Güterverkehr per Binnenschiff: Die Branchen warten auf Innovationen

Die Recyclingwirtschaft braucht ebenso eine verlässliche Güterbeförderung per Binnenschifffahrt wie per Schiene. Insbesondere die Schrottwirtschaft ist auf einen leistungsfähigen Warenverkehr über Flüsse angewiesen.

Der Präsident der BDSV – Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen e.V., Andreas Schwenter, schätzt den Anteil der Schiffsfrachten am Gesamtvolumen aller Schrotttransporte auf rund zehn Prozent. Behinderungen des Warenverkehrs auf dem Wasser stellen daher die Branche vor logistische Herausforderungen, resultieren in steigenden Kosten und können für die Betriebe zu einem existenziellen Thema werden. Nach Darstellung der BDSV können längere Trockenperioden neben einem Anstieg der Treibstoffkosten und zusätzlichen Kleinwasserzuschlägen bis zu dreifach erhöhten Frachtsätzen bei Stahlrecyclingunternehmen führen. Zudem erweist sich die kontinuierliche Sicherstellung von Schiffsfrachten als problematisch, da die beschränkten Kapazitäten von Schiene und Straße kaum Ausweichmöglichkeiten bieten: Der Bundesverkehrswegeplan 2030 beziffert den Anteil von Verlagerungen zwischen Schiene und Wasserstraße auf durchschnittlich zwei Prozent.

20 Prozent weniger Mengen

Grafik: BMVI

Die Trockenperiode mit Niedrigwasserständen, die im Sommer 2018 auftrat, galt zunächst als Sonderfall. Wie der Wirtschaftsdienst.eu meldete, lagen die gesamten per Binnenschifffahrt transportierten Mengen im August und September um jeweils rund 20 Prozent unter denen des Vorjahres. Laut Destatis verringerte sich die beförderte Jahrestonnage an Erzen, Steinen, Erden und sonstigen Bergbauerzeugnissen binnen Jahresfrist von 57 Millionen Tonnen auf rund 52 Millionen Tonnen. Statt 25 Millionen Tonnen an Erzen wurden nur 22,7 Millionen Tonnen verschifft, und der Binnenschiff-Transport von NE-Metallerzen sank von 1,9 auf 1,8 Millionen Tonnen.

Einem Marktbericht der Zentralkommission für die Rheinschifffahrt und der EU-Kommission zufolge sank der Transport von Metallen um 22 Prozent, von Sanden und Steinen um 16 Prozent und von Eisenerzen um 14 Prozent; der Export reduzierte sich um 22 Prozent, der Import um 14 Prozent. Im dritten Quartal 2018 wurde die Verkehrsleistung auf dem Rhein um -27 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum beeinträchtigt, auf den Nebenflüssen Mosel, Saar, Neckar und Main um insgesamt -36 Prozent und auf der Donau um rund -10 Prozent. Nach Darstellung des BDI waren zwei Drittel der von der Versorgung durch die Binnenschifffahrt abhängigen Unternehmen stark bis sehr stark und länger als sechs Wochen betroffen.

Transportbedingungen kalkuliert sicherstellen

Die letzte Jahresbilanz der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt (GDWS) meldete, dass die vergleichsweise ungewöhnlich lange Niedrigwasserphase von Ende Juni bis Anfang Dezember dazu führte, dass Schiffe auf dem Rhein streckenweise zwei Drittel weniger laden konnten und vermehrt Schiffe mit geringen Tiefgängen unterwegs waren. Außerdem wurden an einigen Rheinabschnitten die niedrigsten Wasserstände seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen.

Aktionsplan „Niedrigwasser Rhein“

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GDWS-Präsident Prof. Dr.-Ing. Hans-Heinrich Witte bilanzierte: „Das extreme Niedrigwasser des vergangenen Jahres hat eine große öffentliche Aufmerksamkeit auf den Rhein gelenkt und damit die wirtschaftliche Bedeutung des wichtigsten europäischen Flusses deutlich gemacht. Die Erhaltung und Weiterentwicklung unserer Wasserstraßen hat für uns höchste Priorität.“ Für entsprechende „wasserbauliche Lösungen zur Sicherstellung kalkulierter Transportbedingungen am Rhein“ trat Anfang 2019 Juli Martin Staats, der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt e.V. (BDB), mit dem Argument ein, dass die Trockenperiode des Jahres 2019 keinen Einzelfall darstellt: „Da eine Häufung von signifikanten Niedrigwasserereignissen künftig nicht ausgeschlossen werden kann, muss auch ganz ernsthaft über den Bau von Staustufen und Speicherlösungen am Rhein diskutiert werden.“

Die deutschen Verkehrspolitiker begannen, den Schiffsgüterverkehr wahrzunehmen. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 vom August 2016 ist von mehreren Wasserstraßenvorhaben mit vordringlichem Bedarf zur Beseitigung qualitativer Engpässe die Rede. Darunter sind auch Fahrrinnenvertiefungen an Rhein und Main zur besseren Leistungsfähigkeit der Binnenschifffahrt projiziert, ohne als spezielle Maßnahme gegen Niedrigwasser ausgewiesen zu sein. Der „Masterplan Binnenschifffahrt“ vom Mai 2019 erwähnt zwar die Niedrigwasserperiode des Vorjahrs, weist aber auf keine diesbezüglichen wirtschaftspolitischen Aktivitäten hin. Erst Anfang Juli 2019 legte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer den Aktionsplan „Niedrigwasser Rhein“ vor, „um zuverlässig kalkulierbare Transportbedingungen am Rhein zu schaffen“. Das Papier des Ministeriums umfasst die vier Handlungsfelder „Informationsbereitstellung“, „Transport und Logistik“, „Infrastruktur“ und „Langfristige Lösungsansätze“ mit insgesamt acht Maßnahmen, die von der Verbesserung der operationellen Vorhersagen über die Entwicklung Niedrigwasser-geeigneter Schiffstypen bis zur schnelleren Umsetzung infrastruktureller Maßnahmen und gesellschaftlichem Dialog reichen. Diesen „8-Punkte-Plan“ unterzeichneten zwölf Vertreter der Stahl-, Chemie-und Mineralölindustrie, der Produzenten mineralischer Massenrohstoffe und des Binnenschifffahrtsgewerbes.

Ausbau nicht in Angriff genommen

Wer sich von diesem Aktions-Papier schnelle Änderungen erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden. Erstens wurde nach Ansicht des BDB die deutsche Wasserstraßeninfrastruktur „über Jahrzehnte vernachlässigt und mit viel zu geringen Investitionen regelrecht ‚auf Verschleiß‘ gefahren“. Viele Anlagen, das heißt vor allem Schleusen und Wehre, seien baufällig und nach Einschätzung der zuständigen Bundesverwaltung in einem „ungenügenden Zustand“. Folglich würden Ausbauprojekte, deren Notwendigkeit außer Frage stehe, nicht in Angriff genommen. Das sieht auch die chemische Industrie so, die zehn Prozent ihres Güterverkehrs über die Flüsse abwickelt. Dementsprechend beklagt Frank Andreesen, Vorsitzender des Fachausschusses Verkehr im Verband der chemischen Industrie e.V., den „schlechten Zustand der In­frastruktur“.

Hinzu kommt, dass Bauprojekte an Flüssen und Kanälen regelmäßig aufwändige und planungs- sowie zeitintensive Maßnahmen darstellen. So ist beispielsweise der im Bedarf des Bundesverkehrswegeplans vorgesehene „Bau von sieben zweiten Schleusenkammern an der Mosel“ auf 20 Jahre ausgelegt und wird voraussichtlich erst im Jahr 2036 abgeschlossen sein. Damit bleibt auch fraglich, ob die von der chemischen Industrie dringend angemahnte Umsetzung der Abladeoptimierung am Mittel- und Niederrhein so beschleunigt erfolgen kann wie gewünscht.

Ein gravierendes Finanzierungs­problem

Zweitens – monierte der BDB 2016 in einer Stellungnahme – falle die Investitionsquote bei den Wasserstraßen im Ausbaubereich vergleichsweise „mager“ aus: Im Ergebnis würden von den 94,7 Milliarden Euro an Neu- und Ausbaumitteln circa 53 Prozent in die Straße, 42 Prozent in die Schiene und nur fünf Prozent in die Wasserstraßen fließen. Des Weiteren sei die Zuteilung der Gesamtinvestitionen des Bundesverkehrswegeplans in Höhe von 24,5 Milliarden zu knapp bemessen, da schon 16,2 Milliarden Euro für Erhaltung und Ersatz reserviert seien. Und schließlich würden vom jährlichen Investitionsbedarf von etwa einer Milliarde Euro mittelfristig für Erhalt und Ausbau nur 675 Millionen Euro für 2015 und 575 Millionen Euro für 2019 zur Verfügung stehen. Eine kleine Anfrage im Bundestag ergab sogar, dass sich die tatsächlichen Investitionen des Bundes in die Infrastruktur der Bundeswasserstraßen für Ersatz-, Aus- und Neubauten zwischen 2011 und 2018 von 484 auf 368 Millionen Euro verringerten.

Nicht von heute auf morgen

Für den Verband besteht somit ein bei Flüssen und Kanälen „gravierendes Finanzierungsproblem“ der Regierung, bei dem Mittelbedarf und Mittelverfügbarkeit „in eklatanter Weise“ auseinander klaffen. Außerdem lassen sich weder Renovierungen noch Neuerungen in der Infrastruktur von heute auf morgen bewerkstelligen.

Ob also die Binnenschifffahrt den Güterverkehr unter anderem der Schrottwirtschaft beim nächsten Niedrigwasser weniger verlustreich zu gestalten vermag, muss die Zukunft weisen. Und zwar möglichst die nahe Zukunft. Denn: „Die Branche kann nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten“, warnt Frank Andreesen im Namen der chemischen Industrie – ein Hinweis, der auch für andere Wirtschaftszweige gilt.

(EU-Recycling 08/2019, Seite 8, Foto: Bernd Strohbach Dr. med. / Pixabay)