Alttextilien: Lokale Lösungen gesucht

Bis 1975 wurden weltweit 33 Millionen Tonnen an Textilfasern produziert. Bis 2020 verdreifachte sich das Aufkommen und soll 2030 auf 147 Millionen Tonnen anwachsen. Was können Kommunen tun, um der steigenden Menge an Alttextilien Herr zu werden? Zero Waste Europe hat sich nach Alternativen zur „schnellen Mode“ umgesehen.

Die Autoren Anders Wijkmann und Janez Potochnik sind der Meinung, dass auf der Welt genügend Textilien zur Verfügung stehen, um die nächsten sechs Generationen einzukleiden. Schon jetzt hätten Kommunen mit steigenden Textilabfallmengen und deren Entsorgungskosten zu kämpfen. Darüber hinaus verpflichtet die Europäische Union ab 2025 zur separaten Sammlung von Kleidungsabfällen, was angesichts der bislang unzureichenden Sammel-, Sortier-, Wiederverwendungs- und Recyclingkapazitäten eine merkliche Herausforderung darstellt. Alles in allem steht die Alttextilbranche (nicht nur) in Deutschland vor einer historischen Krise, die das gesamte System der Sammlung und Verwertung von Alttextilien und Altschuhen bedroht, wie es vor kurzem der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. ausdrückte.

Ständig neuer „Stil-Konsum“
Seit der Jahrhundertwende sind in der EU die Preise für Kleidung um 30 Prozent relativ zur Inflation gesunken, während der Verbrauch billiger, synthetischer Fasern aus fossilen Quellen unter Einsatz geringer Lohn- und Umweltstandards wuchs. Der nachfolgende Anstieg schnelllebiger Modetrends resultierte in sogenanntem ständig neuen „Stil-Konsum“ anstelle in einem Verbrauch, der physikalischen Anforderungen entsprach. Dementsprechend werden in rund zwei Dritteln der Fälle Kleider wegen schlechtem Sitz und geringer Wertschätzung anstelle der wahrgenommenen Qualität weggeworfen. Das Europäische Parlament definierte das als „hohes Volumen an qualitativ geringerer Kleidung auf niedrigem Preisniveau“.

Behandlungssysteme wenig effektiv
Zur Abhilfe stehen meist wenig effektive Behandlungssysteme zur Verfügung. So beträgt laut Europäischer Umwelt-Agentur die durchschnittliche separate Erfassungsrate an Textilabfällen aktuell zwölf Prozent, wobei Luxemburg und Belgien mit 50 Prozent an der Spitze und am Ende ein Dutzend Länder mit weniger als fünf Prozent rangieren. Auch die Kapazitäten, um die rund 1,5 Millionen Tonnen an Textilresten zu lagern, zu sortieren und gegebenenfalls zu exportieren, sind sehr unterschiedlich. Die 17 europäischen Recyclingunternehmen, die bis 2025 jährliche Recyclingmengen bis 1,3 Millionen Tonnen erwarten, werden voraussichtlich rund eine Million Tonnen an Textilien mechanisch und 250.000 Tonnen chemisch recyceln, wobei die größten Mengen zu Lumpen oder Isolationsmaterial downgecycelt werden. Erweiterte Produzenten-Verantwortlichkeiten für Textilien werden nur aus Frankreich, Ungarn, den Niederlanden, Flandern (freiwillig) und Kroatien gemeldet.

Wachsende Menge an Material
Wie eine Untersuchung der europäischen Alttextilmengen im Jahr 2019 ergab, stammen diese weniger aus nach-industriellem (11 %) oder Vor-Konsum (3 %), sondern in der Hauptsache aus dem Verbrauch vor allem durch Privathaushalte. 2019 standen insgesamt rund elf Millionen an gebrauchten Textilabfällen zur Verfügung. Davon wurden laut Joint Research Centre über acht Millionen Tonnen an Textilabfällen nach Nutzung verbrannt oder deponiert. Die getrennte Sammlung der übrigen Abfälle wird für 2019 auf 2,4 Millionen Tonnen, die Sortierkapazität auf unter 1,8 Millionen Tonnen geschätzt. Für das Jahr 2035 soll die Gesamtmenge an genutzten Textilabfällen auf über 15 Millionen Tonnen anwachsen, während die Getrenntsammlung lediglich auf rund 3,5 Millionen und die Sortierkapazität auf rund drei Millionen Tonnen ansteigt. (Ohnehin wird rund die Hälfte aller sortierten Textilien in Dritt-Länder exportiert.) Mit anderen Worten: Die Möglichkeiten, Alttextilien nutzbringend zu recyceln, bleiben weiter hinter der wachsenden Menge an Material zurück.

Kapazitäten zu steigern, ist nutzlos
Eine andere Schätzung, die die JRC-Studie für den Vergleich von 2019 bis 2035 aufmacht, hebt auf die letztendliche Verwendung der Alttextilien ab. Den Angaben zufolge geht deren Export im genannten Zeitraum etwas zurück (16,7 auf 15,6 %), die Wiederverwendung stagniert (bei 1,7 %), Recycling legt von 4.9 auf 5,4 Prozent leicht zu, während Verbrennung oder Deponierung mit 76,7 beziehungsweise 77,2 Prozent weiterhin die überwiegenden Endzwecke darstellen. Der Schluss daraus: „Die Kapazitäten zur Sammlung und Sortierung von Abfällen nur einfach zu steigern, wäre so lange eine nutzlose Aufgabe, wie sich die gesamten Produktions- und Verbrauchsmengen im Wachtum befinden.“ Stattdessen würden direkt eingeführte lokale Maßnahmen und die Unterstützung externer Initiativen helfen, eine Kultur des Teilens, Reparierens, Wiederverwendens und Upcycelns fördern – sie könnte „einen wirklichen Unterschied zur entmutigenden Überkonsumption und Produktion von schneller Mode machen“.

Forschung noch in den Kinderschuhen
Es sei – betont das Paper von Zero Waste – bereits eine Reihe von konkreten Maßnahmen existent, die von spezialisierter kommunaler Planung, um Service näher an die Verbraucher zu bringen, über zirkuläre Baupraxis bis zur Vermeidung von Energieverschwendung reichen. Allerdings stecke die Forschung hierüber noch in den Kinderschuhen. Doch eine vergleichende Studie von fünf europäischen Städten fand folgende Unterschiede im Kosumverhalten heraus:

  • eine verbesserte Sammel-Infrastruktur für gebrauchte Textilien
  • die Förderung lokaler Reparaturen, Umtausche und Wiederverwendungen von Alttextilien durch Verstärkung lokaler Initiativen, Bereitstellung entsprechender Räumlichkeiten oder bessere Zusammenarbeit zwischen Organisationen
  • verminderte Nachfrage nach neuen Kleidern durch Zielsetzung und Entwicklung von Maßnahmen, die das Kaufverhalten und Marketingpraktiken der Industrie betreffen, einschließlich der Regulierung von Werbung und saisonalen Verkäufen.

Auf Suffizienz aufbauen
Als Beispiel für eine Aktion gegen schädliches Konsumverhalten wird der Geneva Zéro Pub angeführt: Die Initiative regte eine Debatte in der Region an, die dazu führte, dass zwei dortige Städte Einschränkungen für kommerzielle Werbung im Außenbereich vollzogen. Auch beauftragte die Stadt die Herausgabe des Reports „Nachhaltige Mode für Genf“.

In Belgien, Spanien und Frankreich sorgen verschiedene Rechtsprechungen zur Einführung von Wiederverwendungs-Zielen für spezielle Güter. Aufgrund eines in Flandern eingeführten Programms profitieren soziale Unternehmen von einem Unterstützungssystem, das Teile der operativen Kosten abdeckt – vor allem in Form von Lohnkostenzuschuss. In etlichen österreichischen Bundesländern sorgt ein „Reparaturbonus“ dafür, dass bis zu 50 Prozent der gesamten Reparaturkosten rückerstattet werden. Und beim Kollektive Klædeskab in Kopenhagen erhalten Mitglieder für die Abgabe abgelegter Kleidung Punkte, die beim Kauf von Second-Hand-Kleidern angerechnet werden. Insgesamt können Konsumptionsmodelle zum marktfreien Austausch – darunter Reparatur-Cafes, Kleidertausch-Börsen oder Re-Use-Aktionen – Lebensstile fördern, die auf Suffizienz und weniger auf Konsum basieren.

Aktionsfähigkeit noch beschränkt
Allerdings befürchtet Genf – wo seit 2022 die lokale Klima-Strategie die Überproduktion von Kleidung einschließt – trotzdem klare Beschränkungen der Aktionsfähigkeit, solange nationale und internationale politische Maßnahmen fehlen und das Marketing weiterhin zur „schnellen Mode“ ermutigt. Aus diesem Grund – so fasst es das Zero Waste-Paper zusammen – sei es für Städte essenziell,

1. robuste Rahmenbedingungen zu entwickeln, mit denen der städtische Einfluss auf textile Suffizienz-Maßnahmen überwacht werden kann.
2. die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen lokalen Interessenvertretern einschließlich Bürgern, Sozialunternehmen und der Kreislaufwirtschaft zu fördern.
3. von den Erfahrungen in anderen Kommunen zu lernen und weiterhin an vorbildlichen Praktiken teilzunehmen und diese zu verbessern, um den Herausforderungen der schnellen Mode zu begegnen.

„Cities and consumption: Local solutions to curb textile waste and combat fast fashion“ steht unter https://zerowasteeurope.eu/library/cities-and-consumption-local-solutions-to-curb-textile-waste-and-combat-fast-fashion/ zur Verfügung.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 01/2025, Seite 14, Foto: Liera / stock.adobe.com)