Auf dem Weg zu einem Digitalen Batterie-Pass
Während der E-Waste World Conference Ende Juni in der Messe Frankfurt wurde vielfach der Wunsch nach einem digitalen Batterie-Pass geäußert. Tatsächlich waren es wohl eher Wünsche nach einem gemeinsamen elektronischen Dokument, um den Zustand von Batterien zu erfassen. Denn es gab und gibt dafür bereits etliche Vorschläge und Ansätze.
Free4LIB ist ein von der EU finanziell unterstütztes Forschungsprogramm zu 21 Technologien, die die gesamte Versorgungskette von Lithium-Ionen-Batterien abdecken. Das Projekt zielt auf die Entwicklung neuer Verfahren zum nachhaltigen und effizienten Aufbereiten von end-of-life Lithium-Ionen-Batterien mit einem Technologiereife-Niveau von 5 bis 6. Free4LIB arbeitet an einer Methode, die auf dem Batterie-Passport-Prinzip beruht, die Nachvollziehbarkeit von Prozessen verbessern will und innovative Recycling-Lösungen liefern soll, um eine effiziente Material-Rückgewinnung in großen Mengen zu erreichen und so die Versorgung aus Sekundärquellen auf EU-Niveau zu verbessern.
Für einen profitablen Batterie-Aftermarket
Vergleichbar mit Free4LIB ist Circunomics, ein Start-Up, das eine große datenbasierte Handelsplattform betreibt. Als erster offener Big Data-Marktplatz für Batteriedaten, -zellen und -recycling möchte Circunomics Industriepartnern die Möglichkeit geben, die Verschwendung wertvoller Batterieressourcen deutlich zu reduzieren, einen „profitablen Batterie-Aftermarket zu schaffen“ und die Abhängigkeit von nicht nachhaltigen ausländischen Lithium- und Kobaltlieferungen zu begrenzen. Angesichts einer „völlig fehlenden Recycling-Rückverfolgung“ fordern die Unternehmer ein sektorübergreifendes Recycling- und Wiedervermarktungsnetz für Batterien.
Zugang für alle Stakeholder
Im Mai 2023 gab Minespider, eine nach Eigendarstellung führende Plattform zur Nachverfolgbarkeit von Versorgungsketten, den Start eines Offenen Batterie-Passports bekannt. Das auf Blockchain basierte digitale Dokument bietet den ersten offenen Zugang für jedermann. Das soll Originalausrüster und Batteriehersteller in die Lage versetzen, kritische Daten über Batterien von Elektrofahrzeugen zu sammeln und auszutauschen, und zwar in Übereinstimmung mit den anstehenden Batterie-Regularien. Unter anderem kann der digitale Pass Unternehmen dabei helfen, alle relevanten ESG-Kennzahlen, Daten zum CO2-Ausstoß und Recycling-Inhalte ausfindig zu machen. Während der letzten zwei Jahre haben sich 15 Unternehmen zugeschaltet, unter anderem Ford Otosan und Renault. „Wir wollen sichergehen, dass alle Stakeholder Zugang zu den Informationen und Einsichten haben, die nötig sind, um die Automobil-Landschaft zu transformieren“, sagt Nathan Williams, der Gründer und Hauptgeschäftsführer von Minespider.
CIRPASS und ESPR
CIRPASS ist die Abkürzung von „Initiative zur Zusammenarbeit für einen Grundlagen-basierten Digitalen Produkt-Pass für ein Stakeholder-spezifisches Teilen von Produkt-Daten für eine Kreislaufwirtschaft“. Das auf 18 Monate bis März 2024 terminierte Projekt, das aus dem Digitalen Europa-Programm der EU-Kommission finanziert wird, soll ein gemeinsames Verständnis für einen Sektoren-übergreifenden Digitalen Produkt-Passport entwickeln, und zwar zunächst für die Wertschöpfungsketten Elektronik, Batterien und Textilien. Dem Konsortium des Projektes gehören 31 Partner an, die Tausende an industriellen, wissenschaftlichen, digitalen, internationalen und Normungs-Organisationen in Europa und darüber hinaus repräsentieren.
Der zu entwickelnde Pass orientiert sich an den Anforderungen der „Proposal for Ecodesign for Sustainable Product Regulations“ (ESPR), die einen breiten Bereich abdecken. Zu den Ökodesign-Items gehören Haltbarkeit, Verlässlichkeit, Wiederverwendbarkeit, Upgrade-Fähigkeit, Reparaturfähigkeit, Möglichkeit zur Wartung und Renovierung, Anwesenheit bedenklicher Substanzen, Energieverbrauch oder Energieeffizienz, Recyclinggehalt, Möglichkeit zur Wiederaufbereitung und Recycling, Möglichkeit der Material-Rückgewinnung, Umwelt-Beeinflussung, und schließlich zu erwartendes Aufkommen an Abfall. Hinzu kommen sogenannte horizontale Informationen zur Identifikation von Produkt und Hersteller, zu Material und Zusammensetzung, zu Produkt-Design und Service-Bezug sowie zur Zirkularität. Im Mai 2023 waren bei CIRPASS 500 Stakeholder registriert, den Newsletter hatten 978 Interessenten unterschrieben, und die Webseite zählte 8.000 Besucher.
Auf dem World Economic Forum in Davos
Datenverfügbarkeit und Transparenz sind fundamentale Erfordernisse, um sicherzustellen, dass die Industrie wächst und die ESG-Ziele für Environmental, Social und Governance-Ziele – also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung – erreicht. Dies erfordert harmonisierte, glaubwürdige und zuverlässige Daten. „Der Batteriepass könnte hierfür eine Ressource sein“, meint die Global Battery Alliance (“GBA”), die als der Welt größte Multi-Stakeholder-Organisation gilt, um eine nachhaltige Batterieversorgungskette bis 2030 zu etablieren. Nach drei Jahren Arbeit umfasste die weltweite Phalanx bereits Audi, BASF, CATL, Eurasian Resources Group, Glencore, LG Energy Solution, Umicore, Tesla, Volkswagen AG, des Weiteren Anbieter von IT-Lösungen, Organisationen wie IndustriALL Global Union, Pact, Transport & Environment, UNEP, UNICEF und viele andere, nicht zu vergessen die Unterstützung von Regierungsinstitutionen wie dem deutschen Wirtschafts- und Klimaschutz-Ministerium sowie Natural Resources Canada. Im Januar 2023 stand die Global Battery Alliance auf der Tagesordnung des World Economic Forums in Davos, vertreten durch Martin Brudermüller (Vorstandsvorsitzender der BASF SE), Beneditkt Sobotka (CEO of Eurasian Resources Group), Inga Petersen (Geschäftsführerin der GBA) sowie Ellen MacArthur (Chefin der gleichnamigen Foundation).
Der Batterie-Pass gilt als „Flaggschiff“ der GAB-Initiative. Er soll aus einem Digitalen Zwilling einer physischen Batterie bestehen, der Informationen über alle anwendbaren Nachhaltigkeits- und Lebenszyklus-Anforderungen vermittelt, die auf der umfassenden Definition einer nachhaltigen Batterie basieren. „So werden neue Ebenen an Transparenz zu der weltweiten Batterie-Versorgungskette gebracht durch Sammlung, Austausch, Mischung und Berichten zuverlässiger Daten inmitten aller Lebenszyklus-Stakeholder des Lebenszyklus‘ – die Herkunft des Materials, die chemische Bauweise und die Herstellungshistorie der Batterie und seine Leistung hinsichtlich Nachhaltigkeit“, hieß es in einer Pressemitteilung anlässlich des World Economic Forums in Davos.
Konsortium plus Partner
„Der Batterie-Pass wird eine zentrale Rolle für viele Anforderungen spielen“, kommentierte Christian Hagelüken, Director EU Government Affairs bei Umicore, auf dem E-Waste-Kongress. Denn bei der Einschätzung von kreislauffähigen Batterien müssen deren physikalische Eigenschaften gesichert sein. Aus diesem Grund gehört Umicore einem Konsortium aus zehn Partnern aus Industrie, Wissenschaft und darüber hinaus an, um den EU Batterie-Pass voranzubringen. Zu den Partnern zählen außerdem acatech, Audi, BASF, die BMW Group, Circulor, FiWare, Fraunhofer IPC, Systemiq sowie Twaice; zu den assoziierten Partnern gehören unter anderem Mercedes-Benz, RWE, SAP sowie VDE renewables.
Mit Labels und QR-Codes ausgestattet
Die europäischen Institutionen sahen der Entwicklung keineswegs untätig zu. Am 30. März 2022 erschien der Vorschlag für eine Verordnung des EU-Parlaments und -Rats mit der Idee, einen digitalen Produktpass einzuführen. Das werde von klaren Mehrheiten aller Interessengruppen unterstützt und würde Anreize und Instrumente zur Ankurbelung der Nachfrage nach nachhaltigen Produkten liefern, hieß es. Auch würden strengere Durchsetzungs- und Marktüberwachungs-Maßnahmen wie Inspektionen oder Audits als notwendig erachtet. Am 9. Dezember des gleichen Jahres gab das EU-Parlament bekannt, dass zur besseren Informierung von Kunden Batterien mit Labels und QR-Codes ausgestattet werden sollen, die über Kapazität, Leistung, Haltbarkeit und chemische Zusammensetzung ebenso Auskunft geben wie das „getrennte Sammlung“-Symbol. LMT-Batterien (für leichte Transporte) beziehungsweise Industrie-Batterien mit einer Kapazität von mehr als 2 kWh und Batterien für Elektrofahrzeuge brauchen einen „digitalen Batterie-Pass“, der Informationen über den Batterie-Typ ebenso wie solche spezifisch für die jeweilige Batterie und ihren Gebrauch enthält. Wer kommerziell Batterien auf den europäischen Markt bringt, ist angehalten, eine sogenannte „Sorgfaltspflicht-Police“ in Übereinstimmung mit internationalen Standards zu entwickeln und zu implementieren.
Am 18. Januar 2023 – dem Tag, als die GAB ihren Produktpass in Davos vorstellte – ordnete der EU-Rat an, dass Batterien beschildert werden, um End-Benutzer mit transparenten, verlässlichen und klaren Informationen über Batterien und ihre wesentlichen Charakteristika zu versorgen, ihnen Entscheidungen zum Kauf oder zum Entsorgen von Batterien zu ermöglichen und Abfallunternehmen in die Lage zu versetzen, Batterieabfälle entsprechend zu behandeln.
Den Austausch von Informationen maximieren
Ebenfalls am 18. Januar 2023 sandten Parlament und Rat einen entsprechenden Vorschlag an das Parlaments-Komitee für Umwelt, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI), der noch deutlicher wurde: „Um die Transparenz entlang der Versorgungs- und Wertschöpfungsketten für alle Stakeholder zu verbessern, ist es notwendig, für einen Batterie-Pass zu sorgen, der den Austausch von Informationen maximiert, das Verfolgen und Überwachen von Batterien ermöglicht, Informationen über die Kohlenstoff-Intensität bei ihrer Herstellung liefert, ebenso über die Herkunft der Materialien und ob erneuerbares Material wie etwa Graphit aus Lignin gewonnen benutzt wurde, ihre Zusammensetzung einschließlich Rohmaterial und giftigen Chemikalien, Reparatur, Umnutzung und Demontagen und deren Möglichkeiten, und die Behandlungs-, Recycling- und Rückgewinnungsprozesse, zu denen die Batterie am Ende ihres Lebens beansprucht werden könnte. Der Batteriepass sollte der Allgemeinheit Informationen über Batterien auf dem Markt liefern und ihre Nachhaltigkeits-Anforderungen. Es sollte Wiederaufbereitern, Second-Life-Unternehmen und Recyclern mit aktuellen Informationen zum Umgang mit Batterien dienen und spezifische Akteure mit maßgeschneiderten Informationen über die Güte der Batterien versorgen. Er könnte Marktaufsichtsbehörden in Erfüllung ihrer Aufgaben unter dieser Verordnung unterstützen, würde aber die Verantwortung der Marktaufsichtsbehörden weder ersetzen noch modifizieren, die – in Übereinstimmung mit der EU-Regularie 2019/1020 – Kontrollen über die Informationen durchführen, die die Batteriepässe enthalten.
Klar lesbar und dokumentenecht
Aufgrund der neuen Batterievorordnung, die am 17. August 2023 in Kraft trat, müssen alle in Europa verkauften Elektro-, aufladbaren Industrie- sowie Batterien für leichte Transportmittel über 2 kWh Leistung eine klar lesbare und dokumentenechte Erklärung und Schilderung ihres CO2-Fußabdrucks tragen, unter anderen über den Anteil von bei der Produktion eingesetztem recycelten Kobalt, Blei, Lithium und Nickel. Ende des Jahres soll die EU-Kommission prüfen, ob die Erklärung auch auf tragbare Batterien anwendbar ist.
Die Frage bleibt, inwieweit die verschiedenen Kriterienkataloge der Wirtschaft und der Politik zur Deckung gebracht und realisiert werden können. Es dürfte schwierig sein, die Ökodesign-Vorgaben der Sustainable Product Regulations wie beispielsweise „Haltbarkeit“ oder „Verlässlichkeit“ in messbare Einheiten umzusetzen. Und es ist fraglich, ob Kunden die von der Politik vorgeschlagenen, mit Labels und QR-Codes ausgestattet Batterien zu schätzen wissen und annehmen. In jedem Fall wird die Umsetzung eines Digitalen Batterie-Passes zu weiteren Diskussionen führen, zumal das inzwischen auch Thema wissenschaftlicher Untersuchungen ist.
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2023, Seite 18, Foto: Fortum Battery Recycling)