Internationaler bvse-Altkunststofftag 2023: „Die Kunden kaufen nicht“

Die kunststoffverarbeitende Industrie setzt wieder hauptsächlich auf Neuware und listet Rezyklate aus, seitdem sich die Logistikketten nach Corona in der zweiten Jahreshälfte 2022 neu sortiert haben. Neuware ist derzeit sehr billig in Europa, und scheinbar zählt nur das billigste Angebot, sodass Rezyklate deutlich weniger nachgefragt werden. Mit dieser prekären Situation für die Recyclingwirtschaft befasste sich der 25. Internationale Altkunststofftag 2023 des bvse am 6. und 7. Juni in Dresden.

„Wir sind ausverkauft“, hatte Dr. Dirk Textor (Mitte) noch letztes Jahr gemeldet. Heute steckt der Markt für Altkunststoffe und Rezyklate in einer tiefen Krise. Links im Bild Dr. habil. Thomas Probst und rechts Dr. Martin Engelmann in der Pressekonferenz (Fotos: Marc Szombathy)

In der Pressekonferenz mit Vertretern der Fachmedien berichtete Dr. Dirk Textor, Vorsitzender des bvse-Fachverbandes Kunststoffrecycling, dass sich die Marktlage – wider Erwarten – grundlegend geändert hat. Beim Branchentreff im letzten Jahr stellte sich die Situation noch gut dar. „Wir sind ausverkauft“, hatte Textor damals gemeldet. Heute steckt der Markt für Altkunststoffe und Rezyklate in einer tiefen Krise, wie auch bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock in seiner Begrüßungsrede zum 25. Internationalen Altkunststofftag bemerkte: „Die Nachfrage nach Rezyklaten hat deutlich nachgelassen. Die Lager laufen voll und die Produktion wird heruntergefahren.“ Was schwer zu erklären und Rehbock unverständlich ist: „Ja, wir wissen, die Konjunktur lahmt und dass die Bauwirtschaft einen großen Anteil an der Entwicklung hat. In den Geschäften sehen wir immer mehr Produkte mit Rezyklatanteil; dennoch fahren die Hersteller ihren Rezyklateinkauf zurück. Ich weiß nicht, wie man solche Entscheidungen treffen kann.“ Das gesamte Recycling werde gefährdet.

Die Werke von Veolia PET Germany in Rostock und FVH Folienveredelung in Schwerin sind geschlossen worden. Veolia ist der dauerhafte wirtschaftliche Betrieb seiner PET-Recyclinganlage nicht mehr möglich, begründete das Unternehmen seine Entscheidung: „Eine Absicherung des Absatzes von recyceltem PET ist in Zusammenarbeit mit der Getränkeindustrie und/oder dem Handel nicht gelungen.“ Recycling-PET ist der einzige Kunststoff, der bei Verpackungen mit direktem Lebensmittelkontakt eingesetzt werden kann.

Preisverfall und hohe Kosten zu tragen
Laut Dirk Textor tobt ein brutaler Preiskampf zwischen Neuware und Kunststoffrezyklaten. Billige Neuware verdränge derzeit auch Recycling-PET auf allen Ebenen. Der Absatz von Mahlgütern, Regranulaten und Compounds sei ins Stocken geraten. „Die Kunststoffrecycler laufen im Input mit Verarbeitungsware voll und finden für ihre Produkte im Warenausgang keine Abnehmer“, schilderte Textor. Eine Besserung dieser „fatalen Situation“ sei derzeit nicht in Sicht. Außer dem Preisverfall seien hohe Kosten für Energie und Transport zu tragen. Und enorme Ausgaben zur Herstellung fielen vor allem in Europa an. Importe aus Nahost und Fernost seien nicht von den kriegsbedingten Sanktionen betroffen.

Eric Rehbock: „In den Geschäften sehen wir immer mehr Produkte mit Rezyklatanteil; dennoch fahren die Hersteller ihren Rezyklateinkauf zurück. Ich weiß nicht, wie man solche Entscheidungen treffen kann“

Überdies seien hohe Lohnabschlüsse zu schultern. Auch alle Nebenkosten (Versicherungen, Wartungen, Ersatzteile, Maschinen und Anlagen) verteuerten sich beständig. Und schließlich führe die Inflation zu Konsumverzicht. Textor: „Es gibt einen enormen Nachfrageeinbruch bei privaten und gewerblichen Verbrauchern. Die aufgerufenen Verteuerungen können die Verbraucher kaum noch tragen. Steigende Zinsen haben einen negativen Einfluss auf die Bauwirtschaft.“

„Scheinheilig und kurzsichtig“
Die kunstoffverarbeitende Industrie habe Textor zufolge eine „Verweigerungshaltung“ eingenommen: „Das jetzt zu beobachtende, kurzfristige Marktverhalten der Kunststoffindustrie, die fast ausschließlich auf Neuware setzt, ist ein Irrweg. Da wird zwar stolz der Start der Initiative Klimaschutz Kunststoffindustrie gefeiert, aber gleichzeitig setzen die Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie auf billige Neuware mit großem CO2-Rucksack und pfeifen auf die klimafreundlichen Rezyklate. Das nenne ich scheinheilig und kurzsichtig. Denn man darf nicht annehmen, dass einmal stillgelegte Anlagen innerhalb kurzer Zeit wieder hochgefahren werden können. Anlagen müssen kontinuierlich betrieben werden, um die benötigten Mengen in geeigneten Qualitäten darstellen zu können.“

Dr. habil. Thomas Probst bezweifelt, dass der vorliegende PPWR-Entwurf die Zielsetzung auch nur im Ansatz erreichen kann

Erwartet wird, „dass sich alle Beteiligten der Kunststoffkette endlich ihrer Verantwortung stellen.“ Hier seien in erster Linie die Kunststoffverarbeiter, Verpacker und Inverkehrbringer in der Pflicht. Rezyklate seien ein integraler Bestandteil der Kunststoffherstellung und der Kunststoffverarbeitung. Die kunststoffverarbeitenden Unternehmen sollten aus purem Eigeninteresse sehr genau ihr derzeitiges Marktverhalten überprüfen und sich schleunigst auf den Weg zu mehr Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz machen, rät Textor.

„Was ist eigentlich so schwer daran?“
Nicht förderlich sei hier der anhaltende Trend zu Faserverbunden, die schwer bis gar nicht recycelt werden könnten. Weiter im Gebrauch sind außerdem dunkle und schwarz­eingefärbte Kunststoffe, mehrschichtige Folienverpackungen aus verschiedenen Polymeren und insbesondere bei Folien genutzte Druckfarben, die sich beim Regranulieren zersetzen und hierdurch einen erheblichen negativen Einfluss auf die Qualität und die Einsatzmöglichkeiten der Rezyklate haben. „Was ist eigentlich so schwer daran, recyclingfreundliche Verpackungen herzustellen, die das Produkt schützen, seinen Verkauf fördern und gleichzeitig einen echten Mehrwert für die Kreislaufwirtschaft darstellen?“, fragte Dirk Textor in die Journalistenrunde. „Wie wollen wir den Umbau von einer linearen Wirtschaft zur Kreislaufwirtschaft schaffen, wenn wir schon an diesem überschaubaren Problem scheitern?“

Von Förderungen praktisch ausgeschlossen
Dr. habil. Thomas Probst, Referent bvse-Fachverband Kunststoffrecycling, bemängelte im Pressegespräch, dass das Kunststoffrecycling derzeit von finanziellen Förderungen praktisch ausgeschlossen ist. Die Genehmigungsverfahren für neue Recyclinganlagen erweisen sich ohnehin als langwierig, bürokratisch aufwändig und teuer. Grundlage für die Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (KUEBLL), Energiekostendämpfungsprogramme und ähnliche Förderprogramme ist die nationale Klassifikation der Wirtschaftszweige, die sogenannten NACE-Codes. Recycelte Kunststoffe sind hier nicht aufgeführt und Unternehmen in diesem Bereich infolge nicht förderwürdig. „In anderen EU-Ländern wird dies anders gehandhabt“, stellte Probst eine enorme Wettbewerbsverzerrung zulasten der deutschen Recyclingunternehmen fest.

Die Forderung nach einer zweiten Rechtsgrundlage für die EU-Verpackungsverordnung ist für Dr. Martin Engelmann ein Spiel mit dem Feuer

Im Gegensatz zum Wirtschaftszweig Primärkunststoff-Gewinnung (NACE/WZ 20.16) ist auch die Sekundärrohstoff-Gewinnung als nicht förderfähig eingestuft. Der bvse kann nicht nachvollziehen, „dass in einer Zeit, in der die Klimaziele verfehlt werden, die Primärrohstoff-Gewinnung als förderfähig eingestuft und die Sekundärrohstoff-Gewinnung ausgegrenzt wird. Dies widerspricht den Klimazielen, dem Wunsch nach Kreislaufwirtschaft und dem Green Deal.“

Ein Entwurf der vielen Fragezeichen
Der Entwurf einer europäischen Verpackungsverordnung (PPWR) liegt auf dem Tisch. Wie Thomas Probst dazu ausführte, findet die politische Zielsetzung der EU-Kommission, einen hochwertigen und geschlossenen Recyclingkreislauf zu schaffen, in dem alle Verpackungen wirtschaftlich recycelt werden können, die Zustimmung des bvse und der vom Verband vertretenen mittelständischen Recyclingunternehmen. Gleiches gilt für das Ziel, den Bedarf an Primärrohstoffen zu reduzieren und die Schaffung eines gut funktionierenden Marktes für Sekundärrohstoffe durch verbindliche Rezyklateinsatzquoten zu schaffen.

Martin Bäcker sieht eine Bodensatzbildung nicht vor dem vierten Quartal 2023 gegeben. Die Rezyklat- und Neuware-Preise würden sich wieder angleichen

Bezweifelt wird aber, dass der vorliegende Verordnungsentwurf diese Zielsetzung auch nur im Ansatz erreichen kann. Es sei ein Entwurf der vielen Fragezeichen, bewertete Probst. Immer, wenn es konkret werden müsste, werde auf delegierte Rechtsakte verwiesen, die noch verabschiedet werden müssen und die ohne die Einbeziehung der Stakeholder beraten und beschlossen würden. Die Regelungen bezüglich der Recyclingquoten könnten um bis zu fünf Jahre verschoben werden. Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten werde die Folge sein. Thomas Probst: „Eine Überprüfung der erreichten Ziele der Verordnung soll erst nach acht Jahren erfolgen. Das ist ein viel zu langer Zeitraum. Ob eine Notwendigkeit zum Nachsteuern besteht, wird sich schon deutlich früher zeigen und sollte nicht auf die lange Bank geschoben werden. Und zudem behält sich die EU-Kommission vor, die durchschnittlichen Verlustraten bei der Verwertung zu einem späteren Zeitpunkt mittels delegiertem Rechtsakt festzulegen. Für den Aufbau von Recyclingstrukturen – und diese sollen ja gerade gefördert werden – ist es aber unabdingbar, die durchschnittlichen Verlustraten für die einzelnen Verfahren vorab zu kennen.“

Mehr als genügend Möglichkeiten
In der Verordnung sei zwar viel die Rede von Recycling, doch es werde im Unklaren gelassen, ob hier das werkstoffliche Recycling gemeint ist oder ob die Zielhierarchie der Europäischen Union langsam, aber stetig durch neue Definitionen aufgeweicht werden soll. „Es ist schon bemerkenswert, dass zum Beispiel die Regelungen zum Recycling von Lebensmittelverpackungen die Tür für das werkstoffliche Recycling mit lautem Knall zuschlagen“, urteilte Probst. „Das halten wir für einen schweren Fehler. Wir plädieren vielmehr dafür, dass Rezyklate aus Lebensmittelverpackungen nicht nur im Food-Bereich, sondern auch für Non-Food-Verpackungen und anderen hochwertigen Einsatzmöglichkeiten zugelassen werden. Auch der Non-Food-Bereich garantiert, dass Verpackungen in nachhaltiger Weise recycelt werden.“

Christian Hündgen verzeichnet für sein Unternehmen keine rückläufigen Mengen an Verpackungsabfällen

Für den Einsatz von Rezyklaten in Non-Food-Verpackungen gebe es mehr als genügend Möglichkeiten. So könnten beispielsweise auch Non-Food-Verpackungen aus den Bereichen Care und Home Care große Mengen an Rezyklaten ökologisch vorteilhaft aufnehmen und Neuware ersetzen. Andere hochwertige Einsatzmöglichkeiten von Rezyklaten finden sich in den Bereichen Fahrzeugbau, Elektro und Elektronik sowie Leisure. „Es kann ja nicht darum gehen, unbedingt Rezyklate für Verpackungen mit Lebensmittelkontakt einzusetzen, sondern es muss darum gehen, aus den vorhandenen Kunststoffabfällen so viel einsatzfähiges Rezyklat wie möglich herzustellen, mit dem Kunststoffe in Primärform ergänzt beziehungsweise ersetzt werden“, kommentierte Probst.

Überbordende Kontrolle
Mit der vorliegenden Novellierung würden in den Mitgliedstaaten und überdies auch auf europäischer Ebene Bürokratiemonster erschaffen, die keinen Mehrwert bei Entsorgung und Recycling von Kunststoffen bieten. „Die für die Umsetzung in den Mitgliedstaaten notwendige Bürokratie wird durch die vorliegende Verordnung beträchtlich ausgeweitet“, befürchtet Probst. „Das zeigt sich beispielhaft bei den zu begrüßenden verpflichtenden Mindestrezyklat­anteilen. Hier wird im Entwurf verlangt, dass sich bei der Berechnung des Rezyklatanteils auf jede einzelne Verpackung bezogen werden muss.“

Auch bei silver plastics sind die Absätze dramatisch eingebrochen, wie Sebastian Kremer berichtete

Die Anforderung an Rezyklateinsatzquoten in jeder einzelnen Verpackung führe nicht nur zu einer überbordenden Kontrolle, sondern auch noch zu Stoffverschiebungen ungeheuren Ausmaßes. All dies könne nicht nachhaltig in die Praxis umgesetzt werden und stehe auch im Widerspruch zu den Vorgaben der Berechnung der Rezyklatanteile in PET-Flaschen gemäß der europäischen Einwegkunststoffrichtlinie. Darin wird der Rezyklatanteil als „Durchschnitt aller im Hoheitsgebiet des im jeweiligen Mitgliedstaat in Verkehr gebrachten PET-Flaschen“ berechnet. Für Thomas Probst wäre das ein gangbarer und erprobter Weg: „Den Herstellern sollte freigestellt sein, den Rezyklatanteil auf Produktbasis oder im Durchschnitt der Gesamtmenge der Produkte zu berechnen. Unsere Empfehlung ist ganz klar: Die vorgelegte EU-Verordnung muss grundlegend überarbeitet, entschlackt und auf diese Hauptziele fokussiert werden: Förderung geschlossener Kreisläufe, die Stärkung der Märkte für Sekundärrohstoffe und den Ausbau des Kunststoffrecyclings.“

Auf diese Quote verzichten
Beim Pressegespräch kam auch Dr. Martin Engelmann zu Wort. Der Hauptgeschäftsführer der IK Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. moderierte im weiteren Programm des Altkunststofftages eine Podiumsdiskussion zum Thema EU-Verpackungsverordnung. Die von der Kommission vorgeschlagene Festlegung von Mindest-Rezyklatanteilen ab 2030 unter anderem für Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff (außer PET) wird von der IK kritisch gesehen, weil für diese Lebensmittelverpackungen noch keine zugelassenen Rezyklate zur Verfügung stünden und die Nicht-Erfüllbarkeit der Vorgaben Vermarktungsverbote nach sich ziehen würde. Begrüßt wird der Vorstoß der federführenden Berichterstatterin im Europäischen Parlament, Frédérique Ries, auf diese Quote zu verzichten. „Auch der deutsche Bundesrat hat sich jüngst in diese Richtung geäußert“, fügte Engelmann hinzu. Die IK ist gegen Rezyklatquoten für kontaktempfindliche Kunststoffverpackungen.

Eine zweite Rechtsgrundlage würde die angestrebte Harmonisierung des Verpackungsrechts „ausfransen“, meint MinDirig Dr. Christoph Epping

Keine pauschalen Ausnahmen
Der Kommissionsentwurf sieht bei den Mehrwegquoten zahlreiche Ausnahmen für faserbasierte Verpackungen vor. Aus dem EP-Parlament kommt zudem die Forderung, mit Kunststoff beschichtete Papierverpackungen von den Rezyklateinsatzquoten auszunehmen. „Wir setzen uns dagegen für materialneutrale Regelungen ein“, erklärte Engelmann. „Wo Mehrwegverpackungen aus ökologischen Gründen gefördert werden sollen, darf es keine pauschalen Ausnahmen für bestimmte Materialarten geben, sonst wird nur ein Einwegprodukt durch ein anderes ersetzt. Ebenso sollte es keine Ausnahmen von der Rezyklateinsatzquote geben, wenn der Kunststoff mit anderen Verpackungsmaterialien kombiniert wird, weil dadurch nur ein Ausweichen in nicht oder nur schwer recycelbare Verbundverpackungen und laminierte Verpackungen gefördert würde. Es ist daher gut, dass sich der Bundesrat gegen entsprechende Vorschläge ausgesprochen hat.“

Anders als von der Kommission vorgeschlagen, sollten die Rezyklateinsatzquoten für Kunststoffverpackungen nicht pro Verpackung, sondern auf den Durchschnitt der von einem Unternehmen in Verkehr gebrachten Verpackungen angewendet werden, damit die Unternehmen auf Preis- und Lieferschwankungen flexibler reagieren können. Dafür scheint es breiten Konsens sowohl im Parlament als auch bei den Mitgliedstaaten zu geben. Engelmann und der IK genügt das allerdings nicht: „Die Voraussetzungen für den Einsatz von Rezyklaten sind höchst unterschiedlich. So kann zum Beispiel in einem Farbeimer wesentlich mehr Recyclingmaterial eingesetzt werden als in einer Shampoo- oder gar Lebensmittelverpackung. Sinnvoll wäre es deshalb, einen Ausgleich zwischen verschiedenen Herstellern zu erlauben. Es kommt nicht darauf an, wo das Recyclingmaterial eingesetzt wird, sondern dass insgesamt mehr erdölbasierter Kunststoff durch Rezyklat ersetzt wird.“

Nur durch den EU-Gesetzgeber
Die IK empfiehlt, die Mindest-Recyclingfähigkeits-Stufe von 70 auf 80 Prozent zu verschärfen und Verpackungen, bei denen von vornherein mehr als 20 Prozent Materialverlust eingeplant sind, ab 2030 nicht auf den Markt zu bringen. Hier sollte besser auf vollständig recycelbares Monomaterial gesetzt werden. Zudem wäre es besser, industrielle und großgewerbliche Verpackungen bei den Recyclingfähigkeits-Kriterien besonders zu berücksichtigen und Verpackungen von schadstoffhaltigen Füllgütern gesondert zu verwerten. Bei der Definition, wann eine Verpackung in „großem Umfang“ recycelt wird, sollte auf die verfügbaren Verwertungskapazitäten abgestellt werden. Bei der Berechnung des Lizenzentgelts für Kunststoffverpackungen sollte ausschließlich auf deren Recyclingfähigkeit gesetzt werden. Auch dies hatte der Bundesrat jüngst gefordert.

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Die IK spricht sich des Weiteren dafür aus, Verpackungsverbote nur durch den EU-Gesetzgeber und nicht von der Kommission zu erlassen. Um eine Rückkehr zu einheitlichen Verpackungsregeln im EU-Binnenmarkt zu erreichen, sollte es Mitgliedstaaten nicht erlaubt werden, von den Vorgaben für das Verpackungsdesign, die Verpackungsverbote und die Wiederverwendungsquoten abzuweichen. Auch Wiederverwendungsquoten hätten einen starken Binnenmarktbezug und müssten daher EU-weit einheitlich geregelt werden.

Das wäre das Ende des Binnenmarktes
Die Forderung nach einer zweiten Rechtsgrundlage für die Verordnung ist für Martin Engelmann ein Spiel mit dem Feuer, „weil es dadurch Mitgliedstaaten möglich wäre, von den EU-Regeln abweichende Vorschriften zu erlassen. Zwar hat die Bundesregierung hier die Vorgaben zur Abfallbewirtschaftung im Blick. Einige Mitgliedstaaten verbinden mit der zusätzlichen Rechtsgrundlage allerdings die Hoffnung, bestehende nationale Vorschriften zum Beispiel für das Verpackungsdesign und Verpackungsverbote beizubehalten beziehungsweise neue einzuführen. Das wäre das Ende des Binnenmarktes, wie wir ihn kennen.“

Auf Zustimmung stößt der Vorschlag der Kommission, die Menge an Verpackungsabfällen insgesamt schrittweise zu reduzieren. Engelmann: „Kunststoffverpackungen tragen aufgrund ihres geringen Gewichts bei zugleich hoher Funktionalität zur Reduktion der Verpackungsmenge bei. Außerdem eignen sich Kunststoffverpackungen gut als Mehrweglösung. Den Vorschlag der Berichterstatterin für ein Sonder-Reduktionsziel für Kunststoffverpackungen lehnen wir deshalb entschieden ab. Einer aktuellen Untersuchung der GVM Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung zufolge würde die Menge der haushaltsnah anfallenden Verpackungen um zehn bis 20 Prozent zunehmen, wenn – wie von Ries vorgeschlagen – zehn Prozent der Kunststoffverpackungen durch andere Materialien ersetzt werden müssten.“ Der Vorschlag würde auch den Trend zu Faser-Kunststoff-Verbunden und laminierten Papierverpackungen verstärken – zulasten der Kreislaufwirtschaft. Eine Kreislaufwirtschaft könne nur durch einen diskriminierungsfreien ökologischen Wettbewerb aller Materialien erreicht werden.

Wie Kontaminationen die Qualität beeinträchtigen
Professor Rainer Dahlmann, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Kunststoffverarbeitung (IKV) an der RWTH Aachen, betrachtete in seinem Gastvortrag die Anforderungen an das Kunststoffrecycling aus der Perspektive von Forschung und Entwicklung. Im Jahr 2021 wurden in Deutschland 2,3 Millionen Tonnen Rezyklate eingesetzt, davon 43 Prozent in Bauprodukten, 24 Prozent in Verpackungen und elf Prozent in Artikeln (z. B. Folien) für die Landwirtschaft. Andere Verwendungen, zum Beispiel im Fahrzeugbau oder zur Herstellung von Elektronikgeräten, fielen mit vier und zwei Prozent kaum ins Gewicht. Der Neuwaren-Einsatz betrug rund 14 Millionen Tonnen (Quelle: Conversio-Studie „Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland 2021“).

Dahlmann beobachtet eine Verschiebung der Werkstoffe von kurzlebigen zu langlebigen Produkten, wenig geschlossene Kreisläufe und Eigenschaftsverluste: „Jedes Kunststoffprodukt, das auf den Markt kommt, wird getrimmt auf eine bestimmte Verarbeitungsweise, auf ein bestimmtes Eigenschaftsportfolio. So können Sie bestimmte Werkstoffe kaufen, um bestimmte Folien zu erzeugen. Wenn wir diese Produkte dann beispielsweise dem Bau zuführen, dann verlieren wir diese typischen Eigenschaften. Wir haben außerdem immer wieder Kunststoffverbunde, die sich nicht wirklich trennen lassen. Es gibt zwar spezielle Lösungen, um Barriere-Kunststoffe und Haftvermittler in Verpackungen abzulösen und getrennt zu entsorgen, doch der Aufwand ist relativ groß. Hinzu kommen die ganzen Kontaminationen, die die Produktqualität beeinträchtigen – durch bestimmungsgemäßen Gebrauch und nicht-bestimmungsgemäßen Gebrauch.“

Die Getränkeindustrie möchte prioritären Zugang zu den Rezyklaten aus den Pfandsystemen haben. Antoine Stilo kritisiert das als Wettbewerbsverzerrung

Untersuchungen des IKV ergaben, dass Regranulate für Folien beispielsweise aus verschiedenen Kunststoffen zusammengesetzt sein können: PE-LLD, PE-LD, PE-HD, PP – Werkstoffe, die sich schlecht trennen lassen, weil sie eine unterschiedliche Dichte-Verteilung haben. „Großtechnisch ist das eine Herausforderung und einfach teuer“, merkte Dahlmann an. Hinzu kommen Druckfarben, Klebstoffe, Barrieren (z. B. PA, EVOH, PET, Aluminium, PVC oder PVDC), Füllstoffe/Anorganik und Rückstände im Rezyklat, die dann in der Verarbeitung am Ende massive Auswirkungen haben auf die Fließfähigkeit und das Abbauverhalten von Kunststoffen.

Was auf dem Wunschzettel steht
„Während wir bei neuen Werkstoffen ziemlich genau wissen, was da alles drin ist, samt Stabilisatoren, können Sie das hier gar nicht richtig einstellen, weil das Portfolio an Produkten, die da drin sein können, eine beschleunigte Wirkung hat. Sie kriegen zwar eine Folie raus, aber diese Folie hat andere Eigenschaften“, zeigte Dahlmann auf. Eine Vielzahl von Verunreinigungen (z. B. Papier, PA, Aluminium, Elastomere) können mit herkömmlichen Recyclingmethoden nicht herausgefiltert werden und verursachen lokale Foliendefekte (Löcher), Vernetzungen durch Degradation, Stippen und schlechte Oberflächen. Die abrasive und korrosive Wirkung fördert Verschleiß in der Anlagentechnik.

Dahlmann folgerte daraus: „Wir brauchen bessere Kunststoffrezyklate, das heißt höhere Typenreinheiten. Am liebsten wäre uns, wir hätten eine Sortierung mit Anwendungsbezug. Was lebensmitteltauglich ist, sollte lebensmitteltauglich bleiben. Das steht auf unserem Wunschzettel.“ Wichtig wäre, Informationen von allen Playern in der Prozesskette zu haben. Wie können diese gesammelt werden? Das IKV an der RWTH ist an einem Verbundprojekt beteiligt, das für jedes Produkt einen digitalen Produktpass entwickelt. „Die Produkte haben eine digitale Markierung, die vom Recycler ausgelesen werden kann“, umriss Rainer Dahlmann die Zielsetzung. „Der Recycler weiß genau, was für ein Produkt das ist, welche Farben drauf sind, welche Kunststoffe und Füllstoffe drin sind, oder ob das Produkt Verunreinigungen und Defekte aufweist.“

Vorgestellt wurde außerdem das Projekt KIOptiPack. Ziel ist es, KI-gestützte Werkzeuge für das erfolgreiche Produktdesign sowie die qualitätsgerechte Produktion von Kunststoffverpackungen mit hohem Rezyklatanteil in einem KI-Anwendungs- und Datenraum bereitzustellen, zu validieren und in die Anwendung zu transferieren. Dies wird mit der Bildung einer zentralen Netzwerkplattform für das Wertschöpfungsengineering verknüpft. Die gesamte Wertschöpfungskette – vom Sekundärrohstoff über Material- und Verpackungsentwicklung, Prozessauslegung, Verpackungsproduktion bis hin zum Konsumenten – wird einbezogen. Plasmatechnologien bieten hier weitere Potentiale. So ermöglichen plasmainduzierte Barriere-Beschichtungen die Nutzung von PCR in Lebensmittelkontakt-Anwendungen.

Eine völlig neue Situation
Dem Vortrag von Prof. Rainer Dahlmann schloss sich eine Diskussionsrunde zum Thema „Mengen, Märkte, Preise – Entwicklungen und Strategien“ an. Moderiert von Dr. habil. Thomas Probst nahmen daran teil: Martin Bäcker (Redaktion KI – Kunststoff Information/Polymere), Christian Hündgen (Geschäftsführer Hündgen Entsorgungs GmbH & Co. KG) und Sebastian Kremer (CSO silver plastics GmbH).

Martin Bäcker bestätigte die völlig neue Marktsituation bei Kunststoffen: dass Recycler mit den Preisen für Neuware nicht mithalten können, dass zu viel Ware da ist, weil weniger gekauft wird, und dass sich das wirtschaftliche Leben verändert hat. Aber trotzdem sind neue Anlagen gebaut worden – in großem Maße. Derzeit kämpfen europäische Erzeuger gegen Neuware-Importe, die deutlich unter ihren Möglichkeiten liegen. Verarbeiter können ähnlich gute Qualitäten, die europäische 1a Typenware darstellen, zu deutlich günstigeren Preisen – um bis zu 300 Euro pro Tonne weniger – frei Haus geliefert bekommen. „Das macht den besonderen Druck aus.“ Bäcker sieht eine Bodensatzbildung nicht vor dem vierten Quartal 2023 gegeben. Die Rezyklat- und Neuware-Preise würden sich wieder angleichen.

„Es ist kein richtiger Bedarf da“
Christian Hündgen verzeichnet für sein Unternehmen keine rückläufigen Mengen an Verpackungsabfällen aus Haushalten: „Nach wie vor haben wir die gleichen Herausforderungen, was die Sortierleistung und die Qualitäten bei der werkstofflichen Aufbereitung angeht. Unsere Anlage, die wir seit Dezember 2022 in Betrieb haben, recycelt schwerpunktmäßig PP-Abfälle. Und auf diesem Markt haben wir seit 2020 ein Joint Venture mit dem Bodenbelag-Hersteller Classen.“

Für Fritz Flanderka sollte das chemische Recycling Teil der Lösung sein

Wenn auch Hündgen aktuell keine großen Lagerbestände vor sich „herschiebt“, so wird doch eine Marktsättigung registriert: „In der Zeit, wo wir mit der Classen Gruppe über die Joint Venture-Unternehmensgründung gesprochen haben, also 2020, haben wir einen PP-Preis von 20 Euro erlebt – ein absoluter Tiefpreis. Wir haben 2022 teilweise Preise von 700 Euro pro Tonne erlebt. Mittlerweile befinden wir uns wieder in Richtung 20 Euro. Es ist kein richtiger Bedarf da.“ Für DSD-Folie gebe es noch gute Absatzmöglichkeiten ins Kunststoffrecycling. Bei PE und PP ist der Absatz deutlich schwieriger geworden. Zurückhaltung macht sich breit, „weil der Preis, den der Einkäufer heute bezahlt, der kann morgen schlecht sein, weil er das Material zu teuer eingekauft hat und nicht los kriegt.“ silver plastics stellt Verpackungen für Lebensmittel aus PP, PE sowie PET her und setzt dazu Rezyklate ein. Sebastian Kremer hatte in den letzten zwei Jahren eigentlich nur Kundengespräche über Preiserhöhungen geführt, wie er erzählte. Das hat sich geändert, und tatsächlich hat das Unternehmen, das grundsätzlich an Langzeitverträgen interessiert ist, auch schon über Spotgeschäfte günstige Rohstoffe eingekauft. Seit Jahresanfang 2023 sind die Absätze von silver plastics dramatisch eingebrochen. „Wir haben aber keinen Kunden verloren“, verwies Kremer, „und haben keine Qualitätsprobleme. Letztlich läuft alles gut; nur die Kunden kaufen nicht.“

Reichen die PET-Mengen?
Diskutiert wurde des Weiteren der Trend zu flexiblen, mehrschichtigen Leichtverpackungen und ob und wie Polystyrol – für den Chemiker Thomas Probst „der kleine Bruder“ von PET – für kontaktempfindliche Kunststoffverpackungen im Lebensmittelbereich eingesetzt und aufgepeppt werden kann. Die PET-Mengen, die im Markt sind, werden – voraussichtlich – künftig nicht ausreichen, um die Anforderungen an die Rezyklat-Einsatzquoten zu erfüllen. Christian Hündgen erwiderte, dass es technisch möglich sei, lebensmittelechtes Recycling-Polystyrol herzustellen. Perspektivisch würde sich das aber nicht lohnen, weil der Anteil an Polystyrol-Verpackungen zurückgegangen sei und es zu viele Alternativen gebe.

Auch silver plastics setzt vor allem auf PET. Probst konfrontierte Kremer in diesem Zusammenhang damit, dass das Unternehmen nicht nur Verpackungen aus Monomaterialien herstellt, sondern auch aus Faserverbunden, die schwer zu recyceln sind. Kremer entgegnete, dass Verbundverpackungen bei silver plastics nur ein Randprodukt seien und Kunden auf der Suche nach Alternativen wären. Dabei wolle man die Kunststoffanforderungen – samt Barriere-Eigenschaften – übertragen können, was nicht funktionieren würde. Weil Verbundverpackungen teurer seien als Monomaterial-Verpackungen, würden die Kunden letztlich wieder auf die PP-Schale zugreifen.

Noch mehr Bürokratie und Registerpflichten?
Unter der Moderation von Dr. Martin Engelmann diskutierten MinDirig Dr. Christoph Epping (Bundesumweltministerium, Leiter der Unterabteilung „Ressourcenschutz, Kreislaufwirtschaft“), Gunda Rachut (Vorstand Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister), Dr. Fritz Flanderka (Geschäftsführer Reclay Group GmbH) und Antoine Stilo (EU Policy Advisor, EuRIC) die geplante EU-Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfall (PPWR) und darüber, welche Maßnahmen erforderlich wären, damit die Kunststoffrezyklat-Einsatzquoten steigen.

Rechtssicherheit ist dabei ein entscheidender Punkt, was die Spezifizierung der Recyclingfähigkeit von Verpackungen angeht. Befürchtet wird jedoch, dass auf die Recycler noch mehr Bürokratie und Registrierpflichten zukommen. Zum Vorschlag zur EU-Verpackungsverordnung liegen 3.000 Änderungsanträge vor. Parlament und Rat müssen im Oktober/November 2023 soweit sein, dass die Trilogverhandlungen mit der Kommission zur Kompromissfindung beginnen können. Alles soll vor den Europawahlen im Juni 2024 fertig werden.

„Stellschrauben, die wir angehen müssen“
Dass bei der letzten Umweltratssitzung einige EU-Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, eine zweite Rechtsgrundlage befürworteten, hat eine heftige Kontroverse ausgelöst. Der Verordnungsvorschlag der Kommission hält am Binnenmarktartikel 114 des EU-Vertrags fest, der auf eine größtmögliche Harmonisierung abzielt. Eine zweite Rechtsgrundlage würde die angestrebte Harmonisierung des Verpackungsrechts erschweren und zu einer Zersplitterung des Binnenmarkts führen, befürchten Wirtschaftskreise. Nach Meinung von Christoph Epping würde das Ganze „ausfransen“. Die Mitgliedstaaten könnten schärfere Maßnahmen erlassen, also weitere Verpackungen verbieten und höhere Rezyklatquoten ansetzen.

Gunda Rachut sieht die Zielsetzung der Verordnung durch Ausnahmeregelungen gefährdet. Auch müsse der Gedanke der Kreislauffähigkeit bis zum Ende gedacht werden: Faserbasierte Verpackungen mit verdichteten Beschichtungen stören das Papierrecycling. Bei den Kunststoffrecyclern kommen sie in die EBS-Fraktion. Für Fritz Flanderka sollte daher das chemische Recycling Teil der Lösung sein. Rachut wiederum fehlen stabile Rahmenbedingungen für Investitionen und Marktförderungen: „Warum müssen spanische Recycler PET in Deutschland kaufen, obwohl es dort ausreichend PET gibt? Weil es in Spanien kein Pfandsystem gibt. Das sind Stellschrauben, die wir angehen müssen.“

Martin Engelmann warf dazu ein, dass die Getränkeindustrie vorgeschlagen hat, dass sie prioritären Zugang zu den Rezyklaten beziehungsweise den Output aus den Pfandsystemen haben sollte. Antoine Stilo kritisierte das als Wettbewerbsverzerrung.

Der 25. Internationale Altkunststofftag 2023 des bvse in Dresden wird auch Thema der nächsten EU-Recycling sein. Fortsetzung folgt …

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 07/2023, Seite 12, Foto: Weima Maschinenbau GmbH)