Schiffe sind recycelbar – Arbeiter und Umwelt nicht

„Ein Toter pro Tag“, berichtete 1998 der „Spiegel“ von Indiens Abwrackwerften. Noch im vergangenen Jahr starben bei Schiffsdemontagen an südostasiatischen Stränden mindestens 16 Menschen. Wenigstens 33 Arbeiter wurden dabei verletzt, weiß die NGO Shipbreaking Platform. Und merkt an, dass beim Rückbau von Schiffen Arbeiten ohne zureichenden Schutz noch zu anderen gesundheitlichen Schäden führen kann. Denn Schiffskörper enthalten diverse Gefahrstoffe für Mensch und Umwelt, die bei der Demontage freigesetzt werden können.

Zu den bei Schiffen gebräuchlichen und für die Gesundheit schädlichsten Materialien zählt Asbest, laut Umweltbundesamt „ein eindeutig krebserregender Stoff“. Aufgrund seiner Eigenschaften hinsichtlich Wärmeisolation und Feuerbeständigkeit fand er breite Verwendung in Maschinenräumen, aber auch als Dämmschicht zwischen Stahlplatten an Wänden oder Türen. Problematisch ist vor allem schwach gebundener Asbest wie beispielsweise Spritzasbest, bei dem die Asbestfasern durch Erschütterung und Alterung leicht freigesetzt werden können. Beim Entweichen – unter anderem bei der Demontage von Schiffsteilen – zerbricht das Material, sodass sich die feinen Fasern für lange Zeit in der Luft halten oder sich in der Kleidung festsetzen. Nach Darstellung des Online-Magazins Mesothelioma.net ergab bei einer US-Studie die Untersuchung von 286 Arbeitern, die über ein Vierteljahrhundert in der Schiffsreparatur tätig waren, dass 246 – also 86 Prozent – Anzeichen von Asbestose zeigten, während bei fünf Personen ein bislang nicht diagnostizierter Lungenkrebs vorlag.

Nun ist seit Oktober 1993 in Deutschland die Herstellung und Verbreitung von Asbest verboten, in der EU seit 2005. In den USA wurde Asbest 1971 als gefährliche Substanz eingestuft, ist aber zumindest bis 2019 nur in einzelnen Bundesstaaten verboten. Laut Umweltbundesamt steht der Stoff in den meisten Industrieländern auf dem Index, werde aber „in Entwicklungs- und Schwellenländern (zum Beispiel China, Indien, Russland)“ immer noch eingesetzt. Wie dem auch sei: Die „Lebensdauer“ eines hochseegängigen Schiffes beträgt geschätzte 20 bis 25 Jahre. Folglich dürfte heute noch eine Reihe von Schiffen im Einsatz sein, die in Nicht-EU-Ländern gebaut wurden, in denen es bis zur Jahrhundertwende noch kein Asbest-Verbot gab.

Schärfer geregelt: Schwermetalle
Auch Schwermetalle wie Blei, Quecksilber, Cadmium, Zink und Kupfer sollten sauber entsorgt werden. Nach Ansicht der NGO Shipbreaking Platform kann längeres dem Blei Ausgesetztsein – selbst auf niedrigem Niveau – zu mentalen Beeinträchtigungen und verzögerter nervlicher und physischer Entwicklung führen. Auf Schiffen kommen Schwermetalle in Farben, Verkleidungen, Isolierungen, Batterien und elektrischen Komponenten vor, und Quecksilber findet sich in Thermometern, elektrischen Schaltern, Füllstandsschaltern und Beleuchtungskörpern wieder.

Zwar spricht auch das Umweltbundesamt von „umweltgefährlichen Chemikalien im Schiffsanstrich“. Hingegen sind die Entsorgung insbesondere von Batterien sowie von Quecksilber-haltigen Produkten keine spezifisch maritimen Probleme und unterliegen in Europa schärfer gewordenen Regeln: Im Dezember letzten Jahres einigten sich Parlament, Rat und Kommission der EU erstmals auf ein europäisches Gesetz, das Vorgaben für den gesamten Lebenszyklus inklusive Recycling von Batterien enthält. Für den besseren Umgang mit Schwermetallen wie insbesondere Cadmium, Blei und Quecksilber sah schon 1998 das Aarhus Protokoll Maßnahmen und Best- Available-Technologies vor, bevor am 10. Oktober 2013 über 90 Staaten sowie die Europäische Union das Minamata-Abkommen unterzeichneten: Seit 2020 sind Produktion und Verkauf bestimmter quecksilberhaltiger Produkte verboten und die Lagerung und Entsorgung von Quecksilber-Abfällen nur unter strengen Auflagen zugelassen.

Explosiv: Mineralöle
Aufgrund mangelhafter Entgasung bei Vorarbeiten zum Schneidbrennen können Ölrückstände zur Quelle für Explosionen werden, die die Arbeiter an Ort und Stelle töten oder verletzen. Auch können Arbeiter belasteten Ölen und Brennstoffen ausgesetzt sein, indem sie die Dämpfe beim Einsatz des Schneidbrenners einatmen. Verpuffungen von Ölrückständen kommen freilich auch in hiesigen Breitengraden vor – die Altölverordnung gilt allem Anschein nach erst nach der Entnahme des Restöls aus seinem Behältnis. Die Atemluft-Belastung durch Mineralöle kann durch entsprechende Schutzmasken verhindert werden. Die Argumentation der NGO, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen aus dem Verzehr von belastetem Fisch resultieren oder auf kontaminiertes Wasser zurückzuführen seien, ist nicht stichhaltig. Derartige Vergiftungen sind keine direkten Konsequenzen aus den Arbeitsbedingungen.

Wirkungsvoll: TBT
Tributylzinn-Verbindungen (TBT) zählen laut Wikipedia zu den wirkungsvollsten toxischen Stoffen im maritimen Ökosystem. Früher wurden sie als Antifouling-Anstriche für Schiffsrümpfe und als Biozide – zum Beispiel in Holz- oder Textilschutzmitteln, Silikondichtstoffen oder Dachbahnen – eingesetzt. Mittlerweile ist die Chemikalie in den meisten Länder stark eingeschränkt oder verboten.

In der EU ist der Einsatz von Antifoulingfarben bei Schiffen seit 2003 untersagt, ebenso wie seit 2006 die Vermarktung von TBT als Bioziden und seit Juni 2010 die Nutzung trisubstituierter zinnorganischer Verbindungen in Erzeugnissen. Freilich ist nicht auszuschließen, dass TBT in Ländern mit geringer staatlicher Regulierung und in dort zugelassenen Schiffen noch Verwendung findet. Auch hier ist das Argument, dass solche Stoffe durch die Nahrungskette in den menschlichen Organismus gelangen, kein Beleg für schlechte Arbeitsbedingungen. Allerdings können Partikel bei Demontagearbeiten durch Sägen, Bohren oder Schleifen in die Umwelt und über die Atemorgane oder offene Wunden in den Körper gelangen.

Potenziell krebserregend: PAK
Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) sind krebserregende Substanzen, die durch unvollständige Verbrennungsprozesse von organischen Materialien wie Holz, Kohle, Benzin, Öl, oder Abfälle entstehen. Da auf Müllabladeplätzen ebenso wie auf Abwrackwerften Abfälle verbrannt werden und Schweißbrenner zum Einsatz kommen, ist mit Entstehung und Austritt von PAK-Verbindungen zu rechnen. Gleiches ist beim Schmelzen von Farben oder der Abfackelung von Restöl zu erwarten.
Bereits 1987 stufte die International Agency for Research on Cancer (IARC) das Benzo[a]pyren als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ ein. Im Jahr 2002 erkannte unter anderem der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss der Europäischen Kommission (SCF, Scientific Committee on Food) 16 PAK-Verbindungen bei Tierversuchen als erbgutverändernd und krebsauslösend an. Folglich kam der Ausschuss zu dem Schluss, dass diese PAK auch auf den Menschen potentiell erbgutverändernd und krebsauslösend wirken können. Nach Darstellung der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit könne für diese Substanzen „daher keine Aufnahmemenge bestimmt werden, bei der kein gesundheitliches Risiko besteht“.

Weltweit verbreitet: PCBs
Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind Chlorverbindungen, die bis in die 1980er Jahre vielfach auch in Schiffen Verwendung fanden: in Transformatoren, elektrischen Kondensatoren, als Flüssigkeit in Hydraulikanlagen und als Weichmacher in Lacken, Dichtungsmassen, Isoliermitteln und Kunststoffen. In flüssiger Form lassen sie sich relativ leicht erfassen; in fester Form sind sie vielfältig vorhanden: in Isolierung, Farben, Bodenbelägen, Dichtungen, Drähten und Kabeln. Werden sie verbrannt, entstehen Dioxine und Furane. Die zu den „dreckiges Dutzend“ zählenden organischen Giftstoffe sind durch das Stockholmer Übereinkommen vom 22. Mai 2001 weltweit verboten. Allerdings sind sie mittlerweile überall verbreitet und befinden sich heute auch noch unter den Materialien unmoderner Schiffe.

Gesundheitliches Risiko: Bilgen- und Ballastwasser
Selbst bei modernen Schiffen wird sich im Kielraum das sogenannte Bilgenwasser sammeln, das mit Sägespänen, Schmutz oder Müll verunreinigt, vor allem aber mit Öl- und Kraftstoffresten kontaminiert sein kann. Daher stellt der Umgang mit dem an Bord befindlichen Ballastwasser ein gesundheitliches Risiko dar. Nach Ansicht der NGO Shipbreaking Platform enthält das Bilgenwasser Öle, Frachtreste, anorganische Salze, Arsen, Kupfer, Chrom, Blei und Quecksilber, die ebenso fachgerecht entsorgt werden müssen wie das mit Bioorganismen und Sedimenten belastete Wasser der Ballasttanks. Die Resolution MEPC. 107(49) der International Maritime Organization legt fest, dass innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone Bilgenwasser nur mit einem maximalen Ölgehalt von 15 ppm, in speziellen Schutzgebieten teilweise nur mit 5 ppm eingeleitet werden darf. Die NGO weist auf die Praxis hin, bei der dennoch die Tanks vor der Landung geleert werden und so das belastete Ballastwasser ins Meer gelangt.

Ohne Gefährdung: EU-Standards
Insgesamt birgt der Rückbau von Schiffen eine Reihe von Gefährdungen sowohl für die ausführenden Arbeiter wie auch für die Umwelt, falls keine eindeutigen und verbindlichen Rahmenbedingungen für die Demontage vorliegen. Europäische Richtlinien, die sich auf Abwrackeinrichtungen beziehen, berücksichtigen hingegen die einschlägigen Leitlinien der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO), der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) sowie des Basler Übereinkommens und entsprechen den diesbezüglichen Bestimmungen des Hongkonger Übereinkommens. Danach zählen zu den EU-Standards bei der Behandlung von Abfällen in Abfallbehandlungsanlagen zum einen der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt, und zwar „ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit, ohne Schädigung der Umwelt und insbesondere ohne Gefährdung von Wasser, Luft, Boden, Tieren und Pflanzen“. Hinzu kommen Lagerung und Behandlung gefährlicher Abfälle unter Bedingungen, „die den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt gewährleisten“. Die Sicherung von Gefahrstoffen muss „während des gesamten Schiffsrecyclingprozesses“ gewährleistet sein, „um jegliche Freisetzung in die Umwelt zu verhindern“.

Dies bedeutet in der Praxis, dass – wie es im Text heißt – „sämtliche Gefahrstoffe vom Schiff entfernt sowie gesammelt, gelagert, befördert und entsorgt werden müssen, ohne (z. B. mit bloßen Händen, durch Einatmen usw.) unmittelbar mit der Umwelt oder den Arbeitern in Berührung zu kommen“. Diese Vorgaben beziehen sich namentlich auf die Asbestbeseitigung, auf Farben und Beschichtungen am Schiffsrumpf sowie auf flüssige Abfälle, heißt es in einem Durchführungsbeschluss der EU-Kommission zur Aufstellung der europäischen Liste von Abwrackeinrichtungen vom Dezember 2022.

151 anstatt 443
Bereits 2019 hatte die NGO Shipbreaking Platform das europäische Vorgehen positiv hervorgehoben: Mit seinen zusätzlichen Sicherheits- und Umwelt-Auflagen gehe es weiter als das Hongkong Übereinkommen, verbiete das Recyceln auf den Strand gesetzter Schiffe und enthalte Vorgaben zu Arbeitnehmerrechten und zur Bewirtschaftung von belasteten Abfällen. Darüber hinaus würden Schiffsrecycling-Werften auf der Liste der EU stärker geprüft mittels einer unabhängigen Zertifizierung und Auditierung durch Dritte. Und Nichtregierungs-Organisationen hätten die Erlaubnis, sich zu beschweren, falls sie Bedenken haben, dass eine auf der Liste stehende Werft nicht im Sinne der Regularien arbeitet. Das Überprüfungssystem scheint zu funktionieren. Am 1. Februar dieses Jahres veröffentliche die EU-Kommission die 10. Ausgabe der europäischen Liste von Schiffsrecycling-Einrichtungen: Zwei in der Türkei liegende Werften seien von der Liste gestrichen worden, da sie den Regularien nicht entsprachen. Bei der einen fehlte ein zufriedenstellender Arbeitsschutz, bei der anderen wurde die Transparenz der Demontage-Arbeitsabläufe vermisst. Dagegen nahm die Kommission einen bulgarischen Schiffsrecycler in die Liste auf und verlängerte die Ablauffristen für zwei Werften in Frankreich und Litauen.

Die Aufstellung umfasst mittlerweile 45 Schiffswerften, davon 38 in der EU, Norwegen und dem Vereinigten Königreich, sechs in der Türkei und eine in den USA. Etliche Werften auf der Liste sind inzwischen auch ausgelegt für das Recycling großer Schiffe. Insgesamt liegt die Recyclingkapazität aber vielfach höher als die Nachfrage. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass laut der NGO vorliegenden Daten 2022 von 443 Ozean-tauglichen Handelsschiffen und Offshore-Einheiten, die zur Verschrottung anstanden, 292 große Tanker, Massengutfrachter, schwimmende Plattformen, Fracht- und Passagierschiffe an den Stränden von Bangladesh, Indien und Pakistan angelandet wurden.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 03/2023, Seite 8, Foto: knovakov / stock.adobe.com)