Verbundprojekt untersucht: Werkstoff- und Langzeiteigenschaften von Rezyklaten

Auf welche Eigenschaften und Faktoren kommt es bei post-consumer-Rezyklaten an, damit sie als technische Kunststoffe für hochwertige industrielle Anwendungen taugen? Dazu will ein Verbundprojekt des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF gemeinsam mit Projektpartnern Grundlagen und Perspektiven erarbeiten. Untersucht sollen neben der Zusammensetzung der Eingangsmaterialien auch Einflussgrößen während der Compoundierung und sowie resultierende Anwendungseigenschaften werden.

Gefragt: Rezyklate für anspruchsvolle Anwendungen
Die Kunststoffindustrie erwartet tragfähige und praktisch umsetzbare Lösungen, die den Anteil von Rezyklaten selbst in technisch anspruchsvollen Anwendungen deutlich erhöhen. Dabei ist deren Qualität zunächst ausgesprochen fraglich. Während post-industrial-Rezyklate noch sehr definiert kombiniert wurden, erweist sich die Vielfalt möglicher Zusammensetzungen wie zum Beispiel Fremdpolymere, Nicht-Kunststoffanteile, Additive oder Klebstoffe bei post-consumer-Rezyklaten (PCR) als sehr hoch. Hinzu kommen verschiedene Alterungszustände, regionale sowie saisonale Schwankungen oder auch der jeweilige Anteil an PCR im Compound, der sich in der Regel auf Verarbeitbarkeit und mechanische Eigenschaften auswirkt. Ohnehin bestimmt die Zusammensetzung die Alterungsbeständigkeit und damit die Lebensdauer eines Compounds. Der Zustand des eingesetzten Stoffstroms sowie die verwendeten Sortier-, Trenn- und Aufbereitungstechnologien haben entscheidenden Einfluss auf die Qualität des resultierenden Rezyklats. Schließlich bestehen noch beim Compoundieren verschiedene Möglichkeiten, die Qualität und die Eigenschaften durch verschiedene Maßnahmen weiter zu optimieren.

Vielfach noch Trial-and-Error
Wie geeignet sind sortierte und aufgereinigte Flakes, Granulat oder Mahlgut als extrudierfähige Sekundärmaterialien? Bereits ihre Identifikation und Bewertung ist mit hohem Aufwand verbunden. Die nachgelagerten Schritte wie beispielsweise Charakterisierung, Qualitätskontrolle oder Homogenisierung sind ebenfalls aufwändig und benötigen große, sichere Chargen. Die Komplexität der Faktoren erhöht sich zusätzlich durch Variablen, die die Compoundierung mit sich bringt – etwa durch eine gezielte (Re-)Additivierung oder durch den anteiligen Einsatz von Neuware. Ob im Ergebnis Zieleigenschaften wie mechanische Flexibilität oder Alterungsbeständigkeit erreicht werden und ob diese auch über weitere Variablen wie der Charge-zu-Charge-Variabilität von Eingangsstoffströmen sicher zu beherrschen sind, zeigt sich oftmals erst im späteren Entwicklungs- oder Optimierungszyklus. Vielfach erfolgt dies bislang nach der Trial-and-Error-Methode.

Abhängigkeiten erkennen
Ziel des angestrebten neuen Verbundprojektes ist es, umfangreiche Kenntnisse zu den Zusammenhängen der genannten Eigenschaften, Faktoren und Abhängigkeiten zu entwickeln. Dies soll beispielhaft bei einer Auswahl von Kondensationspolymeren erfolgen, die in technischen Anwendungen zum Einsatz kommen, darunter Polyamide (PA), Polyethylenterephthalat (PET), Polybutylenterephthalat (PBT) oder Polycarbonat (PC). Für diese Materialien werden zunächst alle zugänglichen Informationen gesammelt – Quellen, die über Verfügbarkeiten, Qualitätsbeschreibungen und Bezugsquellen, aber auch Maßnahmen zur Qualitätssteigerung bei der Compoundierung wie Kompatibilisierung, Kettenverlängerung oder Re-Stabilisierung Auskunft geben. Hinzu kommt ein Überblick über wesentliche und aktuell verfügbare Additive bzw. Additivpakete zur Optimierung von mechanischen Eigenschaften und Alterungsverhalten technischer Kunststoffe. Dem schließt sich eine systematische Betrachtung der material- und zustandsspezifischen Faktoren an, die über die Art des Polymers, die Qualität des eingesetzten Rezyklats und gegebenenfalls dessen Alterungszustand aufklärt. Diese Informationen lassen sich ergänzen durch bislang bekannte Informationen zu Wirkweisen und Mechanismen der Alterung an Rezyklaten und ihrer Einflussfaktoren.

Herstellung von Formulierungen
Unter Berücksichtigung individueller Anforderungsprofile werden am Fraunhofer LBF beispielhafte und repräsentative Formulierungen – also Verbindungen verschiedener Komponenten – unter Nutzung von ausgewählten Rezyklaten und definierten Additiven hergestellt. Die eingesetzten Rezyklate erfahren zuvor eine eingehende Charakterisierung im Hinblick auf ihre – für Verarbeitung und Anwendungseigenschaften relevanten – molekularen Parameter. Die chemische Zusammensetzung (hinsichtlich Polymeranteil und Fremdstoffen), die Art der Additive und die Molekulargewichts-Verteilung stehen dabei im Fokus.

Zur Abschätzung oder Vorhersage
In der Praxis bedeutet das, dass die rheologischen Eigenschaften der hergestellten Compounds ermittelt und ihr mechanisches Verhalten durch Zug-Dehnungs-Versuche, gegebenenfalls ihre Kerbschlag-Zähigkeit und schließlich ihre Langzeit-Charakteristika durch eine Ofenalterung bewertet werden. Mehrere Compoundier- und Spritzgusskampagnen – insgesamt maximal 60 Variationen – dienen dazu, die Vielzahl der Einflussparameter weiter zu reduzieren und die zugrundeliegenden Abhängigkeiten zunehmend besser verstehen zu können. Jeder Kampagne folgen ausgewählte materialanalytische Untersuchungen zur besseren Einordnung der zugrundeliegenden Wirkweisen und Abhängigkeiten auch auf molekularer Ebene. Hierbei kommen verschiedene thermische, mikroskopische, spek­troskopische und chromatografische Methoden zum Einsatz. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, lassen sich die Beziehungen von Material-Struktur zu -Eigenschaften ableiten. Das Ziel: ein besseres Verständnis der Abhängigkeiten mechanischer, rheologischer und Langzeit-Eigenschaften beim Einsatz von post-consumer-Rezyklaten ausgewählter technischer Thermoplaste. Darüber hinaus sollen diese Erkenntnisse der Abschätzung oder Vorhersage ähnlicher Zusammensetzungen dienen.

Insgesamt versteht sich das Projekt zusätzlich als interdisziplinäre Plattform für Akteure der gesamten Wertschöpfungskette, um zielgerichtet Lösungsansätze für Problemstellungen zu erarbeiten, die sich rund um die Kreislaufwirtschaft für technische Kunststoffe ergeben.

www.lbf.fraunhofer.de

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 04/2023, Seite 44, Foto: luckakcul / stock.adobe.com)