Rotorblätter: Recycling mit Fragezeichen

Eine Reihe von Windkraftanlagen muss – aufgrund gesetzlicher Vorgaben – in den kommenden Jahren stillgelegt und rückgebaut werden. Was geschieht mit den nur schwer recycelbaren Rotorblättern?

2020 standen nach Angaben des Statista Research Departments 29.608 Windenergieanlagen offshore in Deutschland. Ende 2021 waren es laut Bundesverband WINDenergie noch insgesamt 28.230. Dieser Schwund dürfte hauptsächlich auf den Wegfall der 20-jährigen Förderung gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) mit dem 1. Januar 2021 zurückzuführen sein. Nach Darstellung des Beratungsunternehmens Deutsche WindGuard wird diese Regelung zunächst 6.000 Anlagen mit zusammen rund vier Gigawatt Nennleistung betreffen. Bis 2026 sollen pro Jahr weitere rund 1.600 Windräder hinzukommen – also Altanlagen ohne EEG-Vergütung mit einer Gesamtleistung von elf Gigawatt. Ist für sie weder Verkauf, Weiterbetrieb noch Repowering rentabel; bleiben nur Stilllegung und Rückbau.

Vor allem Stahl und Beton
Technisch birgt der Rückbau – trotz einer Vielzahl unterschiedlicher Anlagenmodelle – auf den ersten Blick wenig Überraschungen. Zunächst wird die Anlage vom Netz genommen und trockengelegt, indem Getriebeöle wie Altöle, Fette und Schmiermittel, Betriebsflüssigkeiten oder Gase wie Schwefelhexafluorid sichergestellt und behandelt werden. Es folgen die Demontage des Rotorblatts und der sequentielle Rückbau des Stahl-, Gitter- oder auch Betonhybridturms, falls letzterer nicht abgerissen oder gesprengt wird. Rückzugewinnender Stahl und Beton der Fundamente sollten möglichst getrennt behandelt und recycelt werden. Kabelstränge, Steuerungselemente sowie getriebelose Generatoren liefern zusätzlich Materialien wie Kupfer, Aluminium, Elektroschrott, Neodym und Kunststoffe wie beispielsweise PVC. Die beim Rückbau anfallenden Mengen bezifferte das Umweltbundesamt – Stand November 2019 – mit maximal 5,5 Millionen Tonnen an Beton pro Jahr, knapp einer Million Tonnen an Stahl pro Jahr sowie etlichem an Kupfer und Aluminium. Diese Mengen seien durch die bestehende Recyclinginfrastruktur gut zu verarbeiten.

Materielle Vielfalt
Nicht so die Rotorblätter, meinte das Umweltbundesamt. Denn sie würden – so beschreibt es Fraunhofer Materials – aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) in Sandwichbauweise mit Kunststoffschaum oder Balsaholz als Füllstoff bestehen; hinzu kämen große Metallbolzen und Kupferleitungen als Blitzableiter. In Rotorblättern der neueren Generation seien zusätzlich vereinzelt und je nach Hersteller auch noch kohlenstofffaserverstärkte Kunststoffe (CFK) in den besonders belasteten Bereichen verbaut. Daher – so der Vorschlag des Umweltbundesamtes – wäre zu prüfen, ob man nicht für spezifische Elemente von Rotorblättern eine abfallwirtschaftliche Produktverantwortung einführen sollte, um zusätzliche Verwertungskapazitäten zu schaffen.

Ungeeignet für die Müllverbrennung
Eine Deponierung der Rotorblätter ist ohnehin nicht gestattet. Sie bestehen wegen verwendeter Harze, Füller und Sandwich-Materialien zu rund 30 Massenprozent aus organischen Anteilen und übertreffen den zulässigen Grenzwert für die Ablagerung deutlich. WindEurope tritt daher unterstützt vom Bundesverband WindEnergie, dem Bundesverband der Windparkbetreiber Offshore und dem VDMA – für ein europaweites Deponierungsverbot ein. Der thermischen Verwertung – sprich: Verbrennung – von GFK widerspricht, dass die Aufenthaltszeit in den heißen Zonen von Müllverbrennungsanlagen zu knapp ist, um eine vollständige Verbrennung zu gewährleisten: Glasfasern können die Gewebefilteranlagen verstopfen. CFK-Materialien hingegen bilden oberhalb von 650 °C einen Partikelstaub aus mikroskopisch kleinen Carbonfasern; deren Fasersplitter werden als krebserregende Stoffe eingestuft. Die vdi-Nachrichten zitieren Carsten Spohn, den Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der thermischen Abfallbehandlungsanlagen in Deutschland (ITAD), mit den Worten: „Carbonfaserabfälle sind definitiv ungeeignet für die Müllverbrennung“.

Stoffliche Verwertung nicht praktiziert
Es gibt nach Darstellung des ForCycle-Abschlussberichts eine Reihe anderer Aufbereitungsmöglichkeiten zur Aufbereitung von Rotor-Materialien wie Pyrolyse und Wirbelschichtfeuerung (thermisch), Solvolyse (chemisch) oder Zerkleinerung (mechanisch). Für CFK-Materialien kommen noch Katalyse und Hydrolyse hinzu. Dennoch konstatiert der Bericht mit Stand Januar 2017: „Im Bereich der weiteren Aufbereitung von Rotorblattmaterialien war der bisherige Ansatz eine mechanische Zerkleinerung und energetisch/stoffliche Verwertung im Zementwerk. Eine Rückgewinnung einzelner Fraktion zur stofflichen Verwertung in neuen Kunststoffbauteilen wird mit Rotorblattmaterial derzeit nicht praktiziert.“

Zu GFK-Granulat zerkleinert
Dem dürfte das Recycling-Unternehmen Eurecum aus Eisleben in Sachsen-Anhalt widersprechen. Es hat ein Entsorgungsverfahren entwickelt, in dem die Rotorblätter an Ort und Stelle rationell zerschnitten, zum Entsorgungsbetrieb transportiert und „zu einem industriell wertvollen GFK-Granulat zerkleinert“ werden. Die Kunststoffindustrie verwertet dieses Material für Kfz-Teile, Gartenmöbel oder Terrassendiele; nach eigener Darstellung stellt Eurecum auch teilweise Ersatzbrennstoffe her.

neocomp: 100-prozentiger Ersatz
Auf ein wesentlich anderes Verfahren für Glasfaserrecycling greift die neocomp GmbH in Bremen zurück. Hier zerkleinert zunächst ein Schredder das Material auf die Größe von Papierschnipseln. Durch die Mischung mit Papierspuckstoffen entsteht ein GFZ-Granulat. Aufbereitet, wird es im Zementwerk als Ersatzbrennstoff zunächst verbrannt, während seine Rückstände in neuer Zementmasse zur Klinkerherstellung verwendet werden können. neocomp-Stoffstrommanager Mika Lange weist darauf hin, dass der so entstandene Wertstoff zum einen über Heizwert verfügt, zum anderen Silizium als Rohsand-Ersatz enthält und damit „einen 100-prozentigen Ersatz im Zementofen und im Sinther“ bietet. Mit Erfolg: 2017 konnte das noch junge Unternehmen 30.000 Tonnen Glasfasern pro Jahr verarbeiten. Bis Ende 2021 sollen die jährlichen Kapazitäten auf 80.000 Tonnen angewachsen sein.

Perfekte oder Übergangslösung?
Sven Rausch von der Neocomp-Mutter Nehlsen AG hält das Verfahren für den „Prototyp einer perfekten Verwertung“ und definiert ihn als den „einzig sinnvollen Verwertungsweg“, eröffnete er gegenüber dem online-Magazin EnergieWinde. Bündnis 90/ Die Grünen im Bundestag sehen das anders. Sie halten diese Mitverbrennung von Abfall in Zementwerken nicht per se für falsch, stufen sie aber als „Übergangslösung“ ein, da der Einsatz von Ersatzbrennstoff aus Gewerbeabfall, Altreifen, Altöl oder Hausmüll-Teilen in Zementwerken nicht dieselben Standards und Emissionsgrenzwerte wie für Müllverbrennungsanlagen verlangt. Die Partei setzt vielmehr auf „Maßnahmen wie Senkung des Zementbedarfs, Kreislaufführung sowie alternative Materialien und Verfahren“.

Ein neues Chemcycling-Verfahren
Im Mai 2021 machte eine Initiative namens CETEC (kurz für: Circular Economy for Thermosets Epoxy Composites) in Dänemark mit einer neuen Technologie auf sich aufmerksam: Ein zweistufiger Prozess soll die 100-prozentige Recycelbarkeit des Rotorblatt-Material ermöglichen. Dazu werde den Angaben nach zuerst der Duroplast-Epoxydharz-Verbundstoff in Fasern und Harz getrennt. Ein neues Chemcycling-Verfahren soll dann das Harz in – Primärstoffen vergleichbare – Basiskomponenten aufspalten. Dieses Material kann zur Herstellung neuer Turbinenblätter eingesetzt werden und schließt damit den Kreislauf für Epoxyd-Harze. Entwickelt wurde die Methode im DreamWind-Projekt, an dem die Aarhus Universität, das Dänische Technologische Institut und Vestas Wind Systems, einer der weitweit größten Hersteller von Windkraftanlagen, beteiligt waren. CETEC selbst wird teilweise vom Dänischen Innovationsfonds finanziert, besteht aus den genannten Partnern und hat Olin, den globalen Hersteller von Epoxydharzen, mit an Bord.

Bahnbrechende Technologie
Für Simon Frølich, Team Manager am Dänischen Technologischen Institut, ist die neue Technologie „bahnbrechend, da sie es erlaubt, den Wert jedes Materialstroms in einer neuen zirkulären Wertschöpfungskette zu erhalten“. Und Vestas-Abteilungsleiter Allan Korsgaard Poulsen hält es für absolut notwendig, dass sich die Windkraftbranche nachhaltig entwickelt und sich Vestas Ambitionen zur Null-Abfälle-Produktion bis 2040 erfüllen. Das CETEC-Projekt werde ein signifikanter Meilenstein sein, „der eine Zukunft ermöglicht, in der Deponierung bei der Entsorgung von Rotorblättern keine Rolle mehr spielt“.

Kosteneffizient: RecyclingBlade
Bereits 2014 kam Coronna Technologies auf die Idee, Epoxydharz mit einem recycelbaren Härter herzustellen, sodass später die Querverbindungen aufgelöst und die thermoplastischen Moleküle rückgewonnen werden können; das World Economic Forum 2015 platzierte das Verfahren unter die Top 10 der herausragenden Technologien. 2019 acquirierte Aditya Birla Chemicals Thailand Limited die Technik. Die anschließende Zusammenarbeit von Aditya Birla Advanced Materials mit Siemens Gamesa führte zur Entwicklung der kommerziellen Fertigung von „RecyclingBlade“. Diese neue Sorte Rotorblatt wird wie ein standardmäßiger Turbinenflügel hergestellt und basiert auf der gleichen „IntegralBlade“-Produktion, besteht aber aus einem neuen Typ von Harz. Das innovative, recycelbare Epoxydharz-System verhilft nach Ansicht von Siemens Gamesa der Recyclamine-Technologie zum Durchbruch. „Es erfüllt nicht nur unsere Ansprüche, sondern eröffnet einen Weg, der wenig Energie kostet, um das Material für neue Anwendungen zurück zu bekommen. Das wiederum führt zu einem kosteneffizienteren Verfahren, als es zurzeit am Markt ist“, betont Jonas Pagh Jensen, Entwicklungsfachmann bei Siemens Gamesa.

Erfolgversprechend
Wie erfolgversprechend das RecyclingBlade schon jetzt ist, zeigt sich daran, dass Siemens Gamesa zusammen mit RWE Installation und Betrieb einer Anlage im Offshore-Windpark Kaskasi vorsieht und mit dem Energieversorger EDF Renew­ables und dem Windparkbetreiber wpd zukünftig mehrere Einrichtungen mit RecyclableBlades im offshore-Bereich beabsichtigt. Bis 2030 plant das Unternehmen, 100 Prozent recycelbare Rotorblätter und bis 2040 ebensolche Turbinen auf den Markt zu bringen.

Vom Rotorblatt zum Autotürgriff?
Im Juli 2021 berichtete die Tagesschau über die Problematik, alte Rotorblätter zu recyceln. Christian Dreyer vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung wurde mit den Worten zitiert: „Viele dieser Rotorblätter sind nicht so konzipiert, dass sie sich einfach recyceln lassen, es ist ein Multimaterialsystem.“ Insofern war aber der Titel der Sendung „Vom Rotorblatt zum Autotürgriff“ irreführend. Es geht nicht darum, die Materialien zu down-, sondern zu recyceln. Die Branche hat das bereits begriffen.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 06/2022, Seite 16, Foto: k_rahn / stock.adobe.com)