„Für höhere Recyclingquoten müssen wir deutlich mehr tun“

„Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft in Deutschland“ lautete das Thema des Einführungsvortrags von BMU-Ministerialdirektor Helge Wendenburg auf dem diesjährigen 30. Kasseler Abfall- und Ressourcenforum. Dass Weiterentwicklung nicht ohne Kritik am Status quo möglich ist, machten er und die ihm folgenden Redner am 10. April 2018 deutlich. Das Forum bot Klartext.

Von Siedlungsabfalldeponien in Deutschland zu reden, sei nicht mehr erforderlich, begann Wendenburg. Deutschland habe stets die Abfallhierarchie klar unterstützt und nicht auf Verbrennung und Deponierung, sondern auf Wiederverwendung und Recycling gesetzt. Jedoch habe Deutschland in Brüssel auch darauf hingewiesen, dass bei der Berechnung und Einführung neuer Quoten Zähler und Nenner bestimmt werden müssen, um zu realistischen Zielen zu kommen. Er warnte davor, einfach Zahlen in die Welt zu setzen, ohne zu wissen, wie man sie erreichen soll und bewerten kann.

Das Konzept der europäischen Kreislaufwirtschaft sei jedoch zu begrüßen. Dazu brauche es für Abfallvermeidung, Wiederverwendung und Recycling realistische Quoten, wozu jeder einzelne Stoffstrom statistisch erfasst und auf Verbesserungsmöglichkeiten untersucht werden müsse. Ebenso müsse mit den Bundesländern vereinbart werden, die Verpflichtung zur getrennten Sammlung von Bioabfällen und Lebensmittelabfällen stringenter anzugehen, um zu besseren Ergebnissen zu gelangen. „Wenn wir höhere Recyclingquoten haben wollen, müssen wir deutlich mehr dafür tun.“

Auch Verbote bestimmter Stoffe nicht ausschließen

Sollen beispielsweise laut Plastikstrategie der EU bis 2030 alle Kunststoffe recyclingfähig sein, dann dürfe es bis dahin keine Polymermischung mehr geben. Auch in den anderen Materialgruppen wie Elektro, Automobil oder Altholz müssten die Hemmnisse aufgespürt und geändert werden. Zusätzlich müsse die EU-Kommission sehr viel stärkeres Gewicht auf die Öko-Design-Richtlinie legen, um unmittelbar bei den Produkten anzusetzen. Das sei nur möglich bei EU-einheitlichen Regelungen, die auch Verbote bestimmter Stoffe nicht ausschließen. Außerdem müssten Herstellung und Verwendung von Rezyklaten gestärkt werden und ihnen Vorrang bei der öffentlichen Beschaffung eingeräumt werden; Steuern und Abgaben seien dafür nicht das geeignete, weil zu schwerfällige Mittel. Gleiches gelte für die Festlegung von Rezyklat-Inhalten. Ausschlaggebend sei die Qualität der Rezyklate: „Wenn die Sortiertiefe zu schwach ist und die Entsorgung deutschen Kunststoffs in China endet, dann haben wir etwas falsch gemacht.“

Deutschland hat ein Durchführungsproblem

Das Thema „Kreislaufwirtschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ brachte BDE-Präsident Peter Kurth auf den kurzen Nenner: „Deutschland hat kein Beschlussfassungsdefizit, sondern ein Durchführungsproblem.“ Die Intensität, mit der in Brüssel Beschlüsse gefasst würden, entspreche stellenweise keineswegs den Aktivitäten, die die einzelnen EU-Staaten auf den Vollzug dieser Beschlüsse verwenden. So hätten die Mitgliedstaaten beispielsweise aus der Abfallrahmenrichtlinie lernen können, dass künftige Regelungen auf Erleichterung, aber auch auf Konsequenz bei Vollzug und Umsetzung der Vorgaben ausgerichtet sein sollten. Stattdessen sei jetzt im Kreislaufwirtschaftspaket für Deponien die Frist zur Mengenreduktion auf zehn Prozent festgelegt worden. Warum – fragte Kurth – wurde nicht wie in Deutschland komplett auf die Deponierung von Siedlungsabfällen verzichtet, anstatt vielleicht nicht umsetzbare und nicht überprüfbare Ziele zu setzen, für die keine Konsequenzen bei Verstößen festgelegt wurden?

Vergleichbares findet sich auch beim Aktionsplan zum Kreislaufwirtschaftspaket: Er schreibe fest, dass bis 2025 zehn Millionen Tonnen an Kunststoffrezyklaten pro Jahr wieder in die Produktion zurückfließen sollen. Doch es genüge nicht, solche Quoten festzulegen, wenn kein Instrumentarium und keine Rahmenbedingungen die Wiedereinführung regeln. Welche Sanktionen stehen zur Verfügung, um die Verpflichtungen geltend zu machen, sollte der Aktionsplan nicht schnell genug greifen?

Wettbewerbsgleichheit ist nur ein Versprechen

Der Koalitionsvertrag sieht vor, „die Einsatzmöglichkeiten für recycelte Materialien zu verbessern und entsprechende Anreize sowie mögliche gesetzliche Pflichten zu prüfen“. Hinter der Formulierung stecken zwei Varianten. Variante 1: gesetzliche Pflichten ohne Prüfung einführen; Variante 2: Prüfung für eventuelle gesetzliche Bestimmungen. Hier appellierte der BDE-Präsident dafür, die Prüfung ernst zu nehmen, mögliche Einsatzmöglichkeiten zu verbessern und in absehbarer Zeit gesetzliche Verpflichtungen anzustreben, und zwar sowohl für Kunststoffe wie für mineralische Abfälle. Auch steht Kurth der Aussage im Koalitionsvertrag, dass die Wettbewerbsgleichheit kommunaler und privater Unternehmen sichergestellt werden muss, kritisch gegenüber: Mit 350 Milliarden Euro sei der Anteil der Kommunen am Bruttoinlandsprodukt so hoch wie noch nie; die Wettbewerbsgleichheit sei zunächst „nur ein Versprechen“.

Wenig Rückenwind für Investitionen

Hinsichtlich Verpackungsgesetz merkte Kurth an, dass es nicht ausreiche, ambitionierte Sammel- und Sortierquoten in ein Gesetz zu schreiben: Entscheidend sei letztlich die Schließung von Kreisläufen. Dazu müssten alle Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette zusammenarbeiten. Und er kritisierte, dass ein Verpackungsgesetz, das notwendig eine Stelle vorschreibt, die die Durchführung des Gesetzes verspricht, ein Armutszeugnis für das Zusammenwirken von Gesetzgebung und Gesetzesvollzug liefere. Auch die Gewerbeabfallverordnung sei bei etlichen Bundesländern kein Thema im Zusammenhang mit Vollzug. Der BDE-Präsident berichtete von einem Hinweis, Briefe an die Ministerpräsidenten jeweiliger Bundesländer zu schicken, um ihren Umweltministern bei Haushaltsverhandlungen zu helfen, Personalstellen zu bekommen, um Verordnungen im Vollzug zu bringen – jenen Verordnungen, denen das Bundesland zuvor im Bundesrat zugestimmt hatte. Wer also glaube, dass die Zustimmung eines Bundeslandes davon abhängig ist, dass sich das Bundesland den Vollzug auch zutraut, der irrt. Kurth: „Ist das der richtige Rückenwind für mittelständische Entsorger, um zu investieren?“

Das Fazit des Redners fiel nach eigenen Worten nüchtern aus: „Ohne Vollzug ist alles nichts.“ Man stimme mit ambitionierten Regeln überein, aber nicht ohne Instrumentarium und ohne Durchführung, denn das Schließen von Kreisläufen setze entsprechende Rahmenbedingungen voraus. Und was das public procurement für verstärkten Rezyklat-Einsatz angehe, so seien alle Handhabungen vorhanden, um sich von billigen Angeboten zu lösen und ausschließlich nach ökologischen Gesichtspunkten zu entscheiden.

Vollzugsaspekte vernachlässigt

Unter welchen juristischen Bedingungen Genehmigungen erteilt werden müssen, verdeutlichte Ulrich Kleemann, Präsident der Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord in Koblenz. Am Beispiel der novellierten Gewerbeabfallverordnung konnte er veranschaulichen, dass zwar die Bürokratie zunimmt, aber die Zuständigkeiten ungeklärt bleiben und Vollzugshinweise fehlen. Zudem könne die Einhaltung der abfallrechtlichen Pflichten – nicht zuletzt aufgrund mangelnden Personals – nicht regelmäßig überwacht werden. Auch berichtete er aus eigener Erfahrung vom bürokratischen Aufwand, die ein der Biotonne gleichwertiges Erfassungssystem für Bioabfälle benötigt. Speziell ging es dabei um Sammelplätze mit Shredder für Grünschnitt, die in einem aufwändigen förmlichen Verfahren genehmigt werden müssen. Zusammengefasst geht Ulrich Kleemann davon aus, dass bei der Gesetzgebung möglicherweise die Vollzugsaspekte vernachlässigt werden, wenn sie denn überhaupt gewünscht seien; manche solcher Regelungen hätten dann nur eine Alibi-Funktion. Etliche gesetzliche Vorgaben seien auch zu schwammig, insbesondere, wenn es sich um Ausnahmegenehmigungen handelt.

Chinesischer Importstopp: positiv

Foto: Dr. Jürgen Kroll

bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock ging mit etlichen Äußerungen Kurths konform. Allerdings bezeichnete er die langen Laufzeiten des Abfallwirtschaftspakets für Deponieschließungen ausdrücklich als „Skandal“. Auch erschien ihm die Chemisierung des Abfallrechts durch REACH, CLP und POP-Verordnung als „Hysterie“, die – bei aller Beachtung von Gesundheits- und Arbeitsschutz – nicht zielführend sei. Kritik erfuhr auch die Tatsache, dass noch immer 70 Prozent aller in der EU anfallenden Kunststoffabfälle verbrannt oder deponiert werden: Das zeige, wo man in der Europäischen Union stehe. Wolle man die Kunststoffstrategie ernsthaft umsetzen, bestünde akuter Handlungsbedarf. Darüber hinaus sah Rehbock noch erhebliches Verbesserungspotenzial bei der haushaltsnahen Sammlung und warnte davor, die Sammlung von Verpackungsabfällen zur Restmüllsammlung verkommen zu lassen: Damit werde die Quote von 30 Prozent in den Sortieranlagen keinesfalls erreicht.

Den chinesischen Importstopp bezeichnete Rehbock als „verdaut“ und positiv für das Kunststoffrecycling, zumal die momentanen Bedingungen neben dem Embargo so gut wie noch nie seien: Die Müllverbrennungsanlagen seien ausgelastet, die Preise ordentlich, und Verpackungsgesetz wie auch EU-Kreislaufwirtschaftspaket könnten für höhere Recyclingquoten sorgen. Nicht zuletzt durch das Verpackungsgesetz herrsche in der Recyclingbranche eine „Aufbruchstimmung“, zumal bei der Zentralen Stelle Mindeststandards für die Recyclingfähigkeit von Verpackungen erarbeitet werden, die auf Qualität und Preisgestaltung Einfluss haben dürften. „Da muss was draus gemacht werden!“

Die erwähnten Redebeiträge können unter K. Wiemer, M. Kern, T. Raussen (Hrsg.), Bioabfall- und stoffspezifische Verwertung, Witzenhausen 2018, ISBN 3928673769 nachgelesen werden.

Foto: Production Perig / fotolia.com

(EU-Recycling 05/2018, Seite 6)

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