Internationaler Altpapiertag 2024: Hoffen auf bessere Zeiten

Als der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. im April 2024 seinen 26. Internationalen Altpapiertag abhielt, konnten die Organisatoren mehr als 500 Interessierte begrüßen. Die gut besuchte Veranstaltung mit Fachausstellung fand in Berlin und online statt.

Werner Steingaß, Vorsitzender des Fachverbands Papierrecycling und Vizepräsident des bvse, interpretierte die Teilnehmerzahl als „Bestätigung unserer Arbeit in der Vergangenheit“. Zuvor hatte auch bvse-Präsident Henry Forster in seinem Grußwort betont, dass immer mehr größere Firmen die Nähe des Verbandes suchten, was auch er als Kompliment für die Verbandsarbeit sah.

Der Zustand der Märkte
Das große Interesse an der Tagung gerade in diesem Jahr hatte wohl auch mit der Situation der Branche zu tun. Wie Werner Steingaß mit Blick auf die zurückliegenden vier Jahre erläuterte, sei es wichtig, die Vergangenheit zu betrachten und zu verstehen, um die Zukunft bestmöglich einschätzen und sich hierauf richtig vorzubereiten zu können. Erst die Covid-19-Pandemie und anschließend der Ukraine-Krieg hätten mit den jeweiligen Auswirkungen erhebliche Turbulenzen in der Altpapierrecyclingbranche verursacht. „Zunächst führte das Herunterfahren verschiedener Wirtschaftsbereiche in Summe zu einer reduzierten Altpapier-Anfallmenge in der Bundesrepublik,“ schilderte er die Situation. Das Sinken des Aufkommens und die gestiegene Nachfrage, insbesondere im Verpackungsbereich, habe „zu deutlichen emotionalen Stimmungen in der Branche“ geführt. Nicht zuletzt aus diesen Stimmungen heraus hatte sich im Wirtschaftsjahr 2021 zunächst eine Verteuerung entwickelt, die bis Mitte 2022 von einem „nie erlebten hohen Preisniveau“ geprägt war. „Als Folge der Auswirkungen des Ukraine-Krieges führten extreme Energie-Preissteigerungen zu entsprechend erhöhten Produktionskosten der energielastigen Papierproduktion. Zum anderen ging die Nachfrage, insbesondere im Verpackungsbereich, aufgrund des Konsumenteneinbruchs sehr kurzfristig und sehr deutlich zurück.“ Dies bewirkte gegen Ende des Jahres 2022 kurzfristige Abstellmaßnahmen und deutliche Preiskorrekturen der Papierindustrie.

Werner Steingaß schilderte bei der
Eröffnung des 26. Internationalen Altpapiertages vor rund 500 Teilnehmern die „Achterbahnfahrt der Herausforderungen“ für die Branche (Foto: bvse)

Auch das vergangene Jahr ließ die Unternehmen der Altpapierbranche nicht jubeln. Weil die Altpapiermenge um etwa 15 Prozent gesunken war, setzte einerseits ein Kampf bei den Entsorgern um die Ware ein; andererseits entstand aufgrund der geringen Nachfrage Druck beim Verkauf der Ware an die Industrie. Laut Steingaß befanden sich die Altpapierpreise zwar auf mittlerem bis niedrigem Niveau, aber die Erträge seien sehr gering gewesen. Die stark erhöhten Frachtpreise hätten ebenfalls zu dieser Situation beigetragen.

Wie der Fachverbandspräsident weiter hervorhob, lassen die Konjunktur im vergangenen Jahr und ersten Quartal dieses Jahres wie auch die politischen Rahmenbedingungen Schlüsse auf die künftige Entwicklung zu. In diesem Zusammenhang kritisierte er, dass die Unternehmen des Mittelstandes zunehmend bürokratischen Hürden gegenüberstehen, die das eigentliche Geschäft erschweren. Neue Gesetze, Verordnungen, Vorschriften, Auflagen, Verbote und langwierige Genehmigungsverfahren belasteten die Unternehmen. „Gleichzeitig kämpfen sie mit gestiegenen Frachtkosten aufgrund erhöhter Mautsätze, die je nach Fahrzeug teilweise verdoppelt wurden. Dies schwächt die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf internationaler Ebene“, so die Position des bvse.

Auch der Blick auf das internationale Marktgeschehen außerhalb Europas konnte Steingaß wenig Tröstliches entlocken. In diesem Zusammenhang stellte er fest, dass – nach den Berichten von Marktbeobachtern, Cepi (Confederation of European Papier Industries) und dem Statistischen Bundesamt (Destatis) – sich der US-Papierverpackungssektor seit Ende vergangenen Jahres insgesamt erholt hat und der nordamerikanische Markt die Verarbeitungskapazitäten steigern konnte. „Dort passiert also das, was wir uns für Deutschland und Europa wünschen.“

In Asien sei den Angaben zufolge der Papier- und Kartonmarkt an Fertigware in China aufgrund der dortigen konjunkturellen Entwicklung immer noch schwach, sodass Preiserhöhungen in der Fertigware nach wie vor nicht möglich seien.

In Südostasien und Indien sei die Lage besser, aber die enge Verbundenheit mit China lasse auch hier keine erhöhte Nachfrage zu. „In Summe passt das geringe Angebot aus Europa demnach derzeit zu der geringen Nachfrage aus China, Südostasien und Indien“, konstatierte Steingaß. „Zurückliegend bereits geplante Verarbeitungskapazitäten werden dort trotz allem in Betrieb genommen und sind weitere Voraussetzungen dafür, auch in Zukunft als notwendiges Ventil für den Europäischen Markt zu dienen.“

Angesichts dieser Bedingungen vermutet er, dass sich die Situation in diesem Jahr weiter verschlechtern und den Altpapierhandel beeinträchtigen könnte. Zwar sank 2022 nach der Cepi-Statistik das Sammelaufkommen in Europa im Vergleich zum Vorjahr um fünf Prozent (Menge: 52,63 Millionen Tonnen). Die Exporte hingegen erhöhten sich um rund vier Prozent (auf 7,2 Millionen Tonnen), während die Importe um mehr als neun Prozent (auf rund 2,0 Millionen Tonnen) abnahmen. Wie Steingaß weiter betonte, stiegen die Exporte aus Europa im vergangenen Jahr laut Eurostat um 42 Prozent, wobei Indien, Vietnam, Thailand und Malaysia die wichtigsten Abnehmer waren. Deshalb sind nach seiner Ansicht „sowohl in Deutschland wie auch weltweit alle Voraussetzungen gegeben, um einer hohen Anfallmenge der Ware Altpapier gerecht zu werden“.

Über die Zukunft und Recyclingfähigkeit faserbasierter Verpackungen
Ulrich Leberle, Direktor des Bereichs Rohstoffe bei Cepi, informierte über die geplante neue EU-Verpackungsverordnung, über die das EU-Parlament zu dem Zeitpunkt der Tagung noch nicht abgestimmt hatte (die Parlamentarier nahmen den vorliegenden Entwurf mit großer Mehrheit am 24. April an). Die künftige Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle (Packaging & Packaging Waste Regulation, PPWR) sei aber inhaltlich in „trockenen Tüchern“, betonte er. Das Papierrecycling habe den Weg gefunden, „den es verdient“.

Ulrich Leberle (rechts) informierte über die geplante EU-Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle (Packaging & Packaging Waste Regulation, PPWR) – Foto: bvse

Ein wichtiges Kriterium wird die Recyclingfähigkeit von faserbasierten Verpackungen sein, die bis 2027 in „delegierten Rechtsakten“ festgelegt werden soll. Es ist geplant, die Verpackungen in die Kategorien A, B und/oder C einzuordnen. Wenn die Stufe C nicht erreicht wird, bedeutet das den Ausschluss vom Markt. Bis zum Jahr 2030 sollen die Verpackungen den „Design for Recycling“-Kriterien entsprechen. Zudem ist vorgesehen, dass ab 2035 die gebrauchten Verpackungen gesammelt, sortiert und durch hochmoderne Anlagen und Prozesse rezykliert werden (die Festlegung der Vorgehensweise soll bis 2032 erfolgen). Ab 2038 sollen in der EU Verpackungen der Kategorie C vom Markt verbannt werden.

Wie Ulrich Leberle erläuterte, haben sich die über 100 Mitglieder der branchenübergreifenden Allianz 4evergreen zum Ziel gesetzt, bis 2030 eine Recyclingrate von 90 Prozent zu erreichen. Die Vision von Cepi im Hinblick auf die Sammlung und Sortierung sowie das Recycling beruht auf zwei Säulen:

  • Saubere Papier- und Kartonverpackungen sollten gemäß ihrem Wert haushaltsnah gesammelt und in entsprechenden Anlagen dem Recycling zugeführt werden.
  • Verpackungen aus dem Gelben Sack oder der Gelben Tonne, für die Lizenzgebühren gezahlt wurden, sollten in speziellen Anlagen behandelt werden.

Jürgen Dornheim, Director Global Packaging Sustainability & Innovation bei Procter & Gamble, betonte in seinem Vortrag, dass Nachhaltigkeit eine strategische Entscheidung ist. Die Verbraucher wünschten weniger Kunststoffe in den Verpackungen, was zum Wechsel zu Fasermaterial führe. Da aber Produkte spezielle Schutzhüllen benötigten, müsse man prüfen, welche Maßnahmen nötig sind und neue Lösungen entwickeln. In diesem Zusammenhang nannte er Beispiele, in denen Kunststoffe durch Papier ersetzt wurden, darunter eine Box für Waschmittel, die nach dem Gebrauch ins Altpapier gegeben werden kann.

In der begleitenden Ausstellung konnten sich die Tagungsteilnehmer informieren und Fachgespräche führen (Foto: bvse)

Laut Michael Brandl, Vorstandsvorsitzender der europäischen Plattform Extr:act zur Erhöhung des Getränkekarton-Recyclings und ähnlicher Multi-Material-Verpackungen, gehen Experten davon aus, dass die Nachfrage nach Verpackungen aus Faserverbundstoffen – je nach Kategorie und Kalkulationsmethode – innerhalb der kommenden fünf Jahre um zwei bis drei Millionen Tonnen steigen werde. Um den Bedarf an zusätzlichen Fasern zu decken, schlägt er vor, unerschlossene Faserquellen zu nutzen. Die Fasergewinnung aus Verbunden sei kein „Hexenwerk“. Alle Elemente der Wertschöpfungskette müssten zusammenarbeiten. Um eine Überflutung mit unerwünschten/ungeeigneten Materialien im sekundären Rohstoff zu vermeiden, bedürfe es aber klarer Spielregeln entlang der Wertschöpfungskette.

Robin Huesmann, CIO (Chief Information Officer) des Altpapier einsetzenden Papierherstellers und Verpackungsproduzenten Leipa Group GmbH, sprach sich für eine konsequente Kreislaufwirtschaft aus. Dabei unterstrich er, dass im Altpapierbereich geschlossene Kreisläufe und Recyclingwege etabliert sind sowie Hersteller und Inverkehrbringer gemeinsam die Verantwortung für die Kennzeichnung und das Recycling ihrer Produkte übernehmen. Zudem seien technische Lösungen für Sortierung, Auflösung und Monitoring vorhanden. Ein hochwertiges Recycling mit einer Recyclingquote von über 85 Prozent sei für schwierige Produkte sichergestellt. Um Fasern im Kreislauf zu halten, müssten die Produkte über die entsprechenden Sammelbehälter dem „richtigen Recyclingweg“ zugeordnet werden. Allerdings benötigten „nicht gut“ rezyklierbare Fasern eine spezielle Behandlung, die „Mikrobiologie, Kontaminanten und Beschichtungen gewachsen“ sei.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 06/2024, Seite 8, von Brigitte Weber, Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de)