Richtung Normalität

Die Preiserhöhungen lagen für die beiden Monate August und September im Durchschnitt bei allen Stahlwerken bei 20 bis 25 Euro pro Tonne. Werke mit Nachholbedarf boten für September mehr als die üblichen 10 bis 15 Euro pro Tonne an, um sich mit den gewünschten Mengen eindecken zu können, insbesondere bei bestimmten Sorten. Teile des Handels waren mit höheren Preiserwartungen in die Monatsverhandlungen gegangen, die sich jedoch nicht realisieren ließen. Verbunden mit einem steigenden Schrottbedarf, begann sich die Stahlproduk­tion im September zu erholen.

Der Handel hatte Mühe, die verkauften Mengen zeitnah zu beschaffen. Da die Industrieproduktion immer noch deutlich hinter der Auslastung vor dem Pandemieausbruch hinterherhinkt, hängt auch das Schrottaufkommen um rund 30 Prozent hinter dem vorgenannten Zeitpunkt zurück. So sind die Automobilhersteller noch weit entfernt von einem normalen Produktionsniveau, und der angestrebte Strukturwandel zur Elektromobilität hat vor allem negative Folgen für weite Teile der Zulieferindus­trie. Erste Ankündigungen über Entlassungen oder Betriebsstilllegungen geben einen Vorgeschmack.

Darüber hinaus wartet der deutsche Maschinenbau auf positive Nachfrageimpulse aus dem In- und Ausland. Protektionistische Maßnahmen verstärken die Schwierigkeiten des deutschen Aushängeschilds, für den Export ein normales Niveau zu erlangen. Nach Aussage des Handels werden zum Teil Industrieabbrüche wegen des schwierigen Marktumfeldes verschoben, während sich die Baustellentätigkeit belebt. Viele Unternehmen erklärten zudem, das Sammelschrottaufkommen ließe zu wünschen übrig, da insbesondere die Haushalte und kleine Gewerbetreibende ihre Aufräumarbeiten in Haus und Hof während des Shutdowns abgeschlossen hätten. In der Folge war ein Mangel an Vormaterial für die Aggregate spürbar. Insbesondere spiegelte sich in dem niedrigen Späneaufkommen das schwierige wirtschaftliche Umfeld vieler metallverarbeitender Betriebe wider. Ein lebhafter Export unterstützte im ersten Drittel des Monats die positive Preisentwicklung, förderte aber auch den Schrottabfluss.

Deutschland, Basisjahr 2015 = 100, Quelle: Statistisches Bundesamt/Destatis (Alle Angaben/Zahlen ohne Gewähr)

Nachbarländer
Trotz der Ferienzeit ist die Stahlproduktion in Italien bereits im August gestiegen, und im September waren viele Stahlwerke am Start. Sie konnten ihren Bedarf jedoch weitgehend aus den Lieferungen inländischer Händler decken, die eine Preiserhöhung von 5 Euro pro Tonne als ausreichend ansahen. Ihren deutschen Schrottanbietern boten die meisten Verbraucher rund 10 Euro pro Tonne mehr gegenüber August an, was zu einer reduzierten Lieferbereitschaft führte, da der Preis vom deutschen Inlandsniveau zu weit entfernt war. Da die Werke im laufenden Monat weitere Stahlpreiserhöhungen im Langstahlbereich angekündigt haben, deutet sich ein zusätzlicher Schrottbedarf aus den Nachbarländern im kommenden Monat an, zumal die inländischen Schrottlager den September für einen Bestandsabbau genutzt haben. Die beiden großen tschechischen Verbraucher erhöhten ihre Einkaufspreise um rund 15 Euro pro Tonne, die polnischen lediglich um 6 bis 8 Euro pro Tonne, da sie im August die Preise deutlicher erhöht hatten als die Werke in den Nachbarländern. Aus Österreich wurden Aufschläge für Altschrotte von 20 Euro pro Tonne und für Neuschrotte von 15 Euro pro Tonne gemeldet. Ausländische Lieferanten erhielten ebenfalls 15 Euro pro Tonne mehr für alle Sorten. Der Schrottbedarf der schweizerischen Stahlwerke lag über dem Augustniveau. Mit Preiserhöhungen bis zu 15 Euro pro Tonne erfolgten Zukäufe aus Deutschland und Österreich. Eines der Werke meldete einen normalen Bedarf, bei dem anderen scheint sich die Nachfrage zumindest zu stabilisieren. Französische und belgische Werke zahlten die im September in allen deutschen Nachbarländern üblichen Aufpreise von 10 bis 15 Euro pro Tonne gegenüber dem Vormonat. Bei einem erfreulich hohen Schrottbedarf, aber massiven logistischen Problemen passte der Verbraucher in Luxemburg seine Preise um 15 Euro pro Tonne an. Wegen Kürzungen des Bahnkontingents sollte ein Großteil der gekauften Mengen per Lkw angeliefert werden, was für beide Seiten eine Herausforderung war und immer noch ist. Im Vereinigten Königreich erhöhten die Abnehmer die Preise um rund 11 Euro pro Tonne, wobei einige Stahlwerke wegen ihres steigenden Bedarfs etwas mehr zahlen mussten. Die Gießereien begrenzten die Preiserhöhung wegen ihrer schlechten Auftragslage auf 5 Euro pro Tonne.

Gießereien
Im Gegensatz zur Rohstahlproduktion konnte der Handel bei den Gießereien noch keine Belebung ausmachen. Nach wie vor sind die Themen Kurzarbeit und verringerte Schichten in vielen Gießereien das wichtigste Thema. Gießereien, die an keinen Preisindex gebunden sind, erhöhten ihre Einkaufspreise um rund 10 Euro pro Tonne.

Tiefseeexport
Mit einer rund 14-tägigen Kaufpause wollten die türkischen Importeure das Kaufpreisniveau abschwächen. Erst bei Redaktionsschluss haben sie damit begonnen, ihren noch auf rund zehn Ladungen geschätzten restlichen Zukaufbedarf für Oktober einzudecken. Aus Europa soll es am 23. September 2020 nach Informationen aus Handelskreisen zu vier Abschlüssen gekommen sein, bei denen der Preis für die Sorte HMS 1/2 (80:20) um bis zu 5 US-Dollar pro Tonne unter dem letzten EU-Preisniveau in Höhe von 292 bis 293 US-Dollar pro Tonne gelegen hat.

Leicht rückläufige Frachtkosten und der festere US-Dollar ermöglichen es den kontinentaleuropäischen Exporteuren, der türkischen Seite etwas entgegen zu kommen. Die meisten Marktteilnehmer erwarten angesichts der oben beschriebenen noch vorhandenen Schere zwischen Schrottnachfrage und Schrottaufkommen in Europa keine deutlichen Preiskorrekturen. Sie gehen vielmehr für die Lieferungen im November von einer weiterhin konstanten und guten Schrottnachfrage der türkischen Stahlwerke im Oktober aus. Mit einer Rückkehr der Verbraucher vom indischen Subkontinent, wird ebenfalls gerechnet. Belastend und von den möglichen Auswirkungen nicht vorhersehbar sind politische Eskalationen, die wieder stark ansteigende Infektionsrate von Covid-19 in vielen Ländern oder Währungsturbulenzen.

Schlussbemerkungen
Die seit August in Deutschland und der EU bereits in Betrieb genommenen beziehungsweise kurz vor der Inbetriebnahme stehenden Hochöfen, die wegen der Pandemie außer Betrieb gesetzt wurden, deuten auf eine Belebung der Flachstahlnachfrage hin. Der Bedarf an Neu- oder Qualitätsschrotten wird davon nicht unberührt bleiben. An Rhein und Donau beeinträchtigt Niedrigwasser die An- und Auslieferungen per Schiff, und laut Wettervorhersage kann vorerst nicht mit einer Verbesserung gerechnet werden.

Die Wirtschaftsinstitute und das Wirtschaftsministerium geben insgesamt einen verhalten positiven Ausblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland für den Rest des Jahres. Für den kommenden Monat erwarten die Marktteilnehmer unveränderte oder leicht steigende Schrottpreise, wobei der eine oder andere Abnehmer sowieso noch Korrekturbedarf haben dürfte, um sich dem allgemeinen Preisniveau anzupassen.

Redaktionsschluss 23.09.2020, BG-J/bvse

(EU-Recycling 10/2020, Seite 40, Foto: O. Kürth)

 

Anzeige