CO2-Bepreisung. Für die Zukunft könne sich freilich die biobasierte Industrie zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor entwickeln und zur Wertschöpfung im nationalen und europäischen Raum beitragen, betonte Ganglberger: „Vorhandene Rohstoffe könnten vor Ort und unter Einsatz heimischer Fach- und Arbeitskräfte genutzt werden, um fossile Rohstoffe zu ersetzen.“ Dabei werden die Politiker auch ein Wort mitzureden haben, um Einfluss auf die stoffliche Nutzung von Biomasse zu nehmen. Denn wie es im Schlusskapitel der Studie heißt: „In der Vergangenheit wurde die energetische Nutzung in Österreich stark bevorzugt, was im Widerspruch zur Kreislaufwirtschaft und der Abfallhierarchie steht.“
Die Studie „Austrian BioCycles. Biobasierte Industrie als Bestandteil der Kreislaufwirtschaft“ kann unter https://nachhaltigwirtschaften.at/resources/nw_pdf/schriftenreihe/schriftenreihe-2020-13-austrian-biocycles.pdf heruntergeladen werden.
(EU-Recycling 09/2020, Seite 34, Foto: O. Kürth)