Textilrecycling in Europa: Potenziale, Herausforderungen und Handlungsansätze
Seit 2025 sind die EU-Mitgliedstaaten durch die Abfallrahmenrichtlinie verpflichtet, Textilabfälle getrennt zu sammeln. In Deutschland liegt die Verantwortung bei den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern. Auf den ersten Blick scheint die Umsetzung unproblematisch: Ein etabliertes Netz von Sammelstrukturen – getragen von gemeinnützigen Organisationen, privaten Anbietern und kommunalen Betrieben – besteht seit Jahren. Doch diese Infrastruktur gerät zunehmend unter Druck.
Die Realität zeigt: Die Einführung der Getrenntsammlung trifft auf eine Branche in struktureller Schieflage. Sinkende Textilqualitäten, rückläufige Märkte für Second-Hand-Ware und ein Mangel an Recyclingkapazitäten gefährden die Tragfähigkeit des bestehenden Systems. In vielen Kommunen werden Depotcontainer bereits abgezogen – nicht aus Desinteresse, sondern weil Absatzwege und Erlöse fehlen. Das führt zu Mengenproblemen in den verbleibenden Sammlungen und stellt die Zielsetzung der Getrenntsammlung ernsthaft infrage.
Ohne den parallelen Ausbau von Sortier- und Verwertungswegen droht eine Fehlentwicklung: wachsende Sammelmengen ohne anschließende stoffliche Nutzung. Was fehlt, ist ein systemischer Ansatz, der Produktverantwortung, Infrastrukturentwicklung und wirtschaftliche Anreize zusammenführt – und zwar schnell.
Erweiterte Herstellerverantwortung als Schlüsselinstrument
Die erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) gilt als zentrales Instrument, um ökologische Produktverantwortung verbindlich zu verankern. Ein funktionierendes EPR-System muss gezielt in den Aufbau leistungsfähiger Sortier- und Recyclingstrukturen investieren. Dazu zählen (automatisierte) Sortieranlagen, hochwertige Recyclingverfahren und geeignete Logistiklösungen – allesamt Investitionen mit hohem Kapitaleinsatz und langen Amortisationszeiträumen. Solche Strukturen entstehen nicht von selbst. Sie erfordern verlässliche Rahmenbedingungen, eine klare Mittelverwendung und sektorale Mindeststandards, die über reine Kostendeckung hinausgehen.
Wiederverwendungs- und Recyclingziele: Anspruch und Umsetzbarkeit
Verbindliche Quoten für Wiederverwendung und Recycling gelten als zentraler Hebel für die Transformation des Textilsektors. Richtig ausgestaltet, können sie Investitionen in Infrastruktur anregen, Märkte für Sekundärrohstoffe unterstützen und eine datenbasierte Steuerung ermöglichen. Die praktische Umsetzung ist jedoch anspruchsvoller, als es auf dem Papier erscheint. Eine Recyclingquote allein garantiert noch kein hochwertiges Recycling. Es kommt darauf an, welche Qualitäten dabei erzielt werden – und wo das Recycling stattfindet. Ein Großteil potenziell verwertbarer Alttextilien verlässt derzeit Europa – oft ohne gesicherte Nachweise über eine tatsächliche stoffliche Nutzung. Wenn Recyclingquoten in Europa Wirkung entfalten sollen, muss gezielt in hiesige Kapazitäten investiert werden. Wirkungsvolle Quoten müssen daher qualitativ unterlegt sein. Das setzt jedoch auch wirtschaftliche Anreize für Sekundärrohstoffe, günstige regulatorische Rahmenbedingungen und gezielte Innovationsförderung voraus.
Empfehlungen
Ein wirksames Textilrecycling in Europa erfordert ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren: einheitliche Qualitätsstandards für Sammlung und Sortierung, wirtschaftlich tragfähige Recyclingtechnologien, und einen regulatorischen Rahmen, der verbindliche Anreize für den Aufbau einer Recyclinginfrastruktur in Europa schafft. EPR-Systeme können dabei eine zentrale Rolle spielen. Praktische Erfahrungen bei der Definition von konkreten Anforderungen und deren Lenkungswirkung in einem EPR-System für Textilien gibt es bereits in Frankreich und den Niederlanden. Daran kann man anknüpfen, sollte aber auch zwingend aus den Fehlern und Fallstricken lernen!
Die geplante Einführung eines EU-weiten EPR-Systems bietet eine große Chance, das derzeitige Verwertungsdefizit im Textilbereich maßgeblich zu verringern. Entscheidend ist, ein System zu schaffen, welches den hohen Werten und Zielen einer transparenten Verwertung gerecht wird und konkrete Anreize für Investitionen in Europa schafft.
Quelle: FWS GmbH
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 07/2025, Seite 16, Foto: FWS GmbH)