Abfallwirtschaft: Trotz Ukraine-Krieg auf Kurs bleiben

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zieht eine Reihe von Konsequenzen für die deutsche Industrie nach sich – darunter das Wegbrechen von Lieferketten und die Reduzierung von Importmengen. Eine jetzt erschienene Studie des Umweltbundesamtes beschreibt die aktuelle Situation und gibt Empfehlungen zur Aufrechterhaltung der Produktion sowie zur Einsparung von Energie- und sonstigen Rohstoffverbräuchen. Die Hinweise sollen die Industrie jetzt, mittel- sowie langfristig auf ihrem Transformationsweg zur Dekarbonisierung unterstützen.

Zu den wichtigsten Empfehlungen der Studie an Betreiber von Industrieanlagen und Produkthersteller gehören die Nutzung von Sekundärrohstoffen und Recyclingmaterial sowie die Umsetzung eines kreislauffähigen Produktdesigns. Der Gesetzgeber wird angehalten, mittelfristig für die Einführung qualitativer Recyclinganforderungen zur Erweiterung der quantitativen Recyclingquoten zu sorgen, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung durch Öffentlichkeitsarbeit für Produkte mit Recyclinganteile zu steigern und Zertifizierungen für Produkte mit Recyclinganteilen vorzugeben. Zusätzlich sollte der Ausbau von Sortier- und Recyclingkapazitäten für Abfälle finanziert werden.

Hohe Lieferabhängigkeit
Deutschlands Industrie ist in hohem Maße von fossilen Rohstoffen wie Gas und Öl aus Russland abhängig, aber zudem – wenn auch in geringerem Umfang – von mineralischen Rohstoffen wie Metallen und Industriemineralen. Rund 40 bis 50 Prozent der Stahlimporte und 30 Prozent des hierzulande eingesetzten Baustahls stammen aus GUS-Staaten. Außerdem sind spanische und italienische Fliesenhersteller stark auf Kaolin-Bezüge aus dem ukrainischen Donbass angewiesen. Laut ifo-Forscher Felix Leiss kommt es beim Nachschub von Bitumen zu Problemen, besteht Mangel an Ziegelsteinen und vielerorts sind auch Dämmstoffe bereits knapp. Russland, Belarus und die Ukraine zählten zu den wichtigsten Förderländern von Grundstoffen der Düngemittelindustrie wie beispielsweise Phosphaterzen. Auch die Lieferketten von Materialien zur Energiewende und Elektromobilität sind kritisch: Der Handel mit Nickel wurde zeitweise ausgesetzt, und Russland liefert(e) immerhin 40 Prozent des weltweit gehandelten Palladiums, 23 Prozent des Vanadiums und 4,5 Prozent des Wolframs. Daraus schließt der UBA-Bericht, dass das Recycling von Sekundärmaterialien und insbesondere Abfallrohstoffen an Attraktivität gewinnt: „Steigende Preise für Primärrohstoffe schaffen so die Chance, Zirkularität vor allem bei Bauabfällen ernsthaft anzugehen. Gesetzgeber und Fördermittelgeber, aber auch die Unternehmen sind aufgerufen, Rahmenbedingungen in Richtung Zirkularität zu schaffen und zu nutzen.“

Zur Bedarfsdeckung ist nach Ansicht der UBA-Experten zum einen eine Diversifizierung der Rohstofflieferquellen vonnöten – unter Berücksichtigung von Aspekten der Nachhaltigkeit wie Ökologie, Governance und Effizienz. Für die chemische Industrie könnte das die Umstellung auf erneuerbare Energien, aber auch auf regenerative, defossile Rohstoffquellen bedeuten, verbunden mit einer möglichst weitreichenden Schließung der Rohstoffkreisläufe. Bei Raffinerien könnten Kraftstoffkomponenten neben der energetischen Nutzung auch stoffliche Verwendung finden, beispielsweise Naptha für organische Grundstoffe, Schwefel oder Bitumen für den Straßenbau.

Potenziale erschließen
Insbesondere weist das Expertenpapier auf die verringerte Abhängigkeit von Primärrohstoffquellen durch Recycling und damit die Kreislaufführung und Mehrfachnutzung von Stoffen und Materialien hin. Als Beispiel werden die Aluminiumproduktion aus Schrotten angeführt, die nur etwa elf Prozent des Primärrohstoff- und Energieaufwandes der Primäraluminiumproduktion aus der Bauxitverhüttung benötigt; das Papierrecycling mit Einsparpotenzialen von bis zu 70 Prozent Wasser und 15 Prozent CO2 im Vergleich zur Papierherstellung aus Frischfasern; und das werkstoffliche Recycling von Kunststoffen wie Polyolefinen, PET und Polystyrol mit einem um bis zu 70 bis 80 Prozent geringeren CO2-Austoß in Relation zur Neuwarenproduktion.

Darüber hinaus empfiehlt das Umweltbundesamt eine Reihe weiterer noch erschließbarer Recyclingpotenziale:

  • Inländische Rohstoffe aus dem anthroponenen Lager, vor allem verstärktes hochwertiges Recycling von Schrotten und Altkunststoffen anstelle deren Export in Länder mit niedrigeren Umweltstandards
  • Intensivere gesetzlich fixierte Getrennterfassung von separaten und möglichst sauberen Wertstoffströmen – vor allem im Baubereich und bei der Sammlung von Elektroaltgeräten
  • Förderung des Ausbaus von Sortier- und Recycling­kapazitäten, auch durch Prozesse der Digitalisierung, gesetzlich erweiterte quantitative Recyclingquoten, anspruchsvollere materialspezifische Recyclinganforderungen sowie stärkeren großtechnischen Einsatz von etablierten wie innovativen Detektions- und Sortiertechniken
  • Förderung des Rezyklateinsatzes durch bundesweite gesetzliche Vorgaben zu Quoten und Qualitäten
  • Konkretisierung einer kreislauffähigen Produktgestaltung durch Designvorgaben hinsichtlich Recyclingfähigkeit, Demontierbarkeit, Trennbarkeit, Reparierbarkeit und Verzicht kritischer Inhaltsstoffe
  • Bereitstellung von Informationen über den Lebenszyklus‘ eines Produktes für Konsumenten und Recycler, um auf aufwändige Sortiertechniken verzichten zu können.

Rohstoffverbrauch senken
Leider übersteigt der Bedarf der Industrie an Rohstoffen für die Herstellung und Verarbeitung zu Produkten die qualitativ und quantitativ verfügbaren Mengen an Recyclingmaterialien und Rezyklaten bei Weitem. Eine zusätzliche Senkung des Rohstoffverbrauchs ist vonnöten und lässt sich durch verbessertes Design aller Produkte erreichen, indem mehr Rezyklate eingesetzt, Produkte/Bauteile/Materialien wiederverwendet, die Recyclingfähigkeit verbessert, gefährliche Stoffe vermieden, die Dauerhaftigkeit von Produkten und die Reparaturfähigkeit von Komponenten gesteigert werden.

Somit sei zu befürworten, wenn die bisherigen Bemühungen der Produkt- und Herstellungsveränderung durch Substitution von Produkten oder gar deren Suffizienz und die Ideen zur nachhaltigeren Chemie nun an Fahrt gewinnen würden: „Die Unternehmen müssen vorhandene Möglichkeiten jetzt ausschöpfen.“

Gezielter Gasverbrauch
Durch den Importstopp von russischem Gas kann es vorrangig im Bereich der thermischen und mechanisch-biologischen Abfallbehandlung (MVA, EBS, MBA) zu Engpässen in der Versorgung mit Erdgas (unter anderem für Zünd- und Stützbrenner) kommen. Auch im Bereich der Betriebs- und Hilfsstoffe (u. a. Harnstoff/ Ammoniakwasser, Branntkalk) sind Lieferengpässe möglich, da Lieferanten dieser Produkte ihrerseits von der Zustellung von Energieerzeugnissen abhängig sind. In jedem Fall sind thermische und mechanisch-biologische Anlagen zur Aufrechterhaltung der Entsorgungssicherheit und Gewährleistung der Hygienisierung von Siedlungs- und Gewerbeabfällen unerlässlich. Würde die Versorgung mit Erdgas und Betriebsmitteln unterbrochen, müsste mit erhöhten Emissionen und möglichen Stilllegungen der Anlagen gerechnet werden. Zudem werden aus den Abfällen Ersatzbrennstoffe für Ersatzbrennstoff-Kraftwerke und die Zementindustrie gewonnen, die nur begrenzt durch andere Materialien substituiert werden könnten. Nach Ansicht des UBA wären die genannten Anlagen auch im Zuge von Engpässen in der Versorgung mit Erdgas und Betriebsstoffen bei der Gasversorgung zu berücksichtigen.

Abb.: UBA Studie

Kurs halten
Nach der Corona-Pandemie steckt Deutschland angesichts des Ukrainekriegs in einer erneuten Krise: Energielieferungen werden unsicher, Lieferketten zerbrechen, Abnahmemärkte werden unklar, Preise steigen. Dennoch hat die einheimische Industrie den Weg in Richtung Transformation zu einer treibhausgasarmen Produktion eingeschlagen. Daher kann, wie die UBA-Studie meint, die Krise eine Chance sein: „Wenn die EU die Einfuhr bestimmter fossiler und mineralischer Rohstoffe aus Russland verhindert oder Russland Liefermengen einschränkt, gewinnen erneuerbare Energien und (Sekundär-)Rohstoffe an Bedeutung. Diese erhalten einen Schub. Der Weg zur treibhausgasarmen Industrie kann dadurch beschleunigt werden.“ Nicht umsonst trägt die Studie des Umweltbundesamtes den Titel: „Kurs halten in der Krise – schneller auf den Pfad zur industriellen Dekarbonisierung!“

Sie ist erhältlich unter www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/texte_84-2022_kurs_halten_in_der_krise.pdf.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 09/2022, Seite 6, Foto: O. Kürth)

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