Anti-Litter: Makroplastik- und Mikroplastik-Emissionen auf der Spur
Forschungsansätze zeigen, wie der Kunststoffeintrag in die Umwelt vermieden werden kann.
Kunststoffemissionen in die Umwelt bestehen aus mehreren Komponenten. Als Makroplastik werden größere Objekte aus Kunststoff definiert. Primäres Mikroplastik vom Typ A – zum Beispiel Reibkörper in der Kosmetik – wird bei der Produktion erzeugt, primäres Mikroplastik vom Typ B entsteht beispielsweise durch Abrieb von Reifen während der Nutzung, und sekundäres Mikroplastik wird durch langsame Verwitterung und Fragmentierung freigesetzt.
Eine genauere Untersuchung über Ursachen, Mengen und Auswirkungen dieser Stoffe hat jetzt das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik vorgelegt. Außerdem ist die Forschung gegenwärtig auf der Suche nach Ansätzen zur Vermeidung von Plastikemissionen.
Hauptverantwortlich: Verkehr, Infrastruktur und Gebäude
Die Fraunhofer-Forscher gehen in Deutschland bei einem Einsatz von rund 14,5 Millionen Tonnen an Kunststoffen von einer Verwertungsquote von 7,6 Prozent, Abfallexporten in Höhe von 6,4 Prozent und einer thermischen Verwertung von 37,7 Prozent aus. 45,2 Prozent werden durch Lagerung dem Stoffkreislauf entzogen oder verlassen ihn auf anderen Wegen. Kunststoff-Emissionen zeichnen für 3,1 Prozent verantwortlich und summieren sich jährlich auf circa 446.000 Tonnen. Dabei verteilen sich Makroplastik und Mikroplastik etwa im Verhältnis 1:3. Das produzierende Gewerbe zeichnet zu 14 Prozent für die Entstehung primären Mikroplastiks verantwortlich, der private Konsum und gewerbliche Endanwender zu knapp einem Viertel, und Verkehr, Infrastruktur und Gebäude zu 62 Prozent.
Abbauzeiten bis zu 1.000 Jahren
Schätzungsweise können durch die Sammlung von Infrastrukturabfällen und durch die Reinigung von Straßen und Grünflächen rund 71 Prozent des Makroplastiks wieder aufgefangen werden. Außerdem sollen Kläranlagen geschätzte nahezu 100 Prozent an Makroplastik und über 95 Prozent an Mikroplastik zurückhalten können. Dennoch gelangen über verschiedene Transportwege Kunststoffemissionen – je nach Plastikart – zu zwei bis 47 Prozent in Flüsse und Meere. Je nach Polymerzusammensetzung lässt sich auf Abbauzeiten von bis zu zwei Jahrtausenden schließen. So veranschlagen die Forscher für 50 Prozent der Materialien – Elastomere, Duroplaste, einige Polyester und Polyamide – Abbauzeiten von bis zu 100 Jahren, für die andere Hälfte – Polyolefine, Styrolpolymere, PVC und PET – bis zu 1.000 Jahre.
Persistenz und Wassergefährdung
Die Studie hält die bisherigen Vorgaben und Vorschriften für den Umgang mit Mikroplastik und mit gelösten, gelartigen und flüssigen Polymeren für unzureichend. Kritisiert werden REACH, CLP/GHS, das WRM-Gesetz und die Detergenzien-Verordnung, die Kosmetik-Verordnung, die begrenzten nationalen Verbote und die geringe Nutzung von Umweltzeichen wie Blauer Engel oder das EU Ecolabel, die freiwillige Selbstverpflichtung und auch die Charter Nachhaltiges Waschen und Reinigen. Vorgeschlagen werden unter anderem die Einführung einer „very very persistent“- Gefahrstoffklasse (vvp) und die CLP-Einstufung von Makro- sowie Mikroplastik als „chronisch wassergefährdend“ (H413). Zur Verminderung von Emissionen sollten neben der Kunststoffindustrie auch die Gummibranche einbezogen, Anreize zu Innovationen für langlebigere Werkstoffe und Produkte geboten, bessere und dezentrale Rückhaltetechniken entwickelt, die Bioabbaubarkeit nur für Ausnahmefälle vorgesehen und die Pfandpflicht wo möglich ausgeweitet werden. Zusammengefasst kommt die Studie zum Fazit, dass Lenkungsmaßnahmen nicht nur die Kreislaufwirtschaft fördern, sondern auch Kunststoff-Emissionen reduzieren sollten. „Hier sehen wir vor allem eine Kombination aus Verboten, eine Förderung und Ausweitung von Pfandsystemen, Maßnahmen zur Verlängerung der Nutzungsdauer und die Förderung der Rezyklierbarkeit als vielversprechend an.“ („Kunststoffe in der Umwelt: Mikro- und Makroplastik“, www.umsicht.fraunhofer.de/content/dam/umsicht/de/dokumente/publikationen/2018/kunststoffe-id-umwelt-konsortialstudie-mikroplastik.pdf)
Biokunststoffe sind kreislauffähig
In einem Nebensatz erklärt die Studie, dass Bioabbaubarkeit von Kunststoffen „als Merkmal des Marketings gegenüber dem Verbraucher ungeeignet“ sei und nur für die Fälle eingesetzt werden sollte, in denen die Emission nicht zu verhindern beziehungsweise die Rückführung zur Verwertung nicht möglich war. In einer zeitgleichen Veröffentlichung eines Positionspapiers des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik über „Recycling von Biokunststoffen“ wird die Frage, ob Biokunststoffe kreislauffähig sind, mit einem eindeutigen „Ja!“ beantwortet. Allerdings müssten, um den Anteil nachhaltiger Kunststoffe in der Wertschöpfungskette sinnvoll steigern zu können, „noch technisch, ökonomisch und ökologisch sinnvolle Lösungsansätze entwickelt und etabliert werden“.
Kompostierbarer Barrierelack
Zu diesen Lösungsansätzen gehört auch die Forschungsarbeit von Dr. Sabine Amberg-Schwab vom Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC. Mit „bioOrmocer“, einem bioabbaubaren und kompostierbaren Barrierelack, entwickelte sie eine neue Materialklasse und wurde im Rahmen des „New Plastic Innovation Prize“ mit dem Sieg in der „Circular Materials Challenge“ belohnt. Bislang können bioabbaubare und kompostierbare Verpackungsmaterialien aus Zellulose sowie aus Polymilchsäure oder Stärke-Blends für Lebensmittel nur bedingt eingesetzt werden. Durch „Aufrüstung“ der Biokunststoffe mit speziellen biobasierten und bioabbaubaren Lacken sollen die verpackten Lebensmittel nun vor Wasserdampf, Gaszutritt und unerwünschter Übertragung von Fremdstoffen geschützt sein. Zur Herstellung der neuen Beschichtungen lassen sich Lebensmittelabfälle oder Nebenprodukte der Lebensmittelherstellung nutzen. Darüber hinaus wird das bioOrmocer-Material als bioabbaubar und kompostierbar bezeichnet.
Titandioxid als Katalysator
Die Vermeidung von Verpackungsmaterial – so Sabine Amberg-Schwab – sollte zwar oberste Priorität haben, sei aber nicht fläckendeckend realiserbar. Dafür brauche man verschiedene Säulen, darunter Verpackungen, die kompostierbar seien. Diesem Anspruch will auch Max-Fabian Volhard mit seiner Forschung an der Fachhochschule Münster entsprechen. Der Doktorand arbeitet daran, Kunststoffe so zu verändern, dass sie für ihren Einsatz – zum Beispiel als Flasche – stabil sind, sich aber im Meer von alleine zersetzen. Das soll ein ungiftiger Zusatz im Kunststoff deutlich beschleunigen. „Genauer gesagt, wollen wir einen Katalysator hinzufügen, der auf Sonnenlicht reagiert“, erklärt Volhard. „Denn der Katalysator Titandioxid ist spezialisiert darauf, Radikale zu bilden, die den Kunststoff zersetzen beziehungsweise mineralisieren können.“ Die Methode, bei der vom Plastik letztendlich nur Wasser und Kohlenstoffdioxid übrig bleiben, birgt nur noch ein Problem: Der Katalysator wirkt auch, wenn die Sonne scheint – ganz gleich, ob die Flasche gerade im Meer schwimmt oder noch im Einkaufswagen steht. Die Idee: „Wir wollen den Katalysator beschichten, damit die Radikale nicht nach außen dringen können und den Kunststoff nicht zu früh mineralisieren.“ Entwickelt wurde daher eine Polyphosphat-Beschichtung, die sehr sensitiv auf Salze reagiert, sich im salzigen Meerwasser auflöst und somit die Radikale freisetzt, die den treibenden Plastikmüll zersetzen. Die neuen Kunststoffe sollen dann im Idealfall nur noch maximal zehn Jahre brauchen, bis sie sich vollständig zersetzt haben. Die Methode ist bereits zum Patent angemeldet.
Zerfällt zu Pulver
Forscher am Zentrum für nachhaltige Polymere der Universität von Minnesota sind einen ähnlichen Weg gegangen. Sie entwickelten einen Kunststoff, der solange stabil bleibt, wie das nutzbringend und gewünscht ist, und sich in Moleküle auflöst, wenn er zerfallen soll. Die neue Polymilchsäure (Polylactic acid/PLA) ist hitzebeständig bis zu Temperaturen von 110° Celsius und kann für Kaffee- oder Teetassen, Verpackungen, Flaschen oder medizinische Zwecke genutzt werden. Das Material besteht aus Lactid und wird aus Stärkemais oder auch Zuckerrüben gewonnen.
Als Impulsgeber oder „Trigger“ sind bestimmte chemische Elemente zugegeben, die beispielsweise auf Licht oder Hitze reagieren und die Polymere – wie bei einem sich öffnenden Reißverschluss – in ihre Bestandteile zerfallen lassen. In der Praxis findet der neue Kunststoff bereits als stabiler Schaum für Autositze, Matratzen oder Sportmatten Verwendung. Wird das Material alt, brüchig oder sonstwie unbrauchbar, kann es auf 200° Celsius erwärmt werden und zerfällt in Einzelmoleküle zu einem Pulver, das nach Aussage der Forscher zur Herstellung von neuem Schaum eingesetzt werden kann. Weitere Anwendungen für den sich selbst zersetzenden Biostoff sind bei der Verabreichung von Medikamenten, selbstheilenden Materialien oder im Elektronikbereich denkbar.
Top 10 der Kunststoff-Emissionen
Quelle Menge (gr/(cap a))
Reifen-Abrieb 1.228,5
Abfallentsorgung 302,8
Bitumen-Abrieb 228,0
Pelletverluste 182,0
Sport- und Spielplätze 131,8
Freisetzung auf Baustellen 117,1
Schuhsohlen-Abrieb 109,0
Kunststoffverpackungen 99,1
Fahrbahmarkierungen 91,0
Textilfaser-Abrieb 76,8
(EU-Recycling 10/2018, Seite 41)