Recyclinginfrastrukturen für E-Schrott: Neue Wege mit Minimise

E-Schrott ist weltweit der am schnellsten wachsende Abfall-Stoffstrom. Nach wie vor werden Elektro(nik)altgeräte zum Großteil illegal in Länder des globalen Südens exportiert. Weiterhin fehlen in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern Entsorgungs- und Verwertungsstrukturen. Das Startup Minimise geht hier neue Wege zur Lösung des Problems. EU-Recycling hat darüber mit den Gründern Stefan de Linde und Philipp Böhm gesprochen.

Minimise ist ein Projekt von NEEW Ventures GmbH mit Sitz in Berlin. Das Tochterunternehmen der EEW Energy from Waste-Gruppe baut seit 2021 zukunftsweisende digitale Startups auf, die sich der Hürden auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft annehmen.

Herr de Linde, Herr Böhm, Sie haben Ihrem Unternehmen den Namen „Minimise“ gegeben. Was genau wollen Sie minimieren?

Stefan de Linde: Als Gesellschaft müssen wir eine Antwort auf den Ressourcenmangel finden. Aktuell tragen wir alle zu dieser Problematik bei, indem wir die wertvollen Ressourcen, die in Elektronikschrott enthalten sind, nur in Ausnahmefällen wiederverwerten. Mit Minimise möchten wir den Verlust dieser Werte durch unzulängliches Recycling von Elektronikschrott auf das absolute Minimum reduzieren. Darüber hinaus wollen wir die mit unzulänglichem Recycling verbundenen Umweltverschmutzungen und die katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Ländern minimieren, in denen der globale E-Schrott zurzeit vor allem endet.

Philipp Böhm (Foto: NEEW Ventures)

Worauf hat sich Minimise spezialisiert?

Philipp Böhm: Als Software-Plattform verknüpfen wir Recycler in Entwicklungsländern mit Herstellern, Inverkehrbringern und Nutzern von Elektrogeräten, die nach Lösungen suchen, um etwas gegen ihren Fußabdruck im E-Schrott-Bereich zu tun. Anstatt dass jede Firma ihre eigene Sammel- und Recyclinginfrastruktur aufbauen und aufrechterhalten muss, übernimmt Minimise das. Für das Sammeln und Recyceln von E-Schrott liefern wir außerdem transparente Dokumentation. Das geht soweit, dass wir unser eigenes Online-Dashboard haben, das öffentlich einsehbar die recycelten Mengen zeigt.

Sie haben bereits Projekte in Ghana, Nigeria, Kenia und Mexiko auf den Weg gebracht. Mit welchen Organisationen und Unternehmen in diesen Ländern arbeiten Sie zusammen?

de Linde: Ein Vorhaben wie unseres lässt sich nur mit einem starken Netzwerk umsetzen. Dazu gehören Partner wie GIZ, Prevent Waste Alliance, Nehlsen/Rodiek, BlackForest Solutions oder Ecologicon, aber auch Recycler vor Ort wie beispielsweise NIU NIU in Mexiko, Landbell GreenForest Solutions in Indien oder Hinckley Recycling Ltd. in Nigeria. Mit ihnen stärken wir die Recyclinginfrastruktur vor Ort oder bauen sie sogar ganz neu auf.

Stefan de Linde (Foto: Minimise)

Nach eigenen Angaben liefern Sie internationale Recycling­infrastruktur. In welcher Form laufen die entsprechenden Kooperationen ab?

de Linde: In der Zusammenarbeit mit lokalen Recyclern findet zunächst ein gründliches Onboarding statt. Anschließend entwickeln wir gemeinsam mit ihnen eine Roadmap zur Erreichung von Zertifizierungsstandards wie TCO, ISO oder anderen. Wir finanzieren dann die Sammlung und das Recycling von zusätzlichen E-Schrott-Einheiten, deren Aufbereitung und die fachgerechte Entsorgung von Einheiten, die keine wiederverwertbaren Materialien enthalten. Im Gegenzug verpflichten sich die Unternehmen, Massenbilanz- und Prozessdaten zu erfassen und auf unserer Plattform zu speichern.

Wie werden derartige Projekte finanziert?

de Linde: Unsere transparente, verlässliche Dokumentation ermöglicht es uns, für die gesammelten und recycelten Materialien E-Schrott-Recycling-Nachweise zu erstellen. Diese können wiederum von Nutzern, Herstellern und Inverkehrbringern gekauft und als Nachweis dafür genutzt werden, dass sie aktiv in die Förderung des globalen E-Schrott-Recycling investiert haben.

Wie sind die Gegebenheiten in den betreffenden Ländern: Mit welchem Entwicklungsstand und welchen Mengen an anfallendem E-Schrott ist dort jährlich zu rechnen?

Böhm: Die sind von Land zu Land sehr unterschiedlich. Grundsätzlich fokussieren wir uns aber auf Länder, in denen es kaum formelle Strukturen zur Sammlung von E-Schrott gibt. Erste Richtwerte sind die Existenz und Effektivität eines lokalen EPR-Systems; je weniger E-Schrott darüber fachgerecht behandelt wird, desto relevanter ist unser Beitrag.

E-Schrott ist der am schnellsten wachsende Stoffstrom mit einer hohen Dunkelziffer an illegalen Importen in diese Länder. 2022 wurden weltweit 62 Millionen Tonnen E-Schrott erzeugt, aber nur 22 Prozent davon fachgerecht recycelt. Mehr als die Hälfte der übrigen 78 Prozent landet in den informellen Strukturen von Ländern, in denen wir aktiv sind.

Welchen Fortschritt zeigt der Aufbau von Sammel- und Verwertungsstrukturen?

Böhm: Es ist noch sehr früh, um hier über Fortschritte zu sprechen; wir können aber bereits jetzt einen signifikanten Sammlungsanstieg prognostizieren: Bis Ende dieses Jahres werden wir circa 100 Tonnen gesammelt haben – bis Ende kommenden Jahres 1.000 Tonnen, also das Zehnfache. In Sambia bauen wir außerdem gerade mit GreenForest Solutions von Null auf ein EPR-System auf.

Minimise baut also Recyclinginfrastrukturen für E-Schrott auf. Das schließt den Markt für sogenannte Refurbished-Produkte und somit die Weiterverwendung von generalüberholten Gebrauchtgeräten mit ein. Was ist hierfür Ihr Konzept, und wie wird es umgesetzt?

de Linde: Egal ob lange nutzbar, besonders gut reparierbar oder schon einmal wiederverwertet: Irgendwann kommt jedes Gerät an das Ende seiner Lebensdauer. Häufig befindet sich das Gerät dann allerdings schon in Ländern mit unzureichender Infrastruktur. Hier kommt Minimise ins Spiel. Wir bringen die wiederverwendbaren Materialien wieder in den Produktkreislauf und garantieren die fachgerechte Entsorgung von Schad- und Reststoffen.

Welche Rolle spielt Minimise-Partner refurbed – Online-Marktplatz für generalüberholte Elektro(nik)geräte bei der Umsetzung der aktuellen Projekte in Afrika und Mexiko?

de Linde: Unser Projekt mit refurbed läuft aktuell exklusiv über unser Engagement mit Closing the Loop in Ghana. Hier erfolgt ein 1-zu-1-Matching von Telefonen aus dem Bestand von refurbed mit Telefonen, die in Ghana gesammelt werden. Mithilfe unserer Plattform kann refurbed verlässlich und genau nachweisen, wie viele Telefone gesammelt, sortiert und recycelt wurden.

Worin besteht die Kooperation Ihres Projektes mit der NEEW Ventures GmbH?

Böhm: NEEW Ventures GmbH ist ein sogenannter Corporate Venture Builder und die Gründungsorganisation von Minimise. NEEW Ventures fokussiert sich auf digitale Lösungen für die Kreislaufwirtschaft und versucht mit Blick auf aktuelle Abfallströme die Lücken in den verschiedenen Kreisläufen zu schließen. Minimise ist eines der Startups, die zu diesem Ziel beitragen.

Worin unterscheidet sich Ihre digitale Plattform für E-Waste-Rezirkulation von anderen, vergleichbaren Angeboten? Anders gefragt: Was ist Ihr potenzielles Alleinstellungsmerkmal?

Böhm: Viele Elektroschrott-Projekte fokussieren sich auf einzelne Länder oder Communities und bieten kaum globale Skalierungsmöglichkeiten. Wir liefern einen zertifizierten, transparenten Prozess, der es Unternehmen ermöglicht, einfach und schnell ihren Beitrag zur Lösung des globalen E-Schrott-Problems zu leisten. Passend dazu bieten wir Nachweise für CSRD-Reporting, Marketing und Employer-Branding.

Das ist aber nur der aktuelle Stand: Durch unsere Arbeit gewinnen wir Einblicke in die Materialströme im globalen Süden. Ziel unserer Bemühungen ist es auch, die Aktivitäten der lokalen Sammler und Recycler auf unserer Plattform abzubilden. So können wir langfristig sehen, wo sich wichtige Rezyklate aus Elektro-Abfällen befinden. In Zukunft werden wir diese Erkenntnisse nutzen können, um Herstellern bei der Beschaffung dieser nachhaltigen Sekundärrohstoffe zu helfen.

Auf welche anderen Abfall-Stoffströme außer E-Schrott könnte sich das Minimise-Modell global übertragen lassen?

de Linde: Grundsätzlich auf alle Abfallströme, die aktuell in Länder mit unzureichender Infrastruktur beziehungsweise mangelhaften Anforderungen an die Herstellerverantwortung für die gesamte Lieferkette führen. Dazu gehören zum Beispiel Textilien, Photovoltaik oder die Automobilbranche.

Vielen Dank für das Interview!
(Das Interview führten Marc Szombathy und Dr. Jürgen Kroll)

neew-ventures.com, minimise.today

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 07/2024, Seite 26, Foto: Summit Art Creations / stock.adobe.com)