Mineralische Nebenprodukte und Abfälle: Neue Antworten und neue Fragen
Mineralische Nebenprodukte, Abfälle oder Restmassen: In der Namensgebung dieser Produkte klingt eine gewisse Minderwertigkeit an. Dabei sind diese Materialien wertvolle Sekundärrohstoffe, die ihren endgültigen Platz in der Abfallhierarchie zwar noch nicht gefunden haben, aber zukünftig eine wichtige Rolle in der Kreislaufwirtschaft spielen werden.
Die Berliner Konferenz – Mineralische Nebenprodukte und Abfälle befasste sich am 25. und 26. April mit dieser Thematik. Die Redebeiträge hat der TK Verlag in einem Buch zusammengefasst.
Circular Economy: Vision für die Transformation
Das Thema Circular Economy dominiert die erste Sektion. Was an den gesetzgeberischen Stellschrauben gedreht werden muss, damit unter anderem die Einmalplastik-Direktive, die Vorschläge zur Batterie- und Abfallverbringungs-Regulierung, die Revisionen von Verpackungs- und Altfahrzeug-Verordnungen und die Abfall-Rahmenrichtlinie zu einer „Vision für die Transformation in Europa“ beitragen können, erläutert Matti Pellegrini (Generaldirektion der EU Kommission).
Geert Cuperus (Fédération Internationale du Recyclage) plädiert dafür, auf EU-Ebene Recyclingziele für mineralische Abfälle wie Bau- und Abbruch-Abfälle, Regeln für Recyclinggehalte von Beton oder Mineralprodukten sowie Kriterien zum Abfallende von recycelten Zuschlagstoffen festzulegen und wichtigen Mineralströmen wie Verbrennungs-Bettasche mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Mohammad Chehadé (RWTH Aachen) et al. weisen auf die Ziele der Kreislaufwirtschaft hin – Klimaneutralität, Ressourceneffizienz und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit – und erläutern die darauf ausgerichtete Aufgabenstellung des Center for Circular Economy der RWTH Aachen. Dass bei der Behandlung von mineralischen Baurestmassen zwischen den quantitativen Potenzialen der Kreislaufwirtschaft und den Vermeidungs- und Wiederverwendungsvorgaben der Abfallhierarchie abgewogen werden sollte, unterstreicht Jakob Lederer (Technische Universität Wien).
Mantelverordnung: Noch Unsicherheiten
Dass die in der Mantelverordnung enthaltene Ersatzbaustoffverordnung noch einige Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten aufweist, die unter anderem Abfallende, Verwendungszweck oder Überwachungswerte betreffen, legt Rechtsanwalt Gregor Franßen (Franßen & Nusser Rechtsanwälte) offen.
Infolge der Mantelverordnung müssen sich die Labore auf neue Gegebenheiten einstellen, ihr Portfolio anpassen, IT-Lösungen erarbeiten und zeitweise auch mit parallelen Analysepaketen arbeiten, resümiert Hans Ulrich Dahme (Eurofins NDSC Umweltanalytik). Die praxisnahe Umsetzung der Ersatzbaustoff- und der Bodenschutz-Verordnung macht ein digitalisiertes und webbasiertes Geoinformationssystem notwendig: 2004 wurde das Qualitätssicherungssystem Recyclingbaustoffe Baden-Württemberg gegründet (kurz: QRB) und wird seit 2010 zur Anwendung zum Qualitätsmanagement für den Einsatz von Baustoffen (qeb.app) ausgebaut, gibt Bernd Susset (QRB) bekannt.
Bewegung bei Bauabfällen
Das Ende der Abfalleigenschaft von Bauabfällen regelt § 5 Abs. 1 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes. Dennoch trägt dies kaum etwas zur rechtssicheren Bestimmung des Abfallendes bei, sondern macht weiterhin Einzelfall-Entscheide erforderlich, meint Rechtsanwalt Peter Kersandt (avr Andrea Versteyl Rechtsanwälte) und legt hierfür einen Praxisleitfaden vor. Es gibt eine Neuerung beim Einsatz von Recyclingbaustoffen bei öffentlichen Ausschreibungen, zeigt Rechtsanwalt Dominik R. Lück (Oexle Kopp-Assenmacher Lück, Partnerschaft von Rechtsanwälten): Die Prüfpflicht wurde zu einer Bevorzugungspflicht umgewandelt; offen bleibt, ob es ein einklagbares Recht darstellt. Die Absicht des Berliner Senats, eine Ressourcenwende im Bausektor durch Einsatz gütegesicherter Sekundärrohstoffe herbeizuführen, schildert Sybille Schultz-Hüskes (Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz). Rückstände aus der Gipsgewinnung lassen sich mit entsprechenden Prozesskombinationen und relativ geringen Frischwassermengen stabil und längerfristig aufbereiten, legt Jacob Fenner (TU-Clausthal) dar. Ein Bericht über den Rückbau von Kernenergieanlagen der RWE von Wolfram Müller und Markus Brilon (beide RWE Nuclear GmbH) macht die Zielsetzung deutlich, während der nächsten 15 Jahre annähernd vier Millionen Tonnen an Beton, 200.000 Tonnen an Stahl und NE-Metallen und eine beträchtliche Anzahl großer und kleiner elektr(on)ischer Komponenten wiederzuverwenden oder zu recyceln.
Asbest: Systematik ist wichtig
Asbesthaltige Bau- und Abruchabfälle können nur deponiert werden, benötigen aber vorher systematische Einstufungen und Lösungen für einen effektiven Rückbau, verdeutlicht Falk Fabian (LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg). Ebenso versuchte das Projekt RECBest den sicheren und systematischen Nachweis von Asbesthaltigkeit in Betonbauwerken und entwickelte einen Prototyp zur sicheren Entfernung des Materials aus Faserbeton, berichtet Martin Hönig (Wessling GmbH). Über die Abreicherung Asbestfaser-haltiger Dachplatten aus Zement bis auf lose Fasern von weniger als 5 μm durch den Asbetter Acid-Prozess referiert Inez Postema-Hollenberg (Asbeter Holding).
Mit VeriaSplit, FLUWA und HaloSep-Anlage
Der Markt für Schlacken, Aschen und Filterstäube aus der Verbrennung wird bis 2030 weitgehend konstant bleiben, befördert durch technologische Fortschritte und Kapazitätserweiterungen, aber gleichzeitig durch gesetzliche Rahmenbedingungen und steigende Kosten hinsichtlich Verwertung gebremst, weiß Dirk Briese (trend:research GmbH). Bettaschen aus MVAs mit Wirbelschichtfeuerung und Rostaschen aus der Rostfeuerung unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich NE- und Fe-Metall-Gehalt und damit auch im Hinblick auf die potenzielle Verwertung der Mineralikfraktion, belegt der Artikel von Julia Mühl und Jakob Lederer (Technische Universität Wien).
Die Funktionsweise des VeriaSplit, eines selbstoptimierenden Wirbelstromabscheiders, besteht darin, das Minimum zwischen Konzentrat- und Rückstandsmassen zu erfassen, erklärt Rainer Bunge (Ostschweizer Fachhochschule OST). Die Anwendung von saurer Flugaschenwäsche (FLUWA) aus Müllverbrennungsaschen ist, da das Material in die Verbrennung rückgeleitet wird, spezifisch um rund 30 Prozent teurer als eine an Regularien für ungefährliche Abfälle zur Deponierung orientierte Behandlung, rechnet Simon Hofer (Technische Universität Wien) vor. Welche Vorteile das Recycling von Flugasche aus der Verbrennung in der HaloSep-Anlage in Kopenhagen mit Blick auf die Rückgewinnung von Schwermetallen und Salzen besitzt, klärt Henrik Jilvero (HaloSep AB) in seinem Beitrag.
Metallurgische Nebenprodukte optimieren
Die Rückführung von Gießereistäuben durch Einarbeitung in Siliciumcarbid-Formlingen ist nur ein Beispiel dafür, wie sich die Rückgewinnung von Rohstoffen optimieren lässt, meint Richard Weihrich (Universität Augsburg). Es gibt erste erfolgreiche Ansätze, wie metallurgische Nebenprodukte wie Bleischlacke oder Jarosit durch Recycling optimiert und zur Verwertung aufbereitet werden können, verdeutlichen Jürgen Antrekowitsch und Gustav Hanke (Montanuniversität Leoben). In einem sehr detaillierten Beitrag zur Behandlung von Elektroofenschlacken legen Daniel Vollprecht et al. (Montanuniversität Leoben) offen, dass durch hydrogeo- sowie thermochemische Konditionierung des Materials eine Auslaugung insbesondere von Vanadium verringert werden kann, auch wenn die Ursachen noch nicht vollständig erkannt sind. Welche Faktoren berücksichtigt werden müssen, um Elektroofenschlacke so zu konditionieren, dass sie den Vorgaben der Ersatzbaustoffverordnung entspricht, untersuchte David Algermissen (FEhS – Institut für Baustoff-Forschung) im Rahmen des BMBF-Forschungsprojekts „Kondeos“.
Klimaschonende Bindemittel herstellen
Eine international besetzte Forschergruppe der SMS Group zeigt, dass eine Kombination aus Direktreduktion, offenem Badofen und INBA-Verfahren zur Schlacke-Granulierung eine flexible Alternative zur bestehenden Produktionskette für Roheisen darstellt, denn sie erlaubt einen Übergang vom etablierten Hochofen-Verfahren zu einer CO2-armen Stahlproduktion und lässt die Kontrolle der Schlackeherstellung im Badofen zu. Wie eine Forschergruppe um Christian Adam (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung) herausfand, kann die thermochemische Behandlung von mineralischen Nebenprodukten und Reststoffen – feinkörniger Beton, Stahlproduktions-Schlacke oder andere Schlackenarten – zur Herstellung klimaschonender Bindemitteln zu einer Alternative für die Zementindustrie werden. Wie Peter Kruspan (Holcim AG) unterstreicht, lassen sich Zement-Bestandteile mit besonderen Eigenschaften für bestimmte Aufgabenstellungen auch ausschließlich aus anthropogenen Abfallmaterial-Lagern generieren. Der abschließende Artikel von Gerhard Rettenberger kommt zu dem Schluss, dass sich der Deponierückbau wegen zu geringer Material-Erlöse als nicht wirtschaftlich darstellt. In Zeiten zunehmenden Platz- und Raum-Bedarfs in den in- und ausländischen Städten eröffnen sich jedoch finanziell interessante Nachnutzungsmöglichkeiten.
Offene Forschungsfragen
Dieser inzwischen 9. Band der Schriftenreihe zu Mineralischen Nebenprodukten und Abfällen reiht sich in puncto Informationsspektrum und -fülle nahtlos an die vorangegangenen Kongressberichte des Thomé-Kozmiensky-Verlags an. Er befasst sich mit juristischen Fragestellungen, die sich aus dem Green Deal der Europäischen Union und der Mantelverordnung der Bundesregierung ergeben. Der Band geht auf Detailprobleme bei der Entsorgung von Bauabfällen und spezielle Schwierigkeiten beim Umgang mit asbesthaltigen Reststoffen ein. Er macht deutlich, welche Möglichkeiten Verbrennungsrückstände wie Schlacken, Aschen und Filterstäube bieten und welche Potenziale insbesondere Nebenprodukte aus der Metallurgie bergen. Das letzte große Kapitel geht auf Reststoffe ein, deren materiale Eigenschaften für Alternativen bei oder zur Zementherstellung eingesetzt werden können.
Was diesen Band besonders auszeichnet, ist nicht nur die Fülle des darin enthaltenen wissenschaftlichen, technischen und juristischen Wissens. Sondern es ist darüber hinaus auch das Noch-Nicht-Wissen, der Workshop-Charakter, das Angebot an offenen Forschungsfragen, die zur Diskussion anregen, auf Antworten warten oder Ideenanstöße liefern: Wie sieht eine Circular Economy aus, die ihren Namen verdient? Hilft die Mantelverordnung in der Praxis? Welche Mengen an Sekundärrohstoffen lassen sich aus Bauabfällen gewinnen? Wie lässt sich Flugasche am wirkungsvollsten recyceln? Über welche Eigenschaften sollen Schlacken aus Elektroöfen verfügen? Und: Wird man eines Tages auf Zement verzichten können? Viele Fragen sind angerissen und warten auf Antworten. Der vorliegende Band zu Mineralischen Nebenprodukten und Abfällen wird darum nicht der letzte der Reihe sein.
Mineralische Nebenprodukte und Abfälle 9, hrsg. S. Thiel, E. Thomé-Kozmiensky, D. G. Senk, H. Wotruba, H. Antrekowitsch und R. Pomberger, Neuruppin 2022, ISBN 978-3-944310-58-9
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 08/2022, Seite 32, Foto: O. Kürth)