Neue Vivis-Reihe gestartet: Das Puzzle-Konzept

Mit „Abfallwirtschaft und Energie“ hat der Vivis-Verlag eine neue Veröffentlichungsreihe ins Leben gerufen, die neben der lediglich um eine Person vergrößerten Herausgeberschaft auch annäherungsweise den gleichen Titel wie das 20-bändige „Energie aus Abfall“ trägt. Ist das alter Wein in neuen Schläuchen oder erwartet den Leser ein neues Konzept?

Um es vorwegzunehmen: Etliche Kapitelbezeichnungen wie CO2-Abscheidung, Digitalisierung, Abgasbehandlung, Korrosion oder Betriebsoptimierung sind geblieben, wenige wurden modifiziert – beispielsweise „Transformation und Standortentwicklung“ zu „Strategische Standortweiterentwicklung“, andere wie Emissionshandel, Personalentwicklung oder Finanzierung und Genehmigung kamen hinzu. Das ist von den Herausgebern durchaus beabsichtigt, damit sich „neue Puzzleteile an unsere klassischen Themen …, die seit Jahren gesetzt und nach wie vor für die Praxis hoch relevant sind“, anfügen. So werde das Puzzle des Kompendiums über Abfallwirtschaft von Jahr zu Jahr wachsen, heißt es im Vorwort.

CO-Senke und CO2-Abscheidung
Zu den ersten Themenbereichen des Bandes gehören Überlegungen zur zu prüfenden Einbindung von Treibhausgas-Emissionen aus Abfällen in das europäische Emissionshandelssystem, und es werden Stellschrauben gesucht, um Carbon Capture and Utilization als CO-Senke anzuerkennen, damit sich „CO möglichst kostengünstig in den europäischen Industriezentren verwerten“ lässt. Ein weiterer Artikel befasst sich mit der Novellierung der Industrie-Emissionsrichtlinie, die einen „wesentlichen Beitrag zur Klimaneutralität, zum Null- Schadstoff-Ziel, zur Kreislaufwirtschaft und zur Stärkung von Innovationen leisten“ soll. Die nächsten Beiträge untersuchen die Folgekosten, die sich aus Grenzwertverschärfungen luftgetragener Emissionen durch die novellierte 17. BImSchV ergeben, und berichten über die Vorteile der Wärme-Rückgewinnung durch die WtE-Anlage im finnischen Vuosaari.

Die Beiträge des folgenden Kapitels konzentrieren sich auf die CO2-Abscheidung bei der Verbrennung von Sekundärbrennstoffen – Stichworte: Sektorkopplung, Chemical Looping Combustion und thermische Abfallverwertung. In der Sektion „Finanzierung und Genehmigung“ werden zunächst die Auswirkungen der EU-Taxonomie auf die Wirtschaftlichkeit der Abfallverbrennung untersucht, bevor neue Instrumente vorgestellt werden, um immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.

Strategien und Digitalisierung
Der strategischen Standortweiterentwicklung sind insgesamt sechs Artikel gewidmet, die sich unter anderem mit den Chancen für Abfallheizkraftwerke durch die Wärmewende, der Rolle von WtE-Anlagen in der kommunalen Wärmeplanung, einer Kombination von MVA und KVA sowie der Mitverbrennung von Abfällen in der Zementindustrie befassen. Darüber hinaus werden aktuelle Neubauprojekte zu Abfallverbrennungsanlagen vorgestellt und eine Prognose über die Marktentwicklung bis 2050 gewagt. Zum Bereich „Digitalisierung und Simulation“ tragen Artikel über die Anwendung Künstlicher Intelligenz und Digitaler Zwillinge in Anlagenbau und -betrieb bei.

Das „Puzzle“ der Thematik setzt sich fort mit einem Schwerpunkt zu Korrosion und Werkstoffen, der sich mit Salzschmelzangriffen, Hochtemperaturkorrosion und Projektmanagement zum Feuerfestbereich befasst. Artikel zur Einstufung von Aschen und Schlacken sowie zur Sonderabfallbehandlung in der Drehrohrfeuerung schließen sich an, bevor die Sprache noch einmal auf das Eingangsthema kommt: den Handel mit Brennstoff­emissionen.

Ecken und Nebenschauplätze beleuchten
Zum abschließenden Bereich „Recycling der Zukunft“ liefern Thomas Probst und Birgit Guschall-Jaik einen umfassenden Ausblick auf die Entwicklung der Recyclingwirtschaft quer über alle Abfallarten, bevor Uwe Lahl die künftige Umsetzung von Kunststoffverwertung und -recycling untersucht. Zu diesem Themenkreis gehört im Grunde auch die Abteilung „Unternehmens- und Personalentwicklung“, in der drei Artikel mehr oder weniger die Kardinalfrage zu beantworten suchen: „Wie bekommen und erhalten wir junge Talente?“

Vergleicht man das Inhaltsverzeichnis von „Energie aus Abfall“ Band 20 mit dem Band 1 der neuen Serie, so ist auffällig, dass insgesamt die Themen zur ausschließlichen Energiegewinnung deutlich in den Hintergrund getreten sind. Dafür haben Untersuchungen zur Emissionsreduzierung sowie CO2-Gewinnung und -Abscheidung an Bedeutung bekommen, was die geänderte Gewichtung in der Abfallwirtschaft widerspiegelt. Wer aber hinter „Abfallwirtschaft und Energie“ ein fertiges Lehrbuch zum Thema erwartet, dürfte enttäuscht sein. Doch er wird gleichzeitig überrascht sein über den „Puzzle“-Charakter des Buchkonzepts – den auch die Zeichnung auf dem Buchdeckel vermittelt. Dieses Konzept bietet Möglichkeiten, angesichts einer sich entwickelnden und expandierenden Abfallwirtschaft auch ihre Ecken und Nebenschauplätze zu beleuchten. Dass dies auf dem gleich hohen wissenschaftlich-technischen Niveau erfolgt, wie man es vom Vivis-Verlag gewohnt ist, muss nicht extra erwähnt werden. Wünschen wir dem „Abfallwirtschaft und Energie“-Konzept eine ebenso fruchtbare Lebensdauer wie dem Vorgänger-Kompendium.

Abfallwirtschaft und Energie, Band 1, hrsg. von Stephanie Thiel, Elisabeth Thomé-Kozmiensky, Peter Quicker, Alexander Gosten, Ella Stengler, Neuruppin 2024, ISBN 978-3-944310-91-6

books.vivis.de

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 06/2024, Seite 26, Abb.: TK Verlag)