Schiffsrecycling in der EU: Und es geht doch!

Eine spezielle Liste vermerkt alle EU-Anlagen zum Schiffsrecycling. Die NGO Ship-breaking Platform hat nachgerechnet und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Abwrack-Einrichtungen alle EU-geflaggten Schiffe, die seit 2015 verschrottet wurden, hinsichtlich leichter Verdrängungstonnage und Größe hätten bewältigen können.

Es „wird der Schiffsrecyclingmarkt überwiegend von Werften beherrscht, die keine Normen beachten, aber bessere Preise für ausgemusterte Schiffe anbieten können, da ihre Arbeitskosten niedriger sind und sie gleichzeitig externe Kosten in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt verursachen, unzureichend in Maschinen investieren und über wenig bis gar keine Entsorgungskapazitäten für gefährliche Stoffe verfügen. Es wurde daher festgestellt, dass das Verursacherprinzip im Schiffsrecycling meist nicht angewandt wird“, berichtete im August 2017 die EU-Kommission.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Europäische Union bereits seit vier Jahren ihre Verordnung über das Recycling von EU-Schiffen erlassen. Sie ging in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt über die Anforderungen des Hongkonger Übereinkommens hinaus. Die Umsetzung dieser „Schiffsrecyclingverordnung“ verzögerte sich jedoch insbesondere wegen der „Machbarkeit eines finanziellen Anreizes“ für die Eigner zu entsorgender Schiffe. In ihrem Bericht von 2017 kam die EU-Kommission denn auch zu dem Schluss, es werde „– anhand einer Analyse der Nutzung und Auswirkungen der europäischen Liste von Abwrackeinrichtungen – zu einem späteren Zeitpunkt erneut geprüft, ob zusätzliche Maßnahmen in Form eines finanziellen Anreizes erforderlich sind“.

Die EU-Liste der Abwrackeinrichtungen

Quelle: NGO Shipbreaking Platform

Die erwähnte „europäische Liste der Abwrackeinrichtungen“ erschien im Dezember 2016 und enthielt die Namen von vorerst 18 Schiffsrecyclingunternehmen, die sich durch die Erfüllung hoher Standards exklusiv für das Recycling unter EU-Flagge fahrender Schiffe qualifizierten. Die Kommission begann 2017 mit der Prüfung von zusätzlich 22 Anträgen von Schiffsrecycling-Einrichtungen in China, Indien, der Türkei und den USA auf Aufnahme in die Liste; auch stehen Anlagen in Italien und Norwegen zur Prüfung an. (Die Liste von 2016 kann unter http://ec.europa.eu/environment/waste/ships/pdf/list_ship_recycling_facilities.pdf eingesehen werden). Die Liste – so der Bericht der Kommission – werde durch Prüfungen und Inspektionen an Ort und Stelle gestützt, die unabhängig von Geschäftsinteressen erfolgen. Daher „ist die europäische Liste mit einem einzigartigen, ruffördernden Mehrwert für den Sektor verbunden“.

Trotz dieses Angebots waren im Jahr 2017 Eigner aus der Europäischen Union und der Europäischen Freihandelsassoziation dafür verantwortlich, dass von ihren 260 weltweit zu verschrottenden Schiffen 181 und damit 70 Prozent aller europäischen Schiffe an den Küsten von Indien, Pakistan oder Bangladesch landeten. 18 Schiffe liefen noch unter europäischer Flagge in Ostasien auf Strand. Und 24 Schiffe, die bis kurz vor ihrer dortigen Verschrottung eine europäische Flagge aufgezogen hatten, fuhren nun unter Flaggen von Panama, Comoros, St. Kitts, Nevis, Palau, Liberia oder Togo und umgingen damit die EU-Verordnung. Spitzenreiter in der Verschiffung an fernöstliche Strände waren griechische Flottenbesitzer mit 51 und deutsche Eigner – unter anderem Banken und Schiffsfonds – mit 50 von 53 abzuwrackenden Schiffen, teilt die NGO Shipbreaking Platform in ihrem letzten Jahresbericht mit.

Angeblich nicht genügend Kapazitäten

Eines der Argumente solcher Unternehmer aus der Schiffsindustrie (neben der vermeintlich kostengünstigeren Entsorgung, die Folgekosten für Mensch, Umwelt und Ressourcen nicht einpreist): Es stünden aufgrund der EU-Gesetzgebung nicht genügend Kapazitäten zum sicheren und umweltschonenden Recycling für europäisch beflaggte Schiffe zur Verfügung, sodass man auf andere Recyclingplätze zurückgreifen müsse. Darf man der Darstellung der NGO Shipbreaking Platform glauben, sollten auf Wunsch der Schiffsindustrie sogar niederpreisige Abwrackanlagen außerhalb der EU in die Liste der zugelassenen Einrichtungen aufgenommen oder der Termin 1. Januar 2019 verschoben werden, an dem die Schiffsrecyclingverordnung in Kraft treten soll. Das sei weder zutreffend noch nötig, konterte die Shipbreaking Platform und berechnete die Brutto- und Verdrängungstonnagen (Gross Tonnage = GT; Light Displacement Tonnage = LDT) der von EU-Eignern abgewrackten Flotten der letzten vier Jahre.

Meist deutlich unter Kapazität

Foto: NGO Shipbreaking Platform

Im Jahr 2015 lieferte die Ausmusterung von weltweit 70 unter EU-Flaggen fahrenden Schiffen insgesamt 1.270.344 GT und 499.809 LDT. 2016 resultierten aus der Behandlung einer Flotte von 72 Schiffen 2.162.252 GT und 714.240 LDT. 2017 summierte sich die Demontagemenge von 50 Schiffen auf 858.078 GT und 372.731 LDT. Und in der ersten Hälfte des Jahres 2018 wurden 22 Schiffe mit 187.284 GT und 101.654 LDT entsorgt. Hinzu kommen jene Schiffe, die kurz vor ihrer Verschrottung die Flagge wechselten: Das waren 2015 neun Schiffe mit 457.100 GT und 136.419 LDT, 2016 insgesamt 23 Schiffe mit 1.046.958 GT und 356.487 LDT, 2017 eine Flotte von 25 Schiffen mit 1.284.653 GT und 447.035 LDT und schließlich im ersten Halbjahr 2018 vier Schiffe mit 392.298 GT und 115.239 LDT. Dem stehen momentan 20 Entsorgungseinrichtungen auf der EU-Liste mit einer Kapazität von insgesamt 1.150.275 LDT gegenüber. Anders ausgedrückt, gab es 2015 (636.228 LDT), 2016 (1.070.727 LDT), 2017 (819.766 LDT) und 2018 (216.893 LDT) eine mehr oder weniger deutlich geringere Nachfrage nach Entsorgungskapazität als angeboten. Auch das Argument der Eigner, die Anlagen könnten die Demontage von Ozeanriesen nicht bewältigen, ist nach Ansicht der Shipbreaking Platform nicht stichhaltig: Etliche Abwrackunternehmen auf der EU-Liste können Schiffe mit über 200 Metern Länge und über 30 Metern Breite bewältigen. Zudem würden etliche Anlagenbetreiber signalisieren, dass sie Investitionen in die Behandlung größerer Schiffe tätigen wollen, und weitere Unternehmen würden sich um die Aufnahme in die Liste bewerben.

Kommt die Schiffsrecycling-Lizenz?

Und schließlich – deckt die letzte Pressemitteilung der Nichtregierungs-Organisation auf – habe die EU noch einen Trumpf im Ärmel: die Einführung eines Rücknahmesystems für Schiffe auf Basis der in der EU-Liste geführten Einrichtungen. Das als „Schiffsrecycling-Lizenz“ bezeichnete System biete einen finanziellen Anreiz, der die Nachfrage am Markt für bessere Verfahren ankurbeln würde. „Denn alle Schiffe, mit denen in europäischen Gewässern Handel getrieben wird – einschließlich jener, die EU-Gesellschaften gehören, aber unter keiner EU-Flagge fahren –, seien davon betroffen.“

Foto: pixabay

(EU-Recycling 12/2018, Seite 32)