Gute Aussichten für den Altpapiermarkt
Chinas drastisch gedrosselte Altpapiereinfuhren bringen in Europa den funktionierenden Papierkreislauf nicht in Gefahr, hieß es beim 22. Internationalen Altpapiertag in Düsseldorf, an dem insgesamt 528 Vertreter der Papierbranche aus 20 Ländern teilnahmen.
Nicht nur die deutschen, sondern auch die europäischen Unternehmen der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft spüren die negativen Auswirkungen aufgrund der Marktverwerfungen durch die chinesischen Importrestriktionen. Trotzdem werde die Altpapierbranche in ein bis zwei Jahren aus dieser Krise deutlich gestärkt hervorgehen, betonte Werner Steingaß, Vorsitzender des Fachverbandes Papierrecycling im bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V., in seiner Eröffnungsrede.
In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, dass die Volksrepublik China bis 2017 jedes Jahr rund 30 Millionen Tonnen dieses Sekundärrohstoffs aus verschiedenen Ländern importierte. Mittlerweile sei diese aus dem Ausland stammende Menge drastisch geschrumpft. „Die verschärfte Import-Politik Chinas führt dazu, dass die dortige Papierindustrie den eigentlich dringend benötigten Rohstoff Altpapier seither nicht in der erforderlichen Menge erhält“, schilderte der Redner die Lage der chinesischen Papierindustrie. Die Papierfabriken hätten ihre Produktion erheblich zurückfahren müssen, während die produzierende Industrie des Landes dringend Verpackungen aus Papier benötige und mittlerweile vermehrt Fertigware importiere. Steingaß glaubt nicht, dass sich in absehbarer Zeit etwas an dieser Situation ändern wird, sondern geht von weiter sinkenden Altpapier-Einfuhren in China aus. „Hingegen laufen die Maschinen in den Anrainerstaaten auf Hochtouren, und chinesische Papierproduzenten bauen außerhalb Chinas neue Werke“, sagte er mit Blick auf den Aufbau neuer Kapazitäten in Asien.
Für Europa, das als Nettoexporteur von rund acht Millionen Tonnen Altpapier – bis zum Inkrafttreten der Importbeschränkungen – einen Großteil dieser Menge nach China verkaufte, haben die neuen Gegebenheiten ebenfalls entsprechende Auswirkungen. Laut Steingaß versinkt der Kontinent trotzdem nicht im Altpapier, „denn unsere Branche hat gelernt, mit schwierigen Situationen umzugehen“. Aus der Not eine Tugend zu machen, neue Chancen zu erkennen und zu nutzen, habe sich schon immer gelohnt. Die Altpapierunternehmen hätten sich erfolgreich in den nationalen und internationalen Märkten behaupten können, zumal sie den sekundären Rohstoff verstärkt in die chinesischen Nachbarstaaten sowie nach Indien und weitere Länder verkauften. „Hierdurch konnte der erforderliche Mengenausgleich zu einem guten Teil stabilisiert werden. Darüber hinaus hat die Situation an den Märkten auch dazu geführt, dass der Qualitätsfaktor in dem einen oder anderen Land eine völlig neue Bedeutung erlangte, und das ist ganz sicher gut so.“
Neue Anlagen steigern Bedarf
Wie der Vorsitzende des bvse-Fachverbandes Papierrecycling weiter unterstrich, sei in den vergangenen Monaten durch die Kooperation von Altpapierentsorgungswirtschaft und Papierindustrie in Europa das Vertrauen in einen funktionierenden Altpapierkreislauf „nicht nachhaltig erschüttert“ worden. Auch die Getrennterfassung von Altpapier habe sich angesichts der gestiegenen Qualitätsanforderungen nochmals als unverzichtbar bestätigt.
Obwohl sich das Wirtschaftswachstum aktuell abschwächt, will Steingaß wegen der angekündigten neuen Produktionsanlagen im Papierbereich keinen Pessimismus aufkommen lassen. Im nächsten Jahr werden allein in Deutschland zusätzliche Produktionskapazitäten auf Altpapierbasis im Umfang von 1,5 Millionen Tonnen entstehen; bis zum Jahr 2021 soll dieses Volumen auf insgesamt zwei Millionen Tonnen zunehmen. Dies entspreche einem Kapazitätszuwachs von jährlich rund zehn Prozent. Mit Blick auf die Konzentration der neuen Anlagen im Osten der Republik sprach Steingaß von einem – schon jetzt festzustellenden – Ost-Westgefälle hinsichtlich der Nachfrage und Preise. Es werde spannend sein, wie sich diese Situation – auch im Hinblick auf die Entwicklungen in Osteuropa – auf den deutschen Markt auswirken wird, meinte er.
Deutschland sei schon bisher Netto-Importeur von knapp zwei Millionen Tonnen Altpapier pro Jahr. „Daraus und aus der Erkenntnis, dass Altpapier heute in Deutschland in einem weitgehend ausgeglichenen Markt gehandelt wird, zeigt sich, dass sich die Folgen der chinesischen Importrestriktionen offensichtlich nur kurzfristig negativ auf den deutschen Markt auswirken, zugleich aber auch zu neuen Chancen und guten Entwicklungen führen“, konstatierte Werner Steingaß. „Mittelfristig dürfte die Nachfrage nach Altpapier wieder steigen und die Qualitäten besser sein.“
Prognosen zur künftigen Marktentwicklung
Die Frage, ob die europäischen Exporteure auch weiterhin Fasern international handeln können, beantwortete Ranjit Singh Baxi, Präsident des Bureau of International Recycling (BIR) und der Global Recycling Foundation, gleich selbst. Seiner Ansicht nach werden die internationalen Geschäfte durch den „Handelskrieg“ der USA und China nicht gerade gefördert. Das Ungleichgewicht habe sich seit der Erhebung von Einfuhrzöllen weiter verschärft, was zu einem Rekord-Handelsdefizit der USA geführt habe. Die Zölle der USA behinderten die Ausweitung der chinesischen Exporte; gleichzeitig schwäche sich die Nachfrage nach amerikanischen Waren ab. Das nachlassende Wirtschaftswachstum in China unterstütze den Absatz nicht, und die Volksrepublik suche nach einem breiteren Marktzugang.
Die aktuelle Lage hat sich laut Baxi auch auf die chinesischen Altpapierimporte ausgewirkt. Während China noch 2017 insgesamt 5,372 Millionen Tonnen Altpapier aus Amerika (3,461 Millionen Tonnen), Europa (1,448 Millionen Tonnen) und Japan (462.000 Tonnen) bezogen hatte, waren es 2018 lediglich 3,5 Millionen Tonnen (Amerika: 2,59 Millionen Tonnen, Europa: 718.900 Tonnen, Japan: 194.100 Tonnen). Nach seiner Einschätzung wird die Volksrepublik in diesem Jahr insgesamt 21 Millionen Tonnen Altpapier im Ausland einkaufen, wobei der chinesischen Industrie etwa neun Millionen Tonnen an Material fehlen werden. Um diese Lücke zu schließen, würden die Papierfabriken des Landes heimisches Altpapier stärker nutzen, mehr neues Papier und Altpapierstoff (Deinking Pulp) einführen sowie neue Produktionszentren in Übersee aufbauen. Ab 2021 will das bevölkerungsreichste Land der Erde kein Altpapier mehr importieren.
Dass die Nachfrage nach Verpackungspapieren in Europa in den zurückliegenden zwei Jahren besonders intensiv war, berichtete Guillermo Vallés, Direktor für Beschaffung beim spanischen Unternehmen Saica Paper. 2017 und in der ersten Jahreshälfte 2018 seien die Papierfabriken voll ausgelastet gewesen, um dieses starke Kaufinteresse zu befriedigen. In den letzten sechs Monaten des vergangenen Jahres sei es plötzlich zu einem unerwarteten Abfall in den Bestellungen gekommen. Bei Wellpappe sei die Nachfrage gesunken, obwohl sie insgesamt noch leicht steige. Da die Kunden das durchschnittliche Flächengewicht reduziert haben, stagniere die Tonnage in Hauptmärkten. Angesichts der neuen Kapazitäten im Umfang von 8,4 Millionen Tonnen, die seit 2018 bis einschließlich 2022 realisiert werden sollen, bleibt Guillermo Vallés optimistisch. Er geht davon aus, dass der Bedarf an Verpackungen sowohl in Europa als auch im Rest der Welt aufgrund des sich ausweitenden Internet-Versandhandels steigen wird. Außerdem habe Wellpappe in Europa ein „außerordentlich gutes Image“. Was den Rohstoff Altpapier angeht, so exportiere Europa derzeit noch mehr als zehn Millionen Tonnen – eine Menge, die von der Industrie zu großen Teilen innerhalb der nächsten Jahre eingesetzt werden könne. Er schloss seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass die europäische Papierindustrie die Spitzenposition in Effizienz einnehmen müsse; dafür sei die Qualität des Rohmaterials essenziell.
Auch in der Türkei baut die Papierindustrie neue Kapazitäten auf, berichtete Ercan Yürekli, Vizepräsident des Verbands der Türkischen Altpapier-Entsorgungswirtschaft (TÜDAM). Seinen Angaben zufolge werden vor allem Rohpapiere für Verpackungen erzeugt. Die zur türkischen Albayrak-Gruppe gehörende Papierfabrik Varaka in Balikesir beginne in einigen Monaten mit der Produktion (Volumen: 700.000 Tonnen/Jahr) von Zeitungsdruckpapier und weißem Testliner. Der türkische Produzent Kipas will in seinem neuen Werk in Aydin die Papiermaschine 2 (Produktionskapazität: 700.000 Tonnen/Jahr) im Jahr 2021 in Betrieb nehmen; zu einem nicht genannten Zeitpunkt soll die Papiermaschine 3 (Kapazität: 500.000 Tonnen/Jahr) anlaufen. Mit den Maschinen will Kipas Testliner, Fluting und Kraftliner herstellen. Zwischen 2021 und 2023 ist geplant, dass die zur österreichischen Prinzhorn-Gruppe zählende Firma Hamburger Turkey Containerboard in ihrer neuen westanatolischen Fabrik in der Provinz Kütahya mit der Produktion von jährlich 480.000 Tonnen Test- und Kraftliner beginnt.
Bis zum Jahr 2023 wird die türkische Papierindustrie über einen jährlichen Output im Umfang von 5,5 bis sechs Millionen Tonnen verfügen, erfuhren die Teilnehmer des Internationalen Altpapiertages. Derzeit erzeugten in der Türkei mehr als 30 Hersteller jährlich 3,8 Millionen Tonnen Papier.
_______________________
Bürokratische Hürden in Europa
Wie Steingaß weiter hervorhob, werden in Europa etwa 50 Millionen Tonnen Altpapier grenzüberschreitend bewegt. Dabei erschwerten bürokratische Hindernisse den reibungslosen Altpapiertransport zwischen den europäischen Ländern. Diese Situation ließe sich seiner Ansicht nach erheblich verbessern, wenn Altpapier den Status als Produkt erhalte und nicht mehr als Abfall gehandelt würde. Allerdings sei der Ansatz, den Verwertungsabfall Altpapier bei Erfüllung bestimmter Qualitätskriterien nicht mehr als Abfall zu klassifizieren, vor einigen Jahren in Brüssel gescheitert. Es sei klar, „dass nur wenige, hochsaubere Altpapiersorten den Status des ‚Nicht-Abfalls’ erhalten sollten“.
Bei dieser Gelegenheit erläuterte er, wie nicht harmonisierte Gesetze den Handel in Europa behindern. So ermögliche die Wallonische Regierung das Erreichen des Endes der Abfalleigenschaft von Altpapier. In Deutschland sei Altpapier in Hamburg definitorisch Abfall, beim Transport in Richtung Süden sei es in Nordrhein-Westfalen „Nicht-Abfall“, in Hessen wieder Abfall und in Bayern erneut „Nicht-Abfall“. Spanien stehe kurz vor der Anerkennung der End-of-Waste-Regelung. Und italienische Papierfabriken dürften per Gesetz keine Abfälle einsetzen. „Aus Deutschland dorthin verbrachtes, aufbereitetes Altpapier wird beim Überfahren der italienischen Grenze automatisch vom Verwertungsabfall zum Nicht-Abfall“, berichtete der Vorsitzende des Fachverbandes Papierrecycling. Man müsse sich fragen, was der Lkw-Fahrer in diesen Fällen eigentlich mit dem mitgeführten Annex VII mache. „Zum gemeinsamen Wohl von Altpapier-Recyclern und der Papierindustrie brauchen wir innerhalb Europas dringend harmonisierte Rahmenbedingungen für den Transport.“
_______________________
Brigitte Weber
Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de
(EU-Recycling 05/2019, Seite 25)