„Die Stahlschrottwirtschaft wird für viele Jahrzehnte ihre Bedeutung für die Verbesserung der Umweltbilanz behalten“
Sagt Dr. Rainer Cosson im Interview. Und der scheidende BDSV-Hauptgeschäftsführer schreibt der Politik noch etwas ins Stammbuch.
Dr. Rainer Cosson ist seit 1991 mit der Entsorgungs- und Recyclingbranche verbunden und hat den Wandel zu einer modernen Umweltwirtschaft erfolgreich mitbegleitet – zunächst als Justiziar beim Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft, ab 1996 als deren Geschäftsführer und ab 2010 als Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen.
Zum Jahreswechsel geht Dr. Rainer Cosson in den Ruhestand. Ein Unruhestand, wie wir annehmen. Denn er wird neben privaten Aktivitäten auch weiterhin für den Verband und die Branche als Berater tätig sein und seinen Nachfolger Thomas Junker bei der Übernahme der Aufgaben in der BDSV unterstützen. EU-Recycling befragte Cosson als Experten für Abfall- und Umweltrecht nach seinen Einschätzungen zur Entwicklung der Branche.
Herr Dr. Cosson, in Deutschland ist die Diskussion „Rente mit 70“ im vollen Gang und Sie gehen „schon“ mit 67 in den Ruhestand. Wobei wir annehmen, dass das eher ein Unruhestand sein wird. Denn offenbar haben Sie immer noch ein starkes Interesse an Abfall- und Umweltwirtschafts-Themen. Was hätten Sie denn als Hauptgeschäftsführer der BDSV noch gerne miterlebt?
Auf Ihre Zuspitzung der Frage muss ich zunächst näher eingehen: Noch sind wir ja beim Eintritt des Rentenalters mit 67. Ich selbst partizipiere von der derzeit gültigen Übergangsregelung und wäre schon am 1. Dezember 2018 mit dem „normalen“ Renteneintritt dran gewesen. Man sieht: Ich habe im Einvernehmen mit dem BDSV-Vorstand meine reguläre Erwerbsarbeit über ein Jahr „verlängert“.
Im Ernst: Es gibt ja fast immer Gelegenheiten, die man noch im Berufsleben erleben möchte. Im Moment ist es die starke, gesetzlich verordnete Eindämmung des Kunststoffs, wobei Kunststoffverpackungen im Fokus stehen. Die entsprechende EU-Richtlinie ist ja in der Pipeline, aber in nationales Recht ist sie in Gänze noch nicht umgesetzt. Mich hätte sehr interessiert, ob wir mit diesen Regelungen tatsächlich die Trendwende schaffen – und letztlich auch Zuwächse bei der Stahlverwendung erreichen.
Welche langfristigen Änderungen im Stahlschrotthandel erwarten Sie durch die Zollpolitik, mit der Trump seine Handelshegemonie durchsetzen will?
Die Politik von Donald Trump bewerte ich wie viele als ziemlich erratisch. Das Problem ist, dass die Ausgangsvoraussetzungen der Stahlproduktion – und damit mittelbar auch des Stahlschrotthandels – sehr unterschiedlich sind. In der EU haben wir sehr strikte Umweltbestimmungen, die in den USA nicht bestehen. Eigentlich schon ein erheblicher „Standortvorteil“ amerikanischer Werke.
Der Stahlschrotthandel in Deutschland wird á la longue nur erfolgreich sein, wenn sich die Stahlproduktion im Inland behauptet. Dafür wird bei uns in einem Maße neu investiert werden müssen, wie wir es bislang noch nicht kennen.
Welche Auswirkungen wird Ihrer Meinung nach die Digitalisierung auf die Stahlrecyclingbranche haben? Ist dabei etwas wie ein sich selbst organisierendes Internet-of-Materials denkbar?
Bei der BDSV haben wir vor nicht allzu langer Zeit den Fachausschuss Digitalisierung eingerichtet und ihm gleich zwei Arbeitskreise – einen bezogen auf die Branche und den anderen bezogen auf den Verband – an die Seite gestellt. Dem Trend zu mehr Digitalisierung kann sich niemand entziehen – wer das versucht, hat schon verloren. Aufgabe des Verbandes ist es ganz klar, bei diesem Trend an der Spitze zu stehen und den Mitgliedsunternehmen Orientierung zu bieten.
Wie unsere aktuelle Branchenumfrage zeigt, hemmen hohe Kosten, Schnittstellenprobleme und der Mangel an qualifiziertem Personal häufig noch die zügige Digitalisierung der Branche. Langfristig wird die Digitalisierung aber sicherlich zum eigentlichen „Enabler“ der Kreislaufwirtschaft. Ein „Internet of Materials“ ist damit durchaus im Bereich des Möglichen.
Welche Konsequenzen erwarten Sie angesichts der technischen Neuerungen zur Herstellung von Roheisen – Stichwort: Einsatz von Wasserstoff – für die Stahlschrottwirtschaft?
Es ist eine natürliche Reaktion, dass sich die europäische Stahlindustrie angesichts der strikten Politik der Begrenzung von schädlichen Emissionen Gedanken darüber macht, wie es mit dem Ziel der Umweltneutralität weitergehen soll. Die Nutzung von Wasserstoff als Alternative zu fossilen Brennstoffen ist da ein vielversprechender Ansatz. Aber machen wir uns nichts vor: Der Weg in die umweltverträgliche Nutzung von Wasserstoff bei der Stahlherstellung ist noch mit erheblichen technischen Problemen gepflastert. Außerdem kann niemand sagen, ob die Umstellung tatsächlich finanziell zu stemmen sein wird.
Die Stahlschrottwirtschaft wird für viele Jahrzehnte ihre Bedeutung für die Verbesserung der Umweltbilanz behalten. Und das gilt selbstverständlich auch dann, wenn der skizzierte Erneuerungsprozess in den Stahlwerken vorankommt. Stahlschrott kommt in der Diskussion über eine CO2-neutrale Stahlproduktion im Moment viel zu wenig vor. Langfristig wird der Stahlschrotteinsatz bei der Dekarbonisierung der Stahlindustrie jedoch eine zentrale Rolle spielen.
Sind denn eine bemerkenswerte Substitution von Stahlschrott und damit Marktverluste durch neue Materialien nicht absehbar?
Das sehe ich nicht. Durch welche neuen Materialien sollten die „Marktverluste“ denn eintreten? Als Substitutionsmaterial fällt mir nur der Kunststoff ein, der in der Anwendung sicher einige Vorteile hat. Aber Sie werden mir ersparen wollen, auf die Probleme der ganz erheblichen Umweltbelastungen durch Kunststoff am Ende des Lebenszyklus‘ hinzuweisen. Mittlerweile sind ja vielfältige entschlossene Gegenmaßnahmen administrativer Art zwecks Begrenzung der Kunststoffabfallflut ergriffen worden. Deswegen und wegen der hervorragenden Recyclingeigenschaften wird Stahl seine Bedeutung eher ausbauen.
Der Baubereich hat einen Stahlbedarf-Anteil von 35 Prozent. Was könnte die Branche gewinnen, wenn die öffentliche Hand mit der Beschaffung von Rezyklaten ernst machen und Wiederverwendung und Recycling im Baubereich endlich umgesetzt würde?
Der Baubereich ist ein Paradebeispiel dafür, dass das Stahlrecycling funktioniert. Ob private oder öffentliche Hand – das Recycling von Baustählen und die Verwendung von wiedergewonnenen Materialien hat im Baubereich einen ganz festen Platz.
Während Ihrer Zeit als BDSV-Hauptgeschäftsführer emanzipierte sich Stahlrecycling eindeutig von kommunalen Begehrlichkeiten. Wie kann sich die Branche vor einer weiteren Kommunalisierung schützen?
Mit Ihrer Bemerkung haben sie sicher Recht. Das hat aber ganz wesentlich damit zu tun, dass Schrott weit überwiegend im gewerblich-industriellen Bereich anfällt. In diesem Bereich gibt es zugunsten der Kommunen per se keine Überlassungspflicht. Im überlassungspflichtigen Bereich privater Haushalte hat es immer wieder Versuche gegeben, an mehr metallisches Material zu kommen. Dies ist aber in der Regel gescheitert, weil die Schrottsammlung überwiegend kein Massengeschäft ist und private Sammler hier flexibler und auch genügsamer sind.
Abfallwirtschaft dient dem Klimaschutz. Welchen Anteil hat das Stahlrecycling schon heute an der Einsparung von Treibhausgasen und wo sehen Sie weitere Einsparpotenziale?
Die Studie „Schrottbonus“, die die BDSV beim Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) in Auftrag gegeben hat und die gerade eben bei der Mitgliederversammlung im November 2019 der Öffentlichkeit vorgestellt worden ist, hat noch einmal in Erinnerung gerufen: Der Einsatz von Schrott bei der Stahlproduktion spart – im Vergleich zur Herstellung aus Erzen – Treibhausemissionen ein, vermeidet lokale Umweltbelastungen und schont endliche Ressourcen. Damit führt der Schrotteinsatz zu einem Wohlfahrtsgewinn: Durch den Einsatz von einer Tonne Kohlenstoffstahlschrott werden Treibhausgasemissionen von 1,67 Tonnen CO2 eingespart. Dies entspricht den CO2-Emissionen, die beim Verbrennen von rund 700 Litern Benzin freigesetzt werden.
Die genannte IMWS-Studie schlägt ein integriertes Konzept zur Dekarbonisierung des europäischen Stahlsektors und weitere Maßnahmen vor. Auch könnte die Förderung von Forschung und Entwicklung – mit einem Fokus auf den Mittelstand – das Stahlrecycling quantitativ und qualitativ stärken. Man sieht: Weitere Einsparpotenziale sind real!
Im Klimapaket der Bundesregierung kommt das Wort Kreislaufwirtschaft gar nicht vor. Für wie wirkungsvoll halten Sie die geplanten Einsparungen für die Abfallwirtschaft im Ganzen und die Schrottwirtschaft im Einzelnen?
In der Tat: Über die Aussparung des Wortes Kreislaufwirtschaft im Klimakonzept der Bundesregierung haben wir uns auch geärgert. Aber wenden wir es mal ins Positive: Die Beiträge der Schrottwirtschaft sind so selbstverständlich geworden, dass sie gar keiner Erwähnung mehr bedurft haben.
Halten Sie die zunehmende Menge an Gesetzgebungen beziehungsweise Reglementierungen – beispielsweise die zunehmende Überlappung von Abfall- und Chemierecht – überhaupt für ökologisch zielführend und wirtschaftlich sinnvoll?
„Überlappung“ mit gegenteiligen Anordnungen ist sicher schlecht, aber das übergreifende Ziel der Harmonisierung von Abfall-, Produkt- und Chemikalienrecht ist vernünftig und sollte weiterbetrieben werden. Mehr Rechtsvereinheitlichung führt zwangsläufig dazu, dass die Rechtsanwendung transparenter und die Realisierung der anzustrebenden Ziele greifbarer werden.
Der Transport von Stahlschrott und bearbeitetem Stahl als Sekundärrohstoff ist eine Achillesferse der Branche. Wie kann den verstopften Autobahnen, den knappen Kapazitäten der Schiene und den klimatischen Hindernissen für die Binnenschifffahrt mittel- und langfristig begegnet werden?
Dass Deutschland bei der Infrastruktur nicht mit der Steigerung des Verkehrsaufkommens nachgekommen ist, räumt heute eigentlich jeder Politiker ein. Wir werden nicht daran vorbeikommen, dem Ausbau und der Verbesserung des Schienennetzes in Deutschland und auch der deutlichen Ertüchtigung der Wasserwege für die Binnenschifffahrt mehr Aufmerksamkeit zu widmen und entsprechende Mittel bereit zu stellen. Eine prosperierende Wirtschaft braucht vernünftige, leistungsfähige Verkehrswege. Dem Ausbau vor allem der Schienen- und Wasserwege muss gerade für Massengüter wie Stahl und Stahlschrott Priorität eigeräumt werden. Dies bringt zugleich weitere Einsparpotenziale bei der CO2-Belastung.
Ihr Verband engagiert sich auch dafür, das Image der Branche in der Öffentlichkeit aufzuwerten. Was konnte die BDSV schon bewirken und wo muss der Hebel noch angesetzt werden?
Die BDSV hat sich in der Tat auf ihre Fahnen geschrieben, die Stahlrecyclingbranche in den Bereich „normaler“ Dienstleistungen zu transferieren. In der Tat habe ich das Gefühl, dass wir in den vergangenen zehn Jahren hier einiges erreichen konnten. Die strikte Regulierung und Überwachung der Schrottwirtschaft, die Anpassung an die immer strikter werdenden Gesetze und Rechtsverordnungen hat hier sicherlich viel bewegt. In der „Schmuddelecke“ sind wir – rein objektiv gesehen – nicht mehr. Mit dem Slogan „Schrott muss man können“ zeigt die Branche ihr neues Selbstbewusstsein als zentraler Dienstleister der Wertschöpfungskette.
Die BDSV ist ständig damit beschäftigt, die Branche im Trend zu noch mehr Technisierung, mehr Digitalisierung und natürlich auch der damit einhergehenden ständigen Fortbildung der Mitarbeiter zu halten. Gerade zu letzterem: Das Institut für Schrott und Metalle (ISM), das die BDSV auf Kiel gelegt hat, wird in zuletzt genannter Hinsicht zu einer weiteren Aufwertung der gesamten Branche führen.
Abschließend: Was würden Sie den europäischen Politikern für die Zukunft ins Stammbuch schreiben?
Noch deutlichere Anerkennung des umweltpolitischen Beitrags der Branche! Wir müssen und wollen alle gemeinsam unsere Schöpfung erhalten. Die Stahlrecyclingwirtschaft spielt beim Umweltschutz eine Riesenrolle. Stahlrecycling ist praktizierter Umweltschutz.
Herr Dr. Cosson, vielen Dank für das Interview und Ihnen alles Gute – Glück auf!
Dr. Jürgen Kroll und Marc Szombathy
(EU-Recycling 12/2019, Seite 13, Foto: Dr. Jürgen Kroll)