Kunststoff-Rasen wird grüner

Es ist noch nicht lange her, da stand Kunstrasen in der Diskussion. Eine Studie hatte aufdeckt, dass der Abrieb von Kunststoffrasen eine „relevante Emissionsquelle für Mikroplastik“ darstellt. Und die FIFA urteilte 2017: „Ein komplettes ‚geschlossener-Kreislauf‘-Verfahren muss noch entwickelt werden, und das wird sicherlich noch mehr Unterstützung der Rasen-Hersteller bei der Realisierung brauchen.“ Die Branche hat darauf reagiert.

Foto: FormaTurf GmbH

Die Hersteller von Kunstrasen wollen ihr Produkt neu definieren. Dazu setzen sie bei der Herstellung in zunehmenden Umfang nachwachsende Rohstoffe ein. Die Polytan GmbH beispielsweise bezieht ihr Material von Braskem. Dieses brasilianische Chemieunternehmen baut gentechnikfreies Zuckerrohr auf 2,4 Prozent des brasilianischen Ackerlands an und setzt jeweils die Hälfte der Ernte zur Gewinnung von Zucker, dessen Abfälle sogar genutzt werden, beziehungsweise für die Herstellung von Ethanol ein.

Laut der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller ist das aus Ethanol gewonnene biomasse-basierte Polyethylen (Bio-PE) chemisch strukturgleich mit dem mineralöl-basierten PE. Seine Produkte sind zu 100 Prozent recyclingfähig, auch wenn die Rezyklate als Lebensmittelverpackungen nicht zugelassen werden. Darüber hinaus verfügt Bio-Polyethylen über einen CO2-Senke von minus 2,77 Tonnen im Gegensatz zu einem Fußabdruck von plus 1,93 Tonnen CO2 beim konventionellen Polyethylen. Dieses CO2-Potenzial verbraucht sich durch den Transport nach Deutschland, die hiesige Fabrikation und den Transport des Neurasens zum Stadion.

Zu 100 Prozent klimaneutral
Darüber hinaus – betont Friedemann Söll, Geschäftsführer der Polytan GmbH – erfolgt die Herstellung von Kunststoffrasen in seinem Unternehmen unter Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen, durch optimierte Produktionstechnologien und -abläufe sowie mithilfe eines verbesserten Produktdesigns. All diese Faktoren gegeneinander aufgerechnet lassen somit Kunststoffrasen „zu einem zu 100 Prozent klimaneutralen Rasenbelag“ werden. So soll der „Ligaturf Cross GT Zero“ der weltweit einzige als klimaneutral zertifizierte Kunstrasen sein, den auch die International Sustainability & Carbon Certification (ISCC) hinsichtlich Produkt und Verarbeitungskette anerkennt.

Foto: FormaTurf GmbH

Außerdem verwendet Polytan nach eigener Darstellung „ausschließlich werkstofflich recycelte Kunststoffregranulate“. Zukünftig will das Unternehmen mit großen Recycling- und Regranulierungs-Unternehmen zur Optimierung des Materials und der Separierungstechnologien kooperieren, den Anteil an eingesetztem Material aus post-consumer Resulting-Material auf über 20 Prozent steigern und rohstoffliches Recycling hinsichtlich CO2-Bilanz evaluieren.

Ein ganzheitliches Recycling
Unter dem Strich versucht die Sport Group, erklärte deren Business Development Manager Wolfgang Beck, ein ganzheitliches Recycling von Kunstrasenplätzen zu realisieren. Die zum Unternehmen gehörende Firma FormaTurf hat dazu ein Recyclingsystem entwickelt und baut zurzeit an einer 20.000 Quadratmeter großen Anlage in Essen, in der alter Kunststoffrasen nachhaltig und umweltbewusst aufbereitet wird und wieder eingesetzt werden kann.

Die Rede ist von Großspielfeldern mit 7.000 Quadratmetern Umfang mit jeweils rund 200 Tonnen an Stoffen, die ein Dutzend Jahre oder mehr durch Sport beansprucht und durch Witterung und UV-Strahlung bearbeitet wurden. Und die eine jeweils unterschiedliche Materialzusammensetzung aufweisen, weshalb es angebracht ist, vor jedem Ausbau den alten Rasen einem umfangreichen Testverfahren zu unterziehen. Eine erste Probe sollte bereits im Vorfeld gezogen werden, um den richtigen Entsorgungsweg bestimmen zu können. Eine zweite nach der Ankunft des Rasens im Werk und eine dritte aus den neuen Produkten, die aus dem alten Kunstrasen entstanden sind.

Reinheitsgrad von 99 Prozent
Dazu steht für den alten Rasen der Abtrag durch das Cut-and-Roll-Verfahren an, also durch Schneiden und Aufrollen in Streifen. In der Behandlungsanlage in Essen soll dieses Material zunächst ausgeklopft werden, um Sand und Infill-Granulat vom Rasenteppich zu trennen. Sand und Granulat werden zwischengelagert oder das Gemisch in einem geschlossenen Wasser-Kreislauf gewaschen, bevor es Hydrozyklonen und Wendelscheider trennen; damit soll ein Reinheitsgrad von 99 Prozent erreicht werden. Der nasse Sand durchläuft später eine Trocknungsanlage und kann als Schüttgut oder in BigPacks wieder auf einem Spielfeld Verwendung finden.

Am Ende echte Produkte
Der von Sand und Infill gereinigte Kunststoffteppich wird zunächst geschreddert und dann in einem speziellen Zerkleinerer auf 20mm-Granulat reduziert. Eine Mischanlage vermengt schließlich dieses Granulat mit dem gesäuberten Einfüllgranulat: Das Gemisch gelangt anschließend in die Aptrusion, wo es erhitzt und unter Druck zum Schmelzen gebracht wird. Durch eine spezielle Förderung innerhalb der Anlage wird das Material noch stärker durchmischt. Das Verfahren soll sogar in der Lage sein, einen immer möglichen Sandgehalt von 50 Prozent mit zu verarbeiten. Am Ende dieses sogenannten Aptrusionsverfahrens entsteht eine Masse, die durch Pressen und Kühlen in verschiedenste Formen gebracht werden kann.

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Die resultierende Produktpalette ist breit gefächert und umfasst Kunststoffprodukte für Freizeit, Gartenbau und Bauindustrie, aber auch für den Einsatz auf Sportplätzen als Unterbau oder für Neubauten. Nach Einschätzung von Tom Beck, dem Geschäftsführer der FormaTurf GmbH, unterscheidet sich der geplante Recyclingprozess seines Unternehmens vom restlichen Kunstrasenbereich dadurch, „dass auch Produkte hinten herauskommen“ und am Ende „echte Produkte entstehen“; die Konkurrenz würde lediglich Fasern oder Agglomerate plus Sand und Einfüllgranulat produzieren.

Eine Cradle-to-Cradle-Lösung
Dem dürfte der dänische Rasenrecycler Re-Match widersprechen. Er hat sich das Ziel gesetzt, „den Lebenszyklus kreislaufförmig zu gestalten und eine ‚Cradle-to-Cradle‘-Lösung zu etablieren“, und rief Projekte zur Wiederverwendung von Trägermaterial und Fasern für die Verlegung von neuem Kunstrasen ins Leben. Schenkt man seiner Webseite Glauben, dann ist Re-Match „das erste Recyclingunternehmen der Welt, das ein Trennverfahren entwickelt hat, mit dem alle Bestandteile des alten Kunstrasens gereinigt und recycelt werden können“. Dieses mechanische Verfahren sieht mehrere Separationsschritte vor, bei denen einzelne Komponenten durch Luft und Siebung getrennt und der Abfall ausgesondert wird. Als Materialien mit minderer Qualität gelten Gummi, das zu Matten verarbeitet werden kann, Sand für Mörtel oder zum Sandstrahlen, und Kunststoffe – in Polyethylen- und Polypropylen-Fraktionen separiert – für die Produktion neuer Kunststoffe.

Ein vermeintlicher Umweg
Um aus einem alten Kunstrasen einen neuen zu machen, ist der vermeintliche „Umweg“ über das werkstoffliche Recycling unumgänglich. Tom Beck räumt zwar ein, dass das auch denk- und machbar wäre, dafür aber ein hoher Aufwand und sehr viel Energie nötig sei. „Zudem muss man bedenken, dass sehr wenig Material übrig bleibt, das am Ende als neues Rohmaterial verwendet werden kann. Wir haben uns deshalb bewusst für eine werkstoffliche Verwertung des Kunstrasens entschieden. Wirtschaftliche und ökologische Bilanzen zeigen, dass ein rohstoffliches (chemisches) Recycling zur Gewinnung von Kunstrasen-Rohmaterial keinen Sinn macht. Außerdem sparen wir durch die Herstellung neuer Bauprodukte einen hohen Anteil fossiler Ressourcen.“

Auf dem richtigen Weg
Dr. Beate Kummer, Chemikerin, Toxikologin und Umweltexpertin, schätzt überschlägig, dass die FormaTurf-Anlage bei vollständiger Auslastung rund 60.000 Tonnen CO2 jährlich zurücknimmt und etwa ein CO2-Äquivalent von rund 50.000 Tonnen einspart. Dabei seien die Einsparungen an Ressourcen und Energie, die zur Produktion gleichwertiger Produkte über andere Kanäle erforderlich wären, noch nicht einkalkuliert. Beate Kummer: „Ökologisch betrachtet ist FormaTurf absolut auf dem richtigen Weg.“ Freilich hat Nachhaltigkeit ihren Preis. Poltan-Vertriebschef Peter Herbig macht das deutlich: „Man muss mit einem Aufschlag von circa zehn Prozent des gesamten Projektvolumens rechnen, wenn man sich für einen neuen Kunstrasen entscheidet und den alten bei der FormaTurf wiederverwerten lässt.“ Das sei teurer, als den alten Kunstrasen zu deponieren, aber eben deutlich umweltfreundlicher und entspreche den aktuellen rechtlichen Auflagen. Das baden-württembergische Umweltministerium gibt darum im Ratgeber „Mikroplastik im Spiel“ allen Sportvereinen und Akteuren den Rat: „Schon am Anfang ans Ende denken.“

Einfach kompostieren
Noch einfacher als Recyceln wäre allerdings Kompostieren. Dazu entwickelte die Bielefelder heiler GmbH und Co. KG einen vollkompostierbaren Hochleistungs-Hybridrasen – nach Eigenbeurteilung des Unternehmens „eine Weltneuheit“. Der Sporthybrid Turf genannte Naturrasen ist mit speziellen Fasern aus Biokunststoff im Boden verstärkt und soll selbst starken Beanspruchungen widerstehen. Der Pflegeaufwand wird als „überschaubar“ angegeben. Rasenschnitte lassen sich den Angaben nach im Kompostwerk entsorgen, und die gesamte Spielfläche kann letztendlich durch Kompostieren vollständig biologisch abgebaut werden. heiler bietet damit Städten, Kommunen und Amateurvereinen eine Lösung an, „mit der sich Fußball und Nachhaltigkeit wirtschaftlich verbinden lassen“.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 03/2022, Seite 38, Foto: Mabel Amber / pixabay.com)