Meinung: Wie nützlich ist SCIP für die Abfallwirtschaft in Europa?
Die Hersteller müssen bedenkliche Stoffe in ihren Produkten kennzeichnen und in die von der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) entwickelte Datenbank eintragen. Aufgrund der großen Menge an Daten und der Komplexität von SCIP erweist sich dies sowohl für die Produzenten als auch für die Recyclingindustrie als problematisch.
Wieso, erklärt ein Fachbeitrag von Beate Kummer (Kummer:Umweltkommunikation GmbH), Henning Friege (N³ Thinking Ahead Dr. Friege & Partners), Barbara Zeschmar-Lahl (Leuphana Universität Lüneburg/BZL Kommunikation und Projektsteuerung GmbH) und Jörg Wagner (Intecus GmbH).
Die Europäische Kommission hatte sich mit dem siebten Umweltaktionsprogramm bis 2020 zwei wichtige Ziele gesetzt. Zum einen wird eine Minimierung der Exposition gegenüber Chemikalien in Produkten und die Förderung nicht-toxischer Materialkreisläufe angestrebt, um den gesundheitlichen Schutz der EU-Bürger vor umweltbedingten Belastungen und Risiken zu gewährleisten. Das zweite Ziel sieht die Umwandlung der Union in eine ressourceneffiziente, grüne und wettbewerbsfähige Wirtschaft mit geringem Kohlenstoffausstoß vor. Dieses wird durch höhere Recyclingquoten sowie mit sogenannten schadstofffreien Materialkreisläufen („non-toxic material cycles“) angestrebt.
Die Kommission arbeitet daran, gefährliche Stoffe in Produkten zu minimieren. Wenn bedenkliche Stoffe jedoch entfernt werden sollen, muss kenntlich gemacht sein, welche überhaupt enthalten sind. Um diese Kenntnis zu gewährleisten, wurde eine Informationspflicht für Hersteller von Produkten über darin enthaltene gefährliche Stoffe (SVHC – substance of very high concern) bei der Novellierung der Abfallrahmenrichtlinie (WFD – Waste Framework Directive) im Jahr 2018 eingeführt, die nunmehr (Startpunkt 5. Januar 2021) umzusetzen ist. Für alle EU-Mitgliedstaaten gelten die chemikalienrechtlichen Vorgaben der REACH- und CLP-Verordnung unmittelbar. Die Verwertung von Abfällen soll laut Abfallrahmenrichtlinie möglichst umweltverträglich erfolgen. Zudem sollen dem Stoffkreislauf Schadstoffe entzogen werden. Die Richtlinie gilt nicht unmittelbar, sondern ist von den Mitgliedstaaten auszufüllen, was in Deutschland mit der Novelle des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) erfolgt ist.
In der Praxis erweist sich die Umsetzung dieser Informationspflicht jedoch als schwierig, weil vor allem bei Abfällen die darin enthaltenen Produkte nicht oder nicht vollständig bekannt sind und diese meist auch keinen Hinweis auf enthaltene „Schadstoffe“ enthalten. Selbst wenn die Zusammensetzung bekannt ist, gehen mit der Ausschleusung der Schadstoffe erhebliche technische Schwierigkeiten einher. Hinter der Verpflichtung aus Art. 9 Abs. 1 WFD steht der Gedanke, dass die Recyclingbranche Daten der Produzenten über kritische Inhaltsstoffe für den Aufbereitungsprozess nutzen kann. Die Hersteller müssen bedenkliche Stoffe in ihren Produkten kennzeichnen und in die von der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) entwickelte Datenbank SCIP [Substances of Concern in articles as such or in complex objects (Products)] eintragen. Aufgrund der großen Menge an Daten und der Komplexität der Datenbank erweist sich dies sowohl für die Produzenten als auch für die Recyclingindustrie als problematisch. Doch welche Daten werden überhaupt benötigt, um eine Entscheidung über die Verwertbarkeit von kontaminiertem Abfall zu treffen, und welche Daten sind von SCIP zu erwarten?
Essenzielle Aspekte
Um die Verwertbarkeit einschätzen zu können und vor allem, um bestimmte Materialien erneut und vor allem sicher in den Stoffkreislauf einzuführen, benötigt die Recyclingindustrie Informationen zum Hersteller und zum Produktionsjahr. Ein weiterer essenzieller Aspekt ist natürlich die Information über in den Produkten enthaltene bedenkliche Stoffe (SVHC). Anhand von zwei ausgewählten Beispielen lässt sich ein Eindruck davon gewinnen, ob und inwieweit diese Informationen vorhanden sind und welche Schwierigkeiten in der Praxis bestehen:
Über die EU-Bauproduktenverordnung ist geregelt, dass Informationen zu darin enthaltenen bedenklichen Stoffen vorhanden sein und vorgelegt werden müssen. Die betreffenden Bauprodukte/Bauteile lassen sich dann bei der Demontage analysieren und kontrollieren. Nun findet die Entsorgung zum Beispiel von Bodenbelägen aus PVC (ggf. Hoher Gehalt an mittlerweile verbotenen Weichmachern) allerdings zum einen über den Sperrmüll, zum anderen über Container auf Baustellen statt. Dabei werden diese mit anderen Abfällen vermischt, wodurch eine Identifizierung des Erzeugers und damit ein Rückgriff auf die Datenbank nicht mehr möglich sind.
In Elektro- und Elektronikgeräten, die der WEEE-Richtlinie unterliegen, sind schadstoffhaltige Bauteile beziehungsweise Batterien mit einer hohen Energiedichte enthalten, diese werden in Demontagebetrieben abgetrennt. Dabei können beispielsweise Kühlmittel (FCKW, HFKW, Pentan) aus Gefriergeräten durch einen Code auf dem Kompressor identifiziert werden, Flammenschutzmittel in den Kunststoffgehäusen von TV-, TK-, IT-Geräten etc. jedoch nicht. Daher ist unklar, ob und welche Kunststoffe eine Belastung mit Schadstoffen aufweisen, die nach CLP eingestuft sind. Für die stoffliche Verwertung von Kunststoffteilen aus solchen Geräten sind darüber hinaus Informationen zu weiteren Additiven erforderlich, um ein hochwertiges Granulat herzustellen. Denn sonst hat man ein Plastikgemisch, das nur für Anwendungen wie Bakenfüße brauchbar ist.
Wird ein Gerät für die Wiederverwendung vorzeitig aussortiert, so wird es nach der WEEE- Richtlinie repariert; die Angaben zu Hersteller und Produktionsjahr bleiben erhalten. Im Falle des Recyclings hingegen kann nach Umschlag und Transport in Containern zumeist nur die Geräteart (z. B. Küchenmixer, elektrisches Spielzeug) festgestellt werden, jedoch nicht der Hersteller und das Produktionsjahr. Diese Informationen sind jedoch für die Suche in der SCIP-Datenbank erforderlich. Es wird deutlich, dass wesentlich mehr Informationen – sowohl über SVHC-haltige Produkte als auch über SVHC-freie Produkte in Abfällen – zur Verfügung stehen müssen, um den hohen Anforderungen an stoffliche Verwertung nachzukommen. Zudem zeigt sich, dass eine Verbindung zwischen den früher hergestellten Produkten und der Datenbank fehlt.
Auch wenn bei einer Konsultation zu der Schnittstelle zwischen Chemikalien- und Abfallrecht grundsätzliche Einigkeit für mehr Rückverfolgbarkeit, eine Verbesserung des Schutzes der menschlichen Gesundheit sowie für mehr Umweltschutz und eine Verwendung von schadstofffreien Sekundärrohstoffen bestand, gab es von Seiten der Produzenten wie auch der Recycler Unsicherheiten beim Erlass zur Einführung der neuen Datenbank, weil die Nutzung eines solchen Systems bei einer gemischten Erfassung der Abfälle und den gängigen Aufbereitungsprozessen im Tonnenmaßstab oft sehr schwierig ist. Zudem werden unbeabsichtigte Kontaminationen im Abfallstrom nicht berücksichtigt. Insbesondere in den Abfallströmen des Haushalts und dem Gewerbeabfall wird nicht zwischen bedenklichen und unbedenklichen Stoffen unterschieden. Das Erkennen von Produkten sowie eine Verbindung zwischen SCIP und den Etiketten auf den Produkten ist daher essenziell, um Recyclingprozesse durchzuführen, die zu Sekundärmaterialien führen, welche mit Primärmaterialien konkurrenzfähig sind.
Produkte mit einer Kennung versehen
Getrennt gesammelte Abfälle, wie Verpackungen aus Haushalten oder Kunststoffabfälle der Baubranche, müssen zunächst von störenden Materialien (z.B. Holzpartikel in einer Kunststoff-Fraktion) befreit werden. Erst dann können Materialien mit potenziell enthaltenen Schadstoffen abgetrennt werden. Allerdings sind diese dann meist nicht mehr identifizierbar, sodass SVHC-Bestandteile nicht ordnungsgemäß entfernt werden können. Es ist daher erforderlich, dass alle Produkte mit einer Kennung (QR-Code?) versehen werden, die von Maschinen lesbar ist und Rückschlüsse für die Erstbehandlung ermöglicht. Auch wird man über die Einführung von Sanktionen zur Durchsetzung der geforderten Maßnahmen nachdenken müssen.
Die Wiederverwendung von Abfällen als Ressourcen ist ein zwingend notwendiger Teil der Kreislaufwirtschaft, wenn diese ohne Nachteil genutzt werden können. Daher wird die Bedeutung des Umgangs mit kontaminierten Materialien (SVHC oder bereits regulierte beschränkte Stoffe) weiter zunehmen. Somit wird es immer wichtiger, sowohl Anwendungen zu entwickeln, in denen Sekundärmaterialien mit einem bestimmten Gehalt an kritischen Verbindungen sicher verwendet werden können, als auch Änderungen des Produktdesigns hinsichtlich der verwendeten Materialkombination in Betracht zu ziehen (Produktpass).
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 05/2021, Seite 6, Foto: O. Kürth)